Kernenergie in Kanada

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Die Bedeutung der Kernenergie in Kanada unterscheidet sich in den einzelnen Provinzen sehr stark. National betrachtet wurden 2007 ca. 60 % des Stroms mit Wasserkraft erzeugt, 20 % in fossilen Kraftwerken sowie 14 % in Kernkraftwerken. Die Nutzung der Kernenergie beschränkt sich fast ausschließlich auf die Provinz Ontario, dort wurden 2007 50 % des Stroms in 15 Kernkraftreaktoren erzeugt, ein weiterer Reaktor wird zudem in New Brunswick (23 % der Stromerzeugung) betrieben.[1]

Entwicklung einer eigenständigen Nuklearindustrie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kanada/Ontario baute nach dem Zweiten Weltkrieg eine eigene Nuklearindustrie auf und entwickelte ein eigenes Reaktordesign (CANDU-Reaktor), welches den vorhandenen industriellen Möglichkeiten des Landes Rechnung trug. Kanada verfügte nach 1945 mangels militärischem Nuklearprogramm weder über Urananreicherungsanlagen noch über eine Schwerindustrie, die große Druckkessel fertigen konnte. Der entwickelte CANDU-Reaktor wird daher mit unangereichertem Natururan betrieben und verwendet eine Vielzahl von Druckröhren anstatt eines großen Druckkessels. Wegen der Absorptionsneigung für Neutronen kann als Moderator kein (leichtes) Wasser benutzt werden, sondern es muss auf Schweres Wasser zurückgegriffen werden. Das Schwere Wasser wird hierbei sowohl zu Kühlung der Brennelemente als auch in einem separaten fast drucklosen Tank, der Calandria als Moderator genutzt. Da in Kanada nur CANDU-Reaktoren in Betrieb sind, ist die Profitabilität der kanadischen Kernkraftwerksbetreiber eng mit dem Reaktordesign verbunden.

Ökonomisch ergeben sich aus der Verwendung des Schweren Wassers, des Natururans und der Druckröhren drei Nachteile: Einerseits müssen die Brennelemente in größeren Abständen als bei Leichtwasser-Druckreaktoren angeordnet werden; dies senkt die Leistungsdichte im Kern und führt im Umkehrschluss bei gleicher Leistung zu größeren Reaktorkern-Abmessungen und damit auch höheren Baukosten für die Gebäudestruktur. Als zweiter Aspekt sind die Kosten für die Bereitstellung des Schweren Wassers für den Moderatortank sowie den Primärkreislauf zu nennen[2]. Drittens ist eine Vielzahl von einzelnen Druckröhren im Betrieb zu überwachen und bei Inspektionen zu überprüfen. Die Druckröhren sowie die Röhren des Moderatortanks werden durch ihre Position zwischen den Brennelementen einem sehr starken Neutronenbeschuss und hohen Temperaturen ausgesetzt. Dies macht einen Austausch der Druckröhren im Laufe eines Kraftwerkslebens erforderlich[3]. Während der Generalüberholung des Reaktorkerns kann keine Stromproduktion erfolgen und es sind hohe Investitionen[4] während der Betriebszeit des Kraftwerks nötig.

Die Nuklearforschung in Kanada begann 1940. Mit dem ZEEP nahm 1945 ein erster experimenteller Reaktor in den Chalk River Laboratories den Betrieb auf, der zweite Reaktor NRX wurde 1947 für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung gestellt.[5]

Panoramaansicht des Kernkraftwerks Pickering

Die kommerzielle Nutzung der Kernenergie trieb in Kanada maßgeblich der regionale Energieversorger Ontario Hydro voran – im Rahmen einer industriepolitisch motivierten Auftragsvergabe kamen bei der Entwicklung von Reaktoren und deren Bau auch hauptsächlich Firmen aus Ontario zum Zug.[6]

