Hermann Henselmann

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Hermann Henselmann, 1952

Hermann Henselmann (* 3. Februar 1905 in Roßla; † 19. Januar 1995 in Berlin) war ein deutscher Architekt. Sein Wirken prägte Architektur und Städtebau in der DDR der 1950er und 1960er Jahre. Er war u. a. Chefarchitekt des Ost-Berliner Magistrats.

Besonders bekannt ist Henselmann für seine sozialistisch-klassizistischen Bauten der 1950er Jahre nach den „16 Grundsätzen des Städtebaus“ (u. a. Frankfurter Tor/Strausberger Platz Berlin), für seine modernistischen Stadthochhäuser in Leipzig und Jena sowie für die Entwurfsidee des Berliner Fernsehturms.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hermann Henselmann als Chefarchitekt in Ost-Berlin (im Bild links) zusammen mit Kurt Liebknecht (rechts), dem Präsidenten der Deutschen Bauakademie (DBA), und Edmund Collein, dem Vizepräsidenten der Akademie (Mitte), im Mai 1954 bei der zweiten öffent­lichen Vollversammlung der DBA
Hermann Henselmann (ganz rechts) und Gerhard Kosel (zwei­ter von links) 1957 während des Kongresses der Deutschen Architekten in Leipzig
Gedenktafel am Haus Marchlewskistraße 25a, in Berlin-Friedrichshain

Hermann Henselmann wuchs in Bernburg (Saale) auf, hatte hier seine Schulausbildung erhalten und erfuhr durch seine Tischlerlehre auch eine berufspraktische Ausbildung. Er studierte anschließend an der Handwerker- und Kunstgewerbeschule Berlin, wo er Zeichnen, Modellieren und Gestalten lernte. Von 1926 bis 1930 war er Mitarbeiter von Arnold Bruhn in Kiel und Leo Nachtlicht in Berlin.

Im Jahr 1930 baute er zusammen mit seinem Freund, dem ungarischen Filmarchitekten Alexander Ferenczy, die Villa Kenwin im schweizerischen Montreux für das englische Ehepaar Kenneth McPherson und Anni Winnifred Ellerman (Bryher) in radikal moderner Form nach seinem Vorbild Le Corbusier.[1] Danach machte er sich als Architekt selbstständig. Er plante und realisierte zahlreiche Wohngebäude in Berlin und Umgebung. Mit dem 1934 in Kleinmachnow errichteten Haus vom Hoff geriet Henselmann in Streit mit dem nationalsozialistischen Regime, er trat folgerichtig nicht in die Reichskulturkammer der bildenden Künste ein. Henselmann musste seine Selbstständigkeit aufgeben und arbeitete bis 1939 als angestellter Architekt in dem auf Industriebau spezialisierten Büro von Carl Brodführer und Werner Issel, ab 1939 als Angestellter für den Wiederaufbau von kriegszerstörten Bauernhöfen im Wartheland (Lebensraum im Osten) und als Büroleiter von Godber Nissen.[2][3]

Nach Kriegsende wurde Henselmann zunächst Stadtbaurat in Gotha, dann 1946 Direktor der Staatlichen Hochschule für Baukunst und Bildende Künste in Weimar und 1949 Abteilungsleiter am Institut für Bauwesen der Deutschen Akademie der Wissenschaften, Berlin (DDR). Er übernahm die Meisterwerkstatt I und wurde zusammen mit den Meisterwerkstätten II, Hanns Hopp, und III, Richard Paulick, aufgefordert, Vorschläge für die Neubebauung der Stalinallee zu entwickeln. Obwohl die „modernistische Architekturauffassung“ seines Entwurfs für das Hochhaus an der Weberwiese politisch infrage gestellt worden war, erhielt er trotzdem den Zuschlag und errichtete das Haus im Stil des Sozialistischen Realismus ebenso wie die nachfolgende Bebauung am Strausberger Platz. Mit seiner Ehefrau und acht Kindern bezog er selbst eine in der 6. Etage liegende Wohnung am Strausberger Platz, im Haus des Kindes.[4][5] Das Frankfurter Tor, wo Henselmann Betonfertigteile einsetzte, führte zur weitestgehenden Industrialisierung des Bauwesens. Oscar Niemeyer bezeichnete anlässlich seines Berlin-Besuchs Mitte der 1950er Jahre die Ost-West Magistrale in Ost-Berlin als „eine der bedeutendsten Alleen der europäischen Metropolen“. Aldo Rossi stellte während der Mailänder Triennale [1973] die Verkehrsachse als ein legitimes Modell postmoderner Architektur vor, in diesem Zusammenhang verwies Thilo Hilpert auch auf das von Môrice Leroux entworfene Stadtzentrum von Villeurbanne (1927–1931).[6][7][3]

Aufgrund seiner Leistungen im Projekt Stalinallee wirkte Henselmann von 1953 bis 1959 als Chefarchitekt beim Magistrat von Groß-Berlin. Anschließend, bis 1964, war er Chefarchitekt des Instituts für Sonderbauten der Bauakademie in unterschiedlichen Entwurfsbrigaden. Bis 1967 leitete Henselmann das Institut für Typenprojektierung (VEB) für industrielles Bauen und von 1967 bis zu seiner Pensionierung 1972 das Institut für Städtebau und Architektur der Bauakademie.[3]

Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden die verschiedenen Bauinstitute der DDR abgewickelt, Henselmann bot 1991 dem Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main seinen Nachlass zur Übernahme an. Doch das Museum, vertreten durch seinen damaligen Direktor Vittorio Magnago Lampugnani, lehnte ab.[8] So überließ Hermann Henselmann schließlich dem Archiv der Akademie der Künste Berlin alle seine Arbeitsunterlagen.[9] Der schriftliche Nachlass wird in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden bewahrt.

