Hellmut Becker

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Hellmut Becker (li.) bei einem Forumsgespräch in Kiel (1964)

Hellmut Becker (geboren 17. Mai 1913 in Hamburg; gestorben 16. Dezember 1993 in Berlin) war ein deutscher Jurist, Rechtsanwalt, Bildungsforscher und Bildungspolitiker.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hellmut Becker war ein Sohn des preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker und dessen Frau Hedwig Schmid. Er besuchte die Internatsschule Schloss Salem/Bodensee, bevor er 1931 am Arndt-Gymnasium in Berlin-Dahlem das Abitur ablegte. Anschließend studierte Becker Jura an den Universitäten in Freiburg, Berlin und Kiel. Die juristische Ausbildung beendete er 1943 mit dem Zweiten juristischen Staatsexamen. Becker folgte 1937 als Assistent dem nationalsozialistischen Staatsrechtler Ernst Rudolf Huber von Kiel an die Universität Leipzig. Nach seiner schweren Verwundung im Russlandfeldzug im Herbst 1941 als Angehöriger des Gebirgs-Jäger-Regiments 99 der 1. Gebirgs-Division vor Rostow ging er zu Huber an die im besetzten Elsass neu gegründete Reichsuniversität Straßburg. Dort teilte er ein Haus mit Carl Friedrich von Weizsäcker, den er über Georg Picht kennengelernt hatte.[1] Das Ehepaar Huber pflegte einen elitären Gesprächskreis, in den Becker aufgenommen wurde.[2]

Becker heiratete die Sekretärin Hubers, Antoinette Mathis, „Toto“, eine französisch-deutsche Grundschullehrerin, später Kinder- und Jugendbuchautorin. Aus der Ehe gingen sechs Kinder hervor, darunter der Berliner Rechtsanwalt Nicolas Becker, der Psychoanalytiker Stephan Becker, der Sozialpsychologe David Becker und die Sexualwissenschaftlerin Sophinette Becker.[3]

Becker beantragte am 23. Mai 1937 die Aufnahme in die NSDAP und wurde rückwirkend zum 1. Mai desselben Jahres aufgenommen (Mitgliedsnummer 4.455.499),[4][5] „ein Sachverhalt, den er nach Kriegsende offenbar selbst engsten Familienangehörigen verschwieg“.[6] Außerdem war er ein Anhänger der Dichtung Stefan Georges und stand mit Mitgliedern des George-Kreises in Kontakt, vor allem mit Robert Boehringer.

Nach Kriegsende arbeitete Becker als Anwalt. Er unterstützte Huber bei seiner Entnazifizierung und verteidigte 1947 den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Ernst von Weizsäcker im Wilhelmstraßen-Prozess. Weizsäcker wurde als Kriegsverbrecher verurteilt, weil er an den Judendeportationen aus Frankreich mitgewirkt hatte, als Adlatus der Verteidigung wirkte Richard von Weizsäcker mit. Nach dem Einsatzgruppen-Prozess setzte sich Becker für zwei der dort zum Tode verurteilten Massenmörder ein. Martin Sandberger vertrat er – auf Wunsch von Carl Friedrich von Weizsäcker und Carlo Schmid – in einem Revisionsverfahren. Sandberger wurde schließlich 1958 entlassen. Becker war in Zusammenarbeit mit Warren Magee als Anwalt für Otto Ohlendorf tätig, nachdem dieser zum Tode verurteilt worden war, und kümmerte sich um sein Gnadengesuch. Becker sah den Hingerichteten zwar als „Massenmörder“, aber auch als „echten Intellektuellen“.[7] Becker war Teilnehmer am Heidelberger Juristenkreis, dessen Ziel es war, die Verbindungen unter den Verteidigern der Nürnberger Prozesse für eine Revision der Urteile nutzbar zu machen.[8]

