Bertold Spuler

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Bertold Spuler (* 5. Dezember 1911 in Karlsruhe; † 6. März 1990 in Hamburg) war ein deutscher Orientalist.

Leben und Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Spuler wuchs in einer altkatholischen Familie auf und blieb sein ganzes Leben lang Mitglied dieser Kirche. Als Schüler am humanistischen Bismarck-Gymnasium Karlsruhe lernte er neben Altgriechisch und Latein auch Französisch, Russisch und Englisch. Sein Universitätsstudium in Slawistik und Islamwissenschaft absolvierte er in Heidelberg, München und Hamburg, und beendete es mit 24 Jahren an der Universität Breslau. Zu seinen Professoren zählten Carl Brockelmann und Rudolf Strothmann.

Er war nach 1933 zeitweise für die Gestapo als Übersetzer für Hebräisch und Jiddisch tätig und arbeitete seit 1934 für die Historische Kommission für Schlesien als Referent für polnische Literatur.[1] Spuler wurde 1943 zum ordentlichen Professor für semitische Philologie und Islamwissenschaft an der Universität München ernannt.[2] Später leitete er das Islam-Institut der Georg-August-Universität Göttingen, an dem er von Juni 1944 an in zunächst zweiwöchigen, dann drei- bis viermonatigen Lehrgängen muslimische Legionäre, überwiegend sowjetische Kriegsgefangene, in religiösem Grundwissen und Ritualistik des Islams unterrichtete, um sie zu Feldgeistlichen, sogenannten „Feldmullahs“, auszubilden. Insgesamt hatte er Schüler mit zehn verschiedenen Muttersprachen, die nur er, aber keiner seiner Schüler, alle beherrschte. Er empfahl angesichts von Auseinandersetzungen unter Muslimen eine Trennung von Schiiten und Sunniten.[3] Daneben war Spuler Leiter des Bereichs „Geschichte“ in der „Arbeitsgemeinschaft Turkestan“, die vom Reichssicherheitshauptamt innerhalb der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft implementiert worden war.[4]

1948 übernahm Spuler von Rudolf Strothmann den Lehrstuhl für Islamkunde am Seminar für Geschichte und Kultur des Vorderen Orients der Universität Hamburg und war Begründer des Fachs Ägyptologie an derselben Hochschule.[5]

Für einen öffentlichen Skandal sorgte Spuler 1967. Als bei der Rektoratsübergabe protestierende Studenten ein Transparent mit der Aufschrift „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ enthüllten, rief er: „Sie gehören alle ins Konzentrationslager!“[6] Dafür wurde er zeitweilig von seinen Dienstgeschäften suspendiert.[7] In diesem Zusammenhang stellte sich heraus, dass Spuler nach seiner Mitgliedschaft in der SA (1933 bis 1934) im Jahr 1937 in die NSDAP eingetreten und dort Zellenleiter gewesen war.[6]

Als Wissenschaftler ist Spuler durch die Herausgabe des Handbuchs der Orientalistik hervorgetreten, das nach Schwerpunkten geordnet seit den 1950er Jahren in Fortsetzungen erscheint und beansprucht, alle Bereiche der Orientwissenschaft abzudecken.

Die Turkologin Ursula Spuler-Stegemann ist seine Großnichte.[8]

