Arvid Harnack

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Porträt Arvid Harnacks

Arvid Harnack (* 24. Mai 1901 in Darmstadt; † 22. Dezember 1942 in Berlin-Plötzensee) war ein deutscher Jurist, Nationalökonom und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus in einer Berliner Widerstandsgruppe.

Familie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Harnack war ein Sohn des Literaturwissenschaftlers Otto Harnack und der Malerin Clara Harnack, geb. Reichau, und ein Neffe des Theologen Adolf von Harnack. Er war der ältere Bruder des Regisseurs und Drehbuchautors Falk Harnack, der ebenfalls im Widerstand arbeitete.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gedenkstein für Arvid und Mildred Harnack auf dem Friedhof Zehlendorf in Berlin
40+10 Pfennig-Sondermarke der DDR-Post 1964 mit Arvid Harnack und seiner Frau Mildred
„Feldurteil“ des Reichskriegsgerichts vom 19. Dezember 1942
Stolperstein, Genthiner Straße 14, in Berlin-Tiergarten

Arvid Harnack wurde 1901 in der Hochstraße 68 in Darmstadt geboren, wo sein Vater Otto Harnack seit 1896 als Professor für Geschichte und Literatur an der TH Darmstadt lehrte. Dessen Ruf an die Universität Stuttgart zum 1. April 1905 führte zum Ortswechsel der ganzen Familie. Der Vater nahm sich 1914 das Leben. Bedingt durch den Ersten Weltkrieg machte Arvid 1918 das Notabitur. Von 1919 bis 1923 studierte er Rechtswissenschaften an den Universitäten Jena, Graz und Hamburg und wurde 1924 zum Dr. jur. promoviert. Von 1926 bis 1928 studierte er mit Hilfe eines Rockefeller-Stipendiums Nationalökonomie an der University of Wisconsin–Madison (USA), wo er 1926 die Literaturwissenschaftlerin Mildred Fish heiratete. 1929/30 wurde er in Gießen beim Nationalökonomen Friedrich Lenz (1885–1968), mit dem er 1931 die Arplan (Arbeitsgemeinschaft zum Studium der Planwirtschaft) gründete, zum Dr. phil. promoviert.[1] Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise hatte das kapitalistische System offensichtlich versagt und das sowjetische Modell schien eine interessante Alternative. 1932 organisierte er eine Studienreise in die Sowjetunion.

1933 wurde er zunächst als wissenschaftliche Hilfskraft im Reichswirtschaftsministerium angestellt, wo er später Regierungs- und Oberregierungsrat wurde. Zusammen mit seiner Frau Mildred, dem Schriftsteller Adam Kuckhoff und dessen Frau Greta baute er einen Diskussionszirkel auf, der politische Perspektiven nach dem erwarteten Sturz der Nationalsozialisten erörterte. Harnack beschäftigte sich aus wissenschaftlichem Interesse mit ökonomischen Auffassungen verschiedener Herkunft, dabei auch mit marxistischer Theorie.

Ab 1935 unterhielt er Kontakte zu Mitarbeitern des sowjetischen Nachrichtendienstes NKGB, der ihn ohne sein Wissen unter dem Decknamen Korsikanez (Korse) führte.[2] 1936 nahm er über seine Frau Mildred Kontakt zur US-amerikanischen Botschaft auf, um vor der von Deutschland ausgehenden Kriegsgefahr zu warnen. Der Kontakt mit Donald Heath, dem ersten Sekretär der amerikanischen Botschaft, war freundschaftlich und hielt bis 1941 an. Heaths Auftrag war, Kontakte mit dem deutschen Untergrund zu pflegen, um Henry Morgenthau und Franklin D. Roosevelt über Gefahren, die von Hitler ausgehen könnten, zu informieren. Zur Tarnung seiner illegalen Aktivitäten wurde Harnack 1937 Mitglied der NSDAP. 1939 aktivierte er den bereits seit 1934 bestehenden Kontakt zu Harro Schulze-Boysen, der inzwischen als Leutnant der Reserve im Pressebereich des Generalstabes der Luftwaffe, der 5. Abteilung, tätig war. Durch seine frühere Verlegertätigkeit unterhielt dieser Kontakte in alle Bevölkerungsschichten. Dadurch entstand ein Widerstandsnetzwerk, das mehrere unabhängig voneinander agierende, mit unterschiedlichen Motivationen ausgestattete Menschen miteinander verband. Über Schulze-Boysen lernte Harnack 1940 die Kommunisten Hilde Rake und Hans Coppi kennen; ebenso arbeitete er mit dem Sozialdemokraten Adolf Grimme und anderen zusammen. Ab 1940 war Harnack bewusst, dass sein Kontakt zur sowjetischen Botschaft, Alexander Michailowitsch Korotkow, ein Repräsentanten des NKGB,[2] war. Obwohl er Stalin nicht traute, erklärte er sich bereit, auch die Sowjets über den bevorstehenden deutschen Krieg gegen die Sowjetunion[3] und mit Hitlers Kriegsvorbereitungen verbundene wirtschaftliche und militärische Sachverhalte[2] zu informieren.

