Silberner Bär/Preis der Jury

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Der portugiesische Regisseur João Canijo mit dem Silbernen Bären für den 2023 ausgezeichneten Wettbewerbsbeitrag Mal Viver

Der mit dem Silbernen Bären prämierte Preis der Jury ist bei den jährlich veranstalteten Filmfestspielen von Berlin die drittwichtigste Auszeichnung nach dem Goldenen Bären und dem Großen Preis der Jury. Der Filmpreis wurde erstmals bei der 71. Berlinale offiziell eingeführt. Von 1987 bis 2019 war die Auszeichnung als Alfred-Bauer-Preis ausgelobt, benannt nach dem ersten Leiter der Berlinale Alfred Bauer (1911–1986). 2020 wurde sie als unbetitelter Silberner Bär verliehen.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach Bauers Tod 1986 wurde von den Filmfestspielen der Alfred-Bauer-Preis gestiftet, der seit 1987 während der Berlinale für einen Erstlingsfilm, später für einen Spielfilm im Wettbewerbsprogramm vergeben wurde, der neue Perspektiven der Filmkunst eröffnete.

Ende Januar 2020 entschloss sich die Berlinale-Führung kurz vor Beginn des neuen Festivals, die Vergabe des nach Alfred Bauer benannten Preises auszusetzen. Die problematische Rolle Bauers im Nationalsozialismus sei der derzeitigen Berlinale-Leitung bis dahin unbekannt gewesen.[1] Katja Nicodemus hatte in der Wochenzeitung Die Zeit, anknüpfend an Forschungen des Hobby-Filmwissenschaftlers Ulrich Hähnel, u. a. mit Materialien aus dem Berliner Landesarchiv nachgewiesen, dass Bauer eine wesentlich aktivere Rolle in der NS-Propagandabürokratie innehatte als es die offiziellen Verlautbarungen der Berlinale vermuten ließen. Letztere haben sich vor allem auf Bauers Selbstdarstellungen gestützt. Die Zeit seiner Mitgliedschaft in NSDAP und SA habe er aber falsch dargestellt, und Mitgliedschaften in weiteren NS-Organisationen sowie seine Tätigkeit als Referent in der 20-köpfige Reichsfilmintendanz habe er verschwiegen.[2][3]

Der Filmhistoriker Armin Jäger äußerte in einem Interview mit der Zeitung Die Welt, dass für ihn die wesentlichen Tatsachen bereits früher bekannt gewesen seien. Er bezeichnete Bauer als einen opportunistischen Bürokraten, der aber keine entscheidende Figur und sicher nicht Herr über Leben und Tod gewesen sei. „Nach meinem Eindruck war er eher eine Art Koordinator und Protokollant von Produktionsabläufen, aber niemand, der selbstständige Entscheidungen getroffen hat.“ Die Umbenennung des nach Bauer benannten Preises hielt aber auch Jäger für gerechtfertigt.[4]

In der Reihe Blick in die Archive der Deutschen Kinemathek war für den 24. Februar 2020 die Präsentation einer Publikation von Rolf Aurich über Alfred Bauer und seine Rolle bei den Berliner Filmfestspielen geplant, die sich auch relativ ausführlich mit dessen NS-Vergangenheit beschäftigen sollte. Nicodemus, der das Buchmanuskript vorlag, hatte in der Zeit bereits vorab die wiederum selektive Auswertung der Quellen und die ungeprüfte Übernahme von Selbstdarstellungen Bauers kritisiert.[2] Daraufhin sagte die Kinemathek die Präsentation ab, und die Veröffentlichung des Heftes wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, um zunächst die Quellen „für eine vertiefte Bewertung“ neu heranziehen zu können.[5]

Im Februar 2020 beauftragte die Berlinale-Führung das Institut für Zeitgeschichte in München mit der Erforschung von Alfred Bauers Position im NS-Machtapparat. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden im Sommer 2020 erwartet.[6]

2021 wurde der Alfred-Bauer-Preis durch den Preis der Jury ersetzt.[7][8] Sie ist die drittwichtigste Auszeichnung nach dem Goldenen Bären und dem Großen Preis der Jury (ebenfalls als Silberner Bär ausgelobt).[9]

