Haloperidol

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Strukturformel
Strukturformel von Haloperidol
Allgemeines
Freiname Haloperidol
Andere Namen
  • 4-[4-(4-Chlorphenyl)-4-hydroxypiperidino]-4-fluorbutyrophenon (IUPAC)
  • 4-[4-(4-Chlorphenyl)-4-hydroxypiperidin-1-yl]-1-(4-fluorphenyl)butan-1-on (Arzneibuch)
  • Haloperidolum (Latein)
Summenformel C21H23ClFNO2
Kurzbeschreibung

Weißes bis fast weißes Pulver[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 52-86-8
EG-Nummer 200-155-6
ECHA-InfoCard 100.000.142
PubChem 3559
ChemSpider 3438
DrugBank DB00502
Wikidata Q251347
Arzneistoffangaben
ATC-Code

N05AD01

Wirkstoffklasse
Eigenschaften
Molare Masse 375,86 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Schmelzpunkt

151,5 °C[2]

pKS-Wert

8,66[2]

Löslichkeit
Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[4]

Gefahr

H- und P-Sätze H: 301​‐​315​‐​317​‐​319​‐​335​‐​361
P: 201​‐​280​‐​301+310+330​‐​302+352​‐​305+351+338[4]
Toxikologische Daten
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Haloperidol ist ein hochpotentes Neuroleptikum aus der Gruppe der Butyrophenone und wird unter anderem zur Behandlung akuter und chronischer schizophrener Syndrome und bei akuten psychomotorischen Erregungszuständen eingesetzt.[5]

Entwicklungsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Haloperidol wurde am 11. Februar 1958 durch Bert Hermans – einem Mitarbeiter Paul Janssens in Beerse – bei der Suche nach einem neuen Opioid-Analgetikum als R1625 synthetisiert[6] und 1959 in Belgien erstmals zugelassen.[7] Haloperidol wurde in Europa schnell zum Mittel der Wahl bei Schizophrenie, in den USA wurde es erst 1988 zugelassen. Amerikanische Psychiater bevorzugten das ebenfalls hochpotente Phenothiazin-Präparat Perphenazin.[8] Haloperidol steht seit 1977 auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation.

2018 wurden jahrzehntelange Medikamentenversuche an Heimkindern, die seit den 50er Jahren an insgesamt mehreren tausend Kindern statt fanden, aufgedeckt. Hierbei wurden unter anderem auch hohe Dosen von Haloperidol eingesetzt. Angestellte nutzten dies zusätzlich zum chemischen auch zum sexuellen Missbrauch aus.[9]

Wirkungsweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Neuroleptika (auch als Antipsychotika bezeichnet) werden in ihrer Potenz oft verglichen mit Chlorpromazin, der ersten in der modernen pharmakologisch orientierten Psychiatrie eingesetzten (1954), antipsychotisch wirksamen Substanz.[10] Haloperidol hat einen in etwa 50-mal höheren antipsychotischen Effekt als Vorgängermedikamente bei verringerten vegetativen Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Mundtrockenheit und Tachykardie, und ist diesbezüglich als verträglich einzuschätzen. Diesem Vorteil stehen jedoch die für Haloperidol typischen „motorischen“ Nebenwirkungen gegenüber.

Der „höhere antipsychotische Effekt“ von Haloperidol gegenüber Chlorpromazin bezieht sich nur auf die benötigte Menge der Substanz. Die Wirksamkeit der Substanzen bei vergleichbarer Dosierung ist ähnlich.

Haloperidol blockiert unter anderem Dopamin-Rezeptoren, vor allem den Subtyp D2. Die Blockade von muskarinischen und adrenergen Rezeptoren, die gegebenenfalls unerwünschte Effekte hervorruft, ist weniger stark ausgeprägt als beim Vorgänger-Antipsychotikum.

