Alasch Orda

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Flagge der „Kirgisischen Autonomie“ Alasch Orda (1917–1920)

Alasch Orda (kasach. Алаш Орда/Alaş Orda) war die Bezeichnung der „Kirgisischen Autonomie“[1] innerhalb Russlands, die vom 13. Dezember 1917 bis zum 26. August 1920 bestand. Zur Hauptstadt der Alasch Orda wurde das ostkasachische Alash-qala bestimmt.

Namensherkunft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Herkunft des Namens „Alasch Orda“ wurde von den kasachischen Intellektuellen der 1900er Jahre wie folgt erklärt: Alasch Khan sei der mystische Stammvater aller zentralasiatischen Steppenvölker und Ahnherr der kasachischen Nation. Bevor sich die Mehrheit der Steppennomaden als Kasachen bezeichnete, sei „Alasch“ deren Name gewesen. Mit „Alasch“ sei auch das von ihnen bewohnte Gebiet bezeichnet worden, das sich vom Süden Westsibiriens bis weit in die Kaspische Ebene erstreckte. Das heutige Kasachstan ging von ähnlichen Überlegungen aus, als es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die in Ungnade gefallenen und ermordeten Führer der Alasch Orda rehabilitierte: „Alasch Orda“ gehe auf Orda Khan und dessen Horde zurück, da dieser mit dem legendenhaften Alasch Khan identisch sei.

Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass „Alasch“ vom türkischen Wort Alaşa (dt. Pferd) und dem allen Turksprachen gemeinsame Wort „Orda“ (dt. Horde) stammt. So wäre „Alasch Orda“ mit Pferde-Horde bzw. mit Horde der Nomaden gleichzusetzen. Für diese These spricht auch die historische Tatsache, dass sich die kasachische Autonomie für die Rechte der kasachischen und kirgisischen Nomaden einsetzte und deren traditionelles Nomadentum wiederbeleben wollte.

Territorium der Alasch Orda[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gliederung des Alasch-Orda-Staates (1917–1920)

Das kasachische Autonomiegebiet erstreckte sich auf die Provinzen Bökejorda und Orenburg sowie die Oblaste Uralsk, Turgaj, Akmolinsk, Semipalatinsk und Semiretschje. De jure wurde von ihm die Territorialhoheit über jene Gebiete eingefordert, die einst zum Kasachen-Khanat (Große Horde, Mittlere Horde und Kleine Horde) und zur Bökey-Horde gehört hatten.

Darüber hinaus erhob der Alasch-Orda-Staat gegenüber dem nördlich benachbarten Russland territoriale Ansprüche auf die kasachischen Siedlungsgebiete, die sich in der heutigen Region Altai und der Republik Altai befinden. Begründet wurden diese Ansprüche mit der historischen Tatsache, dass diese Gebiete einst zum Einflussgebiet des Kasachen-Khanates gehört hatten. Dabei wurde von Seiten der politischen Führung der Alasch Orda gern eine weitere Tatsache übersehen, dass nämlich diese Kasachen nur unter der losen Oberhoheit des kasachischen Khans gestanden hatten und im Khanat äußerst autonom agierten. Im Süden wurde aufgrund der nahen Sprachverwandtschaft auch das Siedlungsgebiet der Karakalpaken eingefordert, die von der Alasch Orda wegen ihrer (ebenfalls sehr losen) Zugehörigkeit zur Großen Horde als „Kasak-Kirgisen“ deklariert wurden.

Bereits im November 1917 war in Kokand die Autonomie ausgerufen worden. Kokand erhob territoriale Ansprüche auf alle Gebiete, die zum 1876 abgeschafften Khanat Kokand gehört hatten und dehnte seinen Anspruch auf die gesamte Oblast Syrdarja aus. Da die politische Führung der Autonomie Kokand größtenteils aus Angehörigen der Alasch-Partei bestand, wurde das von Kokand beanspruchte Territorium zum Einflussgebiet der im Dezember 1917 entstandenen Alasch Orda gerechnet und als deren vierte Verwaltungseinheit angesehen.

