Adolfo Bioy Casares

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Adolfo Bioy Casares (1942)

Adolfo Bioy Casares (* 15. September 1914 in Buenos Aires; † 8. März 1999 ebenda) war ein argentinischer Schriftsteller.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Adolfo Bioy Casares, der Sohn von Adolfo Bioy Domecq und Marta Ignacia Casares Lynch, entstammte einer vermögenden Familie, die auf den erfolgreichen irischen Auswanderer Patrick Lynch zurückging und zu deren Mitgliedern auch ein chilenischer Marineadmiral, der argentinische Schriftsteller Benito Lynch und der Revolutionär Che Guevara gehörten. Bereits mit elf Jahren schrieb er seine erste Geschichte, Iris und Margarita. Er sprach früh neben Spanisch auch Französisch, Englisch und Deutsch; die Studien an der Universität – Jura, Philosophie und Literatur – langweilten ihn, und er erwarb keinen Abschluss.

Er war ein Freund von Jorge Luis Borges, den er 1932 bei Victoria Ocampo kennenlernte und mit dem er gemeinsam unter den Pseudonym H. Bustos Domecq oder B. Suarez Lynch viele Werke verfasste. Zwei Jahre später traf er bei Ocampo deren ebenfalls schreibende Schwester Silvina Ocampo, die er 1940 heiratete. Das Paar selbst blieb kinderlos, adoptierte aber 1954 Marta, eine Tochter von Bioy Casares aus einer anderen Beziehung. Marta starb 1994 bei einem Autounfall, kurz nachdem ihre Adoptivmutter Silvina Ocampo gestorben war. Das Erbe der Eheleute wurde später von einem Gericht einem weiteren unehelichen Kind – Fabián Bioy – zugesprochen, als dieser selbst bereits im Alter von 40 Jahren gestorben war.

Im Unterschied zu anderen argentinischen Schriftstellern sah sich Bioy Casares in den Jahren der Militärdiktatur nicht gezwungen, sein Land zu verlassen.

Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu den herausragenden und auch international immer wieder aufgelegten Büchern des Autors gehört La invención de Morel (1940, dt. Morels Erfindung). In dem schmalen Roman wird erzählt, wie ein Mann auf der Flucht vor der Justiz auf eine abgelegene Insel gerät, deren Bewohner immer wieder die gleichen Abläufe einer Woche wiederholen. Es stellt sich heraus, dass sie in Wirklichkeit Aufzeichnungen sind, dreidimensionale, von der Wirklichkeit ununterscheidbare Imitationen, die von Morels Erfindung erzeugt werden. Das Buch nimmt Motive der Virtualität voraus und gilt als eines der ersten Beispiele einer genuin südamerikanischen Science-Fiction.[1] Morels Erfindung soll den Film Letztes Jahr in Marienbad (1961) beeinflusst haben; der Verfasser des Drehbuchs, Alain Robbe-Grillet, hat Ähnlichkeiten zwischen den Werken anerkannt.[2]

In El sueño de los héroes (1954, dt. Der Traum der Helden) beschreibt Bioy Casares eine ausufernde Karnevalsfeier, die mehrere Tage dauert und den Protagonisten danach mit der beunruhigenden Vorstellung weiterleben lässt, er sei im Laufe von trunkenen Feindseligkeiten erstochen worden. Erst als er Jahre später mit seinen Kumpanen wieder um die Häuser zieht, erfüllt sich sein Schicksal, und er kommt bei einer Messerstecherei um. Das Motiv der sich selbst erfüllenden Prophezeiung (auch im Werk seines Freundes Jorge Luis Borges häufig anzutreffen) verschränkt sich in dem Buch mit einem tief sitzenden Zweifel an dem, was Realität sei.

Ebenfalls um Identität und Wirklichkeit geht es in dem Roman Dormir al Sol (1973, dt. Schlaf in der Sonne), worin ein von den Launen seiner Frau genervter und von ihrem immer unberechenbarer werdenden Wesen irritierter Mann sich von einem Bekannten überreden lässt, die Dame seines Herzens in psychiatrische Behandlung zu überstellen. Die als geheilt zurückgekehrte Frau ist sanft und rücksichtsvoll, doch der Mann stellt fest, dass es sich nicht mehr um die Person handelt, die er geliebt hat. Man hat ihre Seele ausgetauscht. Diese Erkenntnis stürzt ihn in eine Krise: Wen genau hat er geliebt? Und hat er seine Frau genug und „richtig“ geliebt?

