Helmut Böttiger (Autor, 1956)

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Helmut Böttiger auf der Leipziger Buchmesse 2013

Helmut Böttiger (* 8. September 1956 in Creglingen) ist ein deutscher Schriftsteller, Literaturkritiker und Essayist.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Helmut Böttiger studierte nach dem Abitur am Gymnasium Weikersheim Germanistik und Geschichte in Freiburg. Er beendete sein Studium mit einer Dissertation über Fritz Rudolf Fries und die DDR-Literatur. Nach verschiedenen Stationen als Kulturredakteur, unter anderem als verantwortlicher Literaturredakteur der Frankfurter Rundschau, lebt er seit 2002 als freier Autor in Berlin.

1993 erschien Böttigers Buch Kein Mann, kein Schuss, kein Tor. Das Drama des deutschen Fußballs, das den Beginn einer ganzen Strömung feuilletonistischer Bücher über den Fußball markierte. „Helmut Böttiger hat im letzten Dämmerlicht eine bemerkenswerte Ästhetik des deutschen Fußballs geschrieben“, vermerkte Dirk Schümer:[1] „Böttiger glänzt durch seine ungemein kundigen Rück- und Seitenblicke, die dem Fußball ganz selbstverständlich eine ästhetisch-politische Bedeutung zugestehen.“ Der Titel Kein Mann, kein Schuss, kein Tor verweist auf den Zustand des deutschen Fußballs, den Böttiger sehr beklagt, man würde zu sehr auf die altbackenen „deutschen Tugenden“ setzen – tatsächlich bildeten danach die Weltmeisterschaften 1994 und 1998 sowie vor allem die Europameisterschaft 2000 einen Tiefpunkt in der deutschen Fußballgeschichte. Einige zeitgenössische Rezensenten warfen dem Autor aber gleich „Kulturpessimismus“ und „Schwarzseherei“ vor.[2] Es entwickelte sich in der Folge ein Disput über den „Fußballfeuilletonismus“, der in den ersten Reaktionen auf Böttigers Buch gefeiert wurde, aber auch auf Kritik von anderen Publizisten stieß.[3]

Böttigers Buch Orte Paul Celans von 1996 ist mit keiner Gattungsbezeichnung versehen und bewegt sich assoziativ zwischen poetischem Essay, Reportage und Interpretation. Der Autor sucht die Orte auf, an denen der Lyriker Paul Celan gewohnt hat: Czernowitz, Bukarest, Wien und Paris. Andreas Breitenstein schrieb : „Der Verfasser beherrscht jene Art von Belehrung, die man sich gern gefallen lässt: gesättigt mit Anschauung, durchtränkt mit Reflexion, getragen von sprachlicher Eleganz und erzählerischem Witz. In bester essayistischer Manier umkreist Böttiger seinen Gegenstand, ohne ihn zu erdrücken.“[4] Herta Müller veröffentlichte dazu einen Essay in der Zeit: „Meine eigenen rumäniendeutschen und rumänischen Hintergründe tangieren diese Orte. Daher hat die Reise dieses Buches von der ersten Seite an sie wieder aufgewühlt.“[5] 2006 veröffentlichte Böttiger ein weiteres Buch über Paul Celan (Wie man Gedichte und Landschaften liest), das vom Verhältnis Celans zur Landschaft der Bretagne ausgeht.

In Ostzeit-Westzeit. Aufbrüche einer neuen Kultur von 1996 verarbeitete Böttiger seine Erfahrungen als Kulturkorrespondent der Frankfurter Rundschau in Berlin. 2004 folgte mit Nach den Utopien ein Überblick über die deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Böttiger bezieht sich hier auf die Jahre zwischen 1989 und 2004: auf die Schriftsteller, die in diesem Zeitraum zum ersten Mal auf sich aufmerksam machten oder deren wichtigste Werke in diesen Zeitraum fallen. Manche Rezensenten bemängelten die Subjektivität der Auswahl, die Autoren wie Wolfgang Hilbig, Marcel Beyer, Ulrich Peltzer, Thomas Lehr, Kathrin Schmidt, Thomas Meinecke, Reinhard Jirgl, Markus Werner oder Wilhelm Genazino in den Vordergrund stellte. Hannelore Schlaffer etwa vermisste Namen wie Oskar Pastior, Heiner Müller oder den bereits 1979 gestorbenen Arno Schmidt. Sie bemerkte: „Das Dilemma Böttigers ist es, dass er in der Gegenwartsliteratur Robert Walsers unerbittliche Träumer sucht und nur lauter Kleinbürger findet. Statt auf einen Fremdling stößt er auf larmoyante Außenseiter, auf Hilbigs ‚Heizer‘ etwa oder auf Reinhard Jirgls ehemaligen Elektroingenieur.“[6]

