Frans van Anraat

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Frans Cornelis Adrianus van Anraat (* 9. August 1942 in Den Helder) ist ein niederländischer Unternehmer und Kriegsverbrecher. 2005 wurde er zu 17 Jahren Haft verurteilt, weil er in den 1980er-Jahren tausende Tonnen Chemikalien zur Herstellung von Giftgas an den Irak geliefert hatte, die unter anderem gegen Kurden und im ersten Golfkrieg eingesetzt wurden.[1][2]

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anfänge im Chemikalienhandel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Frans van Anraat wurde als Sohn eines Marine-Angehörigen geboren. Ein Studium als Laborant brach er ab und verließ Anfang der 70er Jahre die Niederlande. Danach arbeitete er in Italien, der Schweiz und Singapur als technischer Berater für Ingenieurbüros, die chemische Fabriken im Irak bauten, wodurch er erstmals mit dem Chemikalienhandel in Kontakt kam. Daraufhin gründete er die Firma FCA Contractor (nach seinen Initialen) mit Sitz in Bissone, Schweiz.[3] Von 1984 bis 1988 lieferte er als Zwischenhändler mithilfe seiner Firma tausende Tonnen Chemikalien an das Regime von Saddam Hussein, darunter Thiodiglykol, welches für Senfgas und Nervengas benutzt werden kann. Ein wesentlicher Teil dieser Chemikalien wurde von Baltimore über Frans van Anraat zu Aqaba und schließlich in den Irak gebracht. Das irakische Regime führte am 16. März 1988 den luft-gestützten Giftgasangriff auf Halabdscha mit Nervengas auf die nordirakische Kleinstadt Halabdscha aus, bei dem ungefähr 5.000 Kurden starben und 10.000 verletzt wurden.[3][4]

In einem Fernsehinterview am 6. November 2003 verneinte van Anraat, dass er wusste, wozu der Grundstoff dienen konnte, und sagte, dass er auch keinen Anlass gesehen hatte, die niederländischen Autoritäten über den Handel zu informieren. Er sah sich auch nicht als mitschuldig am Massenmord an den Kurden an. Vielmehr stellte er sich als Geschäftsmann dar, der lieferte, was seine Kunden nachfragten und sich nicht verantwortlich dafür sah, was diese mit der Lieferung machten.[5]

Festnahme[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 27. Januar 1989 wurde van Anraat in Mailand festgenommen, konnte aber flüchten, als er für kurze Zeit auf freiem Fuß war. Er flüchtete in den Irak und lebte dort 14 Jahre lang unter dem Namen Faris Mansur Rashid el Bassas (Der mutige und intelligente Stoffhändler). Seine Firma FCA Contractor wurde 1992 aufgelöst. Am 22. Dezember 1997 begehrten die USA von den Niederlanden seine Auslieferung, aber am 20. November 2000 wurde das Auslieferungsbegehren ohne Angabe von Gründen wieder zurückgezogen. Im März 2003 kehrte er wegen der US-geführten Invasion im Irak über Syrien in die Niederlande zurück. Weil er nicht mehr als gesucht galt – er war der einzige Niederländer auf der US-amerikanischen Liste der Meistgesuchten –, konnte ihm die Einreise nicht verweigert werden. Er ließ sich in einer einfachen Wohnung in Amsterdam nieder, wo er seine demente Mutter versorgte. Ihn nahmen Polizisten der Dienst Nationale Recherche wegen Verdachts der Mittäterschaft an Kriegsverbrechen und Völkermord fest, da bekannt wurde, dass er aus den Niederlanden flüchten wollte.[1][3][6]

Verurteilung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 27. Januar 2005 wurde Frans van Anraats Untersuchungshaft aufgehoben, aber das Innenministerium ging gegen diesen Beschluss mit Erfolg in Berufung. Am 21. November 2005 begann der Strafprozess vor einem Gericht in Den Haag. Am 23. Dezember 2005 wurde Frans van Anraat wegen Beihilfe an Kriegsverbrechen zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt – der Höchststrafe. Bei den Giftgasangriffen im Iran und Irak waren mit seinen Chemikalien tausende Menschen umgekommen. Eine Verurteilung wegen Völkermords erachtete das Gericht als nicht möglich, da keine stichhaltigen Beweise vorlagen, dass van Anraat tatsächlich wusste, dass seine Chemikalien zur Giftgasherstellung benutzt werden sollten.[1]

Van Anraat fühlt sich nicht verantwortlich für den Gebrauch von Giftgas, das aus den chemischen Grundstoffen gemacht wurde, die er an Saddam Hussein geliefert hat. „Een fabrikant van munitie is ook niet verantwoordelijk als daar een moord mee wordt gepleegd“ (Ein Hersteller von Munition ist auch nicht verantwortlich, wenn damit ein Mord begangen wird), argumentierte er.[7]

Sofort nach dem Urteil ließ Frans van Anraats Anwalt wissen, dass sein Mandant in Berufung gehe. Auch das Innenministerium ging in Berufung. Ab dem 2. April 2007 verhandelte das Berufungsgericht (niederländisch: Gerechtshof) in Den Haag über die Berufung. Am 9. Mai 2007 wurde Frans van Anraat wegen Beihilfe an Kriegsverbrechen zu 17 Jahren Haft verurteilt, zwei Jahre mehr als das Innenministerium gefordert hatte und er in der ersten Instanz bekommen hatte. Vom Vorwurf der Mittäterschaft zum Völkermord wurde er freigesprochen.[1]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d Frans Van Anraat. In: Trial Watch. 19. Oktober 2012, archiviert vom Original am 27. Juni 2015; abgerufen am 28. Oktober 2018.
  2. Gericht schickt Saddams Giftgas-Lieferant hinter Gitter. In: Spiegel Online. 23. Dezember 2005, abgerufen am 21. August 2009.
  3. a b c Udo van Lengen: In geheimen Diensten. In: Jungle World. 6. April 2005, abgerufen am 21. August 2009.
  4. Niederlande: Prozess gegen mutmaßlichen Giftgaslieferanten Van Anraat. In: Euronews. 18. März 2005, abgerufen am 21. August 2009.
  5. Saddam's 'Dutch link'. In: BBC News. 23. Dezember 2005, abgerufen am 21. August 2009 (englisch).
  6. Erstes Urteil zu Kurden-Massaker: Gericht wertet den Giftgasanschlag als Völkermord. In: News. 23. Dezember 2005, abgerufen am 21. August 2009.
  7. door behanger: Balkenende is aan het Marco-Bakkeren. In: Retecool. 29. März 2009, archiviert vom Original am 2. April 2009; abgerufen am 21. August 2009 (niederländisch).