Die Spurlosen

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Die Spurlosen ist ein Hörspiel von Heinrich Böll, das am 8. November 1957 im NDR und vier Tage darauf im SWF gesendet wurde. Noch im selben Jahr brachte der Verlag des Hans-Bredow-Instituts in Hamburg die gedruckte Fassung heraus.[1]

Das Hörspiel handelt von einem Kaplan, der sich mit dem Schicksal seiner Entführer auseinandersetzt.

Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der 41-jährige Kaplan Brühl wird nachts aus dem Bett gerufen, um einer Sterbenden die Sakramente zu spenden. Auf der Fahrt zu der Frau sieht er sich damit konfrontiert, dass er mit einer Waffe bedroht und entführt wird. Im Gespräch mit seinen Entführern wird deutlich, dass diese ihm keinen Schaden zufügen möchten, sondern ihn um religiösen Beistand für eine Frau bitten. Sie schildern, dass sie auf der Flucht seien und sich verstecken müssten.

Das plötzliche Verschwinden des Kaplans sorgt die befreundeten Geistlichen, den Prälaten Hölzer und den Pfarrer Druven. Sie sind unschlüssig, ob sie die Polizei informieren sollen oder ob es sich um eine Privatangelegenheit des Kaplans handelt.

Während ihrer Überlegungen trifft die Polizei ein. Der Kriminalpolizist Kleffer schildert, dass in der vergangenen Nacht ein Tresor der Centralbank aufgebrochen worden, Gold gestohlen worden und Brühl mit dem Fluchtfahrzeug, einem Packard, abgeholt worden sei.

Kleffer mutmaßt, dass Kaplan Brühl mit der Gruppe von Einbrechern, „Die Spurlosen“ genannt, unter einer Decke stecken könnte. Diese Gruppe habe bereits dreimal, in Stockholm, Berlin und London, einen äußerst gut geplanten Raub oder Diebstahl begangen. Bei der letzten Tat habe ein Geistlicher als Unterstützer eine Rolle gespielt. Der Pfarrer und der Prälat halten diese Kollaboration ihres Kollegen für unwahrscheinlich, weil sie ihn in den sechs Jahren seiner Tätigkeit als sehr integer wahrgenommen haben.

Kleffer führt bei Brühl eine Hausdurchsuchung durch und diskutiert mit Pfarrer Druven über Aspekte von Verdacht und der Überführung von Kriminellen. Druven kritisiert die mediale Vorverurteilung von Verdächtigen, während für Kleffer jeder, der nicht unschuldig ist, zum Kreis der Verdächtigen gehört.

Die schwerkranke Marianne Kröner, zu der Brühl gebracht worden ist, hält sich in einem Haus auf, in dem sich die Bande versteckt. Sie teilt mit dem Geistlichen ihre Sorgen.

Kröners Ehemann vermutet, Marianne sei nicht wirklich krank geworden, sondern habe nur Kontakt zu einem Geistlichen bekommen wollen. An ihrem Fluchtort fehle ihr der geistliche Beistand. Dr. Krum diagnostiziert aber eine reale, schwere Erkrankung.

Frau Kröner erholt sich binnen zweier Tage, so dass sie mit der Bande ihres Mannes die Flucht in Richtung Rio ergreifen kann. Brühl wird an diesen zwei Tagen in dem Haus festgehalten und immer ungeduldiger, den Ort zu verlassen.

Kleffer ermittelt inzwischen in dem Fall des entwendeten Geldes und des verschwundenen Geistlichen. Bei den Gruppe handelt es sich demnach um die Besatzung eines U-Boots der Wehrmacht, das 1944 spurlos verschwand. Die Besatzung hatte 1944 an der dänischen Küste heimlich zehn Frauen und drei Kinder aufgenommen, war geschlossen desertiert und ihr Aufenthaltsort später nicht mehr ermittelbar. Die wirtschaftliche Basis ihrer Existenz bildeten jene drei Einbrüche.

