Ernst Hermann Meyer

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Ernst Hermann Meyer referierte auf der Bachfeier 1950 im Sinne der marxistisch-leninistischen Erbetheorie (siehe Hintergrund) über Johann Sebastian Bach – Kein Ende, ein Anfang.[1]

Ernst Hermann Ludimar Meyer (er veröffentlichte auch unter dem Namen Ernst H. Meyer; * 8. Dezember 1905 in Schöneberg[2]; † 8. Oktober 1988 in Berlin) war ein deutscher Komponist, Musikwissenschaftler und -soziologe sowie Mitglied des Zentralkomitees der SED. Sein Schaffen umfasst mehr als 500 Kompositionen.[3]

Meyer gilt als einer der wichtigsten Vertreter des von der Sowjetunion geforderten Sozialistischen Realismus in der Musik in der DDR. Nach der Ansprache von DDR-Präsident Wilhelm Pieck auf der Bach-Tagung 1950 verkündete Meyer mit einer Gedenkrede die so genannte Erbetheorie. Er wurde damit in der DDR wegweisend für die Sicht auf die klassische Musik.

Meyers Werke umfassen zahlreiche Lieder, Kammermusiken, drei Sinfonien und andere Orchesterwerke, eine Oper und ein Oratorium. Er schrieb viele musikwissenschaftliche Aufsätze und ein Buch über die Kammermusik Alt-Englands. Seine musikwissenschaftlichen Arbeiten galten in der DDR als wesentliche Beiträge marxistischer Geschichtsschreibung.[4]

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

E. H. Meyer (2. v.l.) auf dem Berliner Komponisten-Kongress (1982)

Ernst Hermann Meyer wurde 1905 als Sohn eines Arztes und einer Kunstmalerin in Schöneberg geboren.[3] Die jüdischen Eltern wurden in der Pogromnacht 1938 und im KZ Auschwitz 1942 ermordet.

Seinen ersten Klavierunterricht erhielt er im Alter von sechs Jahren, erste Kompositionsversuche unternahm er schon im Alter von elf Jahren. Der Komponist Walter Hirschberg unterrichtete ihn in Klavier und Musiktheorie. Von 1915 bis 1924 besuchte er das Prinz-Heinrich-Gymnasium in Berlin-Schöneberg. Nach dem Abitur 1924 absolvierte er eine Lehre bei einer Bank in Berlin. Von 1926 bis 1930 studierte er Musikwissenschaft bei Johannes Wolf, Erich Moritz von Hornbostel und Curt Sachs an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin und bei Heinrich Besseler an der Universität Heidelberg. 1929 begegnete er Hanns Eisler, mit dem er sich anfreundete. 1930 trat er in die KPD ein. Von 1930 bis 1932 war er Mitarbeiter der Roten Fahne in Berlin. Außerdem wurde er Redakteur der Zeitschrift Kampfmusik der Kampfgemeinschaft der Arbeitersänger und Dirigent von Arbeiterchören.[5] 1931 reiste er in die Sowjetunion. Sein Kompositionsstudium setzte er an der Hochschule für Musik Berlin-Charlottenburg fort, wo zu seinen Lehrern James Simon und Paul Hindemith gehörten. Zudem erhielt er Unterricht bei Max Butting an der Rundfunkversuchsstelle.[3]

Um einer Verhaftung durch die nationalsozialistischen Behörden zu entgehen, nutzte Meyer 1933 seine Teilnahme an einer musikwissenschaftlichen Tagung in Cambridge in Großbritannien zur Flucht.[3] Dort wurde er ein enger Freund von Alan Bush; er konnte Forschungen über englische Kammermusik des 17. Jahrhunderts betreiben und Vorträge für die Workers Educational Association halten. Seit 1939 hielt er außerdem Vorlesungen am Bedford College, London. Er wurde Mitglied des Freien Deutschen Kulturbunds, eines Zusammenschlusses von emigrierten Künstlern. 1945 erhielt Meyer eine Gastprofessur am King’s College, Cambridge. 1946 wurde er in der Schweiz gegen eine Tuberkulose-Erkrankung behandelt.

1948 kehrte Meyer mit seiner britischen Ehefrau Marjorie in die SBZ zurück, nachdem die britischen Behörden seine Ausreise, wie die vieler anderer kommunistischer Exilanten, verzögert hatten. Er übernahm 1949 den gerade geschaffenen Lehrstuhl für Musiksoziologie an der Berliner Humboldt-Universität und prägte ihn über Jahre maßgeblich. Neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit war er eine der einflussreichsten Persönlichkeiten des Musiklebens in der DDR. Meyer war Vorsitzender des Verbandes der Komponisten und Musikwissenschaftler, Vorsitzender der Händelgesellschaft und Mitbegründer der Händel-Festspiele, die noch heute in Halle stattfinden. 1951 wurde seine Tochter Marion geboren, die später mit dem Schriftsteller Hermann Kant verheiratet war und als Musikwissenschaftlerin in England wirkt.