Liste der Kernreaktoren in Kanada[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Liste der Kernkraftwerke in Kanada (Quelle: IAEA, Stand: November 2022)[7]
Name Block
Reaktortyp Modell Status Netto-
leistung
in MWe
(Design)
Brutto-
leistung
in MWe
Therm.
Leistung
in MWt
Baubeginn Erste
Kritikalität
Erste Netzsyn-
chronisation
Kommer-
zieller Betrieb
Abschal-
tung
Einspeisung
in TWh
Bruce 1[CA 1] PHWR CANDU 791 In Betrieb 774 (732) 868 2620 01.06.1971 17.12.1976 14.01.1977 01.09.1977 145,99
2[CA 2] PHWR CANDU 791 In Betrieb 777 (732) 836 2620 01.12.1970 27.07.1976 04.09.1976 01.09.1977 130,24
3[CA 3] PHWR CANDU 750A In Betrieb 770 (750) 865 2550 01.07.1972 28.11.1977 12.12.1977 01.02.1978 179,75
4[CA 4] PHWR CANDU 750A In Betrieb 769 (750) 868 2550 01.09.1972 10.12.1978 21.12.1978 18.01.1979 179,53
5 PHWR CANDU 750B In Betrieb 817 (822) 872 2832 31.05.1978 14.11.1984 01.12.1984 28.02.1985 225,32
6 PHWR CANDU 750B In Betrieb 817 (822) 891 2690 01.01.1978 29.05.1984 26.06.1984 14.09.1984 204,58
7 PHWR CANDU 750B In Betrieb 817 (822) 872 2832 01.05.1979 07.01.1986 22.02.1986 10.04.1986 218,37
8 PHWR CANDU 750B In Betrieb 817 (795) 872 2690 30.07.1979 13.02.1987 07.03.1987 20.05.1987 205,89
Darlington 1 PHWR CANDU 850 In Betrieb 878 (881) 934 2776 01.04.1982 29.10.1990 19.12.1990 14.11.1992 195,11
2 PHWR CANDU 850 In Betrieb 878 (881) 934 2776 01.09.1981 05.11.1989 15.01.1990 09.10.1990 172,71
3 PHWR CANDU 850 In Betrieb 878 (881) 934 2776 01.09.1984 09.11.1992 07.12.1992 14.02.1993 183,26
4 PHWR CANDU 850 In Betrieb 878 (881) 934 2776 01.07.1985 13.03.1993 17.04.1993 14.06.1993 188,96
Douglas Point 1 PHWR CANDU 200 Stillgelegt 206 (203) 218 704 01.02.1960 15.11.1966 07.01.1967 26.09.1968 04.05.1984 15,63
Gentilly 1 HWLWR HW[CA 5] Stillgelegt 250 266 792 01.09.1966 12.11.1970 05.04.1971 01.05.1972 01.06.1977 0,84
2 PHWR CANDU 6 Stillgelegt 635 (645) 675 2156 01.04.1974 11.09.1982 04.12.1982 01.10.1983 28.12.2012 124,22
Pickering 1[CA 6] PHWR CANDU 500A In Betrieb 515 (508) 542 1744 01.06.1966 25.02.1971 04.04.1971 29.07.1971 127,76
2[CA 7] PHWR CANDU 500A Stillgelegt 515 (508) 542 1744 01.09.1966 15.09.1971 06.10.1971 30.12.1971 28.05.2007 71,39
3[CA 8] PHWR CANDU 500A Stillgelegt 515 (508) 542 1744 01.12.1967 24.04.1972 03.05.1972 01.06.1972 31.10.2008 80,00
4[CA 9] PHWR CANDU 500A In Betrieb 515 (508) 542 1744 01.05.1968 16.05.1973 21.05.1973 17.06.1973 131,83
5 PHWR CANDU 500B In Betrieb 516 540 1744 01.11.1974 23.10.1982 19.12.1982 10.05.1983 130,43
6 PHWR CANDU 500B In Betrieb 516 540 1744 01.10.1975 15.10.1983 08.11.1983 01.02.1984 135,22
7 PHWR CANDU 500B In Betrieb 516 540 1744 01.03.1976 22.10.1984 17.11.1984 01.01.1985 130,47
8 PHWR CANDU 500B In Betrieb 516 540 1744 01.09.1976 17.12.1985 21.01.1986 28.02.1986 122,40
Point Lepreau 1 PHWR CANDU 6 In Betrieb 660 705 2180 01.05.1975 25.07.1982 11.09.1982 01.02.1983 157,29
Rolphton 1 PHWR CANDU Stillgelegt 22 (17) 25 92 01.01.1958 11.04.1962 04.06.1962 01.10.1962 01.08.1987 3,24
  1. Der Block 1 des KKW Bruce war vom 16. Oktober 1997 bis zum 19. September 2012 außer Betrieb.
  2. Der Block 2 des KKW Bruce war vom 8. Oktober 1995 bis zum 16. Oktober 2012 außer Betrieb.
  3. Der Block 3 des KKW Bruce war vom 1. April 1998 bis zum 8. Januar 2004 außer Betrieb.
  4. Der Block 4 des KKW Bruce war vom 16. März 1998 bis zum 7. Oktober 2003 außer Betrieb.
  5. HW BLWR 250
  6. Der Block 1 des KKW Pickering war vom 31. Dezember 1997 bis zum 26. September 2005 außer Betrieb.
  7. Der Block 2 des KKW Pickering war vom 31. Dezember 1997 bis zum 28. Mai 2007 außer Betrieb und wurde am 28. Mai 2007 endgültig stillgelegt.
  8. Der Block 3 des KKW Pickering war vom 29. Dezember 1997 