Formosa-Sprachen

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Formosa-Sprachen

Gesprochen in

Taiwan
Linguistische
Klassifikation

Austronesische Sprachen

  • Formosa-Sprachen
Sprachcodes
ISO 639-1

fox

Die Formosa-Sprachen (auch Formosanische oder Taiwan-Sprachen) gehören zur Austronesischen Sprachfamilie und sind die Sprachen der indigenen Völker Taiwans. Dabei bilden die Formosa-Sprachen nicht eine einzelne Unterfamilie der Austronesischen Sprachen, sondern neun Hauptunterfamilien.[1][2] Die von der Republik China auf Taiwan anerkannten Ureinwohner Taiwans machen 2,3 % der Inselbevölkerung aus, wovon aufgrund jahrhundertelanger Sprachwechsel jedoch nur 35 % ihre angestammte Sprache sprechen können.[3][4]

Von den etwa 26 Sprachen der Ureinwohnenden Taiwans sind elf bereits ausgestorben, weitere vier sind am Aussterben,[5][1][6][7] alle anderen in gewissem Maße bedroht.[8] Die indigenen Sprachen Taiwans haben eine große Bedeutung in der historischen Linguistik, da Taiwan höchstwahrscheinlich der Ursprungsort der gesamten Austronesischen Sprachfamilie ist.

Nach dem Sprachexperten Robert Blust bilden die Formosa-Sprachen neun der zehn Zweige der austronesischen Sprachen[2], während der zehnte Zweig um die 1.200 nichttaiwanesische malayo-polynesische Sprachen enthält.[9] Obwohl einige Linguisten mit der Theorie Blusts nicht übereinstimmen, bleibt der Konsens erhalten, dass die austronesischen Sprachen in Taiwan ihre Herkunft finden.[10] Diese Theorie wurde durch weitere genetische Bevölkerungsstudien untermauert.[11][12][13]

Der Name Formosa stammt aus dem 16. Jahrhundert, als erstmals Portugiesische Reisende Taiwan entdeckten und als schön, übersetzt formosa bezeichneten.[14]

Vier Ansichten zu den Formosa-Sprachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unter Linguisten haben sich vier verschiedene Ansichten zu den Formosa-Sprachen gebildet:

Die Formosa-Sprachen als Sprachzweig der „östlichen Sprachen“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Traditionell teilt die Sprachwissenschaft die Sprachfamilie der Südinseln entlang der Wallace-Linie in zwei Zweige: Die östlichen Sprachen der Südinseln (東部南島語 / 東部南岛语, Dōngbùnándǎoyǔ – „Ozeanische Sprachen der Südinseln“) und die westlichen Sprachen der Südinseln (西部南島語 / 西部南岛语, Xībùnándǎoyǔ – „hesperonesianische Sprachen“, die alle weiteren Sprachen außer den ozeanischen umfasst). Dyen und Shigeru Tsuchida betrachteten die Formosa-Sprachfamilie als eng verwandt mit den östlichen Sprachen der Südinseln. Dieser Sprachzweig hat demnach keine spezielle Position.

Die Formosa-Sprachen als „nördliche Sprachfamilie der Südinseln“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

André-Georges Haudricourt nennt die Formosa-Sprachen „nördliche Sprachfamilie der Südinseln“ (北部南島語 / 北部南岛语, Běibùnándǎoyǔ), da aus seiner Sicht Taiwan zum Malaiischen Archipel gehört, und unterteilt diese in die „taiwanesischen Sprachen der Südinseln“ (台灣南島語 / 台湾南岛语, Táiwānnándǎoyǔ), die „östliche Sprachen der Südinseln“ (東部南島語 / 東部南岛语, Dōngbùdǎoyǔ) und die „westlichen Sprachen der Südinseln“ (西部南島語 / 西部南岛语, Xībùdǎoyǔ).

