Bernhard Böschenstein

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Bernhard Böschenstein (* 2. August 1931 in Bern; † 18. Januar 2019 in Chêne-Bougeries; heimatberechtigt in Bern und Stein am Rhein) war ein Schweizer Literaturwissenschaftler. Er lehrte von 1964 bis 1998 als Professor für Deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Genf. Einen Namen hat er sich vor allem als eminenter Kenner anspruchsvoller lyrischer Traditionen von Hölderlin über den Symbolismus zu Celan sowie als Vermittler und Übersetzer moderner französischer Lyrik gemacht.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Böschenstein verbrachte seine Kindheit in Berlin und Paris, wo sein Vater, der Schweizer Journalist Hermann Böschenstein (1905–1997), als politischer Korrespondent arbeitete. 1939 kam die Familie kurz vor Kriegsausbruch in die Schweiz zurück, wo Böschenstein ein Jahr in Bellelay bei Lisa Walser, der Schwester Robert Walsers, zur Schule ging.[1] Er studierte Germanistik, französische und griechische Literatur in Paris (1950/51 und 1952), Zürich (1951–1958) und Köln (1955/56).[2] 1958 promovierte er bei Emil Staiger mit einer Dissertation über Hölderlins Rheinhymne. Von 1958 bis 1964 war er Assistent bei Walther Killy an der Freien Universität Berlin und in Göttingen. 1964 war er Gastwissenschaftler und Lehrbeauftragter an der Harvard University. Ab 1964 lehrte er als ausserordentlicher, ab 1965 als ordentlicher Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte in Genf. Ab 1994 las er zugleich in Vergleichender Literaturwissenschaft. 1998 wurde er emeritiert. Böschenstein war von 1965 bis 2002 Vorstandsmitglied der Hölderlin-Gesellschaft, seit 2002 war er Ehrenmitglied.[2] Von 1967 bis 2004 war er zudem Mitherausgeber des Hölderlin-Jahrbuchs. Er nahm Gastprofessuren an den Universitäten Lausanne, Basel, Zürich, Freiburg i. Ü., Cornell, Princeton, Heidelberg, Pisa und an der ETH Zürich wahr. Er war Mitglied zahlreicher internationaler gelehrter und literarischer Gesellschaften, unter anderem der Academia Europaea in London. 1975 wurde ihm die Goethe-Medaille des Goethe-Instituts verliehen.[3]

Böschenstein war verheiratet mit der Literaturwissenschaftlerin Renate Böschenstein-Schäfer (1933–2003). Die Schriftstellerin Christine Trüb ist seine Schwester.

Er war mit zahlreichen Gelehrten und Schriftstellern persönlich bekannt und befreundet, u. a. mit Friedrich Dürrenmatt[4], Peter Szondi[5], Paul Celan[6][7] und Theodor W. Adorno[8].

Patenonkel Böschensteins war der Berner Kunsthistoriker Wilhelm Stein, ein glühender Verehrer Stefan Georges.[9] Böschenstein selbst setzte sich später für die Erforschung von Georges Werk und des George-Kreises ein.

Sein Archiv befindet sich im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern. Seine private Bibliothek wurde 2019 in die Slowakei transferiert, wo am Germanistischen Institut der Universität Prešov eine Bibliothek Bernhard und Renate Böschenstein eingerichtet wurde.[10]

Forschungsschwerpunkte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hölderlin (Gedichte nach 1800, Verhältnis zur griechischen Tragödie, Rezeption im 20. Jahrhundert); Lyrik des 20. Jahrhunderts (George, Hofmannsthal, Rilke, Trakl, Celan); deutsch-französische Literaturbeziehungen (Rousseau, Symbolismus).

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Monographien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hölderlins Rheinhymne. Zürich/Freiburg i. Br.: Atlantis 1959, 2. Auflage 1968.
  • Konkordanz zu Hölderlins Gedichten nach 1800. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1964.
  • Studien zur Dichtung des Absoluten. Zürich/Freiburg i. Br.: Atlantis 1968.
  • Leuchttürme. Von Hölderlin zu Celan, Wirkung und Vergleich. Frankfurt a. M.: Insel 1977, 2. Auflage 1982.
  • «Frucht des Gewitters». Zu Hölderlins Dionysos als Gott der Revolution. Frankfurt a. M.: Insel 1989.
  • Von Morgen nach Abend. Filiationen der Dichtung von Hölderlin zu Celan. München: Fink 2006.[11]
  • Die Sprengkraft der Miniatur – Zur Kurzprosa Robert Walsers, Kafkas, Musils, mit einer antithetischen Eröffnung zu Thomas Mann. Hildesheim/Zürich/New York: Olms 2013 (Germanistische Texte und Studien, Bd. 91).

Herausgeberschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • (Mithg.): Hölderlin vu de France. Tübingen: Gunter Narr 1987.
  • Goethe: Die natürliche Tochter. Frankfurt a. M.: Insel 1990.
  • (Mithg.): Französische Dichtung. Vierter Band: Von Apollinaire bis zur Gegenwart. München: Beck 1990, 2. Auflage 2001.
  • (Mithg.): Hommage à Musil. Genfer Kolloquium zum 50. Todestag von Robert Musil. Musiliana Band 1, Bern: Peter Lang 1995.
  • (Mithg.): Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Poetische Korrespondenzen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997.
  • (Mithg.): Paul Celan: Der Meridian. Endfassung – Entwürfe – Materialien. Tübinger Ausgabe, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999.
  • (Mithg.): Stefan George: Werk und Wirkung seit dem Siebenten Ring. Tübingen: Niemeyer 2001.
  • (Mithg.): Wissenschaftler im George-Kreis. Die Welt des Dichters und der Beruf der Wissenschaft. Berlin/New York: de Gruyter 2005.

