Bivio

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Bivio
Wappen von Bivio
Wappen von Bivio
Staat: Schweiz Schweiz
Kanton: Kanton Graubünden Graubünden (GR)
Region: Albula
Politische Gemeinde: Sursesi2
Postleitzahl: 7457
frühere BFS-Nr.: 3531
Koordinaten: 769934 / 148915Koordinaten: 46° 28′ 12″ N, 9° 39′ 5″ O; CH1903: 769934 / 148915
Höhe: 1769 m ü. M.
Fläche: 76,78 km²
Einwohner: 179 (31. Dezember 2015)
Einwohnerdichte: 2 Einw. pro km²
Website: www.surses.ch
Bivio nach Süden
Bivio nach Süden

Bivio nach Süden

Karte
Bivio (Schweiz)
Bivio (Schweiz)
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Gemeindestand vor der Fusion am 1. Januar 2016

Bivio anhören/? (deutsch und bis 1902 offiziell Stalla, veraltet Stallen, rätoromanisch Beiva/?) ist ein Ort in der Bündner Gemeinde Surses, Schweiz. Er liegt am Fuss der Alpenpässe Julier und Septimer.

Bivio ist mit Tarvis und Livigno die einzige offiziell italienischsprachige Ortschaft nördlich der Alpenwasserscheide und gilt als diejenige in der Schweiz mit der grössten Sprachenvielfalt.

Wappen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Blasonierung: In Silber ein aufrechter schwarzer, rot bewehrter Steinbock, begleitet von zwei gestürzten schwarzen Hufeisen

Der Steinbock als das überlieferte Wappenbild der Gemeinde wird durch die beiden Hufeisen ergänzt, die für die historische Bedeutung von Julier- und Septimerpass stehen, sie differenzieren das Wappen zugleich von demjenigen des Gotteshausbundes.

Geographie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bivio ist das oberste Dorf der Talschaft Surses (dt. Oberhalbstein). Das ehemalige Gemeindegebiet umfasst das gesamte Einzugsgebiet des Flusses Julia oberhalb des Marmorera-Stausees und greift am Septimerpass noch gut einen Kilometer nach Süden über die Wasserscheide aus. Dort verläuft die ehemalige Gemeinde- und gleichzeitig Bezirksgrenze am Säscel battü, einer Engstelle des mittelalterlichen Passwegs.

In das als Val d'Agnel nordwestlich des Julierpasses beginnende Haupttal münden von links die Seitentäler Val Grevasalvas, Val d’Emmat, das zum Septimer führende Val Tgavretga, Valletta da Beiva und Val Gronda. Der steilere rechte Talhang ist wenig gegliedert.

Die das Territorium nach Westen begrenzende Bergkette erreicht durchwegs – auch in den drei Einsattelungen Stallerberg, Fuorcla da la Valletta und Forcellina – Höhen von über 2500 m ü. M.; sie kulminiert im Piz Surparé (3078 m ü. M.) und ganz im Süden im Piz Turba (3018 m ü. M.). An der südöstlichen Grenze dominiert der Piz Lagrev (3165 m). Der Piz d’Agnel markiert nicht nur den nördlichsten, sondern mit 3205 m ü. M. auch den höchsten Punkt der Gemeinde. Nordöstlich des Dorfes liegt der Piz Neir (2910 m ü. M.).[1]

Ausser dem Hauptort, der sich als Strassendorf auf einer Verebnung links der Julia erstreckt, gehören zu Bivio noch einige kleine Aussensiedlungen: Tgavretga, Stalveder mit Tges'Alva, Val Beiva und Mot. Extreme Waldarmut, durch verstärkte Rodungen seit dem Spätmittelalter verursacht, kennzeichnet das gesamte Gemeindegebiet. Der Ortskern selbst liegt aber vor Lawinen sicher am Fusse eines sanften Höhenrückens.

Im Jahr 1997 wurden 48,8 % der Gemeindefläche landwirtschaftlich genutzt, der Wald nahm 2,2 % ein, die Siedlungen 0,4 %. Als unproduktiv galten 48,6 %.