Veröffentlichungen (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Die europäische Diplomatie in Konstantinopel bis zum Frieden von Belgrad (1739). 3 Teile. In: Jahrbücher für Kultur und Geschichte der Slaven. NF Bd. 11, Heft 1, 1935, ZDB-ID 217860-6, S. 53–115, JSTOR:41040262; Heft 2, 1935, S. 171–222, JSTOR:41040271; Heft 3/4, 1935, S. 313–366, JSTOR:41040356, (Zugleich: Breslau, Universität, Dissertation, 1935).
  • Die Minderheitenschulen der europäischen Türkei von der Reformzeit bis zum Weltkrieg (= Schriften des Osteuropa-Institutes in Breslau. Neue Reihe H. 8, ZDB-ID 554629-1). Mit einer Einleitung über das türkische mohammedanische Schulwesen. Priebatsch, Breslau 1936.
  • Die Mongolen in Iran. Politik, Verwaltung und Kultur der Ilchanzeit 1220–1350 (= Iranische Forschungen. 1, ZDB-ID 538612-3). Hinrichs, Leipzig 1939, (Zugleich: Göttingen, Universität, Habilitations-Schrift; mehrere Auflagen).
  • Idel-Ural. Völker und Staaten zwischen Wolga und Ural. O. Stollberg, Berlin 1942.
  • Die Goldene Horde. Die Mongolen in Rußland 1223–1502 (= Das mongolische Weltreich. Bd. 2). Harrassowitz, Leipzig 1943, (2. erweiterte Auflage. Harrassowitz, Wiesbaden 1965).
  • Die Gegenwartslage der Ostkirchen in ihrer völkischen und staatlichen Umwelt (= Bücher des Wissens. 1947, 6, ZDB-ID 844420-1). Metopen, Wiesbaden 1948, (2., bis zur Gegenwart ergänzte Auflage, als: Gegenwartslage der Ostkirchen in ihrer nationalen und staatlichen Umwelt. Metopen, Frankfurt am Main 1968).
  • Die Mongolenzeit (= Handbuch der Orientalistik. Abt. 1: Der Nahe und der Mittlere Osten. 6: Geschichte der islamischen Länder. 2). Wissenschaftliche Editionsgesellschaft, Berlin 1948, (Wieder: Brill, Leiden u. a. 1953).
  • Die Chalifenzeit. Entstehung und Zerfall des islamischen Weltreichs (= Handbuch der Orientalistik. Abt. 1: Der Nahe und der Mittlere Osten. 6: Geschichte der islamischen Länder. 1). Brill, Leiden u. a. 1952.
  • Iran in früh-islamischer Zeit. Politik, Kultur, Verwaltung und öffentliches Leben zwischen der arabischen und der seldschukischen Eroberung 633 bis 1055 (= Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Veröffentlichungen der Orientalischen Kommission. 2). Steiner, Wiesbaden 1952.
  • Regenten und Regierungen der Welt. = Sovereigns and Governments of the World.
    • Teil 2: 1492–1953. Ploetz, Würzburg u. a. 1953;
    • Teil 2, Band 3: Neuere Zeit 1492–1918. 2. Auflage. Ploetz, Würzburg u. a. 1962:
    • Teil 2, Band 4: Neueste Zeit, 1917/18–1964. 2. Auflage. Ploetz, Würzburg u. a. 1964;
    • Teil 2, Band 4: Neueste Zeit 1917/18–1964. Nachtrag 1964/65. 2. Auflage. Ploetz, Würzburg u. a. 1966;
    • Teil 2, Band 5: Neueste Zeit 1965–1970. Ploetz, Würzburg 1972, ISBN 3-87640-026-0.
  • mit Ludwig Forrer: Der vordere Orient in islamischer Zeit (= Orientalistik. Tl. 3 = Wissenschaftliche Forschungsberichte. Geisteswissenschaftliche Reihe. NF 21, ZDB-ID 533322-2). Francke, Bern 1954.
  • Die morgenländischen Kirchen. Brill, Leiden u. a. 1964.
  • Geschichte der Mongolen. Nach östlichen und europäischen Zeugnissen des 13. und 14. Jahrhunderts. Artemis, Zürich u. a. 1968.
  • Gesammelte Aufsätze. Brill, Leiden 1980, ISBN 90-04-06049-9.
  • Les Iraniens et le gouvernement des Arabes au début de la domination de l’Islam. In: Orientalia Suecana. Band 33–35, 1984–1986, S. 395–400.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hans Robert Roemer, Albrecht Noth (Hrsg.): Studien zur Geschichte und Kultur des Vorderen Orients. Festschrift für Bertold Spuler zum 70. Geburtstag. Brill, Leiden 1981, ISBN 90-04-06535-0.
  • Werner EndeSpuler, Bertold. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 24, Duncker & Humblot, Berlin 2010, ISBN 978-3-428-11205-0, S. 769 f. (Digitalisat).
  • Heribert Busse: Bertold Spuler (1911–1990). In: Der Islam. Band 67, Heft 2, 1990, S. 199–205.
  • Pieter Sjoerd van Koningsveld: The Training of Imams by the Third Reich. Kap. 12. In: Willem B. Drees, Pieter Sjoerd van Koningsveld (Hrsg.): The Study of religion and the training of muslim clergy in Europe. Academic & religious freedom in the 21st century. University Press, Leiden 2008, ISBN 978-90-8728-025-3 (englisch, deutsch Volltext; Spuler als Lehrer der Mufti-Mullah-Kurse der SS. Das Original des SS-Mannes Olzscha, verfasst nach dem Krieg und im Bundesarchiv Zehlendorf lagernd: S. 333–368). Spuler passim (25 Nennungen).
  • Werner Ende, Bert Fragner, Dagmar A. Riedel: Spuler, Bertold. In: Encyclopædia Iranica. (columbia.edu).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fußnoten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Arno Herzig: Die Ostforschung der Universität Hamburg nach 1945. In: Rainer Nicolaysen, Axel Schildt (Hrsg.): 100 Jahre Geschichtswissenschaft in Hamburg. Berlin u. a. 2011, S. 181–196, hier: S. 187.
  2. Nachrichtenblatt der Deutschen Wissenschaft und Technik, Organ des Reichsforschungsrates (Hrsg.): Forschungen und Fortschritte: Personalnachrichten. Ernennungen. Band 19, 23/24, 1943, S. 252.
  3. Die SS-Mullah-Schule und die Arbeitsgemeinschaft Turkestan in Dresden: zukunft-braucht-erinnerung.de sowie van Koningsveld, siehe Literatur und Weblinks. Er gibt aus der Originalquelle Reiner Olzscha 6 Wochen als Kursdauer an.
  4. van Koningsveld, S. 350
  5. Universität Hamburg: Geschichte der Ägyptologie an der Universität Hamburg. (Memento vom 3. Mai 2013 im Internet Archive)
  6. a b Muff im Talar. In: Der Spiegel. Nr. 48, 1967, S. 84 (online).
  7. Professor Spuler suspendiert. (Memento vom 25. Dezember 2014 im Internet Archive) In: Hamburger Abendblatt, 17. November 1967, S. 1 (PDF; 729 kB).
    9. Nov. 1967: Studentenprotest an der Hamburger Universität. In: Die Welt. 29. November 1999.
    Armgard Seegers, Matthias Gretzschel: Das Tuch hatte ich in meinem Jackett versteckt…. (Memento vom 9. Mai 2008 im Internet Archive) Interview mit Gert Hinnerk Behlmer im Hamburger Abendblatt. 8. Mai 2008.
  8. Werner Ende, Bert Fragner, Dagmar Riedel: SPULER, Bertold. In: Ehsan Yarshater (Hrsg.): Encyclopædia Iranica. 17. September 2010 (englisch, iranicaonline.org [abgerufen am 2. Januar 2014] mit Literaturangaben).