Wirtschaftshochschule

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Handelshochschule)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin

Eine Wirtschaftshochschule, Handelshochschule (kurz HH) oder Wirtschaftsuniversität ist eine Hochschule mit Spezialisierung auf eine Ausbildung in Fächern der Wirtschaftswissenschaften.[1] Im Englischen und immer häufiger auch im Deutschen wird der Begriff business school als Synonym verwendet. Als Wirtschaftshochschule werden verschiedene Bildungseinrichtungen bezeichnet, die auf betriebswirtschaftliche Studiengänge spezialisiert sind.

Der Begriff der Wirtschaftshochschule hat je nach Kontext verschiedene Bedeutungen. Es existieren unterschiedliche (organisatorische) Modelle:

Kernangebot vieler Wirtschaftshochschulen ist der Master of Business Administration. Auch berufsbildende Schulen tragen gelegentlich die Bezeichnung einer Wirtschaftshochschule.

Im Jahr 1819 gründeten Unternehmer und Wirtschaftswissenschaftlern (darunter Vital Roux und Jean-Baptiste Say) in Paris mit der „Ecole Spéciale de Commerce et d’Industrie“ (die heutige ESCP Europe) die erste Wirtschaftshochschule der Welt.[2][3] Der Lehrplan der wirtschaftlichen Ausbildung beinhaltete theoretische und praktische Ansätze sowie pädagogische Planspiele.[4] Ein Drittel der Studenten kam von außerhalb Frankreichs.[5]:530

Die Geschichte der deutschen Wirtschaftshochschule hängt mit der Entwicklung der Technischen Hochschulen (TH) zusammen. Die Bemühungen der fachlich ausgerichteten THs im 19. Jahrhundert um wissenschaftliche Anerkennung und formale Gleichstellung mit den Universitäten waren Teil des Diskurs zwischen einem neuhumanistischen, bildungsintellektuellen Verständnis der Universitäten und einem naturwissenschaftlich, technischen Verständnis der THs von Hochschulbildung. Exakte „Naturwissenschaften mit empirischer Methodik“ gewannen an Bedeutung. Diese Veränderung des Wissenschaftsverständnis erleichterte die Gründung und Weiterentwicklung der praktisch orientierten Handelshochschulen.[6]

In Deutschland entstanden die Handelshochschulen um die Jahrhundertwende Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Als Fortbildungsstätten für Kaufleute wurden sie vielfach zu Keimzellen der sich herausbildenden Wirtschaftswissenschaften und teilweise auch zu Vorläufern eines privaten Universitätswesens. Beispielsweise wurde die Handelshochschule Leipzig 1898 auf Initiative der Handelskammer Leipzig gegründet. Der Lehrplan umfasste theoretische und praktische Inhalte sowie Unterricht in Fremdsprachen. Interdisziplinäre Studieninhalte umfassten die Bereiche Nationalökonomie (die spätere Volkswirtschaftslehre), Recht, Geographie, Wirtschaftsgüter, Wissenschaft und Technologie, Werbemaßnahmen und Geisteswissenschaften. Um 1915 waren die meisten Handelshochschulen in öffentliche Universitäten integriert worden und hatten den starken akademischen Fokus der Universitäten in ihre Management-Lehre übernommen. Der vormals praktische Ansatz wurde weitestgehend aufgegeben.[5]:530

Ein Vorbild für das deutsche Fortbildungssystem und die Handelshochschulbewegung der Zeit war die 1895 gegründete London School of Economics (LSE). Die LSE gehörte dem Modell der civic universities an. In diesem Modell waren mehrere Colleges unter dem Dach einer Universität vereint. Nur die Universität hatte das Recht, einen akademischen Grad an einen Absolventen der Colleges zu verleihen.[7]:66

