Expressionismus (Film)

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Titelseite des Sonderhefts „Film“ der Zeitschrift „Das Plakat“, Oktober 1920, entworfen von Paul Leni, einem wegweisenden Szenenbildner und Regisseur des expressionistischen Films

Der expressionistische Film entstand im Wesentlichen in Deutschland, speziell in dessen „Filmhauptstadt“ Berlin, in der Ära des Stummfilms während der ersten Hälfte der 1920er-Jahre. Oft wird daher auch vom Deutschen Expressionismus gesprochen. Doch auch in den Jahren zuvor tauchten bereits erste expressionistische Elemente in österreichischen Produktionen auf – den sogenannten „vorexpressionistischen“ Filmen, die sich aus den vielseits beliebten Literaturverfilmungen entwickelten.

Stilmittel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Charakteristisch für den expressionistischen Film sind die stark von der expressionistischen Malerei beeinflussten grotesk verzerrten Kulissen sowie eine kontrastreiche Beleuchtung, die durch gemalte Schatten noch unterstützt wird. Durch eine surrealistische und symbolistische Mise-en-scène werden starke Stimmungen und tiefere Bedeutungsebenen erzeugt.

Daneben ist es aber vor allem die betont übertrieben gestische Spielweise der Darsteller, die das Expressionistische dieser Filmströmung kennzeichnet. Sie ist dem künstlerischen Vorläufer, dem Bühnenexpressionismus, entlehnt.

Geschichte und Entwicklung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem Ersten Weltkrieg erlebte die deutschsprachige Filmindustrie einen starken Aufschwung, ohne aber über ausreichende Budgets zu verfügen, die mit denen Hollywoods vergleichbar gewesen wären. So war der deutschsprachige Film schon aus ökonomischen Gründen gezwungen, den Mangel an Technik und Ausstattung mit anderen Mitteln zu kompensieren. Da in Deutschland und Österreich zeitgleich in allen Kunststilen ein großer Experimentierwille herrschte, führte dies auch im Film zu radikalen Neuschöpfungen, die stark von expressionistischen Kunstformen beeinflusst waren.

Erste „vorexpressionistische“ Produktionen waren unter anderem die Fritz-Freisler-Inszenierungen Das Nachtlager von Mischli-Mischloch (1918), Der Mandarin (1918) und Das andere Ich (1918). Zu den Hauptdarstellern dieser Produktionen zählten Harry Walden, Karl Götz und Fritz Kortner. Letzterer galt in den 1920er Jahren als bester expressionistisch darstellender Schauspieler.

Als vermutlich erster Film, der expressionistische Stilmittel einsetzte, sei Jakob und Luise Flecks Die Schlange der Leidenschaft aus dem Jahre 1918 genannt.[1] Die dramaturgische Konstruktion des Fieber-Alptraumes, durch den die Hauptperson geläutert wird, spricht für diese Annahme.[2]

Während der Stummfilmzeit waren die UFA-Studios in Potsdam-Babelsberg in Berlin die größte Filmproduktionsstätte im deutschsprachigen Raum, weshalb zahlreiche ausländische Regisseure, Drehbuchautoren und Schauspieler zeitweise oder dauerhaft in Berlin ansässig waren, und somit den deutschen Film mitbeeinflussten. Bekannte Beispiele sind die Regisseure Fritz Lang oder Robert Wiene, aber auch die Drehbuchautoren Hans Janowitz und Carl Mayer, die das Drehbuch zur ersten berühmten expressionistischen Produktion Das Cabinet des Dr. Caligari aus dem Jahr 1919 schrieben.