Die Formosa-Sprachen als erster Sprachzweig der „Sprachfamilie der Südinseln“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dahl betrachtet die Formosa-Sprachen als am nächsten zu den proto-austronesianischen Sprachen zugehörig und ordnet sie als Zweig dieser Sprachen ein. Von dieser Grundlage aus geht Blust einen Schritt weiter und unterteilt die Formosa-Sprachen in vier Unterzweige: Die Tàiyǎ-Sprachen (泰雅語群 / 泰雅语群), die Páiwān-Sprachen (排灣語群 / 排湾语群), die Zōu-Sprachen (鄒語群 / 邹语群) und die malayo-polynesischen Sprachen. Die Formosa-Sprachen gehörten demnach zu drei klaren Gruppen. Der Rest wäre nicht genau einzuteilen.

Demnach unterteilten einige Linguisten die Formosa-Sprachfamilie in zwei Sprachzweige: Der erste ist die Formosa-Sprachfamilie, der zweite die malayo-polynesischen Sprachen. Diese wurden in der 2004er Ausgabe des Ethnologue: Languages of the World auch detailliert dargestellt. Von den 1262 Sprachen wurden 23 dem Formosa-Sprachzweig zugeordnet, alle anderen 1239 dem malayo-polynesischen Sprachzweig.

Synthese von Blust und Bellwood[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Immer mehr Linguisten messen der Formosa-Sprachfamilie wachsende Relevanz zu. Forschungen haben ergeben, dass Taiwan einer der Ursprungsorte der austronesischen Sprachen ist, wenn nicht sogar der einzige, wie Blust und Bellwood behaupten. Das einschlägige Buch Ethnologue: Languages of the World (2005b) teilt die Formosa-Sprache in drei Zweige auf: Tàiyǎ-Sprachen (泰雅語群 / 泰雅语群), Páiwān-Sprachen (排灣語群 / 排湾语群) und Zōu-Sprachen (鄒語群 / 邹语群).

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wahrscheinlich bewohnten die indigenen Völker Taiwans die Insel seit bereits über 5.500 Jahren und lange zeit weitestgehend ungestört und autonom.[15][14] Ab dem 17. Jahrhundert begann die flächendeckende Unterdrückung der indigenen Kulturen durch diverse Herrschende (Zheng Chenggong, Qing-Dynastie), die Menschen wurden assimiliert oder in die Bergregionen verdrängt.

Unter der Regierung Japans ab 1895 und der darauffolgenden, weitestgehend autoritären Regierung der Kuomintang bis 1990 waren das Sprechen der Formosa-Sprachen verboten.[7] Und bis heute werden die Sprachen der 16 von der Regierung anerkannten indigenen Völker weiter stetig vom kulturell dominanten Hochchinesisch verdrängt.[7]

Nach der Jahrtausendwende initiierte die Regierung Taiwans im Rahmen eines Programmes zur Wertschätzung der indigenen Kultur die Wiedereinführung der Muttersprachen in Schulen,[16][17] 2016 entschuldigte sich die Präsidentin Tsai Ing-Wen für die "Jahrhunderte des Schmerzes und der Misshandlung" bei den indigenen Völkern[7].

Seitdem führte die Regierung der Republik China ihren neuen Kurs zur Unterstützung der indigenen Sprachen fort: 2017 erklärte sie die Formosanischen Sprachen zu Nationalsprachen.[18] Zwei Jahre später wurde ein sieben-stufiger Plan zur Wiederbelebung und Weiterentwicklung aller Nationalsprachen für 2022 bis 2026 angekündigt, um die sprachliche und kulturelle Vielfalt zu beschützen.[18]

Liste der Sprachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die vermutete Verbreitung der formosanischen Sprachen vor Beginn der chinesischen Kolonisation im 17. Jahrhundert. Die Einteilung in verschiedene Gruppen variiert.

