Bibliotheksgesetz

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Als Bibliotheksgesetz bezeichnet man eine gesetzliche Grundlage für den Betrieb und den Unterhalt von Bibliotheken durch die öffentliche Hand. Oft wird – wie z. B. im Bibliothekswesen Irlands – durch ein Bibliotheksgesetz auch eine Körperschaft zur Förderung des Bibliothekswesens konstituiert. Mehr als die Hälfte der EU-Länder verfügt über Bibliotheksgesetze. Die andere Hauptform bibliotheksspezifischer Gesetzgebung ist das Pflichtexemplarrecht.

Bibliotheksgesetze in Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ansätze für eine Büchereigesetzgebung gab es in Deutschland bereits in der Weimarer Zeit.[1]

Das erste – wenn auch nicht demokratische – Bibliotheksgesetz dürfte das Gesetz der Reichsregierung[2] vom 18. April 1940 über die Deutsche Bücherei in Leipzig gewesen sein,[3] womit diese in eine Anstalt des öffentlichen Rechts umgewandelt und ihre Finanzierung zu zwei Fünfteln dem Reich, zu zwei Fünfteln dem Land Sachsen und zu einem Fünftel der Stadt Leipzig auferlegt wurde.

Das vermutlich erste parlamentarische deutsche Bibliotheksgesetz war das sächsische „Gesetz über die Demokratisierung des Büchereiwesens“ vom 4. Februar 1949[4] (Pflichtaufgabe für Gemeinden mit mehr als 1000 Einwohnern, § 2; Aufteilung der Finanzierung, § 6; Genehmigungserfordernis, § 8). Es galt nur bis zur Auflösung des Landes Sachsen 1952.

In der DDR gab es später eine Verordnung des Ministerrats „über die Aufgaben des Bibliothekssystems bei der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik“ vom 31. Mai 1968,[5] in der Bundesrepublik das „Gesetz über die Deutsche Bibliothek“ vom 31. März 1969.[6]

Aktuelle Gesetze und Gesetzgebungsverfahren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Deutschland steht die Gesetzgebungskompetenz für Bibliotheksgesetze in erster Linie den Bundesländern zu.[7] Der Bund hat lediglich für die Deutsche Nationalbibliothek im Jahr 2006 eine Novellierung des im Frühjahr 1969 zum ersten Mal verabschiedeten Gesetzes erlassen. Für Baden-Württemberg gilt das „Gesetz zur Förderung der Weiterbildung und des Bibliothekswesens“ vom 11. Dezember 1975.[8] Die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages empfiehlt in ihrem Abschlussbericht 2007 den Ländern, Bibliotheksgesetze zu erlassen und öffentliche Bibliotheken als Pflichtaufgabe festzuschreiben.[9] Der Deutsche Bibliotheksverband veröffentlichte 2008 den Musterentwurf eines Bibliotheksgesetzes,[10] der in § 2 die Unterhaltung Öffentlicher Bibliotheken als Pflichtaufgabe der Städte, Gemeinden und Landkreise und in § 8 die Kostenfreiheit der allgemeinen Benutzung des Bestandes ohne Ausleihe vorsieht.

Als erstes Bundesland hat daraufhin in Thüringen am 4. Juli 2008 der Landtag ein Bibliotheksgesetz[11] beschlossen, das am 30. Juli 2008 in Kraft trat. Das Gesetz geht zurück auf eine Initiative des Landesverbandes Thüringen des Deutschen Bibliotheksverbandes unter Vorsitz des Direktors der Universitätsbibliothek Weimar Frank Simon-Ritz. Der Verband hatte bereits 2006 einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, der im November 2007 von den Landtagsfraktionen der LINKEN und der SPD in den Thüringer Landtag eingebracht wurde.[12] Die CDU-Mehrheitsfraktion hat daraufhin im April 2008 einen eigenen Entwurf in den Landtag eingebracht,[13] der dann geringfügig geändert Gesetzeskraft erhielt. Trotz vielfacher Kritik wurden in diesem Gesetz die öffentlichen Bibliotheken nicht als kommunale Pflichtaufgabe festgeschrieben.

Ein zweites Bibliotheksgesetz liegt seit dem 27. Juli 2010 in Sachsen-Anhalt[14] vor. Gesetzesvorlagen der LINKEN,[15] sowie eine gemeinsame Vorlage von SPD und CDU[16] unterschieden sich aufgrund der Vorlage eines Musterentwurfes durch den Bibliotheksverband nicht wesentlich. Bibliotheken werden als Bildungseinrichtung definiert – aber nicht als kommunale Pflichtaufgabe.

Das dritte neue Bibliotheksgesetz wurde am 23. September 2010 in Hessen,[17] das vierte am 3. Dezember 2014 in Rheinland-Pfalz verabschiedet.[18] Das fünfte und letzte Bibliotheksgesetz wurde am 30. August 2016 in Schleswig-Holstein verabschiedet (Stand 2020).[19] Es wird erwartet, dass weitere Bundesländer ebenfalls Bibliotheksgesetze erlassen.

