Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz

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Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz
— BayLfV —

Wappen Bayerns
Wappen Bayerns
Staatliche Ebene Freistaat Bayern
Stellung Oberbehörde
Aufsichtsbehörde Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration
Gründung 1950[1]
Hauptsitz München
Behördenleitung Burkhard Körner, Präsident[2]
Stv. Leitung Roland Kerscher, Vizepräsident[3]
Bedienstete 575[4] (Stand: 2020)
Haushaltsvolumen 42,5 Mio. € (Stand: 2020)
Netzauftritt www.verfassungsschutz.bayern.de

Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) ist die Landesbehörde für Verfassungsschutz des Freistaates Bayern mit Sitz in München. Sein Präsident ist Burkhard Körner.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dienstgebäude in Milbertshofen-Am Hart im Münchner Norden

Das Landesamt für Verfassungsschutz in Bayern wurde durch Gesetz vom 22. November 1950 rückwirkend zum 1. November 1950 errichtet. Am 20. Februar 1950 hatte das Amt des US-amerikanischen Hohen Kommissars für Deutschland, Amt des Landeskommissars für Bayern, die Bayerische Staatsregierung schriftlich ermächtigt, eine „kleine Dienststelle zum Zwecke der Sicherstellung von Nachrichten über umstürzlerische Tätigkeiten zu errichten“. Gemäß dem am 29. September 1950 in Kraft getretenen Bundesverfassungsschutzgesetz hatten alle Länder eine Behörde zur Bearbeitung von Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zu bestimmen.[1]

Das Landesamt übernahm, laut einer von der Landtagsfraktion der Grünen beauftragten Studie, bei seiner Gründung zahlreiche Personen mit nachrichtendienstlicher Erfahrung aus den Reihen der Gestapo. Beispiele sind der SS-Hauptsturmführer Leonhard Halmanseger, der sich im Reichssicherheitshauptamt mit der Bekämpfung der politischen Gegner der Nazis beschäftigt hatte, oder SS-Sturmbannführer Joseph Schreieder, der vor 1945 bei der Gestapo für die Bekämpfung des Widerstands in den Niederlanden zuständig gewesen war und der über den BND-Vorläufer Organisation Gehlen zum Landesamt kam. 1951 lehnte die US-Besatzungsmacht vier von sechs vorgeschlagenen neuen Beamten des Verfassungsschutzes unter Hinweis auf deren Vergangenheit ab. Unter den Abgelehnten befand sich auch Halmanseger, für den der damalige Bayerische Innenminister Wilhelm Hoegner (SPD) eine pragmatische Lösung fand: Er wurde offiziell Beamter der Bayerischen Grenzpolizei, arbeitete faktisch aber für den Verfassungsschutz. Auch andere Verfassungsschutzmitarbeiter wurden zunächst offiziell Bedienstete der Grenzpolizei. Unter dem Eindruck des Kalten Krieges wurden die Vorbehalte der US-Dienststellen gegen die erfahrenen Antikommunisten geringer, so dass Leute wie Halmanseger nun offiziell Verfassungsschutzbeamte wurden. Bereits 1965 war die von den Alliierten genehmigte „kleine Dienststelle“ mit ursprünglich 26 Mitarbeitern auf 173 Bedienstete angewachsen.[5]

Ende der 1980er Jahre bezog das Landesamt gemeinsam mit dem Polizeipräsidium Oberbayern ein für die beiden Behörden errichtetes Dienstgebäude in der Knorrstraße im Münchner Stadtteil Am Hart.

In den Jahren ab 1991 war das bayerische Landesamt maßgeblich am Aufbau des Landesamts für Verfassungsschutz Sachsen beteiligt.[6]

Seit Oktober 2004 arbeitet das Landesamt für Verfassungsschutz mit dem Landeskriminalamt zusammen im Rahmen der Arbeitsgruppe BIRGiT (Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus/Extremismus).[7]

Mitarbeiter und Etat[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Haushaltsplan waren für das Jahr 2020 ca. 575 Stellen für Beamte und Tarifbeschäftigte ausgewiesen. Das Haushaltsvolumen betrug 2020 ca. 42,5 Millionen Euro.[8]

Rechtsgrundlage[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Rechtsgrundlagen der Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz Bayern sind das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954), das die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder und damit auch den Mindestaufgabenbestand regelt, und das Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) vom 12. Juli 2016 (GVBl. S. 145, BayRS 12-1-I) in der jeweils geltenden Fassung.[9] Ebenso findet das Artikel-10-Gesetz Anwendung.

