Azawad

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Lage von Azawad in Mali

Der Azawad (tuareg-berberisch azawaɣ ‚Savanne‘ in Tifinagh-Schrift ⴰⵣⴰⵓⴷ[1]; arabisch دولة أزواد المستقلة Dawlat Azawād al-Mustaqilla, französisch État indépendant de l’Azawad, auch Azaouad) ist der nördliche Teil des westafrikanischen Staates Mali. Von 2012 bis 2013 bildete die gesamte Region einen von Mali de facto unabhängigen Separatstaat.

Bezeichnung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Bezeichnung Azawad (älter auch Asauad) rührt vom Azawagh-System von Wadis her, einem saisonalen Flusssystem zwischen der Stadt Gao in Mali und dem Aïr-Gebirge in Niger[2] bzw. einem in der Region Timbuktu befindlichen, von Tuareg bewohnten Oasensystem, bestehend aus den Oasen Mabrouk (Mabruk), Bou Djeheba (Bu Dschebeha) und Araouane (Araouan).

Lage[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Azawad besteht aus den Regionen Timbuktu, Gao und Kidal. Im „Pacte national du 11 avril 1992, Bamako, Mali“ hatten sich Regierung und Tuaregrebellen der Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA) darauf verständigt, die Regionen VI, VII und VIII „Azawad“ zu nennen. Die malischen Regionen sind durchnummeriert; die genannten sind die Regionen Gao, Kidal und Timbuktu, siehe auch Regionen in Mali.[3][4] Diese haben eine Fläche von rund 822.000 km². Die MNLA beanspruchte zudem den Kreis Douentza der Region Mopti.[5] Größte Städte im Azawad sind Gao mit rund 87.000 und Timbuktu mit etwa 54.000 Einwohnern.

Die Region besteht überwiegend aus Sand-, Stein- und Felswüste mit wenigen verstreuten Oasen.[6] Im Süden am Flusslauf des Niger liegen auf einer durchschnittlichen Höhe von 250 bis 260 Meter über dem Meeresspiegel weitläufige Überschwemmungsgebiete. Das Gebirge Adrar des Ifoghas im Osten ist bis zu 890 Meter hoch.

Bevölkerung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Azawad ist von Songhai, Tuareg, Fulbe, Bidhan und anderen Volksgruppen bewohnt. Die MNLA, eine paramilitärische Organisation, die sich als die Vertretung aller Völker des Azawad ansah, rebellierte zweimal gegen die Zentralregierung in Bamako und kämpfte ab 2012 für einen souveränen Staat gleichen Namens.[7][8][9] Bei der Volkszählung 2009 hatten die malischen Regionen Timbuktu, Gao und Kidal 1.295.000 Einwohner. Nach dem Beginn der Rebellion waren jedoch etwa 250.000 Bewohner geflohen.[10] Allein im Jahr 2012 registrierte die UN rund 150.000 Flüchtlinge.[11]

Abspaltung von Mali[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Flagge der MNLA
Politische Lage vor der Intervention Frankreichs im Januar 2013

Am 6. April 2012 erklärten mindestens zwei Sprecher der rebellierenden Tuareg die Unabhängigkeit des Azawad von der Republik Mali.[12][13][14] Das Exekutivkomitee der MNLA bat die internationale Gemeinschaft, ihren Staat unverzüglich anzuerkennen. Der französische Verteidigungsminister Gérard Longuet sagte, die Erklärung bedeute nichts, solange andere afrikanische Staaten die Unabhängigkeit des Gebietes nicht anerkennen. Wenig später bezeichnete die Afrikanische Union die Unabhängigkeitserklärung der MNLA für nichtig;[15] nach Catherine Ashton, Sprecherin der EU-Außenbeauftragten hatte die Europäische Union in der Krise durchgehend deutlich gemacht, dass sie die territoriale Unversehrtheit Malis respektiere.[16]

