Georg Gottfried Gervinus

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Georg Gottfried Gervinus
Georg Gottfried Gervinus, Lithographie von Joseph Anton Bauer
Büste im Treppenhaus der Universitätsbibliothek Heidelberg

Georg Gottfried Gervinus (* 20. Mai 1805 in Darmstadt; † 18. März 1871 in Heidelberg) war ein deutscher Historiker und nationalliberaler Politiker.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gervinus stammte aus einer im Mannesstamm erloschenen in Hessen verwurzelten Handwerker- und Beamtenfamilie. Sein gleichnamiger Vater (1765–1837) war Gerber, später Gastwirt und Lederhändler. Auf dem Darmstädter Pädagogium gehörten Justus Liebig und Johann Jakob Kaup zu seinen Mitschülern.[1]

Nach einer Buchhändlerlehre in Bonn und einer kaufmännischen Ausbildung in Darmstadt studierte er von 1825 bis 1827 an der Universität Gießen, anschließend bis 1829 an der Universität Heidelberg Geschichte, Philologie und Philosophie. 1835 wurde er in Heidelberg zum Professor für Geschichte und Literatur berufen. 1836 wechselte er nach Göttingen. Dort wurde er jedoch bereits 1837 abgesetzt und des Landes verwiesen, da er als einer der Göttinger Sieben – neben ihm waren dies noch Jacob Grimm, Wilhelm Grimm, Friedrich Christoph Dahlmann, Wilhelm Eduard Albrecht, Heinrich Ewald und Wilhelm Eduard Weber – gegen die Aufhebung des hannoverschen Staatsgrundgesetzes durch den König, Ernst August, protestiert hatte. Diese Tat erregte in der deutschen Öffentlichkeit großes Aufsehen.

Im Anschluss daran reiste er mit seiner jungen Frau Victoria (1817–1893),[2] einer Tochter des Mediziners und Botanikers Franz Joseph Schelver, mit der er seit 1836 verheiratet war,[3] nach Italien, wo er sich für längere Zeit aufhielt und mit dem jungen Historiker Karl Hegel zusammentraf, mit dem ihn genauso wie mit dem Juristen Georg Beseler eine Jugendfreundschaft verband.[4]

Zwischen 1835 und 1842 publizierte Gervinus sein Hauptwerk, die Geschichte der deutschen Nationalliteratur. 1844 nahm er in Heidelberg seine akademische Tätigkeit wieder als Honorarprofessor auf.

Erstausgabe der Deutschen Zeitung vom 1. Juli 1847
Geschichte der Deutschen Dichtung, Leipzig 1853 (Titelseite)

Ab 1847 war er Herausgeber der von Karl Mathy und Friedrich Daniel Bassermann begründeten Deutschen Zeitung, zu dieser Zeit das Blatt der liberalen Intellektuellen. Gervinus war Mitglied des Vorparlaments und des von diesem gebildeten Siebzehnerausschusses. Vom 18. Mai bis zum 31. Juli 1848 war er Abgeordneter für Wanzleben in der Frankfurter Nationalversammlung.

Georg Gottfried Gervinus Grabstele mit Büste auf dem Heidelberger Bergfriedhof (in der Abt. H), die Originalgrabstätte wurde aufgelassen

1853 wurde er wegen demokratischer Publikationen (Einleitung in die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts) vom Mannheimer Hofgericht wegen Hochverrats zu zwei Monaten Festungshaft verurteilt und erneut aus dem Universitätsdienst entlassen. Dieses Urteil wurde jedoch kurz darauf vom Oberhofgericht in Mannheim für nichtig erklärt, weil die auf Hochverrat lautende Anklage nicht hätte vom Hofgericht angenommen werden dürfen. Die Anklage wurde daraufhin aus nicht genannten Gründen gänzlich zurückgezogen und fallen gelassen. Die Preußische Akademie der Wissenschaften nahm ihn 1845 als korrespondierendes und die Bayerische Akademie der Wissenschaften 1863 als auswärtiges Mitglied auf.

An Gervinus’ Biografie ist außergewöhnlich, dass er die unter den deutschen Historikern seiner Zeit weit verbreitete unkritische Legitimation der Bismarckschen Politik nicht mittrug. Besonders sein Bemühen, sich aus einer rein nationalstaatlichen Betrachtungsweise zu lösen, um Gesamtentwicklungen der Restaurationsepoche zu verfolgen, macht ihn zu einer Einzelerscheinung.