Nach 1945 wurde Beckers enger Freund Georg Picht Schulleiter des Birklehofes, Becker ging in den Schulvorstand zusammen mit Carlo Schmid, Kurt Hahn und Carl Friedrich von Weizsäcker. Auf diesem Weg wurde er ein juristischer Berater der privaten Internate. Nach einer Zwischenstation am Frankfurter Institut für Sozialforschung wurde Becker 1956 ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Volkshochschul-Verbandes (DVV) bis 1974 und danach Vorsitzender des Kuratoriums der Pädagogischen Arbeitsstelle des DVV und sorgte dafür, dass die Erwachsenenbildung und das lebenslange Lernen bei der Bildungsreform mit in den Blick rückten. 1963 war er Mitbegründer des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin und dessen erster Direktor. Laut Karl Ulrich Mayer war er ein „unkonventionelles Mitglied“ der Max-Planck-Gesellschaft, da er weder promoviert noch habilitiert war. Außerdem war er bei seiner Berufung kein Hochschullehrer. Als Direktor des MPI für Bildungsforschung war er von 1966 bis 1975 auch Mitglied im Deutschen Bildungsrat. Becker war zwischen 1966 und 1972 wiederholt Diskussionsleiter bei den Bergedorfer Gesprächen der Körber-Stiftung, in denen die bundesdeutsche Bildungsreform vorangetrieben wurde. Weitere Gremien, denen Becker angehörte, waren der Beirat des Instituts für Zeitgeschichte in München, der Kulturbeirat des Auswärtigen Amtes und der Ettlinger Kreis. Mit Hildegard Hamm-Brücher, die er zwecks Aufbaus der Gesamtschule ins hessische Kultusministerium vermittelt hatte, initiierte er 1964 den Theodor-Heuss-Preis und steuerte mit ihr die Preisvergabe.[1] Becker gehörte 1961 zu den Unterzeichnern des Tübinger Memorandums gegen eine atomare Aufrüstung Deutschlands. Von 1959 bis 1969 war er Mitglied des Beirats der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Ironisch wurde er als der „heimliche Kultusminister“[9] der Bundesrepublik bezeichnet, weil er im Zusammenwirken mit einer protestantischen Kulturelite (z. B. Picht, Weizsäcker) besonders die Bildungs- und Kulturpolitik beeinflusste.

Becker begleitete 1985 als politischer Berater Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei dessen Staatsbesuch in Israel.[10]

Nachleben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Grab von Hellmut Becker auf dem Waldfriedhof Dahlem in Berlin

Die frühere Vereinigung Deutscher Landerziehungsheime (LEH) vergab bis 2009 einen Hellmut-Becker-Preis.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete am 9. August 2011, dass der Schulleiter der Odenwaldschule Gerold Becker unter dem persönlichen Schutz von Hellmut Becker stand. Hellmut Becker habe von den pädophilen Neigungen seines Schützlings gewusst und ihm dennoch zum Schulleiterposten verholfen.[11] In der Zeit vom 18. August 2011 wird von Robert Leicht dazu ausgeführt, dass Hellmut Becker den nicht mit ihm verwandten Gerold Becker zum Schulleiter gemacht habe, obwohl er wusste, dass dieser sich an seinem Patensohn vergangen hatte.[12]

Im Jahr 2013 erinnerte eine Ausstellung im Max-Planck-Institut für Bildungsforschung an den 100. Geburtstag von Becker, im Oktober 2014 erschien online eine Dokumentation der Ausstellung.[13]