Inzwischen hatte sich in Azawad eine Ansar Dine genannte islamistische Gruppe gebildet, die der Al-Qaida nahesteht. Diese Gruppe führte die Scharia ein und kämpfte für einen islamischen Staat, während sich die MNLA für einen religiös neutralen Nationalstaat einsetzte. Frauen mussten sich verschleiern, des Diebstahls Verdächtige mussten damit rechnen, dass ihnen die rechte Hand abgehackt wurde. Schon kurz nach der Unabhängigkeitserklärung brach der Bund zwischen der MNLA und Ansar Dine, angeführt von Iyad Ag Ghaly, der nach Angaben seiner Anhänger bei einem Aufenthalt in Pakistan seinen wahren Glauben fand, wegen politischer und religiöser Differenzen. Islamistische Gruppierungen distanzierten sich zunehmend von der Unabhängigkeitserklärung der MNLA und vertrieben ihre ehemaligen Verbündeten aus Timbuktu und anderen Städten der Region.[17][18][19]

In einer Videobotschaft vom 6. April 2012 erklärte die Ansar Dine, dass sie die Unabhängigkeitserklärung der MNLA nicht anerkennt: „Wir sind gegen Revolutionen, die nicht im Namen des Islam sind“. Ziel sei das islamische Recht der Scharia in ganz Mali.[20]

Viele Tuareg warfen der Regierung von Mali vor, dass sie versucht habe, ihr Volk auszulöschen. Amnesty International warnte vor einer „schweren humanitären Katastrophe“.[21] Nach Bamako geflohene Nordmalier demonstrierten dort mehrfach gegen die Abspaltung des Azawad und beabsichtigten, die Rebellen zu entmachten.[22][23][24] Am 8. April 2012 gründete sich die überwiegend aus ethnischen Arabern aus Timbuktu bestehende Miliz Front de libération nationale de l’Azawad (FLNA), die nach eigenen Aussagen über 500 Kämpfer verfügte.[25] Die FLNA wollte Timbuktu gegen die MNLA verteidigen und lehnte die Herrschaft „eines Tuareg aus Kidal“ ab.[26]

Laut einem Bericht der BBC einigten sich Vertreter der MNLA und von Ansar Dine Ende Mai 2012 darauf, eine Islamische Republik in Azawad zu etablieren.[27] Die Vereinbarung wurde bereits eine Woche später von der MNLA aufgekündigt.[28] Im Verlauf des Jahres 2012 gewann Ansar Dine, zusammen mit zwei anderen islamistischen Gruppen, immer mehr Macht. Bei den anderen beiden handelte es sich um die Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO) und die Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQMI).[29]

Wiedereingliederung in Mali[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Rahmen eines UN-Mandats[30] begann Frankreich am 11. Januar 2013 auf eine Bitte der Regierung Malis hin mit der Militärintervention Opération Serval. Bis Ende Januar 2013 konnten die islamistischen Gruppen aus allen größeren Städten der Region zurückgedrängt werden.[31][32]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Azawad – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Orphans of the Sahara (Episode 1: Return 46:30 – Episode 2: Rebellion 47:26 – Episode 3: Exile 47:30) (englisch; Videos)