Wie bei allen Antipsychotika sind zwei Wirkungen voneinander zu unterscheiden: eine akute und eine langfristige. Die Primärwirkung wird von Außenstehenden sowie von Patienten (im Rahmen ihrer ggf. von Krankheit beeinträchtigten Ausdrucksfähigkeit) als dämpfend und sedierend beschrieben, dieser Effekt kann also bei pathologisch relevanten Erregungszuständen durchaus gewünscht sein. Erst bei Anwendung über einige Tage bis Wochen tritt die eigentliche antipsychotische Wirkung ein. Deshalb kann die Substanz als medikamentöse Primärtherapie dazu beitragen, unerwünschte Symptome, wie sie zum Beispiel bei Schizophrenie, aber auch Manie auftreten, zu beheben.

Haloperidol kumuliert im Gehirn und anderen Organen des Körpers etwa 20-fach gegenüber dem Blut. Nach dem Absetzen einer Haloperidolmedikation sinkt dessen Gehirnkonzentration nur langsam ab.[11] Dies erklärt die klinische Beobachtung, dass manche Begleitwirkungen von Haloperidol auch nach dem Absetzen nur langsam abklingen.[11][12]

Anwendungsgebiete[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Deutschland ist Haloperidol zur Behandlung von

  • akuten und chronischen schizophrenen Syndromen,
  • organisch bedingten Psychosen,
  • akuten manischen Syndromen und
  • akuten psychomotorischen Erregungszuständen zugelassen.[5] Dies beinhaltete (und in einigen Ländern, vor allem USA, wie aus diversen Medizinischen Serien bekannt immer noch) gewalttätige Übergriffe von Patienten. Diese Monotherapie ist in Deutschland inzwischen aber kontraindiziert aufgrund der Nebenwirkungen und besserer Alternativen (bzw. Kombinationen).[13] Von Kriminellen wird Haloperidol deshalb auch als K.-o.-Tropfen eingesetzt.[14][15]

Dabei wird Haloperidol meist zur Unterdrückung von Krankheitszeichen wie z. B. Wahn, Halluzinationen oder Denk- und Bewusstseinsstörungen sowie zur Vorbeugung gegen Rückfälle eingesetzt.

Weiterhin kann Haloperidol nach Ausschöpfen aller anderen Behandlungsmöglichkeiten auch zur Behandlung von Tic-Erkrankungen (wie z. B. Gilles-de-la-Tourette-Syndrom) genutzt werden.[16] In der Schweiz ist Haloperidol zusätzlich zur Behandlung von

  • zerebralsklerotisch bedingter Unruhe,
  • Oligophrenie mit gesteigerter Erregbarkeit,
  • Erregungszuständen beim Alkoholentzugssyndrom,
  • Übelkeit und Erbrechen verschiedener Ursache (falls die üblichen Medikamente gegen Übelkeit und Erbrechen ungenügend wirksam sind) sowie
  • als Begleitmedikation zur Schmerzlinderung bei verschiedenen schweren chronischen Schmerzzuständen

zugelassen.[17]

Haloperidol wirkt wie andere Neuroleptika vom Phenothiazintyp auch gegen Übelkeit und Erbrechen, insbesondere wenn psychische Komponenten bei der Entstehung der Beschwerden eine Rolle spielen.[18]

Restriktionen seit 2017[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Anwendung wurde Dezember 2017 für Kinder und alte Menschen und für einige Anwendungsbereiche eingeschränkt. Anlass war eine EU-weite Harmonisierung von Haloperidol-haltigen Arzneimitteln. Aufgrund eines negativ bewerteten Nutzen-Risiko-Verhältnisses oder einer unzureichenden Datenlage wurden drei Indikationen gestrichen beziehungsweise eingeschränkt. Kinder unter 10 Jahren sollten nicht mehr mit Haloperidol behandelt werden. Die maximale Dosis für Erwachsene beträgt täglich 10 bis 20 mg, unabhängig von der Indikation, für ältere Patienten 5 mg, für Kinder 3 bis 5 mg täglich. Vorher wurden teilweise deutlich höhere Dosen verordnet. Eine Depotanwendung ist nur noch zugelassen, wenn zuvor die Patienten stabil auf orales Haloperidol eingestellt wurden.[19]

Nebenwirkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Während die vegetativen Nebenwirkungen eher in den Hintergrund treten, liegen die Hauptnebenwirkungen von Haloperidol in einer Beeinflussung der extrapyramidalen Motorik. Diese Symptomatik, die an Morbus Parkinson erinnert, wird Parkinsonoid genannt und ist nach derzeitigem Beobachtungsstand nach Beendigung der Substanzgabe größtenteils reversibel und zudem dosisabhängig. Sichtbare Symptome sind abnorme Bewegungen im Kopf- und Halsbereich sowie Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlucken. Während der Verabreichung werden derartige Nebenwirkungen häufig durch Komedikation mit dem Antiparkinsonmittel Biperiden behandelt. Eine vollständige Rückbildung der Nebenwirkungen ist nicht in jedem Fall zu erwarten.

Haloperidol kann die Erlebnisfähigkeit und Emotionalität stark einschränken und dadurch zu einer „seelischen Verflachung“ führen. Hierin ist vermutlich die häufig vorzufindende mangelnde Compliance begründet. Es wird diskutiert, dass Haloperidol deshalb nicht z. B. bei Schizophrenie dauerprophylaktisch, sondern nur akut bis zum Abklingen der Symptome gegeben werden sollte; daran anschließend ist eine Dauerbehandlung mit atypischen, moderneren Neuroleptika anzustreben.

Wechselwirkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Haloperidol zur Injektion

Haloperidol kann in seiner Wirkung durch andere Arzneimittel wie etwa Phenytoin abgeschwächt werden sowie die Wirkung anderer Medikamente vermindern (Bromocriptin, Levodopa, Phenylephrin) oder erwünschte oder unerwünschte Wirkungen verstärken (zentralnervöse Effekte von Methyldopa, atemdepressive Wirkung von bestimmten Antibiotika).[20]

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Teilweise ist Haloperidol als „Betonspritze“ zur Ruhigstellung von Patienten in der Psychiatrie und im Strafvollzug bezeichnet worden. Dieser Begriff bezieht sich auf die typischen motorischen Einschränkungen (Gehweise) unter Haloperidol-Medikation. Die Verabreichung von Haloperidol gegen den Patientenwillen wurde von der Initiative Nachrichtenaufklärung als eine der vernachlässigten Nachrichten 2016 beschrieben.[21]

Darreichungsformen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Haloperidol liegt in verschiedenen Darreichungsformen zur oralen Einnahme (Tabletten und Tropfen) sowie als Injektionslösung zur intramuskulären Injektion, hier auch als Depotform, vor. Die intravenöse Gabe wird aufgrund möglicher kardialer Nebenwirkungen nicht mehr empfohlen.[22]

Synthese[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Haloperidol Synthese

Die Synthese von Haloperidol ist in der Literatur beschrieben.[23] Sie kann in einem mehrstufigen Prozess ausgehend von 1-Chlor-4-(prop-1-en-2-yl)benzol und 4-Chlorbutansäurechlorid erfolgen.

Handelsnamen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Monopräparate: Haldol (D, A, CH), Serenase (Italien), diverse Generika (D)