Oft ist es schwer, eine klare Unterscheidung zwischen Dialekt und Sprache zu finden, was zu Meinungsverschiedenheiten und Unstimmigkeiten unter Expertinnen über die Formosa-Sprachen führt. Es gibt dementsprechend viele Unklarheiten über das Aussterben und die kulturelle Assimilation verschiedener formosanischer Stämme, was linguistische Untersuchungen erschwert. Eine Liste verschiedener Formosa-Sprachen ist unten gegeben, aber aus den gegebenen Gründen nicht als vollständig anzusehen.

Lebende Sprachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Atayal (泰雅語 / 泰雅语, Tàiyǎyǔ)
  • Bunun (布農語 / 布农语, Bùnóngyǔ; große Unterschiede in den Dialekten)
  • Amis (阿美語 / 阿美语, Āměiyǔ; große Unterschiede in den Dialekten, manchmal als verschiedene Sprachen kategorisiert)
  • Kanakanavu (卡那卡那富語 / 卡那卡那富语, Kǎnàkǎnàfùyǔ; aussterbend)
  • Kavalan (噶瑪蘭語 / 噶玛兰语, Gámǎlányǔ; in einigen Quellen als aussterbend kategorisiert,[5] in anderen Quellen jedoch als lebende Sprache kategorisiert[6])
  • Paiwan (排灣語 / 排湾语, Páiwānyǔ)
  • Saisiyat (賽夏語 / 赛夏语, Sàixiàyǔ)
  • Puyuma (卑南語 / 卑南语, Bēinányǔ)
  • Rukai (魯凱語 / 鲁凯语, Lǔkǎiyǔ; große Unterschiede in den Dialekten)
  • Saaroa (沙阿魯阿語 / 沙阿鲁阿语, Shāālǔāzōuyǔ; aussterbend)
  • Seediq (賽德克語 / 赛德克语, Sàidékèyǔ; auch Truku)
  • Tao (auch Yami)
  • Thao (邵語 / 邵语, Shàoyǔ; aussterbend)
  • Tsou (鄒語 / 邹语, Zōuyǔ)

Tote Sprachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Babuza (貓霧捒語 / 猫雾捒语, Māowùsùyǔ; auch 法佛朗語 / 法佛朗语, Fǎfólǎngyǔ)
  • Basay (巴賽語 / 巴赛语, Bāsàiyǔ)
  • Hoanya (洪雅語 / 洪雅语, Hóngyǎyǔ)
  • Ketagalan (凱達格蘭語 / 凯达格兰语, Kǎidágélányǔ)
  • Makatao
  • Pazeh (巴宰語 / 巴宰语, Bāzǎiyǔ; 2010 ausgestorben)
  • Popora
  • Siraya (西拉雅語 / 西拉雅语, Xīlāyǎyǔ)
  • Taivoan
  • Taokas (道卡斯語 / 道卡斯语, Dàokǎsīyǔ)

