Gini-Koeffizient

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Gini-Koeffizient (in %) der Einkommensverteilung (Weltbank, 2018)
  • ≤ 30
  • 30–34,9
  • 35–39,9
  • 40–44,9
  • 45–49,9
  • 50–54,9
  • 55–59,9
  • 60–64,9
  • keine Daten
  • Lorenz-Kurve (rot) der realen Verteilung zur Berechnung des Gini-Koeffizienten und ideale Gleichverteilung (schwarz)

    Der Gini-Koeffizient oder auch Gini-Index ist ein statistisches Maß für die Ungleichverteilungen in einer Gruppe, das vom italienischen Statistiker Corrado Gini entwickelt wurde. Ungleichverteilungskoeffizienten lassen sich für jegliche Verteilungen berechnen. Beispielsweise gilt der Gini-Koeffizient in der Wirtschaftswissenschaft, aber auch in der Geographie als Maßstab für die Einkommens- und Vermögensverteilung einzelner Länder und somit als Hilfsmittel zur Klassifizierung von Ländern und ihrem zugehörigen Entwicklungsstand.

    Der Gini-Koeffizient wird aus der Lorenz-Kurve der kumulierten Einkommen über der geordneten Liste der Teilnehmer (Haushalte/Personen/Länder) abgeleitet. Er ist das Verhältnis von zwei Flächen:

    1. der Differenzfläche zwischen der idealen Lorenz-Kurve für vollkommen gleichmäßige Verteilung der Einkommen (einer ansteigenden Geraden) und der realen Lorenz-Kurve, sowie
    2. der gesamten Fläche unter der idealen Kurve.

    Er ist 0 für vollkommene Gleichverteilung (keine Differenzfläche) und 1 für vollkommene Ungleichverteilung, d. h. wenn nur eine Person das gesamte Einkommen hat (Alles ist Differenzfläche).

    Mit einer gleichmäßigen Verteilung ist dabei nicht die Gleichverteilung von Wahrscheinlichkeiten gemeint, die i. A. noch konkretes Auftreten unterschiedlicher Werte erlaubt, sondern dass es konkret nur einen Einkommenswert gibt, also eine Verteilung mit einer Varianz von 0. Im häufigsten Anwendungsfall, der Einkommensverteilung in einem Staat, heißt das, dass das Einkommen jedes Erwachsenen gleich hoch ist, und nicht, dass verschiedene Einkommen(-sklassen) gleich häufig sind.

    Anwendungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Ökonomie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Der Gini-Koeffizient wird insbesondere in der Wohlfahrtsökonomik verwendet, um beispielsweise das Maß der Gleichheit oder Ungleichheit der Verteilung von Vermögen oder Einkommen zu beschreiben. Der Koeffizient ist eine Alternative zum S80/S20-Einkommensquintilverhältnis, das in der EU-Statistik[1] Verwendung findet. Außerdem wird er als Konzentrationsrate bei der Messung der Unternehmenskonzentration auf einem Markt eingesetzt.

    Informationstheorie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    In der Informationstheorie wird er als Maß der „Reinheit“ oder „Unreinheit“ von Information verwendet.

    Maschinelles Lernen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Im Bereich des maschinellen Lernens gibt es ein statistisches Maß, das Gini Impurity genannt wird und mit dem Gini Index verwechselt werden kann. Gini Impurity im maschinellen Lernen wird verwendet, um die Qualität einer Trennung in Entscheidungsbäumen zu bewerten. Das Ziel dabei ist es, zu messen, wie "rein" die durch die Trennung entstandenen Teilmengen in Bezug auf die Zielvariable sind. Je niedriger das Gini Impurity Maß ist, desto reiner sind die Teilmengen.[2] Der Gini Index in der Sozioökonomie dagegen misst die Verteilung des Einkommens oder Vermögens innerhalb einer Bevölkerung. Es ist wichtig, beide Gini Indizes nicht zu verwechseln, da sie unterschiedliche Zwecke erfüllen und in unterschiedlichen Kontexten verwendet werden.

