Epikoinon

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Ein Epikoinon oder auch Epicönum bzw. Epikönum (griechisch epikoinos "gemeinsam") ist ein auf Lebewesen referierendes Nomen, das ohne Genuswechsel auf Lebewesen mit jedem Sexus in Bezug gesetzt werden kann. Dieses Phänomen beruht darauf, dass die Bedeutung des jeweiligen Wortes kein Sem beinhaltet, das geschlechtsspezifisch ist (z. B. die Person, der Mensch, das Genie). Der Plural lautet Epizöna oder Epikoina.[1][2]

Laut Corbett seien Epizöna in Bezug auf die Sexus-Zuordnung unproblematisch, weil diese nur ein Genus haben und deshalb sowohl mit männlichen als auch mit weiblichen Individuen verknüpft werden können (Klein weist jedoch darauf hin, dass die Sexus-Zuordnung durchaus problematisch sein könne, da die Referenz zum Sexus fehle). Sie bezeichnen dennoch geschlechtliche Wesen, die aber je nach Sprache nicht nach dem Sexus gebildet werden, wodurch Epizöna geschlechtsindifferent sind. In vielen Sprachen haben nur personenbezogene Substantive ein geschlechtsspezifisches Genus.[3][4]

Epizöna können zudem in der Regel keine weiblichen Formen mit dem Suffix "-in" bilden, ebenso keine männlichen mit dem männlichen Suffix "-(e)rich". So wären beispielsweise Mensch → *Menschin/Menscherich, Person → *Personin/Personerich oder Hyäne → *Hyänin/Hyanerich inkorrekt. Die Formen kommen jedoch vereinzelt als Spielformen in literarischen Werken vor. Außerdem existieren einige Ausnahmen bei Tierarten (z. B. Hase → Häsin, Hund → Hündin) und vereinzelt wird über die Korrektheit von einzelnen abgeleiteten Personenbezeichnungen diskutiert (z. B. Gast → Gästin, Hotelier → Hotelierin).[5][6]

Abgrenzung zu Hybriden[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hybride bezeichnet man in der Linguistik als Wörter, bei denen bei jeder Art Referenz ein Bruch von semantischer oder grammatischer Kongruenz auftreten kann. Eine klare Abgrenzung zu Epizöna ist umstritten.

Als Beispiel für ein Hybrid sei hier das Mädchen genannt, das grammatisch neutral, allerdings semantisch feminin und damit grundsätzlich genus-sexus-inkongruent ist. Bei Epizöna ist diese Inkongruenz nicht unwahrscheinlich, allerdings nicht notwendigerweise gegeben. Bestehen zum Beispiel die Menschen aus Musterstadt ausschließlich aus Männern, sind Genus und Sexus kongruent, wenngleich es unwahrscheinlich ist, dass alle Menschen aus Musterstadt männlich sind. Sobald eine einzige Person weiblich ist, herrscht dann eine (teilweise) Genus-Sexus-Inkongruenz.[7]

Laut Corbell jedoch seien alle Epizöna auch gleichzeitig Hybride, allerdings nicht jedes Epikoinon auch ein Hybrid.[8] Geyer wiederum unterscheidet zwischen sexusdefiniten Personenbezeichnung (z. B. das Mädchen) und Neutra (z. B. das Mitglied, das Opfer).[9] Und für Dahl ist "referentielles Genus für alle Konflikte ursächlich, was den Hybridbegriff redundant machen würde".[10]

Konfliktsituationen im Deutschen[11]
lexikalisch referentiell
Wort Genus Referenz Sexus
Beispiel 1 das Mädchen n sie f Das Genus ist neutral, Genus-Sexus-Inkongruenz. Das Referenzgeschlecht ist festgelegt.
Beispiel 2 das Mitglied n er, sie m, f Das Genus ist neutral, Genus-Sexus-Inkongruenz. Das Referenzgeschlecht ist offen.
Beispiel 3 der Mensch

die Person

m

f

er, sie

er, sie

m, f

m, f

Das Genus ist innerhalb des binären Systems (männlich oder weiblich), das Referenzgeschlecht ist offen.
Beispiel 4 die Tunte

das Weib

f

n

er

sie

m

f

Die Genus-Sexus-Inkongruenz dient zur Beleidigung und/oder zum Absprechen bestimmter Gender- und Rollenstereotype.[12]

