Laststeuerung

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Laststeuerung oder englisch auch Demand-Side-Management (kurz DSM) bzw. Demand-Side-Response (DSR) bezeichnet die Steuerung der Nachfrage nach netzgebundenen Dienstleistungen bei Abnehmern in Industrie, Gewerbe und Privathaushalten. Sie beziehen sich auf den Energie-Verbrauch ebenso wie auf den Wasserkonsum und die Inanspruchnahme von Verkehrsinfrastrukturen in Städten mit Autos. Durch das Demand-Side-Management kommt es in der Regel zu einer Verringerung der Nachfrage, ohne das Angebot erhöhen zu müssen.

Als Anreize zur Beeinflussung dienen häufige finanzielle Anreize wie spezielle Tarife, mit denen beispielsweise eine Schwachlaststeuerung möglich ist. Daneben sind aber noch zahlreiche weitere Maßnahmen möglich (z. B. PR-Kampagnen, Investitionen in die Netze zur Beseitigung von Netzverlusten oder auch Benutzungsverbote). Zunächst wurde das Demand-Side-Management in der Energiewirtschaft entwickelt.

Durch verschiedene Entwicklungen in der Energiewirtschaft wird die intelligente Laststeuerung zunehmend attraktiv für Netzbetreiber und Endkunden in westlichen Staaten. Hierzu zählen u. a. die Restrukturierung der Energiewirtschaft infolge deren Liberalisierung sowie der sich daraus ergebender Probleme wie z. B. die zunehmende Preisvolatilität sowie die Versorgungssicherheit während hoher Stromnachfrage. Daneben ist die Laststeuerung durch intelligente Stromnetze wichtig für die Umstellung der Energieversorgung auf nachhaltige Produktionsweisen im Rahmen der Energiewende.[1]

Verfahren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei Engpässen in der Stromerzeugung (z. B. bei Ausfall eines großen Kraftwerks) oder großem Bedarf an elektrischer Energie (Spitzenlast in der Mittagszeit) oder bei Störungen des Netzbetriebs und der Folge einer Unterfrequenz können durch Fernsteuerung – im Niederspannungsnetz in der Regel per Rundsteueranlage – Elektrizität verbrauchende Geräte durch Lastabwurf ab- und wieder zugeschaltet werden.

Industrielle Verbraucher wie Aluminiumhütten oder Wärmepumpenheizungen in privaten Haushalten können eine gewisse Zeit ausgeschaltet werden, ohne den Arbeitsprozess zu beeinträchtigen. In solchen Fällen wird vorher per Vertrag geregelt, wie lange und welche elektrisch betriebenen Geräte abgeschaltet werden dürfen. Der Abnehmer erhält in solchen Fällen einen Preisnachlass auf seinen allgemeinen Stromtarif. Auch dürfen keine Anlagen abgeschaltet werden, die für die Sicherheit und für den Verbraucher (lebens-)wichtig sind (z. B. Alarmanlagen, Beleuchtung in dunklen Fluren und Räumen, Computeranlagen).

Ohne eine zentrale Steuerung des Lastabwurfs durch Elektrizitätsversorgungsunternehmen können Verbraucher durch variable Tarife für die Verschiebung ihres Strombedarfs aus Spitzenlastzeiten finanziell belohnt werden.

Lastmanagement in der Praxis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lastmanagement für gewerbliche Stromverbraucher und Endkunden[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Deutschland können Großverbraucher von mindestens 50 MW durch die Verordnung zu abschaltbaren Lasten finanziell für spontane Lastabwürfe entschädigt werden. Großverbraucher mit atypischer Netznutzung werden generell durch die Stromnetzentgeltverordnung tariflich günstiger gestellt.

Laststeuerung wird schon seit vielen Jahren von den Saarbrücker Stadtwerken betrieben. Hierbei werden die Kühltruhen und Kühlschränke in Supermärkten für eine bestimmte Zeit abgeschaltet. Die Thermostate sind dabei vorher so eingestellt, dass sie die Lebensmittel bei einer etwas tieferen Temperatur kühlen bzw. gefrieren. Wird dann vom Stromversorger per Fernsteuerung das Kühlgerät vom Stromnetz getrennt, so können sie ca. 1 bis 2 Stunden abgeschaltet bleiben, bevor sie wieder eingeschaltet werden müssen, um die Lebensmittel vor dem Antauen zu schützen.

Mit Schaltuhren gesteuerte elektrische Verbraucher wie Speicherheizungen (Nachtspeicherofen) sind seit langem bekannt. Auch Zweitarifzähler sind bereits in den 1930er Jahren bekannt gewesen. Die Tarifumschaltung elektronischer Zähler kann vom Netzbetreiber aus mit Rundsteuertechnik geschehen, solche Zähler bieten teilweise Steuerkontakte oder digitale Schnittstellen zum Schalten von Verbrauchern wie elektrischen Heizungen oder Warmwasserboilern.