    Bankwesen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Im Bankwesen wird der Gini-Koeffizient als Maß dafür verwendet, wie gut ein Ratingsystem gute von schlechten Kunden trennen kann (Trennschärfe).[3]

    Normierung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Die Skala möglicher Werte reicht je nach Anwendungsfall von 0 bis 1, von 0 bis 100, von 0 bis 10000. Je nach Anwendungsfall steht der kleinste oder eben der größte Wert für die gleichmäßige Verteilung. Der Wert der absoluten Ungleichheit kann dabei im Allgemeinen nur asymptotisch erreicht werden. Durch Renormierung kann man dies vermeiden.

    Definition[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Allgemeiner Fall[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Für eine aufsteigend sortierte, diskret verteilte Größe (Beispiel: Haushaltseinkommen) ist die Lorenz-Kurve gegeben durch

    [4]

    Für die Position in der Einkommensverteilung gibt die Lorenz-Kurve daher den kumulierten Anteil am Gesamteinkommen an. bezeichnet das arithmetische Mittel. Bei einer Gleichverteilung entspräche die Fläche zwischen der 45-Grad-Linie und der Lorenzkurve dem Wert 0 und nimmt zu für ungleichere Verteilungen. Aus dieser Überlegung und dem Ziel, ein auf das Intervall normiertes Maß zu erhalten, ergibt sich der Gini-Ungleichheitskoeffizient als Durch geometrische Zerlegung der Fläche erhält man:[5]

    Für eine reale Verteilung kann man den Gini-Koeffizienten daher direkt folgendermaßen (unter Verwendung von ) berechnen:

    Eine alternative Formulierung, die keine Sortierung der Daten voraussetzt, basiert auf der sogenannten relativen mittleren absoluten Differenz. Die mittlere absolute Differenz bezeichnet die durchschnittliche Differenz aller vorhandenen Beobachtungspaare in einer Population. Diese wird ins Verhältnis gesetzt zum Durchschnittseinkommen. Damit der Gini-Koeffizient den gewünschten Wertebereich annimmt, wird die Differenz noch durch 2 geteilt:

    Berechnung anhand von Quantilen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Ein gewisser Teil einer Menge A wird einem Teil einer anderen Menge B zugeordnet. Dies kann z. B. Geld (A) auf Menschen (B) oder auch Stromverbrauch (A) auf Städte (B) sein. Entscheidend ist, dass A eine homogene gut aufteilbare Menge darstellt. Zum Beispiel wäre der Besitz von Kfz nicht geeignet, da Kfz weder homogen – einzelne Typen unterscheiden sich erheblich – noch in kleine Einheiten aufteilbar sind.

    Der Gini-Koeffizient ist die auf die Gleichverteilung normierte Fläche zwischen den Lorenz-Kurven einer Gleichverteilung und der beobachteten Verteilung.

    mit GUK als dem Gini-Ungleichverteilungskoeffizienten, der Fläche unter der Lorenz-Kurve einer Gleichverteilung und der Fläche unter der Lorenz-Kurve für die beobachtete Verteilung.

    Beispiel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    A wird auf B verteilt, beispielsweise wird das Vermögen (A) auf die Bevölkerung (B) verteilt.

    50 Prozent von B (b1) wird  2,5 Prozent von A zugeordnet (v1).
    40 Prozent von B (b2) wird 47,5 Prozent von A zugeordnet (v2).
     9 Prozent von B (b3) wird 27,0 Prozent von A zugeordnet (v3).
     1 Prozent von B (b4) wird 23,0 Prozent von A zugeordnet (v4).
    

    In einem ersten Schritt werden die Daten „normalisiert“ dargestellt:

    b1 = 0,50     v1 = 0,025          v1/b1 =  0,05
    b2 = 0,40     v2 = 0,475          v2/b2 =  1,188
    b3 = 0,09     v3 = 0,270          v3/b3 =  3
    b4 = 0,01     v4 = 0,230          v4/b4 = 23
    

    Im zweiten Schritt wird der Gini-Koeffizient berechnet.

    Den Gini-Ungleichverteilungskoeffizienten (GUK) erhält man durch Auswertung einer Lorenz-Kurve.

    Damit tatsächlich eine Lorenz-Kurve entsteht, müssen gegebenenfalls die obigen Werte umsortiert werden. Alle Werte-Paare müssen zunächst so vorsortiert werden, dass gilt:

    Bei dem obigen Beispiel liegt schon die richtige Sortierung vor, so dass nicht umsortiert werden muss.

