Artistenfakultät

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Allegorische Darstellung der Artistischen Fakultät (auf der Sockelrückseite des Denkmals für Karl IV. zum 500-jährigen Jubiläum der Karls-Universität Prag, von Ernst Hähnel; Kreuzherrenplatz, Prag)

Die Artistenfakultät (facultas artium, artistarum) war der grundlegende Teil der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Universität und diente der Vermittlung propädeutischen Wissens zur Vorbereitung auf das Studium an einer der drei „höheren Fakultäten“ (Theologie, Jurisprudenz, Medizin) sowie der Ausbildung zum Schullehrer. Ihr Name leitete sich von den an ihr gelehrten artes liberales her. Die Artistenfakultät wandelte sich vom 15. bis zum 18. Jahrhundert zur Philosophischen Fakultät, aus der wiederum die heutigen geisteswissenschaftlichen, mathematischen und naturwissenschaftlichen Fakultäten hervorgingen.

Funktion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die artistische Fakultät entstand im 12. Jahrhundert im Zuge der Emanzipation der mittelalterlichen Philosophie von der Theologie.[1] Ihre Entwicklung hin zu einer eigenständigen Fakultät wurde im 13. Jahrhundert wesentlich durch die von Thomas von Aquin geprägte Konzeption einer Autonomie der Philosophie gegenüber der Theologie befördert.[2] Sie galt jedoch als die „untere“ der – seit dem 14. Jahrhundert in Mitteleuropa nach dem Modell der Pariser Universität etablierten – vier Fakultäten und bildete bis in die Frühe Neuzeit das gemeinsame Fundament des Studiums an einer der drei „höheren“ Fakultäten (facultates superiores).[3] Ein erfolgreich abgeschlossenes Studium an der Artistenfakultät war ebenfalls Voraussetzung für die Ausübung des Lehrerberufes.[4]

Gegenstand des Studiums waren die Sieben Freien Künste (Septem Artes Liberales), die sich in ein Trivium („Dreiweg“ mit den Fächern Grammatik, Rhetorik, Dialektik) sowie ein Quadrivium („Vierweg“ mit den Fächern Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik) unterteilten.[4] Das Studium wurde nach dem Trivium mit dem Grad des Bakkalaureus und nach dem Quadrivium mit dem des Magisters abgeschlossen; letzterer eröffnete zugleich den Zugang zu den höheren Fakultäten.[5] Allerdings war der Magisterabschluss keine notwendige Voraussetzung für die Aufnahme eines Studiums an den höheren Fakultäten. Entsprechende Kenntnisse konnten auch in einem begleitenden Studium an der Artistenfakultät erworben werden.[6]

Die Unterscheidung zwischen Bakkalaureus und Magister ist erstmals 1215 in den Pariser Statuten Robert von Coursons, der als Päpstlicher Legat mit der Reform des Lehrplans der Universität Paris betraut war, belegt. Die Studiendauer betrug während des gesamten Mittelalters vier Jahre für den Abschluss des Bakkalaureats, zwei bis drei Jahre für den Abschluss als Magister.[7] In der Frühen Neuzeit wurde die Studiendauer für beide Abschlüsse schrittweise auf jeweils eineinhalb Jahre verkürzt.[8]

Die Studenten der Artistenfakultät mussten zum Studienbeginn lediglich über grundlegende Lateinkenntnisse verfügen, die sie üblicherweise an den städtischen Lateinschulen erwarben. Sie waren im Durchschnitt 16 Jahre alt.[9] Die Lehrer der Artistenfakultät waren in der Regel zugleich Studenten an einer der oberen Fakultäten und gehörten nicht zum eigentlichen Lehrkörper der Universität, sondern zu den Scholaren.[8]

Entwicklung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zunächst unter dem Einfluss von Renaissance-Humanismus und Reformation, dann vor allem im Zuge der Aufklärung wandelten sich die Artistenfakultäten allmählich in Philosophische Fakultäten. Bereits im 14. Jahrhundert ist die Verwendung der Bezeichnung „Philosophische Fakultät“ belegt, es dauerte jedoch bis zum 18. Jahrhundert, dass sich „der neue Name allgemein durchgesetzt und die ursprüngliche Benennung definitiv verdrängt hatte“.[4]