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Mouvement National de Liberation de l'Azawad. In: Mouvement National de Liberation de l'Azawad. Mouvement National de Liberation de l'Azawad, abgerufen am 10. Januar 2018.
  2. Markus M. Haefliger: Alt-neuer Wunsch nach Selbstbestimmung: Malis Rebellen streben nach einem eigenen Staat für die Tuareg. NZZ Online, 2. April 2012, abgerufen am 6. April 2012.
  3. FACTBOX-'Azawad': self-proclaimed Tuareg state (Memento vom 14. September 2012 im Webarchiv archive.today), AlertNet, 6. April 2012. Laut Reuters besteht der Azawad „grob aus den drei nördlichen Regionen Malis“
  4. Touaregs: le Pacte national du 11 avril 1992, Bamako, Mali. (französisch)
  5. Separatist Mali rebels ‘end military operations’, france24.com, 5. April 2012.
  6. FACTBOX-'Azawad': self-proclaimed Tuareg state (Memento vom 14. September 2012 im Webarchiv archive.today), AlertNet, 6. April 2012
  7. Markus M. Haefliger: Ein Tuareg-Staat oder die Scharia: Miteinander verbündete Rebellen im Norden Malis verfolgen unterschiedliche Ziele In: Neue Zürcher Zeitung, 3. April 2012. ISSN 0376-6829. Abgerufen am 29. Mai 2012 
  8. Arne Perras: Rebellen erobern Norden von Mali In: sueddeutsche.de, 2. April 2012. Abgerufen am 29. Mai 2012 
  9. Thomas Scheen: Mali: Islamisten und Tuareg kesseln Timbuktu ein In: FAZ.NET, 1. April 2012. Abgerufen am 29. Mai 2012 
  10. Nick Meo: Triumphant Tuareg rebels fall out over al-Qaeda’s jihad in Mali. In: The Telegraph. 7. April 2012, abgerufen am 10. April 2012 (englisch).
  11. UNHCR Global Report 2012 – Africa Regional Summary. UNHCR, abgerufen am 20. Juni 2013 (englisch).
  12. Original der Erklärung der MNLA (Memento vom 18. Oktober 2012 im Internet Archive), mnlamov.net (offizielle Website der MNLA), 6. April 2012 (französisch)
  13. Nouvel Observateur.fr, vom 6. April 2012.
  14. Zeit-online vom 6. April 2012.
  15. Tuareg-Rebellen rufen eigenen Staat aus
  16. EU und AU lehnen Unabhängigkeit Nord-Malis ab, NZZ Online, 6. April 2012
  17. Der „Löwe der Wüste“ herrscht in Timbuktu. Islamist Iyad Ag Ghaly will Scharia einführen. Rheinische Post, 8. April 2011, abgerufen am 12. April 2011.
  18. Der Westen ignoriert den neuen Tuareg-Staat. Chaos in Mali. Spiegel Online, 6. April 2012, abgerufen am 12. April 2011.
  19. Mali macht ersten Schritt aus Chaos und Krise. Zeit Online, 9. April 2011, archiviert vom Original am 16. Dezember 2015; abgerufen am 12. April 2011.
  20. Rebellen rufen Scharia aus, Spiegel Online, 3. April 2012
  21. Tuareg rufen eigenen Staat aus, Süddeutsche.de, 6. April 2012
  22. Bate Felix: AU, US reject Mali rebels’ independence declaration. In: Reuters. 6. April 2012, archiviert vom Original am 30. Dezember 2015; abgerufen am 10. April 2012 (englisch).
  23. Malians protest against Azawad independence. In: The New York Times. 7. April 2012, abgerufen am 7. April 2012 (englisch).
  24. Protests in Bamoko as Malians reject independence of North. In: Euronews. 8. April 2012, abgerufen am 10. April 2012 (englisch).
  25. Mali: les pays voisins appellent au dialogue dans le Nord où un nouveau mouvement apparaît. (Memento vom 11. April 2012 im Internet Archive) RFI
  26. Bate Felix, Adama Diarra: New north Mali Arab force seeks to „defend“ Timbuktu. In: Reuters. 10. April 2012, archiviert vom Original am 25. Juli 2012; abgerufen am 10. April 2012.
  27. Mali Tuareg and Islamist rebels agree on Sharia state. In: bbc.co.uk. 27. Mai 2012, abgerufen am 27. Mai 2012.
  28. Tuareg lehnen Staat mit Islamisten doch ab. In: diepresse.com. 1. Juni 2012, abgerufen am 3. Juni 2012.
  29. Krisendiplomatie: Westerwelle besucht westafrikanischen Krisenstaat Mali. In: FTD.DE. 1. November 2012, archiviert vom Original am 7. Mai 2014; abgerufen am 27. Januar 2013.
  30. wienerzeitung.at
  31. faz.net
  32. Militante Islamisten in Mali, Algerien, Mauretanien und Niger (SPON, 17. Januar 2013)