Mit Urteil vom 26. April 2022 erklärte das Bundesverfassungsgericht weite Teile des 2016 reformierten bayerischen Verfassungsschutzgesetzes für verfassungswidrig, darunter die Rechtsgrundlagen zur Wohnraumüberwachung und Online-Durchsuchung, zur Erstellung von Bewegungsprofilen aus Mobilfunkdaten, zur Vorratsdatenspeicherung, zum Einsatz von V-Leuten sowie zur Observation von Zielpersonen. Teilweise fehle es an den verfassungsrechtlichen Anforderungen für einen Eingriff in Grundrechte wie das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung oder das Fernmeldegeheimnis, teilweise seien die Vorschriften schlicht nicht hinreichend bestimmt.[10][11] Die vom Gericht kritisierten Regelungen dürfen in eingeschränkter Form höchstens bis Ende Juli 2023 in Kraft bleiben.[12]

Leitung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zeitraum Name Bemerkung
1950 – August 1951 Wilhelm Frank nebenamtliche Betreuung des Verfassungsschutzes
September 1951 – Oktober 1954 Karl Kurz
Oktober 1954 – März 1960 Martin Riedmayr
August 1960 – Oktober 1971 Karl Sturm
November 1971 – März 1981 Hans Ziegler In seine Amtszeit fiel die Affäre um Hans Langemann
Juli 1981 – März 1987 Hermann Häring
März 1987 – Juli 1987 Ernst Bschorr kommissarische Leitung
Juli 1987 – Februar 1994 Hubert Mehler
März 1994 – November 2001 Gerhard Forster In seine Zeit fallen die ersten 3 Morde des NSU-Terrortrios in Bayern[13]
November 2001 – Juli 2005 Günter Gold
2005 – Juli 2008[2] Wolfgang Weber
Seit August 2008[2] Burkhard Körner

Kontrolle[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das LfV unterliegt als unmittelbar nachgeordnete Landesoberbehörde der Fach- und Dienstaufsicht durch das Bayerische Staatsministerium des Innern.

Aufgaben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Verfassungsschutz wirkt unter anderem bei Sicherheitsüberprüfungen mit.[14] Die Rechtsgrundlage hierfür ist das Bayerische Sicherheitsüberprüfungsgesetz.[15]

Kontroversen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Trotz eines Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, nach dem die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e. V. (a.i.d.a.) aus dem Verfassungsschutzbericht 2008 zu entfernen ist, war diese Organisation auch in den Verfassungsschutzberichten 2010 und 2011 wieder enthalten.[16] In einem Vergleich 2012 verpflichtete sich das bayerische Innenministerium, rückwirkend die Einstufung der a.i.d.a. e.V. als „linksextremistisch“ zurückzunehmen und die jeweiligen Jahresberichte entsprechend abzuändern. Weiterhin sicherte das Innenministerium zu, den Verein auch künftig nicht mehr im Verfassungsschutzbericht zu nennen.[17]

Die Landesvereinigung Bayern der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) reichte im Sommer 2011 Klage gegen den Freistaat beim Bayerischen Verwaltungsgericht ein. Die Klage bezog sich auf die im Verfassungsschutzbericht des Bundeslandes für das Jahr 2010 aufgeführten Passagen zur VVN-BdA, da in ihnen prominente Mitglieder diffamiert würden.[18][19] Auf der Grundlage der Nennung der VVN-BdA als „bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus“ im bayerischen Verfassungsschutzbericht erkannte das Berliner Finanzamt für Körperschaften der VVN-BdA im November 2019 den Status der Gemeinnützigkeit ab.[20]