Böttiger kuratierte auch zwei große Literaturausstellungen: Elefantenrunden. Walter Höllerer und die Erfindung des Literaturbetriebs (2005) sowie 2009 Doppelleben. Literarische Szenen aus Nachkriegsdeutschland. Diese wurde im Auftrag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in verschiedenen Literaturhäusern gezeigt. Unter anderem in den Literaturhäusern Berlin und Frankfurt.[7] Der Ausstellungskatalog galt bald als maßgebende Studie über die Literatur der frühen Nachkriegszeit. Der Literaturkritiker Martin Lüdke meinte, die Bücher seien „ein Kompaktkurs gesamtdeutscher Literaturgeschichte der Jahre zwischen 1945–1955“ und Tilman Krause schrieb: „Für das große deutsche Gedächtnisjahr 2009 dürfte hier, in literaturgeschichtlicher Hinsicht, die wichtigste Tat vollbracht sein.“[8] Jens Bisky bemerkte später: „Der zweibändige Katalog ist – und wird es wohl noch einige Jahre bleiben – das Standardwerk zum Thema“.[9]

2012 veröffentlichte Böttiger mit Die Gruppe 47. Als die deutsche Literatur Geschichte schrieb eine Analyse der Geschichte der Gruppe 47. Böttiger versucht hier, die Geschichte der einflussreichen Schriftstellergruppe, die das literarische Leben in der Frühzeit der Bundesrepublik dominierte, gegen den Strich zu lesen und stellt einige sicher geglaubte Thesen in Frage: etwa über die Dominanz eines „Kahlschlag“-Stils, die Rolle deutscher Kriegsheimkehrer oder den Auftritt Paul Celans. Das Buch erhielt 2013 den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch/Essayistik. Jochen Hieber erklärte: „Es ist klar und verständlich, es erzählt mit Schwung, aber auch mit Sorgfalt und einem untrüglichen Sinn für Gerechtigkeit.“[10] Das Buch wurde auf SWR2 am 26. November 2012 zum Buch der Woche gewählt.[11]

Böttiger ist als Literaturkritiker hauptsächlich für das Deutschlandradio, die Süddeutsche Zeitung und Die Zeit tätig. Er hielt unter anderem die Laudationes für Wilhelm Genazino (2004) und Reinhard Jirgl (2010) zum Büchner-Preis. 2013 war Helmut Böttiger Jurysprecher des Deutschen Buchpreises. Er ist berufenes Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur[12] und betreute 2017 und 2018 als Jurymitglied die Auszeichnung „Fußballbuch des Jahres“ beim Deutschen Fußball-Kulturpreis.[13]

Veröffentlichungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zur Begründung der Verleihung des Alfred-Kerr-Preises an Böttiger schrieb die Jury: „Böttiger als Kritiker des eigenen Betriebs schließlich hat Herz genug, seinen Blick auf Narzissmus, Amtsmissbrauch und andere Eigenarten dieses besonderen Berufszweigs zu richten – zur Reflexion der Bedingungen, unter denen Literaturkritik entsteht.“[14]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Helmut Böttiger – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. FAZ vom 11. Juni 1994.
  2. Christoph Biermann in der taz, 10. Dezember 1993.
  3. z. B. von Norbert Seitz in: Die Zeit vom 6. Juli 2006: „Schriftsteller, Feuilletonisten und Fußball-Philosophen übertreffen sich derzeit gegenseitig beim Versuch, den früheren Proletensport als wahres Ästhetikum wahrzunehmen. Was uns dabei gerade noch fehlte, ist die Suche nach den poetischen Elementen, aus denen sich das Schauspiel Fußball zusammensetzt.“
  4. Neue Zürcher Zeitung@1@2Vorlage:Toter Link/zeitungsarchiv.nzz.ch (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2018. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis., 26. Oktober 1996.
  5. Die Zeit vom 6. Dezember 1996.
  6. FAZ vom 30. November 2004.
  7. Online-Katalog der Ausstellung Doppelleben. Literarische Szenen aus Nachkriegsdeutschland.
  8. Fränkische Nachrichten vom 23. September 2009.
  9. Süddeutsche Zeitung vom 16. März 2013.
  10. Jochen Hieber in Die Zeit vom 7. Dezember 2012.
  11. Kritik von Andreas Puff-Trojan auf swr.de.
  12. https://www.fussball-kultur.org/adresse/address/helmut-boettiger
  13. https://www.fussball-kultur.org/fussball-kulturpreis/archiv/2018/fussballbuch/jury/?L=700
  14. Alfred-Kerr-Preis an Helmut Böttiger bei boersenblatt.net, 9. Februar 2012