Anfang 1942 verfasste er eine Studie Das nationalsozialistische Stadium des Monopolkapitals, die unter Regimegegnern in Berlin und Hamburg verbreitet wurde. Im Sommersemester 1942 hatte er einen Lehrauftrag an der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Universität Berlin.

Am 7. September 1942 wurden Arvid und Mildred Harnack verhaftet. Am 19. Dezember fällte das Reichskriegsgericht das Todesurteil über Arvid Harnack.

Hinrichtungsraum der Haftanstalt Berlin-Plötzensee mit Eisenschiene und Haken

Seit Einführung des Reichsstrafgesetzbuchs von 1871 war als Hinrichtungsmethode im Deutschen Reich ausschließlich die Enthauptung vorgeschrieben gewesen (§ 13), welche in der Praxis mittels Handbeil oder Fallbeil durchgeführt wurde. Durch das Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe vom 29. März 1933 war zudem wieder die Methode des Hängens zugelassen worden, welche aus Sicht der Nationalsozialisten besonders unehrenhaft war, doch wurde sie bis Ende 1942 im Kerngebiet des Deutschen Reiches nicht angewandt. Todesurteile von Militärgerichten wurden stattdessen durch Erschießung und die von Zivilgerichten durch Enthauptung (seit einem Führererlass vom 14. Oktober 1936 ausschließlich per Fallbeil[4]) vollstreckt. Im Dezember 1942 wurden die führenden Mitglieder des „Schulze-Boysen/Harnack-Kreises“ auf Befehl Hitlers jedoch erhängt, worauf in Deutschland wieder regelmäßig Exekutionen auf diese Art durchgeführt wurden.[5] Im Zusammenhang mit den zu erwartenden Todesurteilen wurde am 15. Dezember 1942 im Hinrichtungsraum der Haftanstalt Berlin-Plötzensee eine Eisenschiene mit Fleischerhaken angebracht,[5] und bis Mitte 1943 wurden Vorkehrungen zum Vollzug der Todesstrafe durch Hängen auch in nahezu allen anderen zentralen Hinrichtungsstätten des Deutschen Reichs getroffen. Der Galgen wurde dabei zumeist im selben Raum wie das Fallbeilgerät installiert. Am 22. Dezember 1942 wurden Harro Schulze-Boysen um 19:05 Uhr[6][7] und Arvid Harnack um 19:10 Uhr[8] als Erste in Berlin-Plötzensee gehängt.[9]