Als frühe Form der Managerschule sollten die Handelshochschulen „für das Management der Großbetriebe und solche Wirtschaftsführer, für die eine theoretische Wirtschaftliche Bildung nötig ist“[8] zuständig sein. Sie verliehen ihren Absolventen ein kaufmännisches Diplom und schulten Praktiker, die als „gebildete, nicht gelehrte Kaufleute“[9] im modernen Wirtschaftsleben benötigt wurden. 1923 wurde der Studiengang „Volkswirtschaftslehre“ inklusive des akademischen Abschlussgrads „Diplom-Volkswirt“ eingeführt. Im Jahre 1924 wurde vom Ministerium erlassen, dass „Absolventen der Handelshochschulen der akademische Grad eines Diplom-Kaufmanns (Dipl.-Kfm.) verliehen werden durfte“. Für mehr historische Hintergründe siehe dazu auch die Artikel Volkswirt und Diplom-Kaufmann.[10]:152

Handelshochschulen mit unterschiedlichen Konzeptionen und unter verschiedenen Trägerschaften entstanden[11] in Leipzig, Aachen und St. Gallen (1898)[10]:134, Köln und Frankfurt (1901), Berlin (1906), Mannheim (1908), München (1910), Königsberg (1915) und Nürnberg (1919). Die Handelshochschulen Frankfurt und Köln gingen bald in den dort neu gegründeten Universitäten auf, die Münchner Handelshochschule wurde 1922 der Technischen Hochschule eingegliedert, die Nürnberger Handelshochschule wurde 1961 in die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen eingegliedert.

Entwicklung der Bezeichnungen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die alte Bezeichnung Handelshochschule ist heute vor allem noch in Nord- und Osteuropa gebräuchlich (siehe auch: Liste nordischer Handelshochschulen). Auch in Deutschland tragen noch einzelne Wirtschaftshochschulen diese Bezeichnung, zum Beispiel die Handelshochschule Leipzig (seit 2012 HHL Leipzig Graduate School of Management). Früher bedeutsam war die von 1906 bis 1946 unabhängige Handelshochschule Berlin (heute Teil der Humboldt-Universität zu Berlin).

Bekannte Wirtschaftsuniversitäten sind unter anderem Wirtschaftsuniversität Wien, VŠE (Prag), Wirtschaftsuniversität Luigi Bocconi (Mailand), Wirtschaftsuniversität Bratislava.

Zu den bekanntesten écoles de commerces (wörtlich: Handelsschulen) in Frankreich zählen die HEC (gegründet 1881), die ESCP Business School (gegründet 1825) und die ESSEC (gegründet 1907), die sich in Paris und dem Umland befinden.

Die 1988 gegründete Community of European Management Schools (CEMS) ist eine bedeutende Kooperation von weltweit führenden Wirtschaftshochschulen und Universitäten mit multinationalen Unternehmen und NGOs.

Zulassungsvoraussetzungen für Studienbewerber

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wirtschaftshochschulen haben teilweise unterschiedliche Zulassungsvoraussetzungen. Unter anderem können folgende Kriterien zum Einsatz kommen:

  • Graduate Management Admission Test (GMAT), ein weltweit standardisierter Test, um die Eignung für postgraduale betriebswirtschaftliche Studiengänge auf Master-Niveau zu messen; insbesondere in den USA verbreitet
  • Test of English as a Foreign Language (TOEFL), ein standardisierter Test, in dem die Kenntnis der englischen Sprache von Nicht-Muttersprachlern überprüft wird
  • ein erster akademischer Abschluss (bei MBA-Programmen)
  • erste Arbeitserfahrung (bei MBA-Programmen)
  • Empfehlungsschreiben
  • ein oder mehrere Aufsätze zu vorgegebenen Themen

Für die Akkreditierung von Wirtschaftshochschulen sind folgende Einrichtungen von internationaler Bedeutung:

Bei Wirtschaftshochschulen, die alle drei wichtigen Akkreditierungen besitzen, spricht man von Triple Crown.[12] In Deutschland gibt es darüber hinaus FIBAA sowie ZEvA.

