Erich Priebke

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Erich Priebke in Rom

Erich Priebke (* 29. Juli 1913 in Hennigsdorf, Provinz Brandenburg; † 11. Oktober 2013 in Rom, Italien) war im Zweiten Weltkrieg als deutscher SS-Hauptsturmführer an den Geiselerschießungen bei den Ardeatinischen Höhlen beteiligt. Er wurde 1998 in Italien als Kriegsverbrecher zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, die jedoch aus Altersgründen in Hausarrest umgewandelt wurde.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bis 1944[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Priebke wuchs nach dem Tod seiner Eltern bei einem Onkel auf.[1] Er war gelernter Hotelfachmann und arbeitete bis 1935 in verschiedenen Hotels in Europa. Seit 1933 gehörte er der NSDAP an (Mitgliedsnummer 3.280.478)[2]. Als er 1936 nach Deutschland zurückkehrte, wurde er auf Empfehlung eines Vetters Dolmetscher und Übersetzer für Italienisch im Presseamt der Gestapo. Bald wurde er verbeamtet und in den Kriminaldienst der Gestapo übernommen, wo er für den Kontakt zu anderen Polizeidiensten, vor allem mit dem faschistischen Italien, zuständig war. Im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) war er in der Folge im Amt IV („Gegnererforschung und -bekämpfung“) tätig. Er wurde von Reinhard Heydrich nach Rom versetzt, nachdem der Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD von Rom, Herbert Kappler, einen Mitarbeiter angefordert hatte. Priebke sah sich selbst als „Nummer Zwei“ hinter Kappler.[3] Ab Februar 1941 arbeitete Priebke an der deutschen Botschaft in Rom als Verbindungsoffizier zur italienischen Polizei, zuletzt im Rang eines SS-Hauptsturmführers.

Das Massaker in den Ardeatinischen Höhlen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im besetzten Rom verübte eine Gruppe der Resistenza am 23. März 1944 das Attentat in der Via Rasella auf deutsche Soldaten des Polizeiregiments „Bozen“. Eine ferngezündete Bombe tötete 33 Soldaten sowie zwei unbeteiligte italienische Passanten. Auf Vorschlag Kapplers beschloss die deutsche Armeeführung in Italien, für jeden getöteten Deutschen 10 Geiseln zu erschießen. Am 24. März 1944 überstellte die italienische Kommandantur auf Anforderung der Deutschen 335 Zivilisten, die in den Ardeatinischen Höhlen (Fosse Ardeatine), einem unbenutzten Steinbruchgelände nahe Rom, erschossen wurden. Einer der Beteiligten war Erich Priebke. Die höheren Offiziere der SS, darunter auch Priebke, bildeten die Erschießungskommandos und erschossen die ersten zwölf Opfer eigenhändig.[4] Priebke führte anschließend wahrscheinlich die Liste, von der die „Todeskandidaten“ nach ihrer Erschießung gestrichen wurden.[5] Nach der Erschießung der Geiseln in Fünfergruppen stellte Priebke fest, dass fünf Zivilisten mehr als beabsichtigt erschossen worden waren.

Nach 1945[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Priebke verbrachte nach dem Krieg 20 Monate in englischer Kriegsgefangenschaft auf italienischem Boden. Nach seiner Flucht aus dem Lager bei Rimini lebte er bis zum Oktober 1948 unbehelligt bei seiner Familie in Sterzing. Anschließend versteckten ihn Franziskaner auf Ersuchen von Bischof Alois Hudal im Franziskanerkloster Bozen.[6] Mit Hilfe kirchlicher Stellen beschaffte Priebke sich einen Reisepass des Internationalen Roten Kreuzes unter dem Falschnamen „Otto Pape“ aus Lettland und entkam so über die sog. „Rattenlinie“ von Genua nach Argentinien.[7] Dort lebte er bald wieder unter seinem echten Namen und mit gültigen argentinischen Papieren. Er arbeitete anfangs als Kellner in einem Lokal in Buenos Aires, später in einem Hotel in Bariloche.[8] Dort war er später Inhaber einer Metzgerei, wurde Vorsitzender des Trägervereins der deutschen Schule und genoss hohes Ansehen, insbesondere in der deutschen Gemeinde. Seine Vergangenheit war seinen Mitbürgern nicht in allen Details bekannt, auch in der deutschen Botschaft wurde Stillschweigen bewahrt. Nach Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Argentinien 1952 erhielt Priebke auch wieder einen deutschen Pass. Er erhielt außerdem eine Kriegsrente.[9] Seine Beteiligung an dem Massaker in Italien wurde erstmals 1991 von Esteban Buch erwähnt, der von Nazis berichtete, die seit den 1950er Jahren in Bariloche lebten.[10] 1993 stellten deutsche Ermittler einen Auslieferungsantrag, Priebke wurde in Argentinien daraufhin unter Hausarrest gestellt. 1994 gab er Sam Donaldson, einem Reporter von ABC News ein Interview, nachdem Nachforschungen durch diesen Sender seinen Aufenthaltsort ermittelt hatten. Dies führte zu Empörung bei den Menschen, die das Massaker nicht vergessen hatten, und Italien forderte seine Auslieferung.

