Anakreonteia

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die Anakreonteia (᾿Ανακρεόντεια, lateinisch (Carmina) Anacreontea, deutsch Anakreonteen oder Anakreontische Lieder) sind eine anonyme Sammlung griechischer Gedichte über Liebe, Wein, schöne Jünglinge, Aphrodite, Eroten, Grazien, Dionysos und Frühling aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. bis zum 5./6. Jahrhundert nach Christus, die unter dem Namen des griechischen Lyrikers Anakreon zusammengestellt wurde.

Die Sammlung enthält etwa 60 Gedichte, auch einiger byzantinischer Dichter. Sie stammen aus verschiedenen Epochen, richten sich aber in Stil und Thema nach Anakreon.

Textüberlieferung und -ausgaben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die einzige Handschrift, ein Anhang zur Anthologia Palatina (cod. Parisinus Suppl. gr. 384, olim Palatinus gr. 23, aus dem 10. Jahrhundert), wurde Mitte des 16. Jahrhunderts entdeckt und von Henricus Stephanus abgeschrieben. Diese heute in Leiden aufbewahrte Abschrift hat Stephanus seiner editio princeps von 1554 zu Grunde gelegt. Sie war lange Zeit die maßgebliche Ausgabe und enthielt ausgewählte Oden in lateinischer Übersetzung. Eine neuere Ausgabe wurde von Karl Preisendanz 1912 besorgt.

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es gibt heute Übersetzungen und Nachdichtungen in vielen Sprachen, deutsch beispielsweise von Eduard Mörike, die die Literaturgattung der Anakreontik bilden. Da die Carmina Anacreontea bis weit ins 19. Jahrhundert als Werke des Anakreon galten, beziehen sich wesentliche Teile der Anakreon-Rezeption eigentlich auf diese späteren Nachahmungen. Zur deutschsprachigen literarischen Rezeption siehe dort.

Die anakreontische Mode erfasste im 18. Jahrhundert aber auch andere Länder. Beispielsweise gestalteten Giovanni Bertati und nach dessen Vorbild[1] Lorenzo da Ponte die Texte je einer Arie in den Don-Giovanni-Opern von Giuseppe Gazzaniga und Wolfgang Amadeus Mozart (beide 1787 uraufgeführt). Wie das antike Gedicht Nr. 14[2] enthalten auch die Arie des Pasquariello[3] und die Registerarie des Leporello[4] statistische Aufzählungen der (namenlosen) Geliebten aus zahlreichen Städten und Ländern. Das damalige Publikum wird die Anspielung als solche erkannt haben.

Ausgaben und Übersetzungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In älteren Ausgaben und Übersetzungen wurden die Gedichte in unterschiedlichen Anordnungen gedruckt. Erst seit der Ausgabe von Karl Preisendanz (1912) hat sich die Wiedergabe in der Reihenfolge des codex Parisinus (Palatinus) durchgesetzt. Die Benutzung älterer Literatur wird dadurch sehr erschwert.