1960 wurde der Essener Gervinuspark nach ihm benannt.

Georg Gottfried Gervinus war über seinen Vorfahren, den Pfarrer Konrad Ka(h)lenberg zu Ober-Ramstadt verwandtschaftlich mit seinem Freund Friedrich Maximilian Hessemer verbunden.[5][6] Desgleichen gehörte der Revolutionär Friedrich Ludwig Weidig, der zusammen mit Georg Büchner den Hessischen Landboten herausgab, ebenfalls über die Pfarrerfamilie Kalenberg zur Verwandtschaft des liberalen Politikers Gervinus.[7]

Werke (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Einleitung in die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts, 1853
  • Geschichte der deutschen Dichtung, 5 Bde., 1853 Digitalisat
  • G. G. Gervinus Leben. Von ihm selbst, 1860, 1893
  • Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen, 5 Bde., 1835–1842
  • Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts seit den Wiener Verträgen, 8 Bde., 1855–1866
  • Grundzüge der Historik, 1837
  • Händels Oratorientexte, G. G. Gervinus (Übersetzer), Berlin, Verlag v. F. Duncker, 1875
  • Händel und Shakespeare: Zur Ästhetik der Tonkunst, Leipzig 1868

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Erich AngermannGervinus, Georg Gottfried. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 6, Duncker & Humblot, Berlin 1964, ISBN 3-428-00187-7, S. 335–338 (Digitalisat).
  • Michael Ansel: G. G. Gervinus' Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen. Nationbildung auf literaturgeschichtlicher Grundlage. Frankfurt am Main u. a.: Lang 1990 (= Münchener Studien zur literarischen Kultur in Deutschland; 10), ISBN 3-8204-1267-0.
  • Wilhelm Beseler: Der Proceß Gervinus. Verhandlungen vor dem Großherzoglich Badischen Oberamt Heidelberg und dem Großherzoglichen Hofgericht des Unterrhein-Kreises zu Mannheim nebst dem Rechtsgutachten der Juristen-Facultät der Universität Göttingen und dem Hofgerichtlichen Urtheil vom 8. März, Braunschweig: Schwetschke u. Sohn 1853. (Digitalisat)
  • Rolf Böttcher: Nationales und staatliches Denken im Werke Georg Gottfried Gervinus. Diss. Köln 1935, Düsseldorf: Nolte 1935.
  • Rolf-Peter Carl: Prinzipien der Literaturbetrachtung bei Georg Gottfried Gervinus. Bonn: Bouvier 1969 (= Literatur und Wirklichkeit; 4).
  • W. Dietze: Georg Gottfried Gervinus als Historiker der deutschen Nationalliteratur. In: Sinn und Form 11 (1959), S. 445 ff.
  • Dagmar Drüll: Heidelberger Gelehrtenlexikon 1803-1932. Hrsg. vom Rektorat der Ruprecht-Karls-Universität-Heidelberg. Springer, Berlin, Heidelberg, Tokio 2012, ISBN 978-3642707612.
  • Wolfgang Ebling: Georg Gottfried Gervinus (1805-1871) und die Musik. München u. a.: Musikverl. Katzbichler 1985 (= Beiträge zur Musikforschung; 15), ISBN 3-87397-264-6.
  • Karl-Georg Faber: Gervinus oder: Das Elend einer Geschichtsphilosophie. Ein Diskussionsbeitrag. In: Thesen der Geschichte. Beiträge zur Historik. Bd. 1: Objektivität und Parteilichkeit, hrsg. v. Reinhart Koselleck, München: dtv 1977.
  • Lothar Gall: Georg Gottfried Gervinus. In: Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Historiker, Band 1, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1973, S. 493–512.
  • Knut Hennies: Fehlgeschlagene Hoffnung und Gleichgültigkeit. Die Literaturgeschichte von G. G. Gervinus im Spannungsverhältnis zwischen Fundamentalphilosophie und Historismus. Frankfurt am Main u. a.: Lang 1984 (= Giessener Arbeiten zur neueren deutschen Literatur und Literaturwissenschaft; 4,) ISBN 3-8204-7910-4.
  • Der Hochverratsprozeß gegen Gervinus, hrsg. v. Walter Boehlich, Frankfurt am Main: Insel 1967 (= Sammlung Insel; 24/2).