Auch der bayerische Landesvorsitzende der VVN, Ernst Grube, ein Überlebender der Konzentrationslager des „Dritten Reichs“, wurde im Verfassungsschutzbericht namentlich benannt und sieht darin eine Diffamierung.[21]

Erst im Verfassungsschutzbericht 2021 tauchte der Landesverband Bayern der VVN-BdA nicht mehr auf.[22]

Thematisiert wird im Zusammenhang der Aufklärung der unerkannten Mordserie der rechtsextremen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) der Aufbau des rechtsextremen Thule-Netzes. Offenbar war das Landesamt bis Mitte 1998 über einen V-Mann, dem es für den technischen Betrieb des Netzes mehr als 150.000 D-Mark zahlte, an der Gründung und Etablierung des Netzes beteiligt.[23] Dieser V-Mann radikalisierte sich erst nach Aufnahme seiner Tätigkeit für den bayerischen Verfassungsschutz, hatte gute Kontakte zum Thüringer Heimatschutz, dem der NSU entstammte, und hat nach Angaben des Thüringer Neonazis und V-Manns des dortigen Landesamtes für Verfassungsschutz, Tino Brandt, „natürlich“ das NSU-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gekannt.[24] Kai D. – ein Computerexperte aus dem oberfränkischen Landkreis Kronach und damals noch Chef und Besitzer eines Sicherheitsdienstes[25] – soll im Jahr 1994 eine „Todesliste“ mit 250 politischen Gegnern, z. B. aus der Antifa-Szene, verbreitet haben.[26]

Der NSU-Untersuchungsausschuss attestiert in seinem vorläufigen Abschlussbericht den Mitarbeitern des Verfassungsschutzes, die in den Neunzigerjahren den Rechtsextremismus beobachteten, fehlende Kompetenz.[27]

Im November 2015 wurde die Beobachtung der bayerischen Bundestagsmitglieder der Partei Die Linke durch das Landesamt für Verfassungsschutz in Bayern eingestellt.[28] Der bayerische Landesverband und seine Mitglieder werden durch das Landesamt für Verfassungsschutz in Bayern hingegen als „linksextremistisch[29] eingestuft. So wird unter anderem bei der Bewerbung für den öffentlichen Dienst oder im Rahmen eines externen Vortrages an einer bayerischen Schule[30] explizit nach der Mitgliedschaft in der Partei gefragt. Der zuständige Staatsminister, Joachim Herrmann, äußerte sich 2013, nach der Aufhebung der Überwachung der Bundestagsmitglieder der Partei Die Linke durch das Bundesamt für Verfassungsschutz, dazu:

„Ich sehe keinen Anlass zur Änderung unserer bayerischen Praxis. (…). Ich halte die Beobachtung der Partei Die Linke durch den Verfassungsschutz für richtig und notwendig. Teile der Linkspartei sind klar verfassungsfeindlich und prägen die Partei in ihrer gesamten Ausrichtung.“

Joachim Herrmann[31]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Susanne Meinl/Joachim Schröder: „Einstellung zum demokratischen Staat: Bedenkenfrei“ Zur Frühgeschichte des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz (1949–1965), Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag (Hrsg.) (PDF)