Alles in allem umfassten die von der kasachischen Autonomiebehörden geforderten Gebiete über 3 Millionen km² und damit im Wesentlichen alle Völkerschaften, die heute unter den Begriffen Kasachen und Kirgisen summiert werden. De facto erstreckte sich das Autonomiegebiet nur auf die Regionen Orenburg, Turgai und Semipalatinsk, die aus den oben genannten Gebieten gebildet wurden.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vom russischen Bürgerkrieg zur Autonomie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1916 fanden im Generalgouvernement Turkestan und im Generalgouvernement Steppe zahlreiche Aufstände statt, die jedoch blutig niedergeschlagen wurden. Mehr als 300.000 Kasachen flüchteten mit ihren Herden nach China.[2] So fand infolgedessen vom 21. bis zum 28. Juli 1917 der erste Allkirgisische Muslim-Kongress in Orenburg statt. Auf dem wurde die Schaffung eines autonomen kasachischen Nationalstaates innerhalb Russland gefordert. Dieses sollte in der Zukunft eine föderative Struktur bekommen, in der alle Völker und Nationen gleichberechtigt waren. Um dieses Ziel der Autonomie zu erreichen, sollten die „Kirgisen“ des Reiches mit den anderen Turkvölkern des russischen Reiches zusammenarbeiten und dafür eine politische Partei gründen. Eine Unterordnung der Kasachen und Kirgisen unter eine mögliche, alle Turkvölker umfassende, politische Einheit lehnte dieser Kongress jedoch strikt ab. Auch wurden für die spätere Zukunft der Region 14 Beschlüsse gefasst.

Die Hauptforderungen waren:

  1. die Erneuerung und Modernisierung des Islam in Mittelasien,
  2. das Recht der zentralasiatischen Steppenvölker (Kasachen und Kirgisen) auf das traditionelle Nomadentum (und damit die Rückgängigmachung der erzwungenen Entnomadisierung der Steppennomaden, die in der Zarenzeit begonnen wurde) und
  3. die Rücksiedlung der zahlreich in Turkestan vertretenden russischen Siedler.

Diese Hauptforderungen standen stark unter dem Einfluss der Panturkisten und Dschadidisten gleichermaßen.

Ausrufung der „kirgisischen Autonomie“ und das Bündnis mit den Ural-Kosaken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auf einer gemeinsamen Zusammenkunft in Orenburg proklamierten im Dezember 1917 die Vertreter der Baschkiren und der „Alasch“ ihre Autonomie innerhalb Russlands und nahmen nun auch Kontakt zu den zarentreuen Ural-Kosaken auf, deren Ataman ebenfalls in Orenburg residierte. Diese waren als Slawen teilweise mit tatarischen, baschkirischen und kasachischen Frauen verheiratet. Diese Allianz sollten die militärische Position der Alasch Orda gegenüber den Bolschewiki stärken, da deren eigene Truppen nicht in der Lage waren, das von den Kasachen besiedelte Gebiet bzw. ein geschlossenes Territorium gegen die Bolschewiki zu verteidigen.

Getragen wurde die Alasch Orda vor allem von Mitgliedern der „Kadetten-Partei“ (Konstituelle Demokratische Partei Russlands), von denen ein großer Teil ethnische Kasachen waren. Es waren Älichan Bökeichan und seine Anhänger, die die Machtübernahme der Bolschewiki in der Oktoberrevolution strikt ablehnten. Stattdessen wurde von diesem gemeinsam mit tatarischen und baschkirischen Nationalisten sowie russischen Sozialrevolutionären und Liberalen daran festgehalten, dass die zukünftige Staatsordnung eines demokratischen föderativen Russlands durch die Verfassunggebende Versammlung bestimmt werden müsse. Damit geriet die Alasch Orda schnell in Konflikt mit der neuen russischen Sowjetregierung. Unter dem Einfluss Tschokajews und der ihn unterstützenden Mullahs nahmen große Teile der Alasch-Mitglieder auch an den damals in Turkestan stattfindenden Aufständen teil, was den Gegensatz zur Sowjetregierung nochmals verschärfte.

