Helmuth Groscurth

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Helmuth Groscurth 1941 als Oberstleutnant

Helmuth Groscurth (* 16. Dezember 1898 in Lüdenscheid; † 7. April 1943 in sowjetischer Gefangenschaft) war ein Offizier der Wehrmacht, u. a. im Amt Ausland/Abwehr und aktiver Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus.

Biografie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Helmuth Groscurth war ein Sohn von Reinhard Groscurth (1866–1949), der seit 1902 Pastor prim. an der Kirche Unserer lieben Frauen in Bremen war. Groscurth wuchs in Bremen auf.

Groscurth meldete sich 1916 als Kriegsfreiwilliger. Als Fahnenjunker im Infanterie-Regiment 75 nahm er ab 1916 am Ersten Weltkrieg teil. 1917 geriet er schwer verwundet in britische Gefangenschaft; dort wurde er zum Leutnant befördert.[1] Nach dem Krieg nach Deutschland zurückgekehrt, wurde er in das Schützen-Regiment 18 der Reichswehr übernommen.[1]

1920 verließ er die Reichswehr, studierte Landwirtschaft und war als Landwirt in Grumsdorf in Pommern und Rethewischhof bei Bad Oldesloe tätig.[1]

1924 trat er erneut in die Reichswehr ein und wurde Hauptmann im Infanterie-Regiment 6. Ab 1929 war er dort Adjutant von Erwin von Witzleben. Von 1933 bis 1935 nahm er am Generalstabslehrgang an der Kriegsakademie in Berlin teil. Von 1935 bis 1938 war er[2] im Amt Ausland-Abwehr beim Oberkommando der Wehrmacht eingesetzt, ab August 1937 als Major. 1939 war er kurzzeitig Kompaniechef im Infanterie-Regiment 49 (Breslau).[2] Im gleichen Jahr wurde er als Chef der Abteilung z.b.V. im Oberkommando des Heeres zum Verbindungsoffizier zwischen der Abwehr und der Führung des Heeres.[3] 1939/40 war er Chef der Abteilung Heerwesen im Allgemeinen Heeresamt. Zum Oberstleutnant i. G. beförderte man ihn am 1. Oktober 1939. Im Frühjahr 1940 nahm er als Kommandeur eines Infanterie-Bataillons am Westfeldzug teil. 1940 und bis November 1941 war er Erster Generalstabsoffizier der 295. Infanterie-Division.

Im Juli 1941 unterband er die Fortsetzung eines Pogroms in Solotschiw, wo Ukrainer und Soldaten der SS-Division „Wiking“ 900 „Juden und Russen einschließlich Frauen und Kinder“ ermordeten.[4] Im August 1941 berichtete er dem Chef des Generalstabes der Heeresgruppe Süd, General von Sodenstern, über die Vorgänge in Bjelaja Zerkow.[5] Dabei gelang es Groscurth zunächst, die Ermordung von 90 Waisenkindern durch die Einsatzgruppe C aufzuhalten, indem er bei Generalfeldmarschall Walter von Reichenau unter Umgehung des Dienstweges Protest gegen die geplante Form der Ermordung einlegte. Obwohl er damit seinen Vorgesetzten ein Eingreifen ermöglichte, erklärte sich die Heeresgruppe Süd für nicht zuständig, während Reichenau die Ermordung gar billigte. Bei der Besprechung am 21. August 1941 in der Feldkommandantur in Bjelaja Zerkow stand Groscurth einer geschlossenen Ablehnung von Wehrmachts- und SS-Offizieren gegenüber, die wie Feldkommandant Riedl „die Ausrottung der jüdischen Frauen und Kinder für dringend erforderlich“ hielten. Der SS-Standartenführer und Führer des SS-Sonderkommandos 4a Paul Blobel drohte gar: „Kommandeure, die die Maßnahmen aufhielten, [sollten] selbst das Kommando dieser [Exekutions-]Truppe übernehmen“. Groscurth wurde daraufhin gemaßregelt.[6]

Seine Argumentation gegenüber seinen Vorgesetzten gegen geplante Massenmorde war für Wehrmachtsoffiziere einzigartig. Er argumentierte: „In vorliegendem Falle sind aber Maßnahmen gegen Frauen und Kinder ergriffen, die sich in nichts unterscheiden von Greueln des Gegners, die fortlaufend der Truppe bekannt gegeben werden.“ Zur Tarnung seines Vorgehens in dieser Sache setzte er die Erschießungen durch SS-Einsatzkommandos gleich mit Massenerschießungen der sowjetischen Geheimpolizei NKWD in Lemberg.[4] Denn die erfolgte Maßregelung in ähnlichen vorangegangenen Situationen ließen ihn etwas vorsichtiger agieren. Dennoch war Groscurths Eingreifen im Juli und August 1941 der einzige dokumentierte Fall, in dem ein höherer Wehrmachtsoffizier Massenmorde an der Ostfront aufzuhalten suchte.[4]