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Haloperidol – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Europäische Arzneibuch-Kommission (Hrsg.): EUROPÄISCHE PHARMAKOPÖE 5. AUSGABE. Band 5.0–5.8, 2006.
  2. a b c d Eintrag zu Haloperidol in der ChemIDplus-Datenbank der United States National Library of Medicine (NLM) (Seite nicht mehr abrufbar)
  3. K. Takács-Novák, M. Urac, P. Horváth, G. Völgyi, B. D. Anderson, A. Avdeef: Equilibrium solubility measurement of compounds with low dissolution rate by Higuchi's Facilitated Dissolution Method. A validation study. In: Eur. J. Pharm. Sci. 106, 2017, S. 133–144, doi:10.1016/j.ejps.2017.05.064.
  4. a b Datenblatt Haloperidol bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 4. November 2021 (PDF).
  5. a b c Haldol-Janssen, Lösung: Haloperidol. (Memento vom 19. Mai 2016 im Internet Archive) abgerufen am 13. Januar 2016.
  6. B. Granger: The discovery of haloperidol. In: Encephale. 25(1), Jan-Feb 1999, S. 59–66. PMID 10205735. (Artikel auf Französisch, engl. Abstract).
  7. B. Granger, S. Albu: The haloperidol story. In: Ann Clin Psychiatry. 17, 2005, S. 137–140. PMID 16433054.
  8. ePsy.de: Haloperidol
  9. deutschlandfunkkultur.de: Medikamentenversuche an Heimkindern - "Das war die Hölle". Abgerufen am 15. Oktober 2023.
  10. Bangen, Hans: Geschichte der medikamentösen Therapie der Schizophrenie. Berlin 1992, ISBN 3-927408-82-4 Chlorpromazin als psychotrope Substanz S. 81–84
  11. a b J. Kornhuber, A. Schultz, J. Wiltfang, I. Meineke, C. H. Gleiter, R. Zöchling, K. W. Boissl, F. Leblhuber, P. Riederer: Persistence of haloperidol in human brain tissue. In: Am.J.Psychiatry. 156, 1999, S. 885–890. PMID 10360127
  12. J. Kornhuber, J. Wiltfang, P. Riederer, S. Bleich: Neuroleptic drugs in the human brain: clinical impact of persistence and region-specific distribution. In: Eur.Arch.Psychiatry Clin.Neurosci. 256, 2006, S. 274–280. PMID 16788768.
  13. Sophie Hirsch, Tilman Steinert: The Use of Rapid Tranquilization in Aggressive Behavior. In: Deutsches Ärzteblatt international. 28. Juni 2019, doi:10.3238/arztebl.2019.0445, PMID 31431244, PMC 6712906 (freier Volltext).
  14. drogenkult.net
  15. Wirtshäuser: Halbscharige Typen. In: Der Spiegel. Nr. 6, 1985, S. 205–206 (online).
  16. C. M. Eddy, H. E. Rickards, A. E. Cavanna: Treatment strategies for tics in Tourette syndrome. In: Therapeutic advances in neurological disorders. Band 4, Nummer 1, Januar 2011, S. 25–45, doi:10.1177/1756285610390261. PMID 21339906, PMC 3036957 (freier Volltext).
  17. Janssen-Cilag: Haldol. Fachinformation des Arzneimittel-Kompendium der Schweiz. Stand Mai 2008.
  18. Eberhard Aulbert, Wiebke Nehls: Palliativ internistisch-onkologische Tumortherapie. In: Eberhard Aulbert, Friedemann Nauck, Lukas Radbruch (Hrsg.): Lehrbuch der Palliativmedizin. Mit einem Geleitwort von Heinz Pichlmaier. 3., aktualisierte Auflage. Schattauer, Stuttgart 2012, ISBN 978-3-7945-2666-6, S. 633–663, hier: S. 654.
  19. Haloperidol: Weniger Indikationen zugelassen – Nachrichten aus Apotheke Adhoc
  20. Tilman Wetterling: Psychiatrische Notfälle. In: Jörg Braun, Roland Preuss (Hrsg.): Klinikleitfaden Intensivmedizin. 9. Auflage. Elsevier, München 2016, ISBN 978-3-437-23763-8, S. 357–369, hier: S. 365 f. (Haloperidol).
  21. 2016: Top 8 - „Betonspritzen“ in der Psychiatrie. In: Initiative Nachrichtenaufklärung. Abgerufen am 29. September 2019.
  22. Drug Safety Mail 2010-098 vom 5.5.2010. In: www.akdae.de. 5. Mai 2010, abgerufen am 30. März 2016.
  23. Axel Kleemann: Pharmaceutical Substances. 5th ed. Thieme, Stuttgart / New York, NY 2009, ISBN 978-3-13-558405-8.