Campusgebäude der ESMT Berlin

Ein praktisch wichtiges, gleichsam jedoch sehr umstrittenes Instrument[13][14] für den qualitativen Vergleich von Wirtschaftshochschulen sind Rankings. Die international bekanntesten Rankings, jedes mit eigenen Stärken und Schwächen, sind[15]:

  • Bloomberg Businessweek – Business School Rankings & Profiles
  • The Economist – Full-time MBA ranking
  • Eduniversal Business School Ranking
  • Financial Times – Business Education – Rankings
  • US News – Top Business Schools
  • Wall Street Journal – College Rankings

In Deutschland führen viele Institutionen und Wirtschaftspublikationen eigene Rankings durch, die durch das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) untereinander sowie mit international bekannten Rankings verglichen werden. Zu den einzelnen CHE Rankings finden sich auf der Homepage des CHE jeweils eine Besprechung des methodischen Vorgehens, d. h. wer wurde wie wozu befragt, wie wurde daraus eine Reihung gebildet und eine Zusammenfassung des Ergebnisses. Veröffentlicht wird das CHE Hochschulranking von der Wochenzeitung Die Zeit.

Auf die negativen Folgen von Rankings auf Bildungseinrichtungen haben u. a. Espeland & Sauder (2007)[16] hingewiesen.

  • Moritz Julius Bonn: Die Aufgaben der Handelshochschule München in: Die Aufgaben der Handelshochschule München. Reden und Begrüßungen anlässlich der feierlichen Eröffnung. München 1911, S. 15–24.
  • Frank Zschaler: Vom Heiligen-Geist-Spital zur Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. 110 Jahre Staatswissenschaftlich-Statistisches Seminar an der vormals königlichen Friederich-Wilhelm-Universität. 90 Jahre Handelshochschule Berlin, Berlin 1997.
  • Herbert Zander: Gründung der Handelshochschulen im deutschen Kaiserreich (1898–1919), Diss. Köln, Köln 2004 (Digitalisat).
  • Rakesh Khurana: From Higher Aims to Hired Hands. The Social Transformation of American Business Schools and the Unfulfilled Promise of Management as a Profession. Princeton University Press, 2007, ISBN 0-691-12020-X (Zur Geschichte der Business Schools).

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Andreas Kaplan: Business Schools Post-Covid-19: A Blueprint for Survival. In: Taylor & Francis. 2023, abgerufen am 24. Juni 2023 (englisch).
  2. ESCP Europe, The World's First Business School. Geschichte der ESCP Europe. In: www.escpeurope.eu. 2016, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 10. Juli 2018; abgerufen am 13. November 2020.
  3. A. Renouard, Histoire de l'École supérieure de commerce de Paris, Raymond Castell éditions, 1999.
  4. Andreas Kaplan (2017) Towards a Theory of European Business Culture: The Case of Management Education at the ESCP Europe Business School, in Suder Gabriele, Riviere Monica, Lindeque Johan (eds.), The Routledge Companion to European Business, Routledge, 113-124.
  5. a b Andreas Kaplan: European management and European business schools: Insights from the history of business schools. In: European Management Journal. 32, 2014, S. 529, doi:10.1016/j.emj.2014.03.006.
  6. Zander (2004), S. 31 f.
  7. Walter Rüegg (Hrsg.): Geschichte der Universität in Europa. Bd. III: Vom 19. Jahrhundert zum Zweiten Weltkrieg (1800–1945) Beck, München 2004, ISBN 3-406-36954-5.
  8. Zschaler (1997), S. 19.
  9. Bonn (1911), S. 23.
  10. a b Dr. W. Prion: Die Lehre vom Wirtschaftsbetrieb. Buch 1: Der Wirtschaftsbetrieb im Rahmen der Gesamtwirtschaft. Julius Springer Berlin, 1935.
  11. Zander (2004), S. 175ff.
  12. Artikel zu Triple Crown in der Financial Times Deutschland (Memento vom 29. Mai 2008 im Internet Archive).
  13. Was ein Ranking aussagt@1@2Vorlage:Toter Link/www.karriere.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im März 2018. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis., Karriere, 17. Oktober 2008.
  14. Sind Hochschulrankings für den Wettbewerb unverzichtbar?, Der Spiegel, 3. September 2009.
  15. Ranking business schools – The numbers game – Business schools hate rankings. Understandably, The Economist, 10. Oktober 2002.
  16. Espeland & Sauder (2007), doi:10.1086/517897.