Frau Kröner schildert die Situation an ihrem geheimen Fluchtort: Es würden inzwischen fünfundzwanzig Kinder in der Gruppe leben, die sie selber religiös schule, der Strand sei ihre Tafel, die nach dem Eintreffen der Flut wieder abgewaschen sei. Ihre Bitte an Brühl, die Gruppe doch zu begleiten, folgt dieser nicht.

Stattdessen dringt Brühl immer stärker auf seine Freilassung. In der Auseinandersetzung mit Kröner, in der Brühl auf die Ungerechtigkeit seiner Entführung verweist, schildert Kröner die Ungerechtigkeit der Krieges, in der er ein Transportschiff mit 120.000 Tonnen Lebensmitteln mit zwei Torpedos versenkt habe.

Nachdem Frau Kröner als reisefähig eingeschätzt wird, verlässt die Gruppe das Haus. Herr Kröner bittet Brühl, das Haus erst mit einem Abstand von sechs Stunden zu verlassen, um ihnen die sichere Flucht zu ermöglichen.

Kleffer hat inzwischen die Herkunft einer Postkarte recherchiert, die ein Signal des untergetauchten Geistlichen ist, der am letzten Beutezug teilgenommen hatte. Kleffer stößt damit auf die Adresse des Verstecks. Nach deutlich weniger als sechs Stunden nach dem Verlassen des Verstecks trifft Kleffer dort ein.

Er befragt Brühl nach den Vorkommnissen. Da dieser aber kaum Angaben zu seinen Entführern macht und schweigt, wird er verhaftet. Kleffer versucht im Verhör Details über die Gruppe zu erfahren, aber Brühl sympathisiert mittlerweile mit der Gruppe.

Interpretation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Marianne Kröner steht im Hörspiel für den einsamen Menschen, der die geistliche Fürsorge schmerzlich vermisst, sogar ohne diese nicht mehr länger leben kann. Verursacht hat das Robinson-Dasein Mariannes der Nazi-Staat, der sie und die Ihren mit dem Krieg ins Unglück gestürzt hat. Mariannes Ehemann bleibt nur der Hass auf jene, die ihm im Krieg die Zerstörungsbefehle gaben und die nun in der Heimat mit Erfolg die braven Bürger, die Unschuldslämmer, spielen.[2] Dazu passt Mariannes Haltung, die nicht in Deutschland bleiben kann. Denn „alle, die ich liebte, sind tot, und die ich nicht liebte, leben“.[3]

Böll klagt 1957 einige Stützen der deutschen Nachkriegsgesellschaft an, die offenbar aus der jüngsten Geschichte wenig oder gar nichts gelernt haben. Jene Anklage legt er Kröner und seiner Frau Marianne in den Mund (s. o.). Diese Beschuldigung wird noch untermauert mit der Haltung des Kaplans Brühl. Dieser hat volles Verständnis für die Einbrecherbande und ihre Familien. Zwar gibt er Mariannes Drängen, den Einbrechern an ihren atlantischen Sandstrand zu folgen, nicht nach, hat er doch daheim genug Problemfälle seelsorgerisch zu betreuen. Aber er lässt sich vom Kriminalpolizisten Kleffer lieber ins Gefängnis stecken, als dass er mit einem Wort die flüchtenden Spurlosen verrät.

Produktion des Hörspiels[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Hörspiel wurde 1957 vom Norddeutschen Rundfunk und dem Bayerischen Rundfunk unter der Regie von Fritz Schröder-Jahn produziert. Die Tonregie hatten Wilhelm Hagelberg und Kurt Gehrck.

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Bernáth bespricht eine der Kardinalfragen dieses Hörspiels: „Wer ist böser …, die Ausgeraubten oder die Räuber?“[4]

Ausgaben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Heinrich Böll: Die Spurlosen. Mit einem Nachwort von Rudolf Walter Leonhard. Hamburg 1957.
  • Heinrich Böll: Die Spurlosen. Drei Hörspiele. Leipzig: Insel-Verlag, 1966.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Bellmann, S. 146, Eintrag 1957.9.
  2. Heinrich Böll: Die Spurlosen (1966), S. 96.
  3. Heinrich Böll: Die Spurlosen (1966), S. 101.
  4. Bernáth, S. 81.