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

David P. Gallagher (Lektor für lateinamerikanische Literatur an der University of Oxford 1968–1974)[3] schrieb in einem Artikel von 1972, dass das Werk von Bioy Casares nicht die hervorragende Stelle erhalten habe, die es in der lateinamerikanischen Literatur verdiene.[4] Es habe vielleicht unter der Assoziierung mit Borges gelitten: „Es wurde vermutet, dass Bioy bloss ein glorifizierter Handlanger sei oder sein Werk eine unbedeutende Nachahmung von Borges“.[5] Es sei jedoch offen, ob Borges Bioy Casares oder Bioy Casares Borges beeinflusst habe.[5] Gallagher hält abschließend eine zunehmende Anerkennung des Werks fest und es könne sein, „dass dieser Mann, der aus Bescheidenheit immer abgelehnt hat, Reklame für sich selber zu machen, zu guter Letzt dennoch angemessen gewürdigt wird“.[6]

Der deutsche Science-Fiction-Schriftsteller und -Publizist Karsten Kruschel schrieb anlässlich einer Neuausgabe von Morels Erfindung, es sei „denn doch ein starkes Stück“, dass Adolfo Bioy Casares schon 1940 über Virtualität nachgedacht habe, „zumal einige seiner Schlußfolgerungen denjenigen nah verwandt scheinen, die Stanislaw Lem aufwarf, als er 1964 „Summa Technologiae“ veröffentlichte...“ Aus ähnlich gelagerten Geschichten der SF hebe den Roman heraus, dass er zudem „ein Gleichnis auf die Existenz des Verfolgten“ sei, „der sich in seiner Bedrohung in ein anderes Dasein hinübersehnt, eines, in das ihm seine Verfolger nicht folgen können, wie auch immer es aussehen mag.“[7]

Preise und Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unter seinen Preisen und Auszeichnungen sind der Große Ehrenpreis der SADE (Argentinische Schriftstellervereinigung) 1975, die französische Ehrenlegion 1981, der Titel Berühmter Bürger von Buenos Aires 1986, der Premio Mondello 1984 und der Cervantespreis 1990 (überreicht 1991 in Alcalá de Henares). Bioy Casares ist auf dem Friedhof La Recoleta in Buenos Aires begraben.

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Romane

Erzählungen/Kurzgeschichten

  • Prólogo (1929)
  • 17 disparos contra el porvenir (1933)
  • La estatua casera (1936)
  • Luis Greve, muerto (1937)
  • La trama celeste (1948)
  • Las vísperas de Fausto (1949)
  • Historia prodigiosa (1956)
  • Guirnalda con amores (1959)
  • El lado de la sombra (1962)
  • El gran serafín (1967)
  • Liebesgeschichten (1972 im Original: Historias de amor) ISBN 3-518-38201-2
  • Die fremde Dienerin (1972 im Original: Historias fantásticas) ISBN 3-518-37462-1
  • El héroe de las mujeres (1978)
  • Historias desaforadas (1986)
    • Einzelerz., Übers. José Antonio Friedl Zapata: Flucht nach Carmelo. (1986) In: Ein neuer Name, ein fremdes Gesicht. 26 Erzählungen aus Lateinamerika. Hg. wie Übers. Sammlung Luchterhand, 834. Neuwied, 1987, 1989, S. 29–38

Briefe

  • En viaje (1996), Briefe an Silvina

Werke in Zusammenarbeit mit Jorge Luis Borges

  • Sechs Aufgaben für Don Isidro Parodi (1942 im Original: Seis problemas para don Isidro Parodi)
  • Dos fantasías memorables (1946)
  • Mord nach Modell (1946 im Original: Un modelo para la muerte) ISBN 3-596-10595-1
  • Chroniken von Bustos Domecq (1967 im Original: Crónicas de Bustos Domecq)
  • Das Buch von Himmel und Hölle (1960 im Original: Libro del cielo y del infierno) ISBN 3-596-10587-0
  • Neue Geschichten von Bustos Domecq (1977 im Original: Nuevos cuentos de Bustos Domecq)

Dos fantasías memorables und Mord nach Modell waren ursprünglich auf eigene Kosten in einer Auflage von 300 Stück gedruckt worden. Erste kommerzielle Auflagen gab es 1970.