    Die gesuchte Lorenz-Kurve entsteht, wenn man (xi,yi)-Paare als Punkte in ein kartesisches Koordinatensystem einträgt und anschließend benachbarte Punkte mit einer Geraden verbindet. Die -Paare entstehen aus den -Paaren nach folgender Rechenvorschrift:

    Im zweiten Schritt werden aus den Daten des ersten Schritts die nachfolgenden Daten durch Summation ermittelt (wobei am Anfang (0, 0) als fester Wert dazu kommt):

    x0 = 0,00     y0 = 0
    x1 = 0,50     y1 = 0,025
    x2 = 0,90     y2 = 0,5    (da 0,5 + 0,4 = 0,9 und 0,025 + 0,475 = 0,5 ist)
    x3 = 0,99     y3 = 0,77
    x4 = 1,00     y4 = 1
    

    Bei totaler Gleichverteilung des Vermögens ist die Lorenz-Kurve eine gerade Linie von Punkt (0|0) zu Punkt (1|1).

    Zur Bestimmung des Gini-Koeffizienten werden zuerst zwei Größen bestimmt, die graphisch betrachtet Flächen sind. Einmal die Fläche unter der Gleichverteilungslinie, nennen wir diese Größe beispielsweise A. Die zweite Fläche ist die Fläche unter der tatsächlichen Verteilungskurve, nennen wir diese Größe beispielsweise B. Mit diesen beiden Größen berechnet sich der Gini-Ungleichverteilungskoeffizient wie folgt:

    B ist die dunkelgraue Fläche; A setzt sich aus der hell- und der dunkelgrauen Fläche zusammen.

    Errechnen der y-Werte der Lorenz-Kurve der tatsächlichen Verteilung:

    y0 = 0,000
    y1 = v1 = 0,025
    y2 = v1 + v2 = 0,500
    y3 = v1 + v2 + v3 = 0,770
    y4 = v1 + v2 + v3 + v4 = 1,000
    

    Berechnung der Fläche B unter der Lorenz-Kurve der tatsächlichen Verteilung (siehe unten):

    (y1 - 0,5 · v1) · b1 = 0,00625
    (y2 - 0,5 · v2) · b2 = 0,105
    (y3 - 0,5 · v3) · b3 = 0,05715
    (y4 - 0,5 · v4) · b4 = 0,00885
    

    Die Summe daraus beträgt

    B = 0,17725
    

    Da eine normierte Darstellung verwendet wird, verbindet die Kurve der totalen Gleichverteilung die Eckpunkte (0|0) und (1|1) miteinander. Das Dreieck mit der Fläche A beträgt also 0,5. Darum gilt für den Gini-Ungleichverteilungskoeffizienten:

    [6]

    Graphisch betrachtet ist der Gini-Koeffizient das Verhältnis der Fläche zwischen Gleichverteilungslinie und Lorenzkurve (A-B) zur Fläche unterhalb der Gleichverteilungslinie (A).

    Erläuterung zur Berechnung

    Die gesamte Gini-Fläche ist ein Rechteck mit den Seiten mal . Die Gini-Fläche einer Gleichverteilung ist die Hälfte der gesamten Gini-Fläche. Zur Berechnung der Fläche unter der Kurve werden alle Einzelflächen addiert. Nehmen wir beispielsweise . Voll anzurechnen ist das Rechteck mit der Höhe und der Breite (d. h. von bis ). Von dem Rechteck, das von der Höhe bis zur Höhe geht, ist nur die Hälfte zu nehmen, da die andere Hälfte oberhalb der Ginilinie nicht zur Gini-Fläche gehört. Also ist

    oder auch

    Alternative Anschauung zur Flächenberechnung: Die Einzelfläche über ist die Differenz aus der Rechtecksfläche, die von den Punkten (x1,y0=0), (x2,y0=0), (x2,y2), (x1,y1) begrenzt wird (Inhalt: ), abzüglich der Fläche des rechtwinkligen Dreiecks, das von den Punkten (x1,y1), (x2,y1), (x1,y2) begrenzt wird (Inhalt: ), mit gleichem Ergebnis.

