Aram Mattioli

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Aram Mattioli (* 21. Januar 1961 in Zürich) ist ein Schweizer Historiker.

Werdegang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aram Mattioli studierte Geschichtswissenschaft und Philosophie an der Universität Basel. Von 1989 bis 1997 war er wissenschaftlicher Assistent an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät Luzern. Er wurde 1993 an der Universität Basel promoviert und 1997 in Luzern habilitiert.

Seit 1999 ist er als ordentlicher Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuesten Zeit an der Universität Luzern tätig. Von 2001 bis 2004, von 2006 bis 2008, von 2010 bis 2012 und von 2014 bis 2016 war er zudem Leiter des Historischen Seminars. 2001/2002 war er Dekan der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern.

Forschung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mattioli befasste sich zu Beginn seiner Forschungstätigkeit hauptsächlich mit Schweizer Rechtsintellektuellen im frühen 20. Jahrhundert. Seine Dissertation verfasste er über den Freiburger Patrizier und rechtskonservativen Intellektuellen Gonzague de Reynold, der aus tiefster Abneigung gegen den Marxismus/Bolschewismus und den Liberalismus die Diktaturen der Zwischenkriegszeit bewunderte und während des Zweiten Weltkriegs für die Umwandlung der Schweiz in eine autoritäre Republik plädierte. Nach der daran anschließenden Beschäftigung mit dem katholischen Antisemitismus konzentrierte sich Mattioli mehr und mehr auf die Erforschung des italienischen Faschismus. 2005 legte er eine vielbeachtete Studie über den faschistischen Feldzug gegen das Kaiserreich Abessinien (heute Äthiopien) vor, bei dem die italienischen Truppen wiederholt Giftgas gegen die Zivilbevölkerung einsetzten und andere massive Kriegsverbrechen begingen.

Im Oktober 2008 organisierte Mattioli in Luzern eine Tagung zur Architektur- und Städtebaugeschichte des faschistischen Italiens. Dabei wurden so verschiedene Aspekte besprochen wie die radikale Umgestaltung der Metropole Rom in den zwanziger Jahren, neu angelegte Städte auf dem trockengelegten Agro Pontino (etwa Littoria oder Sabaudia), die italienische Neustadt von Bozen, faschistische Totenburgen und Ossarien im Südtirol, der Bau der Autobahnen sowie die zum Teil überwältigenden Architektur- und Städtebauprojekte in den Kolonien Dodekanes, Libyen, Eritrea und Äthiopien (siehe auch: Italienisch-Ostafrika). 2009 ist ein Sammelband mit diesen Beiträgen erschienen.

In seinem Essay Jacob Burckhardt und die Grenzen der Humanität setzt sich Mattioli mit dem Antisemitismus des großen Basler Gelehrten des 19. Jahrhunderts auseinander. Mattioli sieht sich dabei jedoch «vor einer Mauer der Auslassungen und eingeschliffenen Legenden»[1] wieder, stellt «bestehende Forschungsdefizite»[1] fest und erkennt, dass auch im Fall Burckhardt «der Geniekult zu entschärften Lesarten, Blickverengungen und seltsamen ahistorischen Betrachtungsweisen»[2] führt. «In diesem Essay wird argumentiert, dass Burckhardts antisemitische Tiraden keine Gelegenheitsäußerungen waren und wissenschaftlich weit ernster zu nehmen sind, als die Forschung bislang angenommen hat.»[3]

In den letzten Jahren hat Mattioli sich mit der Geschichte der Native Americans auseinandergesetzt und zwei Überblickswerke zu diesem Thema vorgelegt, die als Sachbücher hohe Auflagen erlebt haben. In Verlorene Welten: Eine Geschichte der Indianer Nordamerikas, 1700-1910 untersucht der Historiker die Frühgeschichte weiß-indianischer Interaktionen und den Verlust der Autonomie, des Landes und der Kultur während der siedlerkolonialen Durchdringung Nordamerikas durch Weiße.[4] In Zeiten der Auflehnung: Eine Geschichte des indigenen Widerstandes in den USA schildert Mattioli den langanhaltenden Widerstand der First Peoples in Nordamerika.[5]

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seine Synthese Verlorene Welten. Eine Geschichte der Indianer Nordamerikas 1700–1910 stand zusammen mit vier anderen Werken auf der Shortlist für das Wissenschaftsbuch des Jahres 2018.