Werke in Zusammenarbeit mit Silvina Ocampo

  • Der Hass der Liebenden (1946 im Original: Los que aman, odian)

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Michael Rössner: Am Anfang war die phantastische Idee. Interview mit Adolfo Bioy Casares. In: Wiener Journal, Nr. 141, Juni 1992.
  • Jorge L. Borges, Adolfo Bioy Casares, Hugo Santiago, Gilles Deleuze, Jean-Pierre Faye, Jacques Roubaud: Die Anderen. (Drehbuch). Merve Verlag, Berlin 1987 (Internationaler Merve Diskurs; 138), ISBN 3-88396-058-6
  • Matthias Hausmann: Adolfo Bioy Casares und das Kino. Film und Literatur als gegenseitige Herausforderung. transcript, Bielefeld 2022, ISBN 978-3-8376-6602-1.
  • Kian-Harald Karimi: La gente no mata por buenas razones – Die metaphysische Phantastik als Ausdeutung der modernen Biomacht in Romanen von Bioy Casares. In: Claudia Leitner, Christopher F. Laferl (Hg.): Über die Grenzen des natürlichen Lebens. Inszenierungsformen des Mensch-Tier-Maschine-Verhältnisses in der Iberoromania. Lit Verlag, Münster 2009, ISBN 978-3-8258-0289-9, S. 123–141.
  • Karsten Kruschel: Morels Erfindung. In: Sascha Mamczak und Wolfgang Jeschke (Hrsg.): Das Science Fiction Jahr 2004. Wilhelm Heyne, München 2004, ISBN 3-453-87896-5, S. 861–866.
  • Wolfram Nitsch: Die Insel der Reproduktionen. Medium und Spiel in Bioy Casares' Erzählung „La invención de Morel“. In: Iberoromania - Zeitschrift für die iberoromanischen Sprachen und Literaturen in Europa und Amerika. Bd. 60 (2004), Heft 2, S. 102–117, ISSN 0019-0993
  • Alfonso de Toro; Susanna Regazzoni (Hrsg.): Homenaje a Adolfo Bioy Casares. Una retrospectiva de su obra. Literatura – ensayo – filosofía – teoría de la cultura – crítica literaria, Theorie und Kritik der Kultur und Literatur. Vervuert, Frankfurt/Main 2002. ISBN 3-8935-4223-X
  • Silvia Renée Arias: Bioygrafía: vida y obra de Adolfo Bioy Casares. Tusquets Editores, Buenos Aires 2016, ISBN 978-987-670-351-2

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Vgl. Ingrid Kreksch: Who is Who in der lateinamerikanischen Science Fiction – ein Überblick. In: Wolfgang Jeschke (Hrsg.): Das Science Fiction Jahr 1999, Wilhelm Heyne Verlag, München, ISBN 3-453-14984-X, S. 367.
  2. David P. Gallagher: Die Romane und Kurzgeschichten von Adolfo Bioy Casares. In: Mechtild Strausfeld (Hrsg.): Materialien zur lateinamerikanischen Literatur. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1976, ISBN 3-518-06841-5, S. 54.
  3. Mechtild Strausfeld (Hrsg.): Materialien zur lateinamerikanischen Literatur. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1976, ISBN 3-518-06841-5, S. 381.
  4. David P. Gallagher: Die Romane und Kurzgeschichten von Adolfo Bioy Casares. In: Mechtild Strausfeld (Hrsg.): Materialien zur lateinamerikanischen Literatur. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1976, ISBN 3-518-06841-5, S. 64–65.
  5. a b David P. Gallagher: Die Romane und Kurzgeschichten von Adolfo Bioy Casares. In: Mechtild Strausfeld (Hrsg.): Materialien zur lateinamerikanischen Literatur. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1976, ISBN 3-518-06841-5, S. 65.
  6. David P. Gallagher: Die Romane und Kurzgeschichten von Adolfo Bioy Casares. In: Mechtild Strausfeld (Hrsg.): Materialien zur lateinamerikanischen Literatur. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1976, ISBN 3-518-06841-5, S. 67.
  7. Das Science Fiction Jahr 2004. Ein Jahrbuch für den Science Fiction Leser. Wilhelm Heyne Verlag, herausgegeben von Sascha Mamczak und Wolfgang Jeschke, München 2004, S. 865f.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]