Interleukin-6

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Interleukin-6
Interleukin-6
Bändermodell nach PDB 1ALU

Vorhandene Strukturdaten: 1alu, 1il6, 1n2q, 1plm, 2il6

Eigenschaften des menschlichen Proteins
Masse/Länge Primärstruktur 185 Aminosäuren
Bezeichner
Gen-Name IL6
Externe IDs
Vorkommen
Homologie-Familie IL6
Übergeordnetes Taxon Amnioten

Interleukin-6 (kurz: IL-6, synonyme ältere Bezeichnungen: Interferon-β2 (IFNB2), B-Zell-stimulierender Faktor, B-Zell-Differenzierungs-Faktor, Leberzell-stimulierender Faktor) gehört zu den Interleukinen (bzw. umfassender zu den Zytokinen), welche die Entzündungsreaktion des Organismus regulieren. IL-6 kommt durch die Art seiner komplexen Regelung und Funktionen in dem Orchester der anderen Zytokine und Zellen u. a. eine Schlüsselstellung in dem Übergang von Mechanismen der angeborenen Immunität hin zu Mechanismen der erworbenen Immunität innerhalb des Entzündungsprozesses zu.[1] IL-6 gehört zu einer Zytokinfamilie, die die Rezeptoruntereinheit Glykoprotein gp130 teilt.[2] Die Multifunktionalität von Zytokinen wird häufig inkorrekt als Pleiotropie (Pharmakologie) bezeichnet; diese Bezeichnung sollte in diesem Zusammenhang jedoch keinesfalls angewendet werden.

Genetik, Bildung und Sekretion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

IL-6 wird beim Menschen auf Chromosom 7 Genlocus p21 kodiert. Der Genabschnitt enthält 5 Exons. Transkribiert wird ein inaktives Präkursor-Protein, das aus 212 Aminosäuren besteht. Die Transkription wird u. a. über die Transkriptionsfaktoren NF-κB, NF-AT, HSF1 und HSF2 induziert.

Von dem Präkursor-Protein wird das 184 Aminosäuren lange aktive Interleukin-6 abgespalten. Posttranslational werden verschiedene Isoformen (über Abspaltung von Peptiden, Glykosylierung, Phosphorylierung) erzeugt, deren biologische Bedeutung noch nicht geklärt ist.[3]

Das zirkulierende IL-6 wird von Leber und Nieren ausgeschieden, die Halbwertzeit im Serum liegt im Minutenbereich.

Die Bildung von Interleukin-6 wird durch Prostaglandin-E2 verstärkt.

Regulation der Interleukin-6-Wirkung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Interleukin-6 kann als aktivierender Ligand an zwei Rezeptortypen binden:

  1. an einen membrangebundenen IL-6 Rezeptor (IL-6R), welcher nur auf Leberzellen und Leukozyten vorkommt und seine Signale mithilfe des rezeptorassoziierten, signaltransduzierenden Glykoproteins gp130 weitergibt,
  2. an einen löslichen IL-6-Rezeptor (sIL-6R). Der entstandene IL-6/sIL-6R-Komplex bindet an das in Zellmembranen sehr vieler Zelltypen alleinig vorkommende Glykoprotein gp130 und aktiviert es. Dieser zweite Vorgang heißt „IL-6-trans-signaling“. Er ist wichtig für die zahlreichen Zellen, die zwar gp130 (welches ubiquitär vorkommt), nicht aber IL-6R auf ihrer Zelloberfläche exprimieren. IL-6-trans-signaling wird durch natürlich vorkommendes lösliches sgp130 gehemmt, welches den IL-6/sIL-6R-Komplex inaktiviert, nicht aber IL-6 alleine und dessen Wirkung auf den membrangebundenen IL-6-Rezeptor.

Diese beiden Wirkmöglichkeiten geben viele Ansatzpunkte für eine differenzierte Regulation der IL-6-Wirkung:

  1. Regulation des IL-6 selbst;
  2. Regulation des sIL-6R: Im Serum Gesunder kommt sIL-6R mit einer Konzentration von 25–35 ng/ml vor und dieser Spiegel steigt signifikant bei verschiedenen Erkrankungen wie u. a. Rheuma, AIDS oder bestimmten Formen der Leukämie an. sIL-6R kann prinzipiell entweder durch Abspaltung des extrazellulären Teils des (auf Leukozyten und Leberzellen) membranständigen IL-6R oder durch besonderes Splicing bei der intrazellulären Bildung des IL-6R entstehen. Ersteres wird z. B. durch C-reaktives Protein oder durch bestimmte Bakterientoxine getriggert. Zweiteres wird z. B. durch Oncostatin-M angeregt.[4]
  3. Regulation des löslichen Glykoproteins gp130.

Funktionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei der Aktivierung des Glykoproteins Gp130 durch einen IL-6/sIL-6R-Komplex oder bei der Aktivierung eines IL-6R (an den gp130 assoziiert ist) durch IL-6 wird eine Janus-aktivierte Kinase an dessen Domäne im Zellinneren an einem Tyrosin phosphoryliert, wodurch der JAK-STAT-Signalweg und der MAP-Kinase-Weg aktiviert werden, welcher dann zu der Transkription bestimmter Zielgene in dem Zellkern führt.[2][3]

Traditionell wird Interleukin-6 als Aktivator der Akute-Phase-Proteine und als Lymphozyten-stimulierender Faktor angesehen.

Entzündungsreaktion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei einer akuten entzündlichen Episode werden zunächst neutrophile Granulozyten rekrutiert, die den Entzündungsherd infiltrieren, dann dort ihre Arbeit vollbringen, recht rasch dabei absterben und dann durch eine länger andauernde Population von spezifischeren Entzündungszellen wie Lymphozyten und mononukleären Zellen ersetzt werden. Hierbei spielt die Interleukin-6-Wirksamkeit eine wichtige Rolle: Mit dem Grad der Infiltration durch neutrophile Granulozyten steigt die lokale Konzentration von sIL-6R, was das IL-6-trans-signaling im umgebenden Gewebe auslöst. Dies wiederum führt über verschiedene Wege zu einer Begrenzung der Akkumulation neutrophiler Granulozyten im entzündeten Gewebe. Gleichzeitig werden durch das IL-6-trans-signaling CD3+-T-Lymphozyten angelockt,[1] was den Übergang der angeborenen Immunantwort zu einer erlernten Immunantwort markiert. Im Weiteren ist IL-6 in die Regulation der Apoptose der Leukozyten involviert, und zwar mit proapoptotischen und antiapoptotischen Wirkkomponenten (von denen bisher nicht bekannt ist, wie sie ausbalanciert werden). Auf ruhende und aktivierte T-Lymphozyten wirkt IL-6 antiapoptotisch, ferner reguliert es ihre Differenzierung, Proliferation, Polarisierung und die Immunglobulin-G-Sekretion von B-Lymphozyten. Vor allem bei aktivierten T-Lymphozyten ist für die Vermittlung dieser Wirkungen der lösliche sIL-6R notwendig, weil aktivierte T-Lymphozyten in der Regel keine membranständigen IL-6-Rezeptoren haben. Monozyten werden durch IL-6 mehr zu Makrophagen hin differenziert.[1]

Wirkung auf Hormonsekretion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

IL-6 steigert (in absteigender Reihenfolge) die Sekretion von Kortison, Somatotropin, Glucagon und Adrenalin.[3]

Eine erhöhte IL-6-Konzentration steht mit einer verringerten Testosteronkonzentration im Zusammenhang. So konnten Studien zu Testosteron-Therapien bei einer Erhöhung von Testosteron eine Verringerung der IL-6-Konzentration feststellen. Gleichzeitig hemmt Testosteron die Expression des IL-6-Gens und auch die Produktion vom Tumornekrosefaktor (TNF) durch Makrophagen.[5]

Regulation des Interleukin-6 durch Muskelbeanspruchung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Interleukin-6 wird durch kräftige Muskelbeanspruchung – vor allem über längere Zeit (6 Stunden) – ca. 100-fach stärker sezerniert. Das Maximum der Ausschüttung findet sich am Ende der Muskelbeanspruchung. Danach fällt die IL-6-Konzentration schnell wieder ab. Das IL-6 kommt dabei teilweise aus den beanspruchten Muskelzellen selbst. Nach längerem Training passt sich der Körper dem an und sezerniert bei gleichbleibender Belastung sowie in den Belastungspausen weniger Interleukin-6.[3]

Praktische Bedeutung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Konzentration von IL-6 im Plasma ist bei Gesunden ca. 1 pg/ml (bzw. 0,001 ng/ml) und kann bei schweren systemischen Infektionen bis auf 1000 pg/ml (bzw. 1 ng/ml) ansteigen. Weniger dramatische Anstiege finden sich bei einer Reihe entzündlicher und infektiologischer Erkrankungen sowie (dosisabhängig) bei Muskelanstrengungen. Insgesamt reagiert IL-6 sehr schnell, seine Halbwertzeit im Serum liegt im Minutenbereich. Diese Eigenschaften macht man sich in der Intensivmedizin zur raschen Beurteilung akuter septischer Krankheitsbilder zunutze.