Von außerordentlicher Bedeutung für die marxistische Sichtweise auf die Geschichte der Musik galten seine Beiträge zur marxistisch-leninistischen Erbetheorie. 1950 auf der deutschen Bachfeier in Leipzig hielt er die Gedenkrede: Johann Sebastian Bach – Kein Ende, ein Anfang. Als die Gedenkrede 1957 in der Sammlung Aufsätze über Musik erschien, hatte er sie gründlich entsprechend der nun aktuellen SED-Politik gewandelt. Der einst beschworene Geist der deutschen Einheit war getilgt und das Erbe auf die friedliebende Welt begrenzt. Den Sozialistischen Realismus vertrat er nachdrücklich in seinem Buch Musik im Zeitgeschehen. Er wandte sich hier gegen formalistische Tendenzen.

Zu Mozart referierte er 1956 Mozart – Träumer oder Kämpfer.

Meyers Kompositionen wurden von offiziellen Stellen hohe künstlerische Meisterschaft, Parteilichkeit und Volksverbundenheit bescheinigt. Als wichtiges Zeugnis sozialistisch-realistischen Musikschaffens wurden das Mansfelder Oratorium und die Chöre aus der Kantate Des Sieges Gewißheit „Heimat wir lassen dich nicht“ und „Dank euch ihr Sowjetsoldaten“ angesehen. Er hat über 500 Lieder und Chöre geschrieben, „alle Werke zeugen vom humanistischen Engagement eines revolutionären Musikers“, wie es in einem Nachruf im Jahr des Untergangs der DDR 1989 hieß. Sein Leben und Schaffen waren geprägt durch die Theorie des Marxismus-Leninismus. „Bestimmte dogmatische Einschätzungen“ aus der Zeit des Stalinismus hat er (der stets auf der Linie der Partei war) später korrigiert.[6]

Ernst Hermann Meyer war seit 1963 Kandidat und von 1971 bis zu seinem Tod 1988 Mitglied des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands.[7]

Ehrengrabanlage Meyer auf dem Friedrichsfelder Zentralfriedhof
Grabplatte

1963 erhielt er den Nationalpreis I. Klasse für Kunst und Literatur mit folgender Begründung: „Für seine vokal-sinfonischen, kammermusikalischen und sinfonischen Kompositionen, die von richtungsweisender Bedeutung für das sozialistisch-realistische Musikschaffen unserer Zeit sind.“[8]

Im Jahr 1972 veranlasste Ernst Hermann Meyer, der aus einer jüdischen Familie stammte, die Errichtung einer Gedenkstätte für acht in der nationalsozialistischen Zeit in den Konzentrationslagern Auschwitz, Jungfernhof bei Riga, Majdanek und Theresienstadt umgekommene Mitglieder der Meyer-Familie auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde. Er selbst wurde dort nach seinem Tod ebenfalls beigesetzt.

Aufgaben und Mandate[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Musik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Neben über 300 Liedern und weiteren Instrumental- und Vokalwerken:

  • Quintett für Klarinette und Streichquartett (1944)
  • Streichersinfonie (1958, Erstfassung 1947)
  • Mansfelder Oratorium (1950)
  • Streichquartett Nr. 1 G-Dur (1956)
  • Das Tor von Buchenwald (Kantate, 1959)
  • Streichquartett Nr. 2 (1959)
  • Konzertante Sinfonie für Klavier und Orchester (1961)
  • Poem für Viola und Orchester (1961)
  • Konzert für Violine und Orchester (1964)
  • Solange Leben in mir ist (Filmmusik, 1965)
  • Toccata appassionata für Klavier (1966)
  • Sinfonie in B (1968, Erstfassung 1967 als Sinfonietta)
  • Streichquartett Nr. 3 (1967)
  • Konzert für Harfe und Kammerorchester (1968)
  • Leinefelder Divertimento (1969)
  • Concerto Grosso (1969)
  • Lenin hat gesprochen (Kantate, 1970)
  • Toccata für Orchester (1971)
  • Trotz alledem! (Filmmusik, 1972)
  • Reiter der Nacht (Oper, 1972)
    1973 in der Staatsoper Unter den Linden uraufgeführt[3]
  • Streichquartett Nr. 4 (1974)
  • Konzert für Orchester mit obligatem Klavier (1975)
  • Kontraste-Konflikte, Sinfonia für Orchester (1977)
  • Konzert für Viola und Orchester (1978)
  • Streichquartett Nr. 5 (1978)
  • Sonate für Viola und Klavier (1979)
  • Sinfonietta (1980)
  • Streichquartett Nr. 6 (1982)
  • Essay für Viola solo (1983)
  • Sinfonische Widmung für Orchester und Orgel (1983)
  • Konzert für Violoncello und Orchester
    (1988, nur 1. Satz vollendet)

