Geistliches Territorium

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Wappen eines Fürstbischofs, das Schwert kennzeichnet die weltliche Gewalt

Als Geistliches Territorium bezeichnet man ein Staatsgebiet im Mittelalter und der frühen Neuzeit, dessen Landesherr (Fürst) zugleich ein Geistlicher war und somit die geistliche mit der weltlichen Gewalt verband. Er übte in seinem kirchlichen Jurisdiktionsbereich (Diözese) die geistliche und in einem weltlichen Herrschaftsbereich (Stift), das nicht deckungsgleich sein musste, die weltliche Gewalt aus. Diese Herrschaftsform war vor allem im Heiligen Römischen Reich verbreitet.

Nach dem Krummstab, dem Herrschaftszeichen der Bischöfe und Äbte, wurden geistliche Territorien auch Krummstablande genannt.[1]

Im Heiligen Römischen Reich[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Geistliche Territorien innerhalb des Heiligen Römischen Reiches entwickelten sich aus dem ottonisch-salischen Reichskirchensystem und wurden teils schon nach der Reformation, spätestens 1803 im Zuge der Säkularisation durch den Reichsdeputationshauptschluss aufgelöst. Zwischenzeitlich hatten die Äbte viele jurisdiktionelle und politische Rechte inne und waren über Jahrhunderte ein wichtiges Element der kaiserlichen Macht. Da Bischöfe von den mittelalterlichen Kaisern die geistliche Gerichtsbarkeit zur Ausübung in den Territorien der weltlichen Fürsten übertrugen, resultierten daraus wiederkehrende Konflikte und Auseinandersetzungen zur Kompetenz der geistlichen Gerichte.[2] Reichsunmittelbare geistliche Herren wurden als Reichsprälaten bezeichnet und geistliche Herrschaften Reichsstifte. Im Einzelnen:

Säkularisation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bis 1815 wurden sämtliche geistlichen Territorien säkularisiert. Die erste Säkularisation eines großen geistlichen Territoriums war die Umwandlung des Deutschordensstaats in das Herzogtum Preußen durch Hochmeister Albrecht. Im Zuge der Reformation wurden einige Territorien säkularisiert, andere von evangelischen Fürstbischöfen (erwählter Bischof oder postulierter Administrator) beherrscht. Nach dem Westfälischen Frieden wurden die meisten evangelischen Erz- und Hochstifter in weltliche Herzogtümer (Magdeburg, Bremen-Verden) bzw. Fürstentümer (Cammin, Minden, Ratzeburg, Schwerin) umgewandelt. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss 1803 wurden auch die restlichen Erz- und Hochstifter säkularisiert.

Liste der geistlichen Territorien des Heiligen Römischen Reichs[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Heilige Römische Reich am Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648. Die unter geistlicher Herrschaft stehenden Gebiete sind violett gefärbt. Nicht gezeigt werden die unter einem benachbarten evangelischen Fürsten stehenden geistlichen Territorien.

Hier werden die Fürstentümer der Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte und Prioren aufgezählt, die über eine Virilstimme im Reichstag verfügten. Die zahlreichen, oft nur wenige Dörfer umfassenden Territorien der Reichsprälaten sind unter Rheinisches Reichsprälatenkollegium und Schwäbische Prälatenbank angeführt.