Die Nachbargemeinden waren Marmorera, Bever (Exklave), Silvaplana, Sils im Engadin/Segl, Bregaglia, Avers und Mulegns.

Bilder[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Ort findet sich erstmals in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts als stabulum bivio bezeugt, was «Herberge an der Wegscheide» (von lateinisch hospitāle ‚Gasthaus, Herberge‘ und bivium ‚Gabelung, Wegscheide, Abzweigung‘) bedeutet und woraus sich die beiden später üblichen Namenvarianten Stalla und Bivio entwickelten.[2] Die Geschichte der Siedlung war zu allen Zeiten aufs Engste mit dem Passverkehr über Septimer und Julier verknüpft. Diese beiden Pässe mit zeitweise europäischer Bedeutung verbinden Bivio mit dem Bergell und dem Engadin. Der als regionale Verbindung wichtige Stallerberg führt ins von Walsern besiedelte Avers. Der Ort liegt also im Schnittpunkt verschiedener Sprachen und Kulturen, wobei die wesentlichen Einflüsse von Süden kamen, vom Bergell her.

Die engen Verhältnisse zwischen Bivio und dem Bergell entstanden aber nicht nur durch den Passverkehr. Dokumente ab dem 15. Jahrhundert betreffen die Bestossung der Maiensässe und Alpen auf dem Gebiet von Bivio durch Bergeller Familien im Dienste der Herren von Salis-Soglio. Ab dem 16. Jahrhundert haben sich diese Familien nachweislich in den äusseren Fraktionen von Bivio ganzjährig niedergelassen; das Dorfzentrum blieb jedoch noch länger rein romanischsprachig.[3]

Als Teil der Septimerroute war Bivio – Zentrum der Port Stalla, Umladeplatz und Pferdewechselstation – im Besitz des Bischofs von Chur und später Mitglied des Gotteshausbundes. Dort bildete es zusammen mit Marmorera und Avers ein eigenes Gericht. Mit den Bergeller Nachbarn trat ein Teil der Bevölkerung im 16. Jahrhundert zum protestantischen Glauben über. Seither sind in der Gemeinde beide Konfessionen etwa gleich stark vertreten, womit Bivio im sonst ganz katholischen Oberhalbstein eine Ausnahme bildet.

Wie das gesamte Oberhalbstein erlebte das Dorf nach dem Verlust des Transitverkehrs Ende des 19. Jahrhunderts eine Rezession. Nachdem 1959 der erste von mittlerweile drei Skiliften gebaut wurde, setzte eine gewisse touristische Entwicklung ein. In den 1980er-Jahren wurde das Gebiet Plaz rechts der Julia überbaut.

Am 1. Januar 2016 fusionierte die zuvor selbständige politische Gemeinde Bivio mit den Gemeinden Cunter, Marmorera, Mulegns, Riom-Parsonz, Salouf, Savognin, Sur und Tinizong-Rona zur neuen Gemeinde Surses.

Bevölkerung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bevölkerungsentwicklung
Jahr 1808 1850 1900 1920 1950 1980 1990 2000 2005 2014
Einwohner 182 211 141 121 224 238 223 204 220 189

Sprachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bivio war ursprünglich ein romanischsprachiges Dorf. Infolge der Niederlassung von Bergellern war es vom 16. bis ins frühe 20. Jahrhundert ein zweisprachiges Dorf, in dem Bündnerromanisch und italienisch gesprochen wurde. Um 1900 gaben 88 Personen Romanisch, 52 Italienisch und 1 Deutsch als Muttersprache an.[4] Seither kam Deutsch als dritte Sprache dazu.