Schriften (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • (zus. mit Alexander Kluge): Kulturpolitik und Ausgabenkontrolle: Zur Theorie und Praxis der Rechnungsprüfung. Klostermann, Frankfurt a. M. 1961.
  • Quantität und Qualität. Grundfragen der Bildungspolitik, Rombach, Freiburg im Breisgau 1968.
  • Gerd Kadelbach (Hrsg.): Theodor W. Adorno. Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959–1969. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1971, ISBN 3-518-36511-8.
  • Aufklärung als Beruf. Gespräche über Bildung und Politik. Hrsg. von Frithjof Hager. R. Piper, München 1992, ISBN 3-492-11487-3.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gerold Becker (Hrsg.): Lust und Last der Aufklärung. Ein Buch zum 80. Geburtstag von Hellmut Becker, Beltz, Weinheim 1993, ISBN 3-407-83130-7.
  • Bildungsforschung und Bildungspolitik. Reden zum 80. Geburtstag von Hellmut Becker, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin 1994, ISBN 3-87985-034-8.
  • Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, Karl Blessing Verlag, München 2010, ISBN 3-89667-430-7, ISBN 978-3-89667-430-2.
  • Karl Ulrich Mayer: Hellmut Becker, 17. Mai 1913 bis 16. Dezember 1993. In: Max-Planck-Gesellschaft: Berichte und Mitteilungen 2/94 – Jahresbericht und Jahresrechnung 1993, Nachrufe.
  • Ulf Morgenstern: „Bildungsbecker“ und „Liberaler Feuerkopf“. Hellmut Becker (1913–1993). In: ders., Kristina Michaelis (Hrsg.): Kaufleute, Kosmopoliten, Kunstmäzene. Die Gelnhäuser Großbürgerfamilien Becker und Schöffer. Am Goldenen Fuss, Hamburg 2013, S. 106–113.
  • Ulrich Raulff: Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben, C. H. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-59225-6.
  • Kerstin Singer, Ute Frevert: 100 Jahre Hellmut Becker (1913–2013) – Dokumentation der Ausstellung zu Leben und Werk im Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Online-Publikation, Oktober 2014, doi:10.14280/08241.29 online, PDF.
  • Philipp Glahé: The Heidelberg Circle of Jurists and its Struggle against Allied Jurisdiction: Amnesty-Lobbyism and Impunity-Demands for National Socialist War Criminals (1949–1955). In: Journal of the History of International Law, Band 21 (2019), S. 1–44, [1] ISSN 1388-199X

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Hellmut Becker (politician) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Heike Schmoll: Eine deutsche Bildungskatastrophe. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. Juli 2013, S. 7.
  2. Hermann Wieland: Hellmut Becker (1913–1993) – Eine prägende Lebensstation in Kressbronn a. B. In: Gemeinde Kressbronn am Bodensee (Hrsg.): Kressbronner Jahrbuch. Band 34, 2021, S. 84 ff.
  3. Vgl. Ulrich Raulff: Kreis ohne Meister. 2009, S. 474.
  4. Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/2011061
  5. Ulrich Raulff: Kreis ohne Meister. 2009, S. 383, S. 403 ff., S. 471 f.
  6. Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. München 2010, S. 405 f.
  7. Ulrich Raulff: Kreis ohne Meister, 2009, S. 404 f.
  8. Ulrich Raulff: Kreis ohne Meister, 2009, S. 391.
  9. Klaus Heuer, Lisa Steffny (Bearbeiter): Teilnachlass Hellmut Becker. (pdf, 1,1 MB) Deutsches Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V., 23. August 2017, S. 2, abgerufen am 23. Februar 2019.
  10. Norbert Frei: Im Namen der Deutschen. Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit 1949–1994. München : Beck, 2023, S. 292f.
  11. Melanie Mühl: Im Fernsehen: Odenwaldschule: Sie hatten die Macht, Kinder zu zerstören. In: FAZ.net. 9. August 2011, abgerufen am 2. November 2019.
  12. Robert Leicht: Odenwaldschule: Geschlossene Gesellschaft. In: Zeit Online. 18. August 2011, abgerufen am 2. November 2019.
  13. Siehe Kerstin Singer, Ute Frevert: 100 Jahre Helmut Becker (1913 bis 2013) – Dokumentation der Ausstellung zu Leben und Werk im Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. (pdf, 11,3 MB) Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, 9. Oktober 2014, abgerufen am 19. August 2022.