Anni Albers

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Anni Albers (* 12. Juni 1899 als Annelise Else Frieda Fleischmann in Berlin; † 9. Mai 1994 in Orange, Connecticut) war eine deutsch-amerikanische Textilkünstlerin, Weberin und Grafikerin. Sie zählt zu den Künstlern und Lehrern des Bauhauses. Nach ihrer Emigration in die USA in der Zeit des Nationalsozialismus unterrichtete sie Weberei am Black Mountain College, North Carolina und war als Künstlerin tätig.

Leben und Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Herkunft, Studium und Bauhaus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anni Albers (untere Reihe, 2. von links), Weberinnen und Webmeister der Webereiklasse in Dessau

Annelise Fleischmann wurde in Berlin-Charlottenburg in eine großbürgerliche Familie hineingeboren und protestantisch getauft. Ihre Mutter, Toni Fleischmann-Ullstein, stammte aus der deutsch-jüdischen Verlegerfamilie Ullstein, ihr Vater, Siegfried Fleischmann, war Möbelfabrikant.[1] Während der Schulzeit erhielt Anni Fleischmann privaten Kunstunterricht. Im Alter von siebzehn Jahren trat sie in das von Martin Brandenburg geführte Studienatelier für Malerei und Plastik in Berlin ein und absolvierte dort bis 1919 eine dreijährige künstlerische Ausbildung. Nachdem sie, als Frau in der Kunst, an der Dresdner Akademie für Malerei vom Professor Oskar Kokoschka als Malerin abgelehnt wurde, ging sie für das Studienjahr 1921/22 nach Hamburg an die Kunstgewerbeschule. Dort besuchte sie den Unterricht von Friedrich Adler.[2]

Im April 1922 nahm Fleischmann ein Studium am Staatlichen Bauhaus in Weimar auf. Sie besuchte zunächst die Grundlehre bei Georg Muche und den Vorkurs bei Johannes Itten.[3] Obwohl sie auch am Bauhaus gerne Malerei gelernt hätte, begann sie ab April 1923 gegen ihren Willen als Lehrling in der Werkstatt für Weberei.[3][2] 1925, im Jahr des Umzugs der Schule nach Dessau heiratete sie ihren Kommilitonen Josef Albers, zu dieser Zeit bereits Jungmeister.[4] In der Weberei fertigte Fleischmann unter der Leitung von Gunta Stölzl Wandbehänge, Meterstoffe und Teppiche. 1928/29 und 1930/31 leitete Fleischmann die Klasse wiederholt stellvertretend, ab Herbst 1931 auch für ein Semester kommissarisch.[3] Da Stölzl in Dessau das Weben von Textilien auf eine zunehmende industrielle Fertigung und Verwendung ausrichtete, schuf Albers für ihre Abschlussarbeit 1929/30 einen Wandbehang als „(ein) lichtreflektierendes, schalldämpfendes und leicht zu reinigendes Material aus Baumwolle und Cellophan“ für die Aula der Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Bernau.[2]

Emigration in die USA, Lehre am Black Mountain College und künstlerische Tätigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Black Mountain College war von 1933 bis 1941 im Blue Ridge Anwesen mit Robert E. Lee Hall und ehemaliger Jugendherberge (YMCA) ansässig.

1933 nach der Machtergreifung Hitlers mussten Ludwig Mies van der Rohe und sein Stellvertreter Josef Albers das seit 1932 in einer alten Tapetenfabrik in Berlin-Lichterfelde ansässige Bauhaus aufgeben; Anni und Josef Albers emigrierten noch im selben Jahr mit Unterstützung und Empfehlung des Architekten Philip Johnson in die USA an die 1933 neugegründete Kunsthochschule Black Mountain College, North Carolina. Hier wurden in Anlehnung an das Bauhaus Lehre und Studium im Austausch von Wissenschaft und Kunst in gemeinsamen Projekten von bildnerischer Gestaltung, Theater, Musik, Literatur, Mathematik und Architektur ausgeübt.[5] Anni Albers lehrte von 1939 bis 1949 als Assistant Professor Weberei. Zudem arbeitete sie als selbständige Textildesignerin von handgewebten und maschinell gefertigten Stoffen.[2] Nach ihrem ersten Aufenthalt 1935 auf Kuba und in Mexiko mit ihrem Mann wurde ihr Schaffen zunehmend durch die traditionellen Webmuster und -techniken Lateinamerikas beeinflusst, die sie auf ihren insgesamt 14 Reisen sammelte und studierte. 1949 war ihr als erster Textilkünstlerin eine Einzelausstellung im Museum of Modern Art in New York gewidmet.[2]

1950, nach dem Wechsel von Josef Albers an die Yale University, zog das Ehepaar nach Connecticut. Von 1950 bis 1962 arbeitete Anni Albers als freischaffende Weberin. Da sie die Webkunst aufgrund der industriellen Produktionsweisen für eine überholte angewandte Kunst ansah, gab sie das Handwerk auf, wandte sich der abstrakten Grafik zu und entwarf ab 1959 für Florence Knolls Firma, ab 1978 für Sunar-Textilien, Serien abstrakter, geometrisch gemusterter Textilien.