Wiederaufnahme der Ermittlungen und Prozess in Italien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der römische Militärstaatsanwalt Antonino Intelisano, der für den Distrikt Rom zuständig war und nicht der Generalbehörde angehörte, entdeckte 1994 bei Ermittlungen im Fall Erich Priebke durch einen Zufall größere Mengen vergilbter Akten in einem Schrank in der Allgemeinen Militäranwaltschaft in Rom. Dieser Schrank wurde als „Schrank der Schande“ bekannt; in ihm waren nicht weniger als 2274 Fälle von vergessenen NS-Kriegsverbrechen in Italien „provisorisch archiviert“ worden.

1995 wurde Priebke nach Italien überstellt und dort im August 1996 nach einem Verfahren vor einem Militärgerichtshof in Rom freigesprochen. Der Freispruch führte zu weltweiten Protesten.[11]

Am 15. Oktober 1996 erklärte der Kassationsgerichtshof den Freispruch für nichtig. In einem neuen Verfahren wurde ein Strafmaß von 15 Jahren verhängt. Aufgrund von Amnestiegesetzen wurde die Strafe um zehn Jahre reduziert und zugleich die Untersuchungshaft angerechnet. Im Frühjahr 1998 wurde Erich Priebke schließlich von einem Militär-Berufungsgericht in Rom zu lebenslanger Haft verurteilt. Trotz seiner Verurteilung blieb er uneinsichtig und behauptete am 3. Mai 2000 in einem Interview der Süddeutschen Zeitung: „Drahtzieher der Inszenierung, die heute gegen mich stattfindet, sind die Wiesenthal-Zentren gewesen“.[12]

Nach der Verurteilung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aufgrund seines Gesundheitszustands verbüßte Priebke die Haft in Hausarrest, der jedoch nicht strikt durchgesetzt wurde.[13] Anfang Juni 2007 erreichte sein Anwalt, dass sich Priebke mit Einschränkungen und nach Ankündigung bei der Polizei frei in Rom bewegen durfte. Amos Luzzatto, führender Vertreter der jüdischen Gemeinde, warf dem Gericht daher vor, die Haftstrafe Priebkes zu umgehen.[14] Am 19. Juni 2007 wurde die Lockerung des Hausarrests wieder zurückgenommen.

Priebkes Verteidiger plädierten in seinem Namen auf Befehlsnotstand, was die Staatsanwaltschaft und die Kläger bestritten. Priebkes hohes Alter und sein schlechter Gesundheitszustand wurden von Kritikern des Verfahrens als Gründe für eine Begnadigung oder Amnestie angeführt.