Die italienische Ortsmundart entspricht weitgehend dem Bergeller Dialekt («Bargajot»; seinerseits ein Unterdialekt des Lombardischen), weist aber lokale Besonderheiten auf. Das nur noch von wenigen Bewohnern gesprochene Bivio-Romanisch steht zwischen den Idiomen Surmiran und Putér. Der Romanist Andres Kristol zählte 1984 sieben am Ort gesprochene Sprachen und Dialekte: Schriftdeutsch und Bündnerdeutsch, Italienisch und Bargajot sowie die romanischen Varietäten Surmiran, Putér und Bivio-Romanisch. Bivio gilt deshalb als die «meistsprachige» Ortschaft der Schweiz.[5]

Offiziell war Italienisch in der bis Ende 2015 selbständigen Gemeinde die einzige Behördensprache, obschon mittlerweile eine Bevölkerungsmehrheit Deutsch als Hauptsprache angab. In der Gemeindeversammlung etwa wurde Deutsch gesprochen, das Protokoll aber nach wie vor auf Italienisch verfasst. Die Primarschule ist zweisprachig deutsch und italienisch. Damit war Bivio neben Livigno die einzige offizielle italienischsprachige Gemeinde nördlich des Alpenhauptkamms.

Die sprachliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte zeigt folgende Tabelle:

Sprachen in Bivio
Sprachen Volkszählung 1980 Volkszählung 1990 Volkszählung 2000 Volkszählung 2014[6]
Anzahl Anteil Anzahl Anteil Anzahl Anteil Anzahl Anteil
Italienisch 100 42,02 % 76 34,08 % 60 29,41 % 25,5 %
Bündnerromanisch 44 18,49 % 20 8,97 % 25 12,25 % 3,8 %
Deutsch 88 36,97 % 120 53,81 % 113 55,39 % 57,3 %
Einwohner 238 100 % 223 100 % 204 100 % 189 100 %

Herkunft und Nationalität[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von den Ende 2005 220 Bewohnern waren 187 (= 85,00 %) Schweizer Staatsangehörige.

Wirtschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die meisten Arbeitsplätze bieten Landwirtschaft, Kleingewerbe und Handwerk sowie der Dienstleistungssektor.

Sehenswürdigkeiten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Persönlichkeiten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Romedi Arquint (* 1943), Schweizer Theologe, Pfarrer, Lehrer und Politiker.
  • Mauro Jöhri (* 1947), Generalminister des Kapuzinerordens in Rom

Galerie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Andres Max Kristol: Sprachkontakt und Mehrsprachigkeit in Bivio (Graubünden). Linguistische Bestandesaufnahme in einer siebensprachigen Dorfgemeinschaft (= Romanica Helvetica. 99). Francke, Bern 1984.
  • Erwin Poeschel: Die Kunstdenkmäler des Kantons Graubünden. III. Die Talschaften Räzünser Boden, Domleschg, Heinzenberg, Oberhalbstein, Ober- und Unterengadin (= Kunstdenkmäler der Schweiz. Band 11). Hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK. Bern 1940. DNB 760079625.
  • Elda Simonett-Giovanoli: «Es war einmal ...» Ereignisse aus der turbulenten Vergangenheit von Bivio, Marmorera und dem Bergell. Komm. Bündner Monatsblatt, Chur 1994.
  • Jürg Simonett: Bivio. In: Historisches Lexikon der Schweiz. Dezember 2016.
  • Jürg Simonett: Septimerpass. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 9. Dezember 2016.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Bivio – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Piz Neir auf ETHorama
  2. Rätisches Namenbuch, Band II: Etymologien. Bearb. und hrsg. von Andrea Schorta. Bern 1964, S. 172 f.
  3. Andres Max Kristol: Sprachkontakt und Mehrsprachigkeit in Bivio (Graubünden). Bern 1984, S. 26 ff.
  4. Geographisches Lexikon der Schweiz. Band V: Schweiz – Tavetsch. Gebrüder Attinger, Neuenburg 1908, S. 670 (Artikel Stalla).
  5. Zu den sprachlichen Verhältnissen in Bivio siehe Andres Max Kristol: Sprachkontakt und Mehrsprachigkeit in Bivio (Graubünden). Bern 1984.
  6. Volkszählung 2014
  7. Katholische Pfarrkirche St. Gallus (Foto) auf baukultur.gr.ch