Als eines ihrer Hauptwerke gilt das Holocaust-Mahnmal Six Prayers (1966/67): „Das fast zwei Meter hohe und drei Meter breite Bildgewebe aus Baumwolle, Leinen, Bast und Metallgarn […] ist im Auftrag des Jewish Museum/New York entstanden. […] Es steht exemplarisch für ihre große künstlerische Leistung: die enge Verzahnung von abstrakter Kunst mit der traditionsreichen Kulturtechnik des Webens. Mit diesem subtilen Gewebe aus zumeist grauen, braunen und beigefarbenen Fäden, in das silbernes Metallgarn hellere Akzente setzt, wollte Anni Albers eine meditative Gedenkstätte für die Opfer des Holocaust schaffen. In den Grund hat die Künstlerin weiße und schwarze Fäden eingewoben, deren Spuren wie ein nicht entzifferbarer Text anmuten.“[6]

Das künstlerische Erbe von Anni und Josef Albers wird seit 1971 von der Josef & Anni Albers Foundation bewahrt und vermittelt.[7]

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1961 ehrte das American Institute of Architects (AIA) Anni Albers mit einer Goldmedaille für ihre Arbeit. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen und die Tate Modern in London präsentierten 2018/19 Anni Albers in der ersten großen Ausstellung ihrer Arbeiten seit langem als „überfällige Anerkennung von Albers’ zentralem Beitrag zu moderner Kunst und Design“.[8][9] Der Kunstkritiker Adrian Searle gab der Ausstellung in seiner begeisterten Besprechung in The Guardian fünf von fünf möglichen Sternen[10].

„Das große Dilemma ihres Lebens hat Anni Albers selbst einmal auf den Punkt gebracht. ‚Wenn eine Arbeit mit Fäden entsteht, dann wird sie als Handwerk betrachtet; auf Papier wird sie als Kunst angesehen.‘“, so Hannah Pilarczyk 2018 im Spiegel. Denn „obwohl Gründungsdirektor Walter Gropius Gleichbehandlung als Maxime ausgegeben hatte, konnten nur die männlichen Studenten wählen, ob sie sich auf die Arbeit mit Holz, Metall, Ton, Papier oder Glas spezialisieren wollten. Frauen wurde die Textilwerkstatt gewissermaßen zugeteilt.“ Was, wenn Anni Albers, „die sich erst im letzten Drittel ihres Lebens dem Drucken zuwandte, früher zum Papier gefunden hätte?“, spekuliert Pilarzcyk. „Die große Ausstellung, die das K20 in Düsseldorf ihr nun vor Beginn des Bauhaus-Jubiläumsjahres 2019 widmet, legt es nahe: Albers hätte sich nicht nur als herausragende Handwerkerin und wichtigste Künstlerin des Bauhauses, sondern als eine der größten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts überhaupt in die Geschichte eingeschrieben.“[11]

In der Populärkultur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Sten Nadolnys Ullsteinroman (2003) heißt es: „Anni … war in der Fleischmann-Familie die schwierigste. Sie war auch die Schönste, eine Femme fatale ersten Ranges … Bohémienne wollte sie sein, Revolutionärin, Künstlerin.“

Black Mountain College: Projektstudium und Experiment

Posthume Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Im Münchener Stadtbezirk Schwabing-Freimann Schwabing-Freimann ist seit dem 5. April 2001 eine Straße nach Anni Albers benannt.[12]
  • Im Bremer Stadtteil Neustadt wurde 2019 ein Park nach Anni Albers benannt.[13]
  • In Bottrop wurde 2021 der Platz vor dem Museum Quadrat nach Anni Albers benannt.[14]