Zu Priebkes 90. Geburtstag im Juli 2003 organisierte sein Anwalt Paolo Giachini eine öffentliche Feier.[15]

Im Juni 2010 war Erich Priebke als Kandidat der NPD für das Amt des Bundespräsidenten im Gespräch.[16]

Im Oktober 2010 wurden ihm Hafterleichterungen eingeräumt.[17] Am 24. Juli 2013 veröffentlichte die italienische Zeitung La Repubblica in ihrer Online-Ausgabe ein Video, das Priebke mit einer Begleiterin und zwei Bodyguards bei einem Spaziergang durch Rom zeigt.[18]

Anlässlich Priebkes 100. Geburtstags setzte sich der Bürgermeister Roms, Ignazio Marino, dafür ein, dass es diesmal keine Geburtstagsfeier wie zehn Jahre zuvor geben solle. „Rom ist verpflichtet, das Andenken derer zu bewahren, die für die Freiheit der Stadt gegen die Besatzung durch den Nazifaschismus gekämpft haben und die Opfer des deutschen Terrors wurden“, so Marino. Der Bürgermeister reagierte damit auf einen Appell der Vereinigung der italienischen Partisanen des Zweiten Weltkriegs und der Jüdischen Gemeinde Roms.[19][20] Es kam zu Zusammenstößen vor Priebkes Haus in Rom, sieben Neonazis wurden festgenommen.[21]

Priebke blieb zeitlebens überzeugter Nationalsozialist und zeigte keine Reue für das Massaker.[22]

Tod[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erich Priebke starb am 11. Oktober 2013 im Alter von 100 Jahren in Rom, Italien; die letzte Zeit lebte er in einem Appartement seines Anwalts.[23]

Argentinien verweigerte eine Beisetzung in Priebkes langjährigem Wohnort Bariloche. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Rom schlug eine Überführung des Leichnams nach Deutschland und eine Beisetzung an seinem Geburtsort Hennigsdorf in Brandenburg vor.[24] Auch Hennigsdorf lehnte mit Verweis auf die geltende Friedhofssatzung ab. Priebke sei kein Einwohner der Stadt und ein besonderes Recht auf Bestattung, etwa in einem Familiengrab, sei nicht zu erkennen.[25] Letztlich stellte die katholisch-traditionalistische Piusbruderschaft eine ihrer Kapellen in Albano Laziale bei Rom für eine private Trauerfeier zur Verfügung.[26] Die Totenmesse fand am 15. Oktober statt, musste nach Auseinandersetzungen zwischen rund 500 protestierenden Anwohnern und angereisten Neonazis jedoch abgebrochen werden. Die Behörden ordneten daraufhin an, Priebke an einem geheimen Ort beizusetzen.[27] Florian Abrahamowicz, ein 2009 wegen Holocaustleugnung aus der Piusbruderschaft ausgeschlossener Priester, verteidigte die Trauerfeier später in einem Rundfunkinterview mit den Worten, Priebke sei „mein Freund, ein Christ, ein treuer Soldat“ gewesen.[28][29]