Preisträger[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Jahr Originaltitel Deutscher Titel Regie
Alfred-Bauer-Preis (1987–2019)
1987 Mauvais sang Die Nacht ist jung Léos Carax
1988 Preis nicht vergeben
1989 Слуга (Sluga) Der Diener Wadim Abdraschitow
1990 Караул (Karaul) Die Wache Alexander Rogoschkin
1991 Preis nicht vergeben
1992 Бесконечность (Beskonechnost) Infinitas Marlen Chuzijew
1993 Preis nicht vergeben
1994 화엄경 (Hwaomkyung) k. A. Jang Sun-woo
1995 Preis nicht vergeben
1996 Vite strozzate Im Würgegriff Ricky Tognazzi
1997 William Shakespeare’s Romeo & Juliet William Shakespeares Romeo + Julia Baz Luhrmann
1998 愈快乐愈堕落 (Yue kuai le, yue duo luo) Hold You Tight Stanley Kwan
1999 Karnaval Karnaval Thomas Vincent
2000 独立少年合唱団 (Dokuritsu shônen gasshô-dan) Knabenchor Akira Ogata
2001 La ciénaga La Ciénaga – Morast Lucrecia Martel
2002 Baader Baader Christopher Roth
2003 英雄 (Yīngxióng) Hero Zhang Yimou
2004 Maria, llena eres de gracia Maria voll der Gnade Joshua Marston
2005 天邊一朵雲 / 天边一朵云 (tiānbiān yī duǒ yún) Das Fleisch der Wassermelone Tsai Ming-liang
2006 El custodio El Custodio – Der Leibwächter Rodrigo Moreno
2007 싸이보그지만 괜찮아 (Saibogeujiman kwenchana) I’m a Cyborg, But That’s OK Park Chan-wook
2008 Lake Tahoe Lake Tahoe Fernando Eimbcke
2009 Gigante Gigante Adrián Biniez
Tatarak Der Kalmus Andrzej Wajda
2010 Eu când vreau sa fluier, fluier Eu când vreau sa fluier, fluier Florin Șerban
2011 Wer wenn nicht wir Wer wenn nicht wir Andres Veiel
2012 Tabu Tabu – Eine Geschichte von Liebe und Schuld Miguel Gomes
2013 Vic+Flo ont vu un ours Vic+Flo ont vu un ours Denis Côté
2014 Aimer, boire et chanter Aimer, boire et chanter Alain Resnais
2015 Ixcanul Volcano Ixcanul – Träume am Fuße des Vulkans Jayro Bustamante
2016 Hele Sa Hiwagang Hapis Hele Sa Hiwagang Hapis Lav Diaz
2017 Pokot Die Spur Agnieszka Holland
2018 Las herederas Die Erbinnen Marcelo Martinessi
2019 Systemsprenger Systemsprenger Nora Fingscheidt
Silberner Bär – 70. Berlinale (2020)
2020 Effacer l’historique Online für Anfänger Benoît Delépine,
Gustave Kervern
Silberner Bär – Preis der Jury (seit 2021)
2021 Herr Bachmann und seine Klasse Herr Bachmann und seine Klasse Maria Speth
2022 Robe of Gems Robe of Gems Natalia López Gallardo
2023 Mal Viver k. A. João Canijo
2024 L’Empire k. A. Bruno Dumont

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Filmfestspiele Preis ausgesetzt… In: zeit.de, 29. Januar 2020 (abgerufen am 30. Januar 2020).
  2. a b Katja Nicodemus: „Ein eifriger SA-Mann“ – Alfred Bauer war der erste Direktor der Berlinale … In: zeit.de, 29. Januar 2020, abgerufen am 30. Januar 2020, - Heft 6/2020, S. 49 f.
  3. Katja Nicodemus im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske: Berlinale-Direktor Alfred Bauer „Ein eifriger SA-Mann“. Internetseite des Deutschlandfunks vom 29. Januar 2020, abgerufen am 5. Februar 2020
  4. Hanns-Georg Rodek Mit der Gründung der Bundesrepublik kommen eigentlich alle Nazis zurück. In: Die Welt vom 1. Februar 2020
  5. Pressemitteilung der Kinemathek vom 29. Januar 2020.
  6. Berlinale beauftragt Gutachten zu Alfred Bauer. Süddeutsche Zeitung, 18. Februar 2020, abgerufen am 18. Februar 2020.
  7. Berlinale vergibt nun genderneutrale Schauspielerpreise. In: Die Presse. 25. August 2020, abgerufen am 25. August 2020.
  8. Janick Nolting: Berlinale findet 2021 statt und ändert Preisverleihung. In: digitalfernsehen.de. 24. August 2020, abgerufen am 25. August 2020.
  9. Berlinale 2021: Bärengewinner*innen des Wettbewerbs stehen fest . In: berlinale.de, 5. März 2021 (abgerufen am 8. März 2021).