  • Gangolf Hübinger: Georg Gottfried Gervinus. Historisches Urteil und politische Kritik. Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht 1984 (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; 23), ISBN 3-525-35920-9 (Digitalisat).
  • Marion Kreis: Karl Hegel. Geschichtswissenschaftliche Bedeutung und wissenschaftsgeschichtlicher Standort (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; 84), Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2012, ISBN 978-3-525-36077-4. (Vgl. dazu E-Book und Leseprobe)
  • Werner Moritz (Hrsg.): Georg Gottfried Gervinus 1805-1871. Gelehrter – Politiker – Publizist. Ubstadt-Weiher: verlag regionalkultur 2005, ISBN 978-3-89735-445-6.
  • Hans Rosenberg: Gervinus und die deutsche Republik. In: Die Gesellschaft 6 (1929), S. 119 ff.
  • Jörn Rüsen: Der Historiker als "Parteimann des Schicksals". Georg Gottfried Gervinus und das Konzept der objektiven Parteilichkeit im deutschen Historismus. In: Theorie der Geschichte, hrsg. v. Reinhart Koselleck, München: dtv 1977.
  • Max Rychner: G. G. Gervinus. Ein Kapitel über Literaturgeschichte. Bern: Seldwyla 1922.
  • Gerhard Schilfert u. Hans Schleier: Georg Gottfried Gervinus als Historiker. In: Studien über die deutsche Geschichtswissenschaft vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Reichsgründung von oben, hrsg. v. Joachim Streisand, Berlin 1969, S. 148 ff.
  • Eduard Schulze: Gervinus als politischer Journalist. Ein Beitrag zur Publizistik der deutschen Einheitsbewegung. Leipzig: Univ. Diss. 1930.
  • August Thorbecke: Gervinus, Georg. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 9, Duncker & Humblot, Leipzig 1879, S. 77–86.
  • Gert Ueding: Literaturgeschichte als rhetorische Aufgabe. In: Suevica. Beiträge zur schwäbischen Literatur- und Geistesgeschichte 9 (2001/2002), Stuttgart 2004, S. 357–373, ISBN 3-88099-428-5.
  • Jonathan F. Wagner: Germany's 19th century Cassandra. The liberal federalist Georg Gottfried Gervinus. New York u. a.: Lang 1995 (= American university studies; Series 9: History; 175), ISBN 0-8204-2701-2.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wikisource: Georg Gottfried Gervinus – Quellen und Volltexte
Commons: Georg Gottfried Gervinus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Adolph Kohut: Justus von Liebig. Sein Leben und Wirken. Auf Grund der besten und zuverlässigsten Quellen geschildert. Mit ungedruckten Briefen Liebigs, zwei Briefen Liebigs in Faksimile und 34 Original-Illustrationen. Emil Roth, Gießen 1904, OCLC 458006968, S. 9 (archive.org).
  2. Gervinus, Victoria in der Deutschen Biographie
  3. Uni Heidelberg Gervinus-Franz Schelver
  4. Vgl. dazu Marion Kreis: Karl Hegel. Geschichtswissenschaftliche Bedeutung und wissenschaftsgeschichtlicher Standort (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. 84). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen u. a. 2012, besonders S. 28ff., ISBN 978-3-525-36077-4.
  5. Bernhard Koerner und Otfried Praetorius (Hrsg.): Darmstädter Geschlechterbuch. Band 1Band 69 der Gesamtreihe des Genealogischen Handbuchs bürgerlicher Familien. Starke Verlag, 1927, ZDB-ID 1041-8, Gervinus des Stammes Buchheimer, aus Meisenheim am Glan in der Pfalz. (Erloschen.), S. 33–35.
  6. Bernhard Koerner (Hrsg.): Hessisches Geschlechterbuch. Band 1Band 32 der Gesamtreihe des Genealogischen Handbuchs bürgerlicher Familien. Starke Verlag, 1920, ZDB-ID 2252-4, Heßemer, aus Königstädten in Hessen, S. 187–189, 191, 193, 195, 197 (Digitalisat).
  7. Hans Deuster: Zeitgeschehen und Leben der Familie Büchner im Hessischen Ried – Berichte über die Familie Büchner, deren Verwandte, Bekannte, Zeitzeugen, Zeitgeschehen und Ortsgeschichten. Selbstverlag Hans Deuster, Riedstadt-Goddelau 2004, ISBN 3-8334-1854-0, S. 148.