Übersetzungen (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Audio-CD[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Friedrich Hölderlin: Gedichte – gelesen und erläutert von Bernhard Böschenstein. Amsterdam: Castrum Peregrini Press 2007, 2. Auflage, Tübingen: Hölderlin-Gesellschaft 2010.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Lorenz Jäger: Gedicht als Fest. Zum siebzigsten Geburtstag von Bernhard Böschenstein. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 2. August 2001, S. 44.
  • Jürg Altwegg: Bernhard Böschenstein: Germanist ohne Grenzen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 1. August 2011, S. 28.
  • Jürg Altwegg: Literarisch kreativ. Zum Tod des Germanisten Bernhard Böschenstein. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 17, 21. Januar 2019, S. 12.
  • Dominik Müller: Der bedeutende Genfer Germanist Bernhard Böschenstein ist gestorben. In: NZZ online, 21. Januar 2019.
  • Thomas Steinfeld: Der Einzige. In: Süddeutsche Zeitung, 21. Januar 2019. Leicht geändert auch in: Tages-Anzeiger, 23. Januar 2019, S. 30.
  • John E. Jackson: Bernhard Böschenstein, disparition d'un être inspiré. In: Le Temps, 23. Januar 2019.
  • Gerhard Kurz: Nachruf auf Bernhard Böschenstein. In: Hölderlin-Jahrbuch 41 (2018/19), S. 256–261.
  • Jean-Marie Valentin: In memoriam Bern(h)ard Böschenstein. In: Etudes germaniques 293 (2019/1), S. 115–116.
  • Friederike und Timo Günther: Nachruf auf Bernhard Böschenstein. In: Celan-Perspektiven 2019, S. 239.
  • Dominik Müller: Bernhard Böschenstein (1931–2019). In: Mitteilungen der Robert Walser-Gesellschaft 26 (2019), S. 46.
  • Kai Kauffmann: Nachruf auf Prof. Dr. Bernhard Böschenstein. In: George-Jahrbuch 13 (2020/21), S. 167–168.

Festschriften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu Ehren von Bernhard Böschenstein wurden drei Festschriften verfasst:

  • Peter Horst Neumann (Hg.): Die Silser Runde. Kleine Festschrift für Bernhard Böschenstein. Privatdruck, Sils Maria 1991.
  • Ulrich Stadler (Hg.): Zwiesprache. Beiträge zur Theorie und Geschichte des Übersetzens. Festschrift für Bernhard Böschenstein. Metzler, Stuttgart 1996.
  • Sabine Doering, Michael Franz, Valérie Lawitschka (Hg.): Orpheus und Sappho auf Lesbos. Festgabe für Bernhard Böschenstein. Tübingen, Hölderlin-Gesellschaft 2011.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Bernhard Böschenstein: Erinnerungen an Lisa Walser. In: Vorträge der Robert Walser-Gesellschaft. Nr. 11, 2009, S. 39–43 (online zugänglich [PDF]).
  2. a b Bernard BOESCHENSTEIN - MEET. In: Maison des Écrivains Étrangers et des Traducteurs. Abgerufen am 10. Mai 2023 (französisch).
  3. Liste der Preisträger auf der Seite des Goethe-Instituts (Memento vom 13. Mai 2015 im Internet Archive)
  4. Vgl. Bernhard Böschenstein: Dürrenmatts Verhältnis zu Gedichten. Erinnerungen und Deutungen. In: Lesezeichen. Semiotik in Raum und Zeit. Hrsg. von H. Herwig, I. Wirtz, St. B. Würffel. Tübingen/Basel: Francke 1999, S. 441‒448.
  5. Vgl. Peter Szondi: Briefe. Hrsg. von Christoph König und Thomas Sparr, Frankfurt a. M. 1993.
  6. Vgl. Bernhard Böschenstein: Gespräche und Gänge mit Paul Celan. In: Giuseppe Bevilacqua, Bernhard Böschenstein: Paul Celan: zwei Reden. Marbach am Neckar: Deutsche Schillergesellschaft 1990.
  7. Fanny Audeoud: Literarische Brieffreundschaft – Paul Celans Schweizer Gefährte. Der Bund, 22. Januar 2022, abgerufen am 12. Februar 2022.
  8. Vgl. den Film Pourquoi des poètes en un temps de dénuement? Trois approches de Hölderlin par Bernard Böschenstein. Réalisation Stéphane Rousseau. DVD, Corseaux 2009: http://vimeo.com/60489216
  9. Vgl. Michael Landmann: Figuren um Stefan George. Zweiter Band. Amsterdam, Bonn: Castrum Peregrini Press, 1988, S. 72.
  10. Dominik Müller: Das grosse Gelehrten-Geschenk. In: Passim - Bulletin des Schweizerischen Literaturarchivs. Nr. 25, 2020, S. 20–21.
  11. Roman Luckscheiter: Genies unter sich. Bernhard Böschenstein vermißt die Landkarte der Lyrik, FAZ, 4. Oktober 2006 (Rezension zu Von Morgen nach Abend)