Aus der Dialektik etablierte sich im Zuge dieser Entwicklung die Philosophie als akademische Disziplin, aus der Grammatik entstanden die klassischen Philologien (Latein, Griechisch, Hebräisch) und später die modernen Sprachwissenschaften. Neben die Rhetorik trat als eigenständige Disziplin die Poetik, die sich zur Literaturwissenschaft weiterentwickelte. Die Philosophische Fakultät umfasste damit neben der Philosophie im engeren Sinne sämtliche philologisch-historischen Fachdisziplinen; aus Arithmetik, Geometrie und Astronomie entwickelten sich entsprechend die mathematisch-naturwissenschaftlichen.[10] Ihre propädeutische Funktion innerhalb der Universität behielt die Philosophische Fakultät jedoch bis weit in das 18. Jahrhundert hinein bei.[11]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Laurence Brockliss: Lehrpläne. In: Walter Rüegg (Hrsg.): Geschichte der Universität in Europa. Band 2: Von der Reformation bis zur Französischen Revolution 1500-1800. Beck, München 1996, ISBN 3-406-36953-7, S. 451–494 (Google Books).
  • Notker Hammerstein: Vom Rang der Wissenschaften. Zum Aufstieg der Philosophischen Fakultät. In: Armin Kohnle, Frank Engehausen (Hrsg.): Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien zur deutschen Universitätsgeschichte. Festschrift für Eike Wolgast zum 65. Geburtstag. Steiner, Stuttgart 2001, ISBN 3-515-07546-1, S. 86–96 (Google Books).
  • Notker Hammerstein: Universitäten. In: Notker Hammerstein, Ulrich Herrmann (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band II: 18. Jahrhundert. Vom späten 17. Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands um 1800. Beck, München 2005, ISBN 978-3-406-32464-2, S. 369–400 (Google Books).
  • Immanuel Kant: Der Streit der Fakultäten. Nicolovius, Königsberg 1798, urn:nbn:de:gbv:9-g-1198828.
  • Eberhard Kessel: Zur Geschichte der Philosophischen Fakultät. In: Studium generale. Band 16, Nr. 2, 1963, S. 118–124.
  • Martin Kintzinger: Die Artisten im Streit der Fakultäten. Vom Nutzen der Wissenschaft zwischen Mittelalter und Moderne. In: Jahrbuch für Universitätsgeschichte. Band 4, 2001, ZDB-ID 1431358-3, S. 177–194.
  • Gordon Leff: Die artes liberales. 1. Das trivium und die drei Philosophien. In: Walter Rüegg (Hrsg.): Geschichte der Universität in Europa. Band 1: Mittelalter. Beck, München 1993, ISBN 3-406-36952-9, S. 289–302 (Google Books).
  • Rainer A. Müller: Zu Struktur und Wandel der Artisten- bzw. Philosophischen Fakultät am Beginn des 16. Jahrhunderts. In: Rainer Christoph Schwinges (Hrsg.): Artisten und Philosophen. Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte einer Fakultät vom 13. bis zum 19. Jahrhundert (= Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte). Band 1. Schwabe, Basel 1999, ISBN 3-7965-1126-0, S. 143–159.
  • John North: Die artes liberales. 2. Das quadrivium. In: Walter Rüegg (Hrsg.): Geschichte der Universität in Europa. Band 1: Mittelalter. Beck, München 1993, ISBN 3-406-36952-9, S. 303–320 (Google Books).
  • Olaf Pedersen: Tradition und Innovation. In: Walter Rüegg (Hrsg.): Geschichte der Universität in Europa. Band 2: Von der Reformation bis zur Französischen Revolution 1500-1800. Beck, München 1996, ISBN 3-406-36953-7, S. 363–390 (Google Books).
  • Jan Pinborg: Diskussionen um die Wissenschaftstheorie an der Artistenfakultät. In: Albert Zimmermann (Hrsg.): Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII. Jahrhundert (= Miscellanea mediaevalia). Band 10. Gruyter, Berlin [u. a.] 1976, ISBN 3-11-005986-X, S. 240–268, hier S. 240 f. (Für den Druck besorgt von Gudrun Vuillemin-Diem).
  • Arno Seifert: Das höhere Schulwesen. Universitäten und Gymnasien. In: Notker Hammerstein (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band I: 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe. Beck, München 1996, ISBN 978-3-406-32463-5, S. 197–374 (Google Books).