Rang Territorium Herrscher säkularisiert
Erzstift Mainz Erzbischof von Mainz 1803
Erzstift Köln Erzbischof von Köln 1803
Erzstift Trier Erzbischof von Trier 1803
Erzstift Magdeburg Erzbischof von Magdeburg 1648
Erzstift Bremen Erzbischof von Bremen 1648
Erzstift Erzstift Besançon Erzbischof von Besançon 1697
Meistertum des Deutschen Ordens Mergentheim Deutschmeister 1803
Hochstift Augsburg Bischof von Augsburg 1803
Hochstift Bamberg Bischof von Bamberg 1803
Fürstbistum Basel Bischof von Basel 1803
Hochstift Brandenburg Bischof von Brandenburg 1571
Fürstentum Neisse Bischof von Breslau 1810
Hochstift Brixen Bischof von Brixen 1803
Hochstift Cammin Bischof von Cammin 1648
Hochstift Chiemsee Bischof von Chiemsee 1803
Hochstift Chur Bischof von Chur 1367
Hochstift Eichstätt Bischof von Eichstätt 1803
Hochstift Freising Bischof von Freising 1803
Hochstift Halberstadt Bischof von Halberstadt 1648
Hochstift Havelberg Bischof von Havelberg 1571
Hochstift Hildesheim Bischof von Hildesheim 1803
Hochstift Konstanz Bischof von Konstanz 1803
Hochstift Lübeck Bischof von Lübeck 1803
Hochstift Lüttich Bischof von Lüttich 1801
Hochstift Metz Bischof von Metz 1648
Hochstift Meißen Bischof von Meißen 1581
Hochstift Merseburg Bischof, später Administrator von Merseburg 1815
Hochstift Minden Bischof von Minden 1648
Hochstift Münster Bischof von Münster 1803
Hochstift Naumburg Bischof, später Administrator von Naumburg 1815
Hochstift Osnabrück Bischof von Osnabrück 1803
Hochstift Paderborn Bischof von Paderborn 1803
Hochstift Passau Bischof von Passau 1803
Hochstift Ratzeburg Bischof von Ratzeburg 1648
Hochstift Regensburg Bischof von Regensburg 1803
Hochstift Schwerin Bischof von Schwerin 1648
Hochstift Speyer Bischof von Speyer 1803
Hochstift Sitten Bischof von Sitten 1634
Hochstift Straßburg Bischof von Straßburg 1803
Hochstift Trient Bischof von Trient 1803
Hochstift Toul Bischof von Toul 1648
Hochstift Utrecht Bischof von Utrecht 1525
Hochstift Verden Bischof von Verden 1648
Hochstift Verdun Bischof von Verdun 1648
Hochstift Worms Bischof von Worms 1803
Hochstift Würzburg Bischof von Würzburg 1803
Herrschaft Heitersheim Großprior von Deutschland des Malteserordens 1803
Ballei des Deutschen Ordens Thüringen Landkomtur von Thüringen 1809
Ballei des Deutschen Ordens Westfalen Landkomtur von Westfalen 1809
Ballei des Deutschen Ordens Hessen Landkomtur von Hessen 1805
Ballei des Deutschen Ordens Sachsen Landkomtur von Sachsen 1809
Ballei des Deutschen Ordens Franken Landkomtur von Franken 1806
Ballei des Deutschen Ordens Koblenz Landkomture von Koblenz 1809
Ballei des Deutschen Ordens Schwaben-Elsass-Burgund Liste der Landkomture der Ballei Elsass-Burgund 1806
Ballei des Deutschen Ordens An der Etsch und im Gebirge Landkomtur an der Etsch und im Gebirge 1811
Ballei des Deutschen Ordens Lothringen Landkomtur von Lothringen 1803
Ballei des Deutschen Ordens Österreich Landkomtur von Österreich 1809
Ballei des Deutschen Ordens Biesen Landkomtur von Biesen 1809
Stift, ab 1792 Hochstift Corvey Abt, später Bischof von Corvey 1803
Stift, ab 1752 Hochstift Fulda Abt, später Bischof von Fulda 1803
Stift Berchtesgaden Propst von Berchtesgaden 1803
Stift Ellwangen Propst von Ellwangen 1803
Stift St. Gallen Abt von St. Gallen 1803
Stift Hersfeld Abt von Hersfeld 1648
Stift Kempten Abt von Kempten 1803
Stift Murbach Abt von Murbach 1789
Stift Stablo und Malmedy Abt von Stablo und Malmedy 1794

Außerhalb des Reiches[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auch außerhalb des Reiches gab es geistliche Territorien, wie etwa die päpstlichen Herrschaftsgebiete Grafschaft Avignon und Comtat Venaissin, der Kirchenstaat (mit umstrittenem Status, ob reichszugehörig oder nicht), das Fürstbistum Ermland (bis 1466 im Ordensstaat Preußen, dann in Preußen Königlichen Anteils). Weitere baltische Bischöfe (Kurland, Ösel-Wiek, Riga) erlangten für Teile ihrer Diözesangebiete als Fürstbischöfe Landeshoheit. In England hatten die Bischöfe von Durham in früheren Zeiten auch territoriale Macht.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Bettina Braun: Princeps et Episcopus. Studien zur Funktion und zum Selbstverständnis der nordwestdeutschen Fürstbischöfe nach dem Westfälischen Frieden. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013, ISBN 978-3-525-10121-6, Einleitung Teil 1: Die Wiederentdeckung der geistlichen Staaten, S. 12–16 (Vorschau bei Google Bücher für einen Forschungsüberblick mit vielen Literaturnachweisen).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Manfred Heim: Von Ablass bis Zölibat. Kleines Lexikon der Kirchengeschichte. Verlag C. H. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57356-9, S. 255
  2. Dietmar Willoweit: Staatsbildung und Jurisprudenz. Spätmittelalter und frühe Neuzeit. Gesammelte Aufsätze 2003–2016 (= Würzburger rechtswissenschaftliche Schriften. Bd. 105). Ergon Verlag, Baden-Baden 2019, ISBN 978-3-95650-551-5. S. 11 ff.; 57 ff.