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • S. Tsuchida: Kanakanavu texts (Austronesian Formosan). [Endangered Languages of the Pacific Rim], Osaka? 2003.
  • E. Zeitoun: Nominalization in Formosan languages. Institute of Linguistics (Preparatory Office), Academia Sinica, Taipei 2002.
  • G. L. Mackay: Chinese-Romanized dictionary of the Formosan vernacular. Presbyterian Mission Press, Shanghai 1893.
  • Gilbertus Happart, W. H. Hedhurst: Dictionary of the Favorlang dialect of the Formosan language. Parapattan, Batavia 1840.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Blust, R. A.: The Austronesian languages. Hrsg.: Published by Asia-Pacific Linguistics Research School of Pacific and Asian Studies The Australian National University. 2. Auflage. 2013, ISBN 978-1-922185-07-5, S. 72.
  2. a b R. Blust: Subgrouping, circularity and extinction: some issues in Austronesian comparative linguistics, written at Taipei. In: E. Zeitoun, P.J.K Li: Selected papers from the Eighth International Conference on Austronesian Linguistics, Academia Sinica, 1999
  3. The Tribes in Taiwan. (Memento des Originals vom 30. März 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.apc.gov.tw Council of Indigenous Peoples, Executive Yuan
  4. Taiwan seeks to save indigenous languages. In: BBC News. 14. Juli 2010 (englisch, bbc.com [abgerufen am 2. Februar 2024]).
  5. a b Elizabeth Zeitoun, Ching-Hua Yu: The Formosan Language Archive: Linguistic Analysis and Language Processing. (PDF; 384 kB) In: Computational Linguistics and Chinese Language Processing. Volume 10, No. 2, June 2005, S. 167–200
  6. a b Paul Jen-kuei Li, Shigeru Tsuchida: Kavalan Dictionary «噶瑪蘭語詞典». Institute of Linguistics, Academia Sinica Monograph Series No.A19. Academia Sinica, Taipei 2006 [In press]
  7. a b c d Helen Davidson: Healing words: Taiwan’s tribes fight to save their disappearing languages. In: The Guardian. 8. Juni 2021, ISSN 0261-3077 (englisch, theguardian.com [abgerufen am 2. Februar 2024]).
  8. Elizabeth Zeitoun, Ching-Hua Yu: The Formosan Language Archive: Linguistic Analysis and Language Processing. In: 中文計算語言學期刊. Band 10, Nr. 2, 1. Juli 2005, S. 167–199, doi:10.30019/IJCLCLP.200507.0002 (englisch, airitilibrary.com [abgerufen am 2. Februar 2024]).
  9. Jared M. Diamond: Taiwan’s gift to the world. (Memento des Originals vom 16. September 2006 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/faculty.washington.edu (PDF) In: Nature, Volume 403, February 2000, S. 709–710
  10. James J. Fox: Current Developments in Comparative Austronesian Studies. (Memento des Originals vom 12. Oktober 2006 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/dspace.anu.edu.au (PDF) Paper prepared for Symposium Austronesia Pascasarjana Linguististik dan Kajian Budaya. Universitas Udayana, Bali 19.–20. August 2004.
  11. JA Trejaut, T Kivisild, JH Loo, CL Lee, CL He et al.: Traces of archaic mitochondrial lineages persist in Austronesian-speaking Formosan populations. (PDF; 476 kB) In: PLoS Biol 3(8), 2005, e247.
  12. P. A. Underhill et al.: Maori origins, Y-chromosome haplotypes and implications for human history in the Pacific. Human Mutation, Volume 17, Issue 4, S. 271–280. doi:10.1002/humu.23, PMID 11295824.
  13. C. C. Chu et al.: Diversity of HLA among Taiwan’s indigenous tribes and the Ivatans in the Philippines. In: Tissue Antigens, Volume 58, Number 1, July 2001, S. 9–18(10).
  14. a b Elisa Lenker: Indigenous Legacy: The Formosan Languages of Taiwan. 23. Juli 2021, abgerufen am 2. Februar 2024 (englisch).
  15. Taiwan Aboriginal || The Truth on Taiwanese Aboriginals (in 2022). 17. Dezember 2018, abgerufen am 2. Februar 2024 (amerikanisches Englisch).
  16. Hui-chi Lee: A Survey of Language Ability, Language Use and Language Attitudes of Young Aborigines in Taiwan. In: Charlotte Hoffmann, Jehannes Ytsma (Hrsg.): Trilingualism in Family, School, and Community. Multilingual Matters, Clevedon / Buffalo 2004, ISBN 1-85359-693-0, S. 101–117.
  17. Greg. Huteson: Sociolinguistic survey report for the Tona and Maga dialects of the Rukai Language. (PDF; 1,0 MB) SIL Electronic Survey Reports 2003-012, SIL International:Dallas TX 2003
  18. a b 2.16.886.101.20003: 行政院全球資訊網. 1. Dezember 2011, abgerufen am 2. Februar 2024 (chinesisch (Taiwan)).