Schriften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Erich Priebke mit Paolo Giachini: Autobiographie: „Vae victis“, Rom: Associazione Uomo e Libertà, 2003.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Joachim Staron: Fosse Ardeatine und Marzabotto. Deutsche Kriegsverbrechen und Resistenza. Geschichte und nationale Mythenbildung in Deutschland und Italien (1944–1999). Schöningh, Paderborn u. a. 2002, ISBN 3-506-77522-7. Volltext online bei Digi20 der Bayerischen Staatsbibliothek.
  • Gerald Steinacher. Nazis auf der Flucht. Wie Kriegsverbrecher über Italien nach Übersee entkamen. 1946–1955. StudienVerlag, Innsbruck u. a. 2008, ISBN 978-3-7065-4026-1.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Malte Herwig: Der letzte Fall. Abgerufen am 12. Mai 2023.
  2. Rainer Himmelfreundpointner: Besuch bei Priebke. In: Profil. Nr. 22, 30. Mai 1994, S. 91.
  3. Joachim Staron: Fosse Ardeatine und Marzabotto. Deutsche Kriegsverbrechen und Resistenza. Geschichte und nationale Mythenbildung in Deutschland und Italien (1944–1999). Schöningh, Paderborn u. a. 2002, ISBN 3-506-77522-7, S. 330f.
  4. Joachim Staron: Fosse Ardeatine und Marzabotto. Deutsche Kriegsverbrechen und Resistenza. Geschichte und nationale Mythenbildung in Deutschland und Italien (1944–1999). Schöningh, Paderborn u. a. 2002, ISBN 3-506-77522-7, S. 67.
  5. Joachim Staron: Fosse Ardeatine und Marzabotto. Deutsche Kriegsverbrechen und Resistenza. Geschichte und nationale Mythenbildung in Deutschland und Italien (1944–1999). Schöningh, Paderborn u. a. 2002, ISBN 3-506-77522-7, S. 66f.
  6. Herbert Lackner: Die Hakenkreuzfahrer: Brisante Details über die Flucht hochrangiger Nazi-Verbrecher. In: profi.at. Dr. Christian Rainer, 13. August 2008, abgerufen am 10. September 2021.
  7. Nach Angaben von Graham gegenüber der Agenzia Nazionale Stampa Associata, 10. Mai 1994, zitiert von Uki Goñi, Odessa: Die wahre Geschichte
  8. Der letzte Fall
  9. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 473
  10. Esteban Buch (1991), El pintor de la Suiza Argentina, Editorial Sudamericana (Buenos Aires). ISBN 978-950-07-0663-6
  11. J. Friedrich: Der Sühnehunger will gestillt sein. Das Urteil gegen den SS-Mann Erich Priebke rief weltweit Empörung hervor. In: taz, 12. August 1996; Manfred Messerschmidt: Vielleicht ein Fall Militärjustiz. Verbirgt sich hinter der Empörung über das milde Urteil gegen den SS-Hauptmann Erich Priebke Sühnehunger? In: taz, 17./18. August 1996; Gerhard Schreiber: Der Fall Priebke: Wo bleibt die Sühne? Die Schuld ist bewiesen, doch die Proteste gegen das Urteil reißen nicht ab. In: Rheinischer Merkur, 23. August 1996
  12. Zitat bei Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 473
  13. Carola Frentzen: NS-Verbrecher Priebke macht stilecht Urlaub. In: stern.de. 11. August 2005, archiviert vom Original; abgerufen am 12. Mai 2023.
  14. Paul Kreiner: Freiheiten eines Häftlings Sächsische Zeitung, 14. Juni 2007
  15. Erich Priebke: Wenn ein Kriegsverbrecher 100 wird. Kölner Stadt-Anzeiger 29. Juli 2013.
  16. Liedermacher Frank Rennickes Wiederbelebungskampagne einer angeschlagenen Partei Zeit Online 7. Juni 2010
  17. Artikel bei Spiegel Online, abgerufen am 6. Oktober 2010
  18. Priebke, badante e bodyguard: la passeggiata a Roma. Abgerufen am 12. Mai 2023 (italienisch).
  19. NS-Verbrecher Erich Priebke wird 100 Keine Reue, aber neue Fans (Memento vom 31. Juli 2013 im Internet Archive) Tagesschau.de, abgerufen am 29. Juli 2013
  20. 100 Jahre und noch immer keine Reue
  21. Süddeutsche vom 30. Juli 2013; "Neonazis feiern 100. Geburtstag von Altnazi"
  22. Krawalle bei Priebkes Begräbnis (Memento vom 16. Oktober 2013 im Internet Archive), tagesschau vom 16. Oktober 2013
  23. Ehemaliger SS-Offizier: NS-Kriegsverbrecher Priebke ist tot Spiegel Online, abgerufen am 11. Oktober 2013
  24. FAZ: Jüdische Gemeinde in Rom: Priebke in Deutschland beisetzen
  25. Hennigsdorf sieht keine Grundlage für Bestattung von NS-Verbrecher. In: Berliner Morgenpost. 14. Oktober 2013, archiviert vom Original; abgerufen am 12. Mai 2023.
  26. Piusbrüder ermöglichen Trauerfeier für Nazi-Verbrecher in Spiegel online vom 15. Oktober 2013.
  27. Franz Haas: Friede sei dem Massenmörder. nzz.ch, 22. Oktober 2013, abgerufen am 22. Oktober 2013
  28. Trauerfeier für NS-Kriegsverbrecher Priebke abgebrochen in Frankfurter Allgemeine vom 16. Oktober 2013
  29. Empörung über Priester, der NS-Verbrecher Priebke verteidigt. In: derstandard.at. 18. Oktober 2013, abgerufen am 18. Oktober 2013.