Lastmanagement in der Wasserwirtschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In zahlreichen Städten (z. B. Frankfurt am Main, Singapur, Windhoek) ist es durch Maßnahmen des Demand-Side-Management gelungen, den Wasserverbrauch vom Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum abzukoppeln, so dass es zu einem Null-Wachstum oder sogar zu einem Rückgang des Verbrauchs kam.[2]

Derzeit entsteht ein Lastmanagementprojekt in der Größenordnung von rund 32 MW am Bodensee. Das Seepumpwerk Süßenmühle im baden-württembergischen Sipplingen pumpt täglich Bodenseewasser in eine Aufbereitungsanlage, die auf einer Höhe von 300 Meter liegt. Von dort wird das Wasser an über 4 Millionen Haushalte in Baden-Württemberg verteilt.[3] Der stromverbrauchsintensive Pumpvorgang zur Überwindung des beträchtlichen Höhenunterschieds von 300 Metern wurde bisher nach einem festen zeitlichen Fahrplan durchgeführt, der sich nicht am Verlauf des Börsenstrompreises und kaum an der Netzauslastung orientierte. In einem gemeinsamen Projekt unter Federführung des Fraunhofer IWES in Kooperation mit der Zweckverband Bodensee-Wasserversorgung und dem Kölner Energieunternehmen Next Kraftwerke[4] entstand ein Konzept, das den Pumpvorgang des Seewassers in die Aufbereitungsanlage mit dem Strompreis synchronisiert: Immer dann, wenn der Strompreis niedrig ist und überreichlich Strom aus Erneuerbaren Energien im Stromnetz vorhanden ist, wird Seewasser gepumpt – steigt der Strompreis infolge steigender Stromnachfrage, werden die Pumpen gedrosselt oder abgestellt. Durch Restriktionsvorgaben seitens des Seepumpwerks bzw. des Zweckverbandes bleibt gewährleistet, dass die Wasserversorgung zu keinem Zeitpunkt beeinträchtigt wird.

Weitere Entwicklungstrends[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Maßnahmen zur Laststeuerung erfuhren in den letzten Jahren ein deutlich gesteigertes Forschungsinteresse. Waren in den gesamten 1990er Jahren insgesamt nur wenige Dutzend Forschungsarbeiten zu dem Themenkomplex erschienen, stieg die Zahl seit der Jahrtausendwende stark an. 2000/2001 erschienen knapp 100 Arbeiten, während 2009/10 bereits rund 1.000 Studien publiziert wurden. In den Jahren 2011/2012 stieg die Zahl auf 1.760 neue Paper.[1]

Durch die zunehmende globale Erwärmung, aber auch durch den demographischen Wandel wird zukünftig in zahlreichen Regionen der Welt in der Wasserwirtschaft wegen einer saisonalen oder längeren Wasserknappheit eine Nachfragebeeinflussung erforderlich werden. Wasserversorgungsunternehmen haben sich bereits in den letzten Jahren ausgiebig mit der Thematik beschäftigt.[5]

Durch die Zunahme der fluktuierenden Stromerzeugung durch Photovoltaik- und Windkraftanlagen[6] wird, neben anderen Maßnahmen, die Laststeuerung eine immer größere Bedeutung bekommen. In Großbritannien[7] und den USA[8] werden Mechanismen erprobt, bei denen Haushaltsgeräte wie Kühlschränke, aber auch Trockner und elektrische Boiler je nach Netzfrequenz verzögert bzw. vorzeitig ein- und ausschalten. Damit wirken sie bei der Primärregelung mit. Ein prominenter Feldversuch des Pacific Northwest National Laboratory testete im US-Bundesstaat Washington in 200 Geräten den sog. Grid Friendly Appliance Controller. Einen weiteren Feldtest in UK führte die Firma RLtec mit dem Haushaltsgerätehersteller Indesit und dem Energieversorger npower durch[9]. In Deutschland wird der Einsatz von Demand Side Management derzeit in zwei Pilotprojekten der Deutschen Energie-Agentur (dena) in Zusammenarbeit mit vielen Unternehmen untersucht. Ziel ist es unter anderem, Prozesse zur Analyse und Vermarktung von DSM-Potenzialen in Unternehmen zu erproben und standardisierte Verfahren und Abläufe zu entwickeln.