Die Blütezeit des expressionistischen Films waren die Jahre 1920 bis 1925, in denen die bedeutendsten expressionistischen Filme erschienen. Zu diesen zählen Paul Wegeners Der Golem, wie er in die Welt kam (1920), Fritz Langs Dr. Mabuse, der Spieler (1922) sowie Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (1922) und Metropolis (1927) von Fritz Lang. Bedeutende expressionistische Werke kamen auch aus Österreich, wo das Stummfilmerbe erst spät als bedeutend erkannt, gesichert und mit der Erforschung begonnen wurde, weshalb viele Bereiche erst unzureichend in der Filmliteratur wiedergegeben werden konnten. Gesicherte Belege für die Integration expressionistischer Stilelemente in österreichischen Filmen sind Robert Wienes Orlac’s Hände (1924) und – in parodistischer Form – Hans Karl Breslauers Die Stadt ohne Juden (1924).[3]

Bedeutende Filme[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nachleben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die kurze Epoche des expressionistischen Films war bereits Mitte der 1920er Jahre wieder vorüber. Als mit der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 viele der früheren Filmschaffenden und Schauspieler Deutschland in Richtung Hollywood verließen, waren vor allem dort Nachwirkungen ihres früheren Schaffens zu spüren. Besonders zwei Genres des Films wurden davon beeinflusst und können als „Erben“ des Filmexpressionismus gelten: Der Horrorfilm und der Film noir.

Heute scheint das Werk von David Lynch vom expressionistischen (Fritz Lang: M) als auch vom surrealistischen Film (Luis Buñuel, Salvador Dalí: Ein andalusischer Hund) inspiriert zu sein. Werner Herzog drehte 1979 als Hommage ein Nosferatu-Remake mit Klaus Kinski in der Hauptrolle. Ebenfalls ein Remake mit Ton eines berühmten expressionistischen Stummfilms drehte der amerikanische Regisseur David Lee Fisher 2006 mit dem wie das Original ebenfalls schwarzweiß gedrehten The Cabinet of Dr. Caligari, wobei heutige Schauspieler per Bluescreen vor den Kulissen des Originalfilms agieren.

Tim Burton baut oftmals skurrile Kulissen in seine Filme ein. Sehr beeinflusst von den expressionistischen Vorbildern sind zum Beispiel die Kulissen in der Geisterwelt bei Beetlejuice, oder „Halloweentown“ in Nightmare Before Christmas und die Kulissen im Film Corpse Bride – Hochzeit mit einer Leiche. Lemony Snicket – Rätselhafte Ereignisse, die Verfilmung von Lemony Snickets Eine Reihe betrüblicher Ereignisse, orientiert sich stark an den diesen Filmen Burtons und ist daher ebenfalls stark am expressionistischen Stil angelehnt.

Spätere Filme mit expressionistischem Einfluss[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Rudolf Kurtz: Expressionismus und Film. Berlin 1926. Nachdruck Zürich 2007 (Chronos), Hg. und mit einem Nachwort versehen von Christian Kiening und Ulrich Johannes Beil, 224 S.: Ill. ISBN 978-3-0340-0874-7.
  • Jürgen Kasten: Der expressionistische Film. Münster (MakS) 1990 ISBN 3-88811-546-9.
  • Leonardo Quaresima: Der Expressionismus als Filmgattung. in: Uli Jung, Walter Schatzberg (Hg.): Filmkultur zur Zeit der Weimarer Republik. München, London, New York, Paris 1992, S. 174–195 ISBN 3-598-11042-1.
  • Michael Gould: Surrealism and the cinema: (open-eyed screening). South Brunswick [u. a.] : Barnes 1976, 171 S.: Ill. ISBN 0-498-01498-3.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Zur Diskussion um die Vorläufer des expressionistischen Films siehe: Jürgen Beidokrat, Die künstlerische Subjektivität im expressionistischen Film, in: Institut für Filmwissenschaft (Hg.), Beiträge zur deutschen Filmgeschichte, Berlin 1965, S. 71–87.
  2. Thomas Ballhausen und Günter Krenn, Die unheimliche Leinwand, in: Medienimpulse, Heft Nr. 57, September 2006, S. 38 (PDF).
  3. Thomas Ballhausen und Günter Krenn, Die unheimliche Leinwand, in: Medienimpulse, Heft Nr. 57, September 2006, S. 35 (PDF).
  4. "Noir’s cousin expressionism reemerged in full flower in Terry Gilliam’s Brazil." Kutner, C. Jerry (2006): Beyond the Golden Age: Film Noir Since the ’50s, Bright Lights Film Journal, 1. November 2006