Zerfall der Alasch Orda und die Niederlage gegen die Rote Armee[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im April 1919 kam es zum internen Zerfall der Alasch Orda und auf deren Gebiet bildeten sich drei mehr oder weniger unabhängige Regionen heraus. Das „Gebiet Orenburg“ unterstand Älichan Bökeichan, das „Gebiet Turgaj“ den Gebrüdern Imanow (Abdulgaffar und Amangeldy Imanow) und das „Gebiet Semipalatinsk“ Mustafa Tschokajew. Den Hauptgrund für diesen internen Verfall bildete ein Vergleich Mustafa Tschokajews mit Sowjetrussland und ein mit diesem abgeschlossenes Abkommen. Tschokajew verbündete sich, nachdem Verhandlungen mit den „Weißen“, das heißt, mit der zarentreuen Seite des Bürgerkrieges, gescheitert waren, mit den „Roten“. Die Einigung der kasachischen Nationalisten mit den „Weißen“ scheiterte vor allem am russischen Nationalismus. Dieser sah auch ein zukünftiges Russland als zentralen Einheitsstaat, in dem nur die Russen die staatstragende Schicht waren und die Minderheiten und andere Völker weiterhin nur Untertanen zu sein hatten. So zogen sich die meisten Kosakenverbände auch aus dem Gebiet der Alasch Orda zurück und nur ein kleiner Teil der Ural-Kosaken, vor allem aus sprachverwandten Nagaibaken bestehend, verblieb dort weiterhin als Verbündeter Bökeichans. Noch während des Jahres 1919 wurden die wenigen Truppen der Alasch Orda und der mit ihnen verbündeten Kosakenverbände von der Roten Armee vernichtend geschlagen und ihre Führer größtenteils getötet.

Auflösung des Alasch-Orda-Staates[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit der Niederlage gegen die Rote Armee (1919) fiel die Alasch-Partei in die politische Bedeutungslosigkeit. Im August 1920 wurde das Gebiet der Alasch Orda unter der Bezeichnung „Kirgisische Autonome Sozialistische SowjetrepublikSowjetrussland angeschlossen.

Die wenigen Überlebenden des pantürkisch-militanten Flügels der Alasch-Partei zogen ins südliche Turkestan und schlossen sich dort der Widerstandsbewegung der Basmatschi an. Die reformorientierten Mitglieder traten der Kommunistischen Partei Turkestans bei und nahmen die Funktionen von „politischen Kommissaren“ wahr.

Bis zum April 1928 blieben die Vertreter der Alasch Orda in der Region politisch führend. Sie galten nun als rebellische Angehörige der „Turkestanischen KP“. Trotz der nunmehrigen Zugehörigkeit zur KPdSU vertraten ihre Führungspersönlichkeiten weiterhin die Aufrechterhaltung der überlieferten Stammesstrukturen. Ab April 1928 ließ Josef Stalin die kasachisch-kirgisische Intelligenz in Schauprozessen öffentlich als „bürgerliche Nationalisten“ bzw. als „Anhänger systemfeindlicher nationalistischer Bestrebungen“ aburteilen und ermorden.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise und Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Diese Autonomie umfasste sowohl Kasachen als auch Kirgisen. Beide Nationen wurden damals einheitlich unter dem Namen „Kirgisen“ summiert. Die Kasachen umfassten die „Kasak-Kirgisen“ und galten als Steppenbewohner, während die Kirgisen als „Kara-Kirgisen“ bezeichnet und als Bergbewohner angesehen wurden.
  2. Erhard Stölting: Eine Weltmacht zerbricht, S. 196.