Klein macht die Unterscheidung wie folgt aus:

"Damit ein Hybrid klar lexikalisch ist, ist vielmehr ausschlaggebend, ob Kongruenzbrüche bei jeder Art von Referenz auftreten können. Das ist beim Typ Mädchen höchstwahrscheinlich der Fall. Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass feminine Pronomina selbst bei unspezifischer Referenz mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auftreten"[13]

Und weiter:

"Erwartungsgemäß erweist ein genauerer Blick auf das Genus von Epikoina, dass von völlig arbiträrer Zuweisung nicht die Rede sein kann. Dafür gilt es nun abermals zu differenzieren und bestimmte Fälle auszuschließen."[14]

Zusammengefasst müssen Hybride also eine lexikalische Inkongruenz wie bei Mädchen ergeben, bei Epizöna ergibt sich die Inkongruenz aus der spezifischen Referenz (z. B. der Mensch in Bezug auf eine weibliche Person).

Epizöna bei Personen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei Sprachen wie dem Deutschen, die das Geschlecht durch das Genus unterscheiden, sind Epizöna typologisch eher die Ausnahme, da diese bei Personen eher strikt das semantische Geschlecht (Sexus) durch das Genus ausdrücken (z. B. der Mann (grammatisch und semantisch maskulin), die Frau (grammatisch und semantisch feminin)).

Klein argumentiert, dass geschlechtsindifferente Begriffe bei Personen in Genussprachen zum Teil problematisch seien, da keine Referenz auf den Sexus möglich sei. Zudem existieren in den meisten Genussprachen lediglich zwei Genera, die sich auf Personen beziehen können, sodass entsprechende Pronomina wie er und sie nur männlich oder weiblich sein können, also sich wiederum konkret auf männliche oder weibliche Subjekte beziehen:[15]

  • Beispiel 1: "Die Person, die jetzt noch kommt, bekommt ihr Freigetränk nicht mehr."
    • Person ist ein Epikoinon und damit grundsätzlich geschlechtsindifferent. Allerdings sind die Pronomina die sowie ihr sexusspezifisch, das heißt sie beziehen sich konkret auf weibliche Subjekte.
  • Beispiel 2: "Der Mensch, der jetzt noch kommt, bekommt sein Freigetränk nicht mehr."
    • Auch hier kann Mensch als Epikoinon bezeichnet werden. Auch hier erhält der eigentlich geschlechtsindifferente Ausdruck jedoch durch die Pronomina eine konkrete Sexusreferenz auf das männliche Geschlecht.
  • Beispiel 3: "Das Genie, das jetzt noch kommt, bekommt sein Freigetränk nicht mehr."
    • Genie ist geschlechtsindifferent, allerdings können sich neutrale Pronomina im Deutschen nicht auf Personen beziehen, da kein Sexus des Menschen als 'neutral' bezeichnet wird (hier: das und sein).

Die Beispielsätze sind allesamt grammatisch kongruent, das heißt die Pronomina haben das korrekte Genus in Bezug auf das referierte Nomen. Allerdings sind sie zugleich semantisch inkongruent, das heißt die intendierte Wortbedeutung der Pronomina, nämlich die, dass sie auf ein bestimmtes Sexus differenzieren, stimmt nicht mit dem Genus derselben überein.[16]

Meineke schreibt dazu:

"Bei der Referenz auf Menschen kann ohne Bezugsnomen mit er also nur eine männliche Person und mit sie nur eine weibliche Person gemeint sein. Folgen solche Pronomina auf ein Substantiv, so kann ihre Quelle entweder lexikalisch oder referentiell sein."[17]

Rolle bei geschlechtergerechter Sprache[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hauptartikel: Geschlechtergerechte Sprache