Werke (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Zwischen Demokratie und totalitärer Diktatur. Gonzague de Reynold und die Tradition der autoritären Rechten in der Schweiz. Orell Füssli, Zürich 1994, ISBN 3-280-02193-6.
  • Intellektuelle von rechts. Ideologie und Politik in der Schweiz 1918–1939 (als Herausgeber). Orell Füssli, Zürich 1995, ISBN 3-280-02324-6.
  • Antisemitismus in der Schweiz 1848–1960. Orell Füssli, Zürich 1998, ISBN 3-280-02329-7.
  • Katholischer Antisemitismus im 19. Jahrhundert. Ursachen und Traditionen im internationalen Vergleich (hg. mit Olaf Blaschke). Orell Füssli, Zürich 2000, ISBN 3-280-02806-X.
  • «Eine höhere Bildung thut in unserem Vaterlande Noth.» Steinige Wege vom Jesuitenkollegium zur Hochschule Luzern (mit Markus Ries). Chronos, Zürich 2000, ISBN 3-905313-48-0.
  • Jacob Burckhardt und die Grenzen der Humanität. Bibliothek der Provinz, Weitra 2001, ISBN 3-901862-11-0.
  • Entgrenzte Kriegsgewalt. Der italienische Giftgaseinsatz in Abessinien 1935–1936. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Bd. 51, Heft 3, 2003, S. 311–337, online (PDF; 7 MB).
  • Intoleranz im Zeitalter der Revolutionen. Europa 1770–1848 (hg. mit Markus Ries & Enno Rudolph). Orell Füssli, Zürich 2004, ISBN 3-280-06012-5.
  • Experimentierfeld der Gewalt. Der Abessinienkrieg und seine internationale Bedeutung 1935–1941; mit einem Vorwort von Angelo Del Boca. Orell Füssli, Zürich 2005, ISBN 3-280-06062-1.
  • Der erste faschistische Vernichtungskrieg. Die italienische Aggression gegen Äthiopien 1935–1941 (hg. mit Asfa-Wossen Asserate; Beiträge einer Tagung an der Universität Luzern vom 3. Oktober 2005). SH-Verlag, Köln 2006, ISBN 978-3-89498-162-4.
  • Für den Faschismus bauen. Architektur und Städtebau im Italien Mussolinis (hg. mit Gerald Steinacher). Orell Füssli, Zürich 2009. ISBN 978-3-280-06115-2.
  • «Viva Mussolini». Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2010, ISBN 978-3-506-76912-1.
  • Verlorene Welten. Eine Geschichte der Indianer Nordamerikas 1700–1910. Klett-Cotta, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-608-94914-8.
    • Übersetzung ins Italienische: Mondi perduti. Una storia dei nativi nordamericani 1700–1910. Einaudi, Torino 2019, ISBN 978-88-06-23975-6.
  • Zeiten der Auflehnung. Eine Geschichte des indigenen Widerstandes in den USA 1911–1992. Klett-Cotta, Stuttgart 2023, ISBN 978-3-608-98348-7.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Aram Mattioli: Jakob Burckhardt und die Grenzen der Humanität. Bibliothek der Provinz, Weitra 2001, S. 9.
  2. Aram Mattioli: Jakob Burckhardt und die Grenzen der Humanität. Bibliothek der Provinz, Weitra 2001, S. 10.
  3. Aram Mattioli: Jakob Burckhardt und die Grenzen der Humanität. Bibliothek der Provinz, Weitra 2001, S. 14.
  4. Aram Mattioli: Verlorene Welten: Eine Geschichte der Indianer Nordamerikas 1700–1910. Klett-Cotta, 2018. ISBN 978-3-608-94914-8.
  5. Aram Mattioli: Zeiten der Auflehnung: Eine Geschichte des indigenen Widerstandes in den USA. Klett-Cotta, 2023. ISBN 978-3-608-98348-7.