Befehl Nr. 1 des Petrograder Sowjets

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Befehl Nr. 1 des Petrograder Sowjets im russischen Original
Nikolai Sokolow mit Mitgliedern der Soldatensektion des Sowjets bei der Abfassung des Befehls Nr. 1

Der Befehl Nr. 1 des Petrograder Sowjets bezeichnet den ersten Befehl nach der Februarrevolution 1917 an die Garnison des Petrograder Militärbezirks, ausgegeben am 1./14. März 1917 auf der vereinigten Sitzung der Arbeiter- und Soldatensektion des Petrograder Sowjets.

Die Ausarbeitung des Befehls Nr. 1 besorgte eine vom Sowjet gewählte Kommission unter dem Vorsitz von N.D. Sokolow. Der Befehl Nr. 1 verlieh den in der russischen Armee spontan entstandenen Soldatenkomitees Gesetzeskraft. Er beinhaltete, dass die Truppenteile in allen politischen Handlungen dem Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten und den gewählten Soldatenkomitees unterstellt sind.

Befehle, die die Kriegskommission der Staatsduma gegeben hatte, sollten nur dann ausgeführt werden, wenn sie nicht den Befehlen und Beschlüssen des Sowjets widersprachen. Entsprechend dem Befehl Nr. 1 sollten die Waffen zur Verfügung und unter Kontrolle der Kompanie- und Bataillonskomitees stehen und auf keinen Fall an die Offiziere ausgegeben werden.

Zugleich waren damit die Versuche des Provisorischen Komitees der Staatsduma vereitelt, in den Einheiten die unumschränkte Macht der Offiziere wiederherzustellen. Der Befehl Nr. 1 legalisierte die Soldatenkomitees, stattete die Soldaten mit den Bürgerrechten aus, stellte ihre Gleichberechtigung zu den Offizieren außerhalb des Dienstes und der Rangordnung her, verbot grobe Reden gegenüber den Soldaten und schaffte die Titulierung (z. B. die Anrede „Hochwohlgeboren“) ab.

Die Wirksamkeit des Befehls Nr. 1 ging weit über die Grenzen der hauptstädtischen Garnison hinaus. Er begünstigte die „Demokratisierung“ der Armee und die Organisation der Masse der Soldaten zu einer aktiven Kraft im Sinne des Sowjets. Jedoch spiegelte der Befehl Nr. 1 nicht die Hauptforderung der Soldaten, die Wählbarkeit des Kommandeurbestandes der Armee, wider.

Das war eine Auswirkung des Einflusses der Sozialrevolutionäre und der Menschewiki. Doch ungeachtet dieser nicht erfüllten Forderung der Wählbarkeit im Befehl Nr. 1 setzten die Soldaten vieler Truppenteile Offiziere ab und wählten ihre Anhänger in die Kommandostellen.

Quellentext: Wortlaut des Befehls Nr. 1 des Petrograder Sowjets[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Den 1. (14.) März 1917

An die Garnison des Petrograder Militärbezirks! An alle Soldaten der Garde, der Armee, der Artillerie und der Flotte zur unverzüglichen und genauen Ausführung, an die Arbeiter Petrograds zur Kenntnisnahme!

Der Sowjet der Arbeiter- und Soldatendelegierten hat beschlossen:

1. In allen Kompanien, Bataillonen, Regimentern, Batterien, Schwadronen, in allen Dienststellen der verschiedenen militärischen Verwaltungen sowie auf den Schiffen der Kriegsflotte sind unverzüglich Komitees aus gewählten Vertretern der Mannschaften der oben aufgezählten Truppenteile zu wählen.

2. Alle Truppeneinheiten, die ihre Vertreter in den Sowjet der Arbeiterdelegierten noch nicht gewählt haben, sollen auf jede Kompanie einen Vertreter wählen. Diese Vertreter haben mit einer schriftlichen Bestätigung am 2.(15.) März, um zehn Uhr morgens, im Dumagebäude zu erscheinen.

3. In allen politischen Angelegenheiten untersteht jeder Truppenteil dem Sowjet der Arbeiter- und Soldatendelegierten und seinen Komitees.

4. Die Befehle der militärischen Kommission der Reichsduma sind nur in den Fällen auszuführen, wenn sie zu den Befehlen und Beschlüssen des Sowjets der Arbeiter- und Soldatendelegierten nicht in Widerspruch stehen.

5. Alle Arten von Waffen, wie Gewehre,Maschinengewehre, Panzerautos usw., müssen sich in den Händen und unter Kontrolle der Kompanie- und Bataillonskomitees befinden und dürfen unter keinen Umständen den Offizieren ausgeliefert werden, auch wenn sie dies verlangen.

6. Bei Ausübung ihres Dienstes müssen die Soldaten die strengste militärische Disziplin einhalten, aber außerhalb des Dienstes dürfen die Soldaten in ihrem politischen, bürgerlichen und privaten Leben in denjenigen Rechten keineswegs beeinträchtigt werden, die alle übrigen Bürger genießen. Der militärische Gruß außerhalb des Dienstes wird abgeschafft.

7. Ebenso wird das Titulieren der Offiziere: Exzellenz, Wohlgeboren usw. abgeschafft und durch Wendungen wie: Herr General usw. ersetzt. Grobes Verhalten, unter anderem das Duzen gegenüber den Soldaten wird verboten. Von jeder Übertretung dieser Anordnung sowie über alle Missverständnisse zwischen Offizieren und Soldaten sind Letztere verpflichtet, ihre Kompaniekomitees in Kenntnis zu setzen.

Dieser Befehl ist in allen Kompanien, Bataillonen, Regimentern, Batterien und anderen militärischen Einheiten zu verlesen.

Der Petrograder Sowjet der Arbeiter- und Soldatendelegierten.“[1]

Quellen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Quelle: Die russische Revolution 1917, München 1964, S. 133