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Martin Kintzinger: Die Artisten im Streit der Fakultäten. Vom Nutzen der Wissenschaft zwischen Mittelalter und Moderne. In: Jahrbuch für Universitätsgeschichte. Band 4, 2001, ZDB-ID 1431358-3, S. 177–194, hier S. 178 f.
  2. Jan Pinborg: Diskussionen um die Wissenschaftstheorie an der Artistenfakultät. In: Albert Zimmermann (Hrsg.): Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII. Jahrhundert (= Miscellanea mediaevalia). Band 10. Gruyter, Berlin [u. a.] 1976, ISBN 3-11-005986-X, S. 240–268, hier S. 240 f. (Für den Druck besorgt von Gudrun Vuillemin-Diem).
  3. Martin Kintzinger: Die Artisten im Streit der Fakultäten. Vom Nutzen der Wissenschaft zwischen Mittelalter und Moderne. In: Jahrbuch für Universitätsgeschichte. Band 4, 2001, ZDB-ID 1431358-3, S. 177–194, hier S. 183. Arno Seifert: Das höhere Schulwesen. Universitäten und Gymnasien. In: Notker Hammerstein (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band I: 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe. Beck, München 1996, ISBN 978-3-406-32463-5, S. 197–374, hier S. 204.
  4. a b c Eberhard Kessel: Zur Geschichte der Philosophischen Fakultät. In: Studium generale. Band 16, Nr. 2, 1963, S. 118–124, hier S. 119.
  5. Rainer A. Müller: Zu Struktur und Wandel der Artisten- bzw. Philosophischen Fakultät am Beginn des 16. Jahrhunderts. In: Rainer Christoph Schwinges (Hrsg.): Artisten und Philosophen. Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte einer Fakultät vom 13. bis zum 19. Jahrhundert (= Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte). Band 1. Schwabe, Basel 1999, ISBN 3-7965-1126-0, S. 143–159, hier S. 152 f.
  6. Arno Seifert: Das höhere Schulwesen. Universitäten und Gymnasien. In: Notker Hammerstein (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band I: 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe. Beck, München 1996, ISBN 978-3-406-32463-5, S. 197–374, hier S. 205.
  7. Gordon Leff: Die artes liberales. 1. Das trivium und die drei Philosophien. In: Walter Rüegg (Hrsg.): Geschichte der Universität in Europa. Band 1: Mittelalter. Beck, München 1993, ISBN 3-406-36952-9, S. 289–302, hier S. 294.
  8. a b Rainer A. Müller: Zu Struktur und Wandel der Artisten- bzw. Philosophischen Fakultät am Beginn des 16. Jahrhunderts. In: Rainer Christoph Schwinges (Hrsg.): Artisten und Philosophen. Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte einer Fakultät vom 13. bis zum 19. Jahrhundert (= Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte). Band 1. Schwabe, Basel 1999, ISBN 3-7965-1126-0, S. 143–159, hier S. 152.
  9. Rainer A. Müller: Zu Struktur und Wandel der Artisten- bzw. Philosophischen Fakultät am Beginn des 16. Jahrhunderts. In: Rainer Christoph Schwinges (Hrsg.): Artisten und Philosophen. Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte einer Fakultät vom 13. bis zum 19. Jahrhundert (= Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte). Band 1. Schwabe, Basel 1999, ISBN 3-7965-1126-0, S. 143–159, hier S. 145.
  10. Eberhard Kessel: Zur Geschichte der Philosophischen Fakultät. In: Studium generale. Band 16, Nr. 2, 1963, S. 118–124, hier S. 119 ff.
  11. Notker Hammerstein: Universitäten. In: Notker Hammerstein, Ulrich Herrmann (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band II: 18. Jahrhundert. Vom späten 17. Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands um 1800. Beck, München 2005, ISBN 978-3-406-32464-2, S. 369–400, hier S. 381.