  • Digitalisat der byzantinischen Handschrift in der Bibliothèque nationale de France (die Anakreonteen stehen auf fol. 31–38 = pdf-Seiten 70–85).
  • Karl Wilhelm Ramler: Anakreons auserlesene Oden, und die zwey noch übrigen Oden der Sappho. Mit Anmerkungen von Karl Wilhelm Ramler. Bey Johann Daniel Sander, Berlin 1801, urn:nbn:de:bvb:12-bsb10232439-3 (Aus dem Nachlass herausgegeben von Georg Ludewig Spalding. Enthält 53 Gedichte, davon stammen ein oder zwei von Anakreon, die übrigen sind Carmina Anacreontea.).
  • Anakreon und die sogenannten Anakreontischen Lieder. Revision und Ergänzung der J. Fr. Degen’schen Übersetzung mit Erklärungen von Eduard Mörike. Krais & Hoffmann, Stuttgart 1864, S. 67–132 (archive.org – Mörike ist einer der ersten deutschen Übersetzer, die zwischen Anakreon und den späteren Carmina Anacreontea klar unterscheiden. Auch heute noch gut lesbar.).
    Später aufgenommen in die Reihe: Langenscheidtsche Bibliothek sämtlicher griechischen und römischen Klassiker in neueren deutschen Muster-Übersetzungen. Band 3. Langenscheidtsche Verlagsbuchhandlung, Berlin (digitale-sammlungen.de). – Neuausgaben:
    • Eduard Mörike: Sämtliche Gedichte. Übersetzungen. Auf Grund der Originaldrucke herausgegeben von Herbert G. Göpfert. Nachwort von Georg Britting. Carl Hanser Verlag, München 1964. – Taschenbuchausgabe ohne das Nachwort: Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1975, ISBN 3-446-11665-6, S. 582–616.
  • Karl Preisendanz (Hrsg.): Carmina Anacreontea e Bybl. Nat. Par. Cod. Gr. Suppl. 384 post Val. Rosium tertium edidit Carolus Preisendanz. Teubner, Leipzig 1912, DNB 367368218.
  • Martin L. West (Hrsg.): Carmina Anacreontea. 2., überarbeitete Auflage, Teubner, Stuttgart/Leipzig 1993, ISBN 3-8154-1025-8.
  • Silvio Bär, Manuel Baumbach, Nicola Dümmler, Horst Sitta, Fabian Zogg: Carmina Anacreontea. Griechisch/Deutsch. Reclam, Stuttgart 2014, „aktualisierte Ausgabe“ Reclam, Ditzingen 2020.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Manfred Landfester (Hrsg.): Geschichte der antiken Texte. Werklexikon. Reihe Der Neue Pauly, Supplemente 2. Stuttgart 2007.
  • Veronika Lütkenhaus: And with the Teian lyre imitate Anacreon: the reception of Anacreon and the Carmina Anacreontea in Horace's lyric and iambic poetry. (Hypomnemata, 217). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2023. – Rezension von Robert A. Rohland, Bryn Mawr Classical Review 2024.02.45

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Wolfgang Amadeus Mozart: Don Giovanni. In der Originalsprache (Italienisch mit deutscher Übersetzung). Dieser Opernführer wurde verfaßt und herausgegeben von Kurt Pahlen unter Mitarbeit von Rosemarie König (= Opern der Welt). 1. Auflage. Wilhelm Goldmann Verlag, München 1981, ISBN 3-442-33046-7, S. 331: „Eines der »Prunkstücke« der Partitur, Leporellos Registerarie schrieb er nahezu wörtlich aus Bertatis Libretto zu Gazzanigas Don Juan-Oper ab. Paul Stefan meinte, da Ponte hätte (...) »einen nicht eben aussichtsvollen Plagiatsprozeß riskiert«.“ – Rolf Fath: Reclams Lexikon der Opernwelt in sechs Bänden. Band 2. Philipp Reclam jun., Stuttgart 1998, ISBN 3-15-030018-5, S. 487: „Bertatis Text diente da Ponte als Vorlage für den im gleichen Jahr entstandenen Don Giovanni; Mozart dürfte dagegen Gazzanigas Musik kaum gekannt haben.“
  2. Nr. 14 in den neueren Ausgaben, beispielsweise von Karl Preisendanz, J. M. Edmonds, Silvio Bär und Team. – Nr. 32 in der Übersetzung von Johann Nikolaus Götz, „Auf seine Mädgens“ (Digitalisat, Digitalisat). – Nr. 6 in der Übersetzung von Eduard Mörike, „Rechnung“ (Digitalisat). – Ohne Nummer in der Übersetzung von Hermann August Junghans, „Die Liebschaften“ (Digitalisat).
  3. Giovanni Bertati: D. Giovanni Tenorio, o sia, Il convitato di Pietra. Intermezzo a sei voci da rappresentarsi in Firenze nel Regio Teatro degl’Intrepidi detto della Palla a Corda nel carnevale dell’anno 1789. Antonio Giuseppe Pagani e Comp., Florenz 1789, S. 10–11 (italienisch, archive.org – Libretto-Druck zu einer späteren Aufführung in Florenz).
  4. Text der Arie: Wolfgang Amadeus Mozart: Don Giovanni. In der Originalsprache (Italienisch mit deutscher Übersetzung). Dieser Opernführer wurde verfaßt und herausgegeben von Kurt Pahlen unter Mitarbeit von Rosemarie König (= Opern der Welt). 1. Auflage. Wilhelm Goldmann Verlag, München 1981, ISBN 3-442-33046-7, S. 49–53.