Eine pathogenetische Rolle von IL-6 wird bei dem metabolischen Syndrom diskutiert, da ein chronisch leicht erhöhtes Serum-IL-6 (um 10 pg/ml) dabei vorkommen kann.[3]

Es wurde ein Zusammenhang zwischen erhöhtem Interleukin-6-Serumsspiegel und der Häufigkeit von kardiovaskulären Ereignissen gefunden. In einer multizentrischen Kohortenstudie mit 14 611 Patienten mit chronischem Coronarsyndrom traten im Verlauf signifikant mehr Ereignisse (Herzinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulärer Tod) auf, wenn der Interleukin-6-Serumsspiegel 2,0 ng/l oder höher war.[6]

Gegen den IL-6-Rezeptor wurden spezifische Antikörper entwickelt, um die IL-6-Wirksamkeit zu blockieren: Tocilizumab, ein IL-6-Rezeptor-Antikörper, welcher in der Behandlung bestimmter Formen des Rheumas angewendet wird.

Interleukin-6 bietet möglicherweise einen neuen Ansatz in der Therapie der Alzheimer-Krankheit. Tierexperimentelle Studien ergaben, dass das Zytokin die Mikroglia zum Abbau von Plaques veranlassen kann.[7]

IL-6 wurde ebenso als möglicher Trigger der Entzündungsreaktion bei schweren Verläufen der akuten Bauchspeicheldrüsenentzündung identifiziert und wird in Kombination mit anderen Immunmarkern zur Frühdiagnose schwerer Verläufe der Bauchspeicheldrüsenentzündung diskutiert.[8]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Simon A. Jones: Directing Transition from Innate to Acquired Immunity: Defining a Role for IL-6. In: The Journal of Immunology. Band 175, Nr. 6, 2005, ISSN 0022-1767, S. 3463–3468, doi:10.4049/jimmunol.175.6.3463, PMID 16148087.
  2. a b Peter C. Heinrich, Iris Behrmann, Serge Haan, Heike M. Hermanns, Gerhard Müller-Newen, Fred Schaper: Principles of interleukin (IL)-6-type cytokine signalling and its regulation. In: Biochemical Journal. Band 374, Nr. 1, 2003, S. 1–20, doi:10.1042/bj20030407, PMID 12773095.
  3. a b c d e C. P. Fischer: Interleukin-6 in acute exercise and training: what is the biological relevance? (Memento vom 13. April 2015 im Internet Archive) (PDF; 613 kB) In: Exerc Immunol Rev. Band 12, 2006, S. 6–33; PMID 17201070.
  4. S. A. Jones, et al.: C-reactive Protein: A Physiological Activator of Interleukin-6 Receptor Shedding. In: Journal of Experimental Medicine. 189, 1999, S. 599–604 (jem.org PDF).
  5. Michael Zitzmann: Testosterone deficiency, insulin resistance and the metabolic syndrome. In: Nature Reviews Endocrinology. Band 5, Nr. 12, 27. Oktober 2009, S. 673–681, doi:10.1038/nrendo.2009.212.
  6. Gorav Batra, Tatevik Ghukasyan Lakic, Johan Lindbäck, Claes Held, Harvey D. White: Interleukin 6 and Cardiovascular Outcomes in Patients With Chronic Kidney Disease and Chronic Coronary Syndrome. In: JAMA cardiology. Band 6, Nr. 12, 1. Dezember 2021, ISSN 2380-6591, S. 1440–1445, doi:10.1001/jamacardio.2021.3079, PMID 34431970, PMC 8387946 (freier Volltext).
  7. Paramita Chakrabarty, Karen Jansen-West, Amanda Beccard, Carolina Ceballos-Diaz, Yona Levites, Christophe Verbeeck, Abba C. Zubair, Dennis Dickson, Todd E. Golde, Pritam Das: Massive gliosis induced by interleukin-6 suppresses Abeta deposition in vivo: evidence against inflammation as a driving force for amyloid deposition. In: FASEB Journal. Band 24, Nr. 2, Februar 2010, ISSN 1530-6860, S. 548–559, doi:10.1096/fj.09-141754, PMID 19825975, PMC 3083918 (freier Volltext).
  8. Z. Dambrauskas, N. Giese, A. Gulbinas, T. Giese, P. O. Berberat, J. Pundzius, G. Barauskas, H. Friess: Different profiles of cytokine expression during mild and severe acute pancreatitis. In: World J. Gastroenterol. 16, 2010, S. 1845–1853 PMID 20397261 PMC 285682 (freier Volltext).