Der praktische Nutzen der neuen Bibliotheksgesetze ist allerdings umstritten.[20]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Christiane Bohrer (Hrsg.): Bibliotheksgesetzgebung in Europa – Diskussionsbeiträge und Länderberichte. Bock + Herchen, Bad Honnef, 2000, ISBN 3-88347-209-3
  • Aloys Lenz: Ansätze und Stillstand einer Bibliotheksgesetzgebung in Hessen seit 1945. In: Barbara Lison (Hrsg.): Information und Ethik – Dritter Leipziger Kongress für Information und Bibliothek. Dinges & Frick, Wiesbaden 2007, ISBN 3-934997-17-1, S. 387–390
  • Gustav Rottacker: Büchereigesetz und Büchereiverbände. In: Johannes Langfeldt (Hrsg.): Handbuch des Büchereiwesens. Harrassowitz, Wiesbaden 1965, 2. Halbband, S. 192–213
  • Barbara Schleihagen: Bibliotheksgesetze in Europa – Mittel politischer Steuerung und Gestaltung. (PDF) In: Bibliothek Forschung und Praxis, 2008, H. 1, S. 14–20
  • Frank Simon-Ritz: Auf dem Weg zu einem Bibliotheksgesetz in Thüringen. In: Barbara Lison (Hrsg.): Information und Ethik – Dritter Leipziger Kongress für Information und Bibliothek. Dinges & Frick, Wiesbaden 2007, S. 391–395, ISBN 3-934997-17-1
  • Frank Simon-Ritz: Der Thüringer Weg zu einem Bibliotheksgesetz. (PDF; 193 kB). In: Bibliothek Forschung und Praxis, Jg. 2008, H. 3, S. 318–325
  • Eric W. Steinhauer: Bibliotheksgesetzgebung in Deutschland: Praxis – Probleme – Perspektiven. In: Barbara Lison (Hrsg.): Information und Ethik – Dritter Leipziger Kongress für Information und Bibliothek. Dinges & Frick, Wiesbaden 2007, S. 375–386, ISBN 3-934997-17-1, Preprint
  • Eric W. Steinhauer, Cornelia Vonhof (Hrsg.): Bibliotheksgesetzgebung: ein Handbuch für die Praxis, insbesondere im Land Baden-Württemberg. Bock + Herchen, Bad Honnef 2011, ISBN 978-3-88347-278-2.
  • Frank Simon-Ritz: Politik für Bibliotheken: 10 Jahre Thüringer Bibliotheksgesetz. In: Achim Bonte, Juliane Rehnolt (Hrsg.): Kooperative Informationsinfrastrukturen als Chance und Herausforderung. deGruyter, Berlin 2018, ISBN 978-3-11-058752-4, S. 244–253 (Digitale Ausgabe)

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Wolfgang Thauer (Hrsg.), Die öffentliche Bücherei der Weimarer Zeit (1984), S. 67 f., S. 75 ff. („Gesichtspunkte für die Erörterung eines deutschen Büchereigesetzes“ des Verbands Deutscher Volksbibliothekare von 1931)
  2. vgl. „Ermächtigungsgesetz“ vom 23. März 1933
  3. RGBl. I S. 657–658
  4. bibliotheksrecht.de@1@2Vorlage:Toter Link/www.bibliotheksrecht.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2018. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  5. GBl. II Nr. 78 S. 565–571
  6. BGBl. I S. 265–268, (BGBl. 1969 I S. 265)
  7. vgl. Art. 70 GG
  8. Weiterbildungsförderungsgesetz
  9. BT-Drs. 16/7000 (PDF; 6,45 MB), insbesondere S. 129 ff.
  10. bibliotheksverband.de (PDF)
  11. ThürBibG vom 16. Juli 2008
  12. Thür. LT-Drs. 4/3503@1@2Vorlage:Toter Link/www.parldok.thueringen.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im August 2018. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  13. Thür. LT-Drs. 4/3956 (Memento des Originals vom 28. November 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.parldok.thueringen.de
  14. BiblG LSA vom 16. Juli 2010
  15. Landtag von Sachsen-Anhalt, Drucksache 5/1930, Fraktion DIE LINKE: Entwurf eines Bibliotheksgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (BIBG-LSA) (Memento des Originals vom 30. März 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bib-info.de (PDF; 38 kB)
  16. Landtag von Sachsen-Anhalt, Drucksache 5/2016, Fraktionen der CDU und der SPD: Entwurf eines Bibliotheksgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt (BiblG) (Memento des Originals vom 1. April 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bib-info.de (PDF; 93 kB)
  17. Hessisches Bibliotheksgesetz. documenta archiv, 23. September 2010, abgerufen am 23. Juni 2020.
  18. Landesbibliotheksgesetz. Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz, 12. Dezember 2014, abgerufen am 23. Juni 2020.
  19. Gesetz für die Bibliotheken in Schleswig-Holstein und zur Änderung des Landespressegesetzes. Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein, 29. September 2016, abgerufen am 23. Juni 2020.
  20. Eric W. Steinhauer: Das Hessische Bibliotheksgesetz als Rechtsnorm: juristisch-politische Anmerkungen zu einem vermeintlichen „Schaufenstergesetz“. In: Bibliotheksdienst. Band 44, Nr. 6, Januar 2010, ISSN 2194-9646, doi:10.1515/bd.2010.44.6.637 (degruyter.com [abgerufen am 22. Juni 2020]).