Familiäres[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ehrengrab auf dem Waldfriedhof Zehlendorf (2016)

Hermann Henselmann ist der Großvater der Schauspielerin Anne-Sophie Briest.

Er ist auf dem Waldfriedhof Zehlendorf bestattet. Sein Grab ist als Ehrengrab der Stadt Berlin gewidmet.

Hermann-Henselmann-Stiftung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zum 100. Geburtstag von Hermann Henselmann im Jahr 2005 gründete sein Sohn Andreas Henselmann die Hermann-Henselmann-Stiftung. Sie widmet sich den Fragen der Architektur und des Städtebaus unter sozialen, ästhetischen und gesellschaftspolitischen Aspekten.[10]

Wahrnehmung in der Kunst[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wolf Biermann spielt in seinem Lied Acht Argumente für die Beibehaltung des Namens Stalinallee für die Stalinallee 1972 auf die wechselhafte Einschätzung Henselmanns durch die Staatsführung der DDR an: „Und Henselmann kriegte Haue / Damit er die Straße baut / Und weil er sie dann gebaut hat / Hat man ihn wieder verhaut.“[11]

Bauwerke (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als Henselmanns Hauptwerke gelten das Haus des Lehrers, einige Wohnbauten entlang der damaligen Stalinallee, der Kuppelbau der Kongresshalle am Alexanderplatz und das City-Hochhaus Leipzig.

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Veröffentlichungen (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Eine Fülle neuer Aufgaben. In: Bildende Kunst. Zeitschrift für Malerei, Graphik, Plastik und Architektur. Berlin. 3. Jahrgang Heft 1/1949, S. 9ff.
  • Reisen in Bekanntes und Unbekanntes. Hrsg. von Margot Pfannstiel, Verlag für die Frau, Leipzig 1969.
  • mit Irene Henselmann: Das große Buch vom Bauen, Kinderbuchverlag, Berlin 1976.
  • Drei Reisen nach Berlin, der Lebenslauf und Lebenswandel eines deutschen Architekten im letzten Jahrhundert des zweiten Jahrtausends. Henschel, Berlin 1981.
  • Vom Himmel an das Reißbrett ziehen. Baukünstler im Sozialismus. Ausgewählte Aufsätze 1936 bis 1981, Hrsg. von Marie-Josée Seipelt et al. Verlag der Beeken, Berlin 1982, ISBN 3-922993-01-X.
  • Ich habe Vorschläge gemacht, hrsg. von Wolfgang Schäche, Ernst und Sohn, Berlin 1995, ISBN 3-433-02872-9 (Aufsatzsammlung).

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hörfunkberichte/Filme[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Hermann Henselmann – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Thilo Hilpert: Hermann Henselmann, Der Architekt der Stalinallee. In: Century of Modernity. Springer Vieweg, Wiesbaden 2015, ISBN 978-3-658-07042-7, S. 229.
  2. Jan Lubitz: Hermann Henselmann, 1905–1995. Februar 2002, abgerufen am 16. April 2019.
  3. a b c siehe Architektenporträt
  4. Diese Sanierung ist ein Stilbruch. In: Die Welt; Interview mit Irene Henselmann.
  5. Maritta Adam-Tkalec: Stadtgeschichte Als der Strausberger Platz 19 noch ein Paradies für Kinder war. Berliner Zeitung, 9. Januar 2017, abgerufen am 29. April 2019.
  6. Thilo Hilpert: Hermann Henselmann, der Architekt der Stalinallee. In: Century of Modernity. Springer Vieweg, Wiesbaden 2015, ISBN 978-3-658-07042-7, S. 228 und 231.
  7. Jean-Francois Loiseau: Le quartier des Gratte-ciel (Villeurbanne 1931–1934) – Morice Leroux – Utopies réalisées (épisode 2). youtube, 4. August 2013, abgerufen am 27. April 2019 (französisch).
  8. Thilo Hilpert: Hermann Henselmann, der Architekt der Stalinallee. In: Century of Modernity. Springer Vieweg, Wiesbaden 2015, ISBN 978-3-658-07042-7, S. 228.
  9. Das Bundesarchiv: Henselmann, Hermann (1905–1995). Abgerufen am 27. April 2019.
  10. Hermann-Henselmann-Stiftung
  11. Wolf Biermann: Für meine Genossen. Hetzlieder, Gedichte, Balladen (= Quarthefte. Nr. 62). Klaus Wagenbach, Berlin 1972, ISBN 3-8031-0062-3, S. 41. Auch auf der Schallplatte Warte nicht auf beßre Zeiten von 1972.
  12. Villa Kenwin auf veronique-goel.net
  13. Niels Gutschow: Ordnungswahn: Architekten planen im „eingedeutschten Osten“ 1939–1945. Birkhäuser, Basel 2001, S. 35 f.
  14. Karin Bühner: Leben unter der Glasglocke eines politischen Denkmals. In der Neubauernsiedlung Großfurra-Neuheide sucht man Wege in die Zukunft. In: Thüringische Landeszeitung. 9. August 1990.
  15. Joachim Schulz, Werner Gräbner: Berlin. Hauptstadt der DDR. Architekturführer DDR. VEB Verlag für Bauwesen, Berlin 1974; Objektnummern 141, S. 96.