In Zusammenhang mit diesen Entwicklungen entstand auch der Begriff des Flexumers, der zunehmend an Bedeutung gewinnt. Flexumer sind Letztverbraucher, die ihre Flexibilität (Stromverbrauch, Erzeugungs-, Speicherungskapazitäten) zur Erbringung von Markt-, Netz- oder Systemdienstleistungen einsetzen.[10]

Zur Erhöhung einer globalen nachhaltigen Entwicklung führt auch die Internationale Energieagentur IEA ein DSM-Forschungsprogramm im Verbund mit 15 Staaten durch, darunter auch die Schweiz, Österreich und Italien. Positive Auswirkungen auf die Zuverlässigkeit und Sicherheit von Energiesystemen, auf die Emissionen von CO2 und Schadstoffen, sowie auf Systemkosten und Preis­volatilität sollen mit einer Art „Werkzeugkasten“ für Regierungen und Energieunternehmen erzielt werden.[11]

Die durch DSM-Maßnahmen zur Verfügung gestellte Reserveleistung im Energiebereich kann prinzipiell auch als Minutenreserve oder auf dem Intraday-Spotmarkt der European Energy Exchange gehandelt werden. Die gezielte Beeinflussung der Verbraucherlast ist hierbei planbar im Gegensatz zum obigen Fall der Bereitstellung von Primärregelleistung. So kann z. B. der Start von Spülmaschinen zeitlich verzögert oder vorgezogen werden, wodurch jeweils positive oder negative Reserveleistung bereitgestellt werden kann. Hierbei ist zu beachten, dass der Abruf von Reserveleistung einen weiteren Abruf am Tag mit umgekehrtem Vorzeichen erfordert, da durch zeitliche Lastverschiebungen die über den Tag summierte Gesamtlast unverändert bleibt.[12]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Simon Guy: Managing Water Stress: The Logic of Demand Side Infrastructure Planning. Journal of Environmental Planning and Management 1(1996): 123–130.
  • Serafin von Roon, Thomas Gobmaier, Malte Huck: Demand Side Management in Haushalten – Methoden zur Potenzialanalyse und Kostenabschätzung. Forschungsstelle für Energiewirtschaft e. V. 2010.
  • Michael Stadler: The relevance of demand-side-measures and elastic demand curves to increase market performance in liberalized electricity markets: The case of Austria. Dissertation, TU Wien 2003.
  • Theresa Ladwig: Demand Side Management in Deutschland zur Systemintegration erneuerbarer Energien. (= Schriften des Lehrstuhls für Energiewirtschaft, TU Dresden; Bd. 14) Diss. Techn. Univ. Dresden, Dresden 2018, ISBN 978-3-86780-569-8.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Farshid Shariatzadeh et al., Demand response for sustainable energy systems: A review, application and implementation strategy. In: Renewable and Sustainable Energy Reviews 45, (2015), 343–350, S. doi:10.1016/j.rser.2015.01.062
  2. Tom Koenigs Minus 50% Wasser möglich. Frankfurt am Main 1995 sowie Cecilia Tortajada, Singapore: An exemplary case for urban water management. International Journal of Water Resources Development 22 (2006), S. 227–240
  3. Next Kraftwerke erschließt 32 Megawatt an Flexibilität am Bodensee. Abgerufen am 5. Oktober 2017.
  4. Projektwebsite "EnWasser". Fraunhofer IWES und Zweckverband Bodensee-Wasserversorgung, abgerufen am 5. Oktober 2017.
  5. Vgl. den Überblick bei Steven Renzetti Incorporating demand-side information into water utility operations and planning in: J. Chenoweth and J. Bird (Hrsg.) The business of water supply and sustainable development. London (Green Leaf) 2005, S. 20–30
  6. Prognose aus dem Jahr 2010: Dynamische Simulation der Stromversorgung 2020 (PDF; 2,3 MB)
  7. Joe Short(2005): A dynamically-controlled refrigerator (PDF; 220 kB)
  8. Grid Friendly™ Controller Helps Balance Energy Supply and Demand (Memento vom 2. Juli 2007 im Internet Archive)
  9. Indesit joins RLtec and RWE npower for Europe’s largest smart grid trial
  10. Egon Leo Westphal, Simon Köppl, Andreas Kießling, Wolfgang Mauch: Flexumer als Gestalter der digitalen Energiezukunft - Eine Begriffseinordnung. In: et Energiewirtschaftliche Tagesfragen. Band 69 (2019), Nr. 7/8.
  11. IEA Demand Side Management (DSM), Internationale Energieagentur in: Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, abgerufen am 16. Dezember 2013.
  12. Demand Side Management in Haushalten – Methoden zur Potenzialanalyse und Kostenabschätzung (FfE 2010) (PDF; 771 kB)

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]