Diewald und Steinhauer argumentieren, dass sich Epizöna "[s]ehr gut als Ersatzformen [...] für geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen"[18] eignen, da deren grammatisches Geschlecht nicht zwingend mit dem Sexus übereinstimme und daher geschlechtsneutral seien. Zudem seien sie weniger unpersönlich als Abstrakta.[19]

Maskuline Epizöna[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Laut einer Untersuchung von Bross und Kurz zeige sich, dass maskuline Epizöna in Bezug auf ihr Geschlecht sowohl als spezifisch männlich als auch als geschlechtsneutral interpretiert würden. Dies gelte jedoch nicht für nicht-referenzierte erste Teile von Komposita oder für maskuline Fremdwörter. Sie weisen jedoch darauf hin, dass "[d]ie Ergebnisse der vorliegenden Experimente [...] aus verschiedenen Gründen mit Vorsicht zu genießen"[20] seien.[21]

Epizöna bei Tieren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Epizöna bei Tieren sind in der Regel Oberbegriffe für bestimmte Arten wie Hund, Esel oder Pferd. Diese sind ebenfalls geschlechtsindifferent, verweisen also zumeist nicht auf ein bestimmtes biologisches Geschlecht des Tieres. Unter den Artbegriffen stehen noch weitere Unterbegriffe für die jeweiligen Geschlechter.[22]

Beispiele von Artbegriffen und arttypischen geschlechtsspezifischen Bezeichnungen
Hund Esel/Pferd Hase Wal Schaf
Weibchen Hündin Stute Häsin/Zibbe Kuh Schaf/Mutterschaf
Männchen Rüde Hengst Rammler Bulle Bock

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Fabian Bross und Lea-Sophie-Kurz: Zur Wahrnehmung des generischen Maskulinums in Erstgliedern von Komposita und maskuliner Epizöna. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik, 51(3) 2023, S. 397–423.
  • Gabriele Diewald und Damaris Nübling: „Genus – Sexus – Gender“ – ein spannungs- und ertragreiches Themenfeld der Linguistik. In: Gabriele Diewald und Damaris Nübling (Hrsg.): Genus – Sexus – Gender. Verlag Walter de Gruyter, Berlin, Boston 2022. S. 3–31.
  • Gabriele Diewald und Anja Steinhauer: Gendern – Ganz einfach! Dudenverlag, Berlin 2019.
  • Helmut Glück und Michael Rödel (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart und Weimar 2016, 5. Auflage (online, link.springer.com).
  • Andreas Klein: Wohin mit Epikoina? – Überlegungen zur Grammatik und Pragmatik geschlechtsindefiniter Personenbezeichnungen. In: Gabriele Diewald und Damaris Nübling (Hrsg.): Genus – Sexus – Gender. Verlag Walter de Gruyter, Berlin, Boston 2022. S. 135–190.
  • Eckhard Meineke: Studien zum genderneutralen Maskulinum. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2023 (Vorschau, agi.pageplace.de)

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Vgl. Meineke 2023, S. 15.
  2. Vgl. Glück und Rödel 2016, S. 180.
  3. Vgl. Meineke 2023, S. 16.
  4. Vgl. Klein 2022, S. 143.
  5. Vgl. Meineke 2023, S. 20f.
  6. Duden | Hotelierin | Rechtschreibung, Bedeutung, Definition, Herkunft. Abgerufen am 3. Januar 2024.
  7. Vgl. Meineke 2023, S. 17f.
  8. Vgl. Klein 2022, S. 145.
  9. Vgl. Klein 2022, S. 145.
  10. Klein 2022, S. 145.
  11. Nach Klein 2022, S. 145f.
  12. Vgl. zusätzlich Diewald und Nübling 2022, S. 6f.
  13. Klein 2022, S. 146.
  14. Klein 2022, S. 150.
  15. Vgl. Klein 2022, S. 143.
  16. Vgl. Klein 2022, S. 143f.
  17. Meineke 2023, S. 17.
  18. Diewald und Steinhauer 2019, S. 39.
  19. Vgl. Diewald und Steinhauer 2019, S. 39f.
  20. Bross und Kurz 2023, S. 419.
  21. Vgl. Bross und Kurz 2023, S. 418f.
  22. Vgl. Meineke 2023, S. 15f.