    Datenreduktion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Der Gini-Koeffizient ist ein statistisches Maß zur Berechnung der Ungleichheitsverteilung. Solche Maße reduzieren prinzipiell einen mehr oder minder komplexeren Datensatz auf eine einfache Kennzahl. Diese Kennzahl kann zu Fehlinterpretationen führen, wenn sie nicht sachgemäß verwendet wird.

    Abbildung 1: Verschiedene Lorenzkurven – gleicher Gini-Koeffizient

    Im Fall des Gini-Koeffizienten gibt es beispielsweise zu fast jeder Lorenzkurve mindestens eine andere Lorenzkurve mit exakt dem gleichen Gini-Wert. Diese erhält man durch Spiegelung der ursprünglichen Lorenzkurve an der Linie, die durch die Punkte (0|1) und (1|0) verläuft. Wenn auf 50 %/50 % die Mengen 10 %/90 % zu verteilen sind, ergibt dies die gleiche Lorenzkurve wie die Verteilung der Mengen von 50 %/50 % auf 90 %/10 % der Merkmalsträger. Diese beiden Lorenzkurven sind in Abbildung 1 dargestellt. Ausnahmen sind lediglich Lorenzkurven, die von vornherein symmetrisch zu dieser Linie sind.

    Für die beiden unterschiedlichen Kurven ergibt sich ein gemeinsamer Gini-Koeffizient von 0,4.[7] Tatsächlich gibt es zu einem Gini-Koeffizienten (außer bei absoluter Gleich- oder absoluter Ungleichverteilung) sogar unendlich viele mögliche Lorenzkurven. In diesem Punkt gleicht der Gini-Koeffizient jeder anderen Kennzahl, die aus der Akkumulation einer größeren Datenmenge abgeleitet ist. Ungleichverteilungskennzahlen wie der Gini-Koeffizient entstehen aus Aggregation von Daten mit dem Ziel, Komplexität zu reduzieren. Der damit einhergehende Informationsverlust ist also keine unbeabsichtigte Nebenwirkung. Für Komplexitätsreduktionen gilt generell, dass sie erst dann zu einem Nachteil werden, wenn man ihr Zustandekommen und ihre Abbildungsfunktion vergisst.

    Fehlerquelle bei Vergleichen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Aussagen, in denen Ungleichheitskoeffizienten miteinander verglichen werden, erfordern eine besonders kritische Überprüfung der Berechnung der einzelnen Koeffizienten. Für einen korrekten Vergleich ist es erforderlich, dass diese Koeffizienten in allen Fällen einheitlich berechnet wurden. Beispielsweise führt die unterschiedliche Granularität der Eingangsdaten zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der Berechnung der Ungleichverteilung. Ein mit wenigen Quantilen berechneter Gini-Koeffizient zeigt in der Regel eine etwas geringere Ungleichverteilung an als ein mit mehr Quantilen berechneter Koeffizient, weil im letzteren Fall dank höherer Messauflösung die Ungleichverteilung berücksichtigt werden kann, die innerhalb der Bereiche (d. h. zwischen den Quantilen) im ersten Fall wegen der gröberen Messauflösung unausgewertet bleibt.

    In einfachen Worten: Eine höhere Auflösung der Daten liefert (fast immer) einen höheren Gini-Koeffizienten.

    Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    1. Eurostat-Website (Memento vom 4. Dezember 2016 im Internet Archive)
    2. Was ist ein Entscheidungsbaum | IBM. Abgerufen am 1. Dezember 2023 (deutsch).
    3. Leitfadenreihe zum Kreditrisiko: Ratingmodelle und -validierung, Österreichische Nationalbank und Finanzmarktaufsicht, 2004. Archivlink (Memento vom 4. Dezember 2011 im Internet Archive)
    4. P. J. Lambert: The Distribution and Redistribution of Income. Manchester University Press 2001, S. 31ff.
    5. R. Ochmann und A. Peichl (2006): Measuring Distributional Effects of Fiscal Reforms. Finanzwissenschaftliche Diskussionsbeiträge Nr. 06-9, Finanzwissenschaftliches Forschungsinstitut an der Universität zu Köln.
    6. On-Line-Rechner: Ungleichverteilung
    7. Vergleich: www.umverteilung.de/rechner/?quantiles=50,10|50,90 (blaue Kurve) und www.umverteilung.de/rechner/?quantiles=90,50|10,50 (rote Kurve)