Der Stimmenimitator

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Der Stimmenimitator ist eine Kurzprosasammlung von Thomas Bernhard aus dem Jahr 1978.

Inhalt und Form[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Stimmenimitator berichtet in 104 kurzen Prosastücken von sehr verschiedenen Menschen- und Berufsgruppen, von Höhlenforschern, Philosophen, Schriftstellern, Schauspielern, Dompteuren, Bankangestellten, Bürgermeistern, Professoren, Direktoren und Präsidenten.[1] Im Mittelpunkt stehen in den meist eine Seite langen Geschichten eindringliche Ereignisse, die auf ein unausweichliches Ende zustreben[2], das fast immer letal ist. Häufig geschieht es mittels Selbstmord, manchmal aber auch nicht durch die eigene Hand.[3] Das thematische Hauptaugenmerk liegt auf Gewalt, Mord und Totschlag, gewöhnlichen und ungewöhnlichen Schrecken gegenwärtigen Lebens.[4] Dies zeigt sich eindrucksvoll in der Geschichte Mildtätig, in welcher eine alte Dame aus Mildtätigkeit einen armen Türken bei sich aufnimmt. Sie lässt ihn den Garten pflegen und entlohnt ihn mit Nahrung und neuer Kleidung. Schließlich erscheint der Türke bei der Polizei mit der Nachricht, die alte Dame umgebracht, erwürgt zu haben; auf Nachfrage des Grundes antwortet er: „aus Mildtätigkeit“.[5]
Die Wahl der Figuren und Orte ist keinesfalls willkürlich, obwohl dieser Eindruck zu Beginn entstehen kann.[6] Die Menge der Geschichten gehorcht in Wahrheit bestimmbaren Strukturgesetzen.[7] Die ersten Texte streben nach größtmöglicher Varietät, wie zum Beispiel Der Stimmenimitator (S. 9f.), Pisa und Venedig (S. 17) und Höhlenforscher (S. 23f.).[7] Ab der Mitte finden sich mehr und mehr geschlossene Serien, die auf bekannten Bernhard-Schauplätzen im oberösterreichischen Alpenvorland oder im Salzburgischen angesiedelt sind, wie Papierarbeiter (S. 98), Grenzstein (S. 99) und Zwei Zettel (S. 110).[7] Das letzte Drittel der Sammlung setzt jeweils zwei bis drei Texte in Verbindung zueinander: Einige Geschichten sind den Figuren der Theaterschriftsteller (S. 115f., 117f., 119f.), der Maler (S. 150–152, 153f.) und der Staatspräsidenten (S. 155f., 157, 158f.) gewidmet.
Die Zuordnung zur Gattung der Anekdote lässt sich mit der Absicht des Autors begründen, eine Gegen-Authentizität zum offiziell Gesagten und Behaupteten zu errichten, um alles, das öffentlich geschönt wird, zu enthüllen.[8]

Stil[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Sprache in Der Stimmenimitator gleicht der aus Zeitungsmeldungen, amtlichen Verlautbarungen und Polizeiprotokollen.[9] Auf den ersten Blick wirkt der Stil sehr atypisch für den Autor. Die Knappheit der Sprache, der Telegrammstil[10] erscheinen zunächst ungewohnt. Bei genauerem Hinsehen finden sich schnell Bernhards typisch sprachliche Merkmale wieder, lange und verschachtelte Relativsätze mit Hyperboliken und Superlativen. Jeder Text weist mindestens einmal ein naturgemäß auf, was besonders einschlägig für den Autor ist.

Hörbuch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

"Der Stimmenimitator", gelesen von Marianne Hoppe (MC), Der Hörverlag 2007.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Thomas Bernhard: Der Stimmenimitator. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1978. ISBN 978-3-518-37973-8
  • Franz M. Eybl: Thomas Bernhards "Stimmenimitator" als Resonanz eigener und fremder Rede. In: Kontinent Bernhard. Zur Thomas-Bernhard-Rezeption in Europa. Hg. v. Wolfram Bayer. Wien: Böhlau Verlag, 1995. S. 31–43.
  • Manfred Mittermayer: Thomas Bernhard. Stuttgart: Verlag J. B. Metzler, 1995.
  • Wendelin Schmidt-Dengler: Verschleierte Authentizität. Zu Thomas Bernhards Der Stimmenimitator. In: In Sachen Thomas Bernhard. Hg. v. Kurt Bartsch, Dietmar Goltschnigg, Gerhard Melzer. Königstein/Ts.: Athenäum Verlag, 1983. S. 124–147.
  • Besprechung bei literaturzeitschrift.de
  • Besprechung bei literatur-blog.at

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Thomas Bernhard: Der Stimmenimitator. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1978.
  2. [1]@1@2Vorlage:Toter Link/www.literaturzeitschrift.blog.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2018. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  3. http://www.literatur-blog.at/2010/09/thomas-bernhard-der-stimmenimitator/
  4. Manfred Mittermayer: Thomas Bernhard. Stuttgart: Verlag J. B. Metzler, 1995. S. 98f.
  5. Thomas Bernhard: Der Stimmenimitator. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1978. S. 31.
  6. Wendelin Schmidt-Dengler: Verschleierte Authentizität. Zu Thomas Bernhards Der Stimmenimitator. In: In Sachen Thomas Bernhard. Hg. v. Kurt Bartsch, Dietmar Goltschnigg, Gerhard Melzer. Königstein/Ts.: Athenäum Verlag, 1983. S. 129.
  7. a b c Franz M. Eybl: Thomas Bernhards "Der Stimmenimitator" als Resonanz eigener und fremder Rede. In: Kontinent Bernhard. Zur Thomas-Bernhard-Rezeption in Europa. Hg. v. Wolfram Bayer. Wien: Böhlau Verlag, 1995. S. 33.
  8. Manfred Mittermayer: Thomas Bernhard. Stuttgart: Verlag J. B. Metzler, 1995. S. 99.
  9. Wendelin Schmidt-Dengler: Verschleierte Authentizität. Zu Thomas Bernhards Der Stimmenimitator. In: In Sachen Thomas Bernhard. Hg. v. Kurt Bartsch, Dietmar Goltschnigg, Gerhard Melzer. Königstein/Ts.: Athenäum Verlag, 1983. S. 127.
  10. Wendelin Schmidt-Dengler: Verschleierte Authentizität. Zu Thomas Bernhards Der Stimmenimitator. In: In Sachen Thomas Bernhard. Hg. v. Kurt Bartsch, Dietmar Goltschnigg, Gerhard Melzer. Königstein/Ts.: Athenäum Verlag, 1983. S. 125.