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Geschichte des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz (Memento vom 15. Juli 2013 im Internet Archive) ()
  2. a b c Wechsel Präsident Landesamt für Verfassungsschutz. In: Bayerisches Landesportal. 31. Juli 2008, archiviert vom Original; abgerufen am 12. Mai 2023 (Pressemitteilung).
  3. Vizepräsident. Abgerufen am 12. Mai 2023.
  4. Verfassungsschutzbericht des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz 2020. (pdf) Abgerufen am 12. Mai 2023.
  5. Felix Bohr: Studie: Die braunen Wurzeln des bayerischen Verfassungsschutzes Spiegel-Online vom 22. Juli 2013
  6. Michael Richter: Die Bildung des Freistaates Sachsen. Friedliche Revolution, Föderalisierung, deutsche Einheit 1989/90. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004, ISBN 978-3-525-36900-5, S. 895 (Digitalisierte Version bei Google Books).
  7. Islamistische Extremisten. Archiviert vom Original am 3. Juli 2009; abgerufen am 2. Mai 2009.
  8. Verfassungsschutzbericht Bayern 2020. Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration, 19. April 2021, abgerufen am 22. April 2021.
  9. Bayerisches Verfassungsschutzgesetz (BayVSG, PDF)
  10. BVerfG, Urteil vom 26. April 2022, AZ 1 BvR 1619/17, Pressemitteilung
  11. Was Karlsruhe am bayerischen Verfassungsschutzgesetz beanstandet, Bayerischer Rundfunk vom 26. April 2022; Zugriff am 26. April 2022
  12. Bayerns Verfassungsschutz darf zu viel, Tagesschau vom 26. April 2022; Zugriff am 26. April 2022
  13. Webseite des Bayerischen Landtags vom 9. Oktober 2012: NSU-Untersuchungsausschuss startet mit der Zeugeneinvernahme (Archiv (Memento vom 30. Dezember 2012 auf WebCite))
  14. Beobachtungsauftrag. Archiviert vom Original am 22. April 2009; abgerufen am 16. Mai 2009.
  15. Bayerisches Sicherheitsüberprüfungsgesetz. Abgerufen am 16. Oktober 2019.
  16. Herrschaft des Verdachts. Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz spielt mit dem antifaschistischen Archiv a.i.d.a. Hase und Igel Neues Deutschland vom 24. August 2011
  17. Marcus Buschmüller: a.i.d.a. vollständig rehabilitiert. 19. Oktober 2012, abgerufen am 12. Mai 2023.
  18. VVN-BdA klagt gegen Freistaat Bayern (PDF; 889 kB), S. 3
  19. Kurt Pätzold: Des Verdachts verdächtig. Die VVN-BdA im Zerrspiegel des bayerischen Verfassungsschutzes
  20. Johannes Filter: Urteil über Umwege: Geheimdienst entscheidet über Gemeinnützigkeit mit. In: FragDenStaat. 5. Mai 2020, abgerufen am 5. Juli 2020.
  21. Magazin Telepolis vom 25. November 2011: "Ohne demokratische Kontrolle"
  22. Endlich hat sich die Wirklichkeit durchgesetzt: VVN-BdA Bayern nicht mehr im bayerischen Verfassungsschutzbericht erwähnt, Pressemitteilung des Landesverband Bayern der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen, 12. April 2022
  23. Süddeutsche Zeitung vom 15. November 2012: NSU-Ausschuss im Bayerischen Landtag: Das staatliche Neonazi-Netz
  24. Süddeutsche Zeitung vom 23. Oktober 2012: NSU-Untersuchungsausschuss: Die große V-Mann-Frage
  25. Frankenpost vom 19. Oktober 2012: Skandal um V-Mann aus Oberfranken
  26. Rheinische Post vom 17. Oktober 2012: Im Umfeld der NSU eingesetzt: V-Mann verbreitete offenbar Todesliste
  27. Süddeutsche Zeitung vom 4. Juli 2013: Bayerischer Landtag: NSU-Ausschuss macht Behörden massive Vorwürfe
  28. Gregor Gysi: Auch in Bayern Beobachtung linker MdB vom Verfassungsschutz endgültig eingestellt. Meldung auf der Internetseite der Partei Die Linke Bayern vom 18. November 2015. (Memento vom 12. Februar 2016 im Internet Archive)
  29. Dokument der Regierung Oberbayern bezüglich „Belehrung über die Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst“ (Memento vom 11. Februar 2016 im Internet Archive). Abgerufen am 11. Februar 2016. S. 4.
  30. Süddeutsche Zeitung vom 9. Juli 2013: Waren Sie mal bei der Linkspartei? Autor Sebastien Gierke. Abgerufen am 11. Februar 2016.
  31. Focus Online: „Verfassungsfeinde“ – Bayern will die Linke weiter beobachten lassen 24. Januar 2013, abgerufen am 11. Februar 2016.

Koordinaten: 48° 11′ 32″ N, 11° 34′ 16″ O