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Vom Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR erhielt Arvid Harnack am 6. Oktober 1969 postum den Rotbannerorden.[10] Diese Ehrung hat sich heute als zweifelhaft erwiesen, da sie die Gruppe fälschlicherweise als kommunistisches Kundschafternetz interpretierte, das für die Sowjets spioniert hatte. Diese auf ursprünglichen Verleumdungen durch die Gestapo basierende Interpretation der Widerstandsgruppe wurde im Westen spiegelverkehrt benutzt, indem die Widerständler dort nicht geehrt, sondern als Landesverräter bis in die siebziger Jahre verfolgt wurden.
  • In Berlin-Lichtenberg, Magdeburg und in Leipzig-Reudnitz ist eine Harnackstraße nach ihm benannt.
  • In Jena (Damenviertel) ist die Arvid-Harnack-Straße (bis 1952 Paulinenstraße) nach ihm benannt.
  • Im Hof der Humboldt-Universität in Berlin-Mitte (Unter den Linden 6) gibt es einen Gedenkstein.[11]
  • In Berlin-Neukölln erinnert in der Hasenheide, Ecke Lilienthalstraße eine Gedenktafel an das Ehepaar Harnack und an ihren Mitbewohner Stefan Heym.
  • In Torgau erinnert neben dem nach ihm benannten Harnack-Ring ein Gedenkstein an dieser Stelle.
  • In der Volksmarine der NVA gab es um 1979 ein Torpedoschnellboot „Arvid Harnack“.[12]
  • die Deutsche Post der DDR gab 1983 einen Briefmarkenblock zur Erinnerung aus.
  • die 11. Oberschule in Berlin-Friedrichshagen war seit Mai 1972 nach Arvid Harnack benannt.[13]
  • Vor dem Haus Genthiner Straße 14 (Berlin-Tiergarten) wurden am 20. September 2013 in Anwesenheit von US-Botschafter John B. Emerson Stolpersteine für Mildred und Arvid Harnack verlegt.[14][15]
  • An seinem Geburtshaus in der Hochstraße 68 in Darmstadt erinnert seit 2002 eine Gedenktafel an ihn.
  • Auf dem Friedhof Zehlendorf in Berlin erinnert ein Gedenkstein an Arvid und Mildred Harnack. Das Grab von Arvids Bruder Falk Harnack (1913–1991) befindet sich auf diesem Friedhof.[16]
  • In Potsdam im Pionierhaus trug die Arbeitsgemeinschaft Basteln Elektronik den Namen Dr. Mildred und Arvid Harnack.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gerhard Beier: Arbeiterbewegung in Hessen. Zur Geschichte der hessischen Arbeiterbewegung durch einhundertfünfzig Jahre (1834–1984). Insel, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-458-14213-4, S. 438.
  • Shareen Blair Brysac: Mildred Harnack und die „Rote Kapelle“. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Frau und einer Widerstandsbewegung.[17] Scherz-Verlag, Bern 2003, ISBN 3-502-18090-3.
  • Jürgen Danyel: Zwischen Nation und Sozialismus. Genese, Selbstverständnis und ordnungspolitische Vorstellungen der Widerstandsgruppe um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen. In: Peter Steinbach, Johannes Tuchel (Hrsg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1994 (Schriftenreihe Band 323), S. 468–487.
  • Martha Dodd: Meine Jahre in Deutschland 1933–1937. Nice to meet you, Mr. Hitler!. Eichborn, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-8218-0762-8.
  • Heinz Höhne: Kennwort Direktor. Die Geschichte der Roten Kapelle. (1. Auflage 1970) S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-10-032501-X.
  • Greta Kuckhoff: Vom Rosenkranz zur Roten Kapelle. Ein Lebensbericht. Verlag Neues Leben, Ost-Berlin 1976.
  • Friedrich Lenz: In memoriam Arvid Harnack. In: Friedrich Lenz: Wirtschaftsplanung und Planwirtschaft. Berlin 1948.
  • Tina Mager: Die Widerstandsorganisation Schulze-Boysen/Harnack. Tectum-Verlag, Marburg 2000.
  • Stefan Roloff: Die Rote Kapelle. Ullstein 2002, ISBN 3-548-36669-4.
  • Gert Rosiejka: Die Rote Kapelle. „Landesverrat“ als antifaschistischer Widerstand. Ergebnisse-Verlag, Hamburg 1986, ISBN 3-925622-16-0.
  • Heinrich Scheel: Die „Rote Kapelle“ und der 20. Juli 1944. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Ausg. 33, Nrn. 1–6, Rütten & Loenig, 1985, S. 330.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Arvid Harnack – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Ortslagen in Gießen
  2. a b c Boris Chawkin, Hans Coppi, Juri Zorja: Russische Quellen zur Roten Kapelle. In: Hans Coppi, Jürgen Danyel, Johannes Tuchel: Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Berlin 1994, S. 104 f.
  3. Johannes Tuchel: „Weihnachten müsst Ihr richtig feiern“. In: Die Zeit, Nr. 51/2007.
  4. www.gdw-berlin.de.
  5. a b Peter Koblank: Harro Schulze-Boysen. Rote Kapelle: Widerstand gegen Hitler und Spionage für Stalin. Online-Edition Mythos Elser, 2014 (Mit zahlreichen Dokumenten).
  6. Peter Steinbach und Johannes Tuchel: Lexikon des Widerstandes 1933–1945. C.H. Beck; 2. überarb. u. erw. Auflage 1998; ISBN 3-406-43861-X; S. 178f.
  7. Kurt Finker: Teil der inneren Front (Nachdruck bei Junge Welt, 21. Dezember 2007) (Memento vom 18. Dezember 2014 im Internet Archive)
  8. Heinrich Scheel in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. 33, 1985, S. 330. books.google.de
  9. Brigitte Oleschinski: Gedenkstätte Plötzensee. (PDF) S. 50.
  10. Peter Koblank: Harro Schulze-Boysen. Rote Kapelle: Widerstand gegen Hitler und Spionage für Stalin. Online-Edition Mythos Elser 2014; abgerufen am 27. Januar 2014.
  11. Stefan Reichardt: Denkmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933. Humboldt-Universität, archiviert vom Original am 2. Februar 2007; abgerufen am 9. Mai 2015.
  12. Torpedoschnellboot „Arvid Harnack“ bei Flottenparade zum 30. Jahrestag der DDR-Gründung auf Wikimedia Commons
  13. Berliner Zeitung vom 26. Mai 1972, S. 12.
  14. Stolperstein-Zeremonie im Gedenken an Mildred Fish-Harnack und Arvid Harnack (Memento vom 11. Januar 2018 im Internet Archive)
  15. Bilder von der Zeremonie
  16. Hans-Jürgen Mende: Lexikon Berliner Begräbnisstätten. Pharus-Plan, Berlin 2018, ISBN 978-3-86514-206-1, S. 674.
  17. Rezension auf Hagalil