Bibliographie (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Anni Albers: On Designing. Pellango Press, New Haven 1959, 1965, 2003.
  • Anni Albers: On Weaving. Wesleyan University Press, Middletown, CT, 1965.
  • Anni Albers, Ignacio Bernal u. a.: Pre-Columbian Mexican Miniatures. The Josef and Anni Albers Collection. Praeger, New York, Washington 1970.
  • Anni Albers: Bildweberei, Zeichnung, Druckgrafik. Ausstellungskatalog. Düsseldorf. Kunstmuseum; Berlin Bauhaus-Archiv, 1975.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Bauhaus-Frauen – Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design, Ulrike Müller, ISBN 978-3-938045-36-7.
  2. a b c d e Hanne Loreck: "Sissy stuff, mainly needlepoint": Anni Albers an der Staatlichen Kunstgewerbeschule zu Hamburg. Materialverlag HFBK Hamburg, Hamburg 2022, ISBN 978-3-944954-67-7.
  3. a b c Albers, Anni. In: Personenlexikon Bauhaus / Bauhaus Biographies. Forschungsstelle Bauhaus Community, abgerufen am 5. November 2023.
  4. Albers, Josef. In: Personenlexikon Bauhaus / Bauhaus Biographies. Forschungsstelle Bauhaus Community, abgerufen am 5. November 2023.
  5. Maria Becker: Wo soll Kunst entstehen, wenn nicht in der Natur? Das Black Mountain College war eine der folgenreichsten Schulen für die Kunst des 20. Jahrhunderts. Die Studierenden sollten mehr lernen als nur Kunst. NZZ, 9. Mai 2018, abgerufen am 13. Mai 2018.
  6. Kunstsammlung NRW: Pressemeldung: „Six Prayers“ von Anni Albers jetzt zu sehen. Archiviert vom Original am 26. Januar 2019; abgerufen am 12. Dezember 2018.
  7. The Josef & Anni Albers Foundation: Mission. The Josef & Anni Albers Foundation, archiviert vom Original am 16. Mai 2018; abgerufen am 13. Mai 2018 (englisch).
  8. Tate: Anni Albers – Exhibition at Tate Modern | Tate. Abgerufen am 9. Oktober 2018 (englisch).
  9. Anni Albers. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, abgerufen am 5. November 2023.
  10. Adrian Searle: Anni Albers review – ravishing textiles that beg to be touched. 9. Oktober 2018, abgerufen am 9. Oktober 2018 (englisch).
  11. Hannah Pilarczyk: Ausnahmekünstlerin Anni Albers: Ihre Fäden führten in die Zukunft. In: Spiegel Online. 24. Juni 2018 (spiegel.de [abgerufen am 12. Dezember 2018]).
  12. Stadtgeschichte München / Anni-Albers-Straße. 5. April 2001, abgerufen am 17. Januar 2022.
  13. Kaufrausch am Deich. 4. November 2020, abgerufen am 14. November 2020.
  14. Josef Bucksteeg: Dichter, Künstler, Generäle... Bottrops Straßen und woran ihre Namen erinnern. Hrsg.: Stadt Bottrop, Stadtarchiv (= Geschichtsstunde Heft 19). Bottrop 2020, S. 180.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Brenda Danilowitz: Anni Albers (1899–1994). In: K. Lee Chichester und Brigitte Sölch (Hrsg.): Kunsthistorikerinnen 1910–1980. Theorien, Methoden, Kritiken. Reimer, Berlin 2021, ISBN 978-3-496-03050-8, S. 238–251.
  • Charlotte Fiell, Peter Fiell (Hrsg.): Design des 20. Jahrhunderts, Taschen, Köln 2012, ISBN 978-3-8365-4107-7, S. 28.
  • Brenda Danilowitz, Heinz Liesbrock (Hrsg.): Anni and Josef Albers. Latin American Journeys. (Katalog zur Ausstellung «Anni und Josef Albers. Begegnung mit Lateinamerika» Centro de Arte Reina Sofía, Madrid u. a. 2006–2008), Hatje Cantz, Ostfildern 2007, ISBN 978-3-7757-2057-1.
  • Annelie Lütgens: Anni Albers. In: Das verborgene Museum I. Dokumentation der Kunst von Frauen in Berliner öffentlichen Sammlungen, Hentrich, Berlin 1987, ISBN 3-926175-38-9, S. 223–224.
  • Josef Helfenstein, Henriette Mentha: Josef und Anni Albers. Europa und Amerika (Kunstmuseum Bern, 6. November 1998 bis 31. Januar 1999, aus dem Englisch übersetzt von Manfred Allié), DuMont, Köln 1998, ISBN 3-7701-4795-2 (Buchhandelsausgabe) / ISBN 3-7701-4796-0 (Museumsausgabe) (= Künstlerpaare – Künstlerfreunde).
  • Maximilian Schell: Anni und Josef Albers. Eine Retrospektive Villa Stuck, München, 15. Dezember 1989 bis 25. Februar 1990; Josef-Albers-Museum, Bottrop, 29. April – 4. Juni 1990 / Stuck-Jugendstil-Verein / Villa Stuck, München 1989, ISBN 3-923244-13-5.
  • Nicholas Fox Weber, Pandora Tabattabai Asbaghi: Anni Albers. New York 1999, ISBN 0-89207-218-0.
  • Nicholas Fox Weber: The Bauhaus group. six masters of modernism. Knopf, New York 2009, ISBN 978-0-307-26836-5.
  • Sigrid Weltge-Wortmann: Women’s work. Textile art from the Bauhaus. Chronicle Books, San Francisco 1993, ISBN 0-8118-0466-6.
  • Ann Coxon, Briony Fer, Maria Müller-Schareck (Hrsg.): Anni Albers, Ausstellungskatalog. Hirmer, München 2018, ISBN 978-3-7774-3104-8.
  • Anni Albers. In: Patrick Rössler, Elizabeth Otto: Frauen am Bauhaus. Wegweisende Künstlerinnen der Moderne. Knesebeck, München 2019. ISBN 978-3-95728-230-9. S. 56–57.
  • Karen Stein u. a. (Hrsg.): Anni and Josef Albers. Hatje Cantz, Berlin 2021, ISBN 978-3-7757-4888-9.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]