Filmmusik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Veröffentlichungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Neben zahllosen Artikeln und Aufsätzen:

  • Die mehrstimmige Spielmusik des 17. Jahrhunderts in Nord- und Mitteleuropa. Kassel: Bärenreiter 1934 (Heidelberger Studien zur Musikwissenschaft, Bd. 2).
  • English Chamber Music: The History of a Great Art. From the Middle Ages to Purcell. London: Lawrence & Wishart 1946 (2. Auflage 1982), dt. Übersetzung: Die Kammermusik Alt-Englands. Vom Mittelalter bis zum Tode Henry Purcells. Leipzig: Breitkopf & Härtel 1958.
  • Musik im Zeitgeschehen. Berlin: Verlag Bruno Henschel und Sohn 1952.
  • Aufsätze über Musik. Berlin: Henschelverlag 1957.
  • Lieder und Gesänge. Leipzig: Breitkopf & Härtel 1962 (1. Band), 1971 (2. Band), 1983 (3. Band).
  • Musik der Renaissance – Aufklärung – Klassik, hg. von Heinz Alfred Brockhaus. Leipzig: Verlag Philipp Reclam jun. 1973 (Reclams Universal-Bibliothek, Bd. 524).
  • Kontraste – Konflikte. Erinnerungen – Gespräche – Kommentare, hg. von Dietrich Brennecke und Mathias Hansen. Berlin: Verlag Neue Musik 1979.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Bernd-Rainer BarthMeyer, Ernst Hermann. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 2. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
  • Werner Danneberg: Meyer, Ernst Hermann. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 17, Duncker & Humblot, Berlin 1994, ISBN 3-428-00198-2, S. 334 f. (Digitalisat).
  • Golan Gur: Classicism as Anti-Fascist Heritage: Realism and Myth in Ernst Hermann Meyer’s Mansfelder Oratorium (1950). In: Kyle Frackman, Larson Powell (Hrsg.): Classical Music in the German Democratic Republic: Production and Reception. Rochester: Camden House 2015, ISBN 978-1-57113-916-0, S. 34–57
  • Mathias Hansen (Hg.): Ernst Hermann Meyer. Das kompositorische und theoretische Werk. Leipzig: Deutscher Verlag für Musik 1976 (Handbücher der Sektion Musik), OCLC 4807295.
  • Mathias Hansen: Ernst Hermann Meyer. In: Dietrich Brennecke, Hannelore Gerlach, Mathias Hansen (Hrsg.): Musiker in unserer Zeit. Mitglieder der Sektion Musik der Akademie der Künste der DDR. Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1979, S. 57 ff.
  • Georg Knepler (Hg.): Festschrift für Ernst Hermann Meyer zum sechzigsten Geburtstag. Leipzig: Deutscher Verlag für Musik 1973.
  • Meyer, Ernst Hermann. In: Brockhaus-Riemann Musiklexikon. CD-Rom, Directmedia Publishing, Berlin 2004, ISBN 3-89853-438-3, S. 6747.

Filme[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Ernst Hermann Meyer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen / Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Als Aufsatz erschienen: Ernst H. Meyer: Johann Sebastian Bach – Kein Ende, ein Anfang. In: Ernst H. Meyer: Aufsätze über Musik. Henschelverlag, Berlin 1957, S. 10 ff. Vgl. auch Bach Bibliography homepages.bw.edu.
  2. Geburtsregister Nr. 2914/1905, StA Schöneberg I
  3. a b c d e Informationen von der Erklärungstafel der Ehrengrabstätte Meyer auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde.
  4. Meyer: 1. Ernst Hermann. In: Jugendlexikon Musik. Hrsg.: Heila Brock und Christoph Kleinschmidt. 4. neubearbeitete Auflage, VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1989, Seite 219.
  5. Konrad Niemann: Zum Gedenken an Ernst Hermann Meyer. In: Beiträge zur Musikwissenschaft. Heft 3/1989. Herausgegeben vom Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR. Verlag Neue Musik Berlin (Ost), Seite 155 ff. Ein zeitgenössischer Nachruf.
  6. Vgl. Konrad Niemann: Zum Gedenken. 1989, Seite 156.
  7. Vgl. Heiner Timmermann: Agenda DDR-Forschung. Ergebnisse, Probleme, Kontroversen. Lit-Verlag, 2005, ISBN 3-8258-6909-1. books.google.de.
  8. Neue Zeit, Nr. 234 vom 7. Oktober 1963, S. 4.
  9. Vgl. Konrad Niemann: Zum Gedenken. 1989, Seite 156.