Ab dem 18. Februar 1942 war er Chef des Generalstabs des XI. Armeekorps der 6. Armee. Am 1. März 1942 erfolgte die Beförderung zum Oberst. Am 20. November 1942, während der Schlacht von Stalingrad, zeichnete man ihn mit dem Deutschen Kreuz in Gold aus. Am 2. Februar 1943 kam Groscurth in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Laut der Karteikarte der sowjetischen Gefangenenverwaltung starb er am 7. April 1943 im Durchgangslager Frolowo an Flecktyphus.[7]

Nach dem Krieg wurden mit seinem Tagebuch Einzelheiten der Septemberverschwörung bekannt. Mit Hasso von Etzdorf und Erich Kordt verfasste Groscurth im Oktober 1939 die geheime Denkschrift „Das drohende Unheil“, eine Aufforderung an die militärische Führung, „Hitler ‚rechtzeitig‘ zu stürzen, da die üblichen ‚Argumente, Proteste oder Rücktrittserklärungen der militärischen Führung allein […] erfahrungsgemäß weder ein Einlenken noch Nachgeben [Hitlers, G.U.] bewirken‘ würden […]“.[8]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Helmuth Groscurth: Tagebücher eines Abwehroffiziers 1938–1940. Mit weiteren Dokumenten zur Militäropposition gegen Hitler. Hrsg. von Helmut Krausnick und Harold C. Deutsch (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte. Band 19). Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1970.
  • Helmuth Groscurth [Jr.]: Christ, Patriot, Soldat. Aus Herkunft und Leben eines deutschen Offiziers. In: Militärgeschichte. Neue Folge 1, 1991, S. 15 ff. ISSN 0940-4163.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Groscurth, Helmuth (Oberst) (Bestand). Archivportal-D, abgerufen am 18. April 2021.
  2. a b H. H. Podzun (Hrsg.): Das Deutsche Heer 1939. Gliederung, Standorte, Stellenbesetzung und Verzeichnis sämtlicher Offiziere am 3.1.1939. Verlag Hans-Henning Podzun, 1953, S. 302.
  3. Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Biographie Helmuth Groscurth gdw-berlin.de
  4. a b c Christian Streit: Gegen die Gräuel. Wie sich der Generalstabsoffizier Helmuth Groscurth dem Morden in der Sowjetunion widersetzte. In: Süddeutsche Zeitung. 9. Dezember 2017 (sueddeutsche.de), abgerufen am 28. Dezember 2017.
  5. Bericht Groscurths vom 21.8.1941 für den Chef des Generalstabes der Heeresgruppe Süd, General Georg von Sodenstern, über die Vorgänge in Belaja Zerkow am 20.8.1941. In: Fluchschrift. (fluchschrift.net).
  6. Bernd Boll, Hans Safrian: Auf dem Weg nach Stalingrad. Die 6. Armee 1941/42. In: Hannes Heer / Klaus Naumann (Hrsg.): Vernichtungskrieg: Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Hamburger Edition, Hamburg, 2. Aufl. 1995, ISBN 3-930908-04-2, S. 260–296, hier S. 275–278 (Zitat, S. 277); Timm C. Richter: Handlungsspielräume am Beispiel der 6. Armee. In: Christian Hartmann, Johannes Hürter u. Ulrike Jureit (Hrsg.): Verbrechen der Wehrmacht. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52802-3, S. 60–68, hier S. 64; Hans Mommsen: Alternative zu Hitler. Studien zur Geschichte des deutschen Widerstandes. Beck, München 2000, ISBN 3-406-45913-7, S. 402. Abdruck der Meldung Groscurths an von Reichenau in VEJ 7/62.
  7. Sven Felix Kellerhoff, Welt vom 7. April 2021, Dieser Hitler-Gegner starb als Stalins Kriegsgefangener (welt.de).
  8. Gerd R. Ueberschär: Auf dem Weg zum 20. Juli 1944. Bundeszentrale für politische Bildung, 9. April 2005; das Kürzel „G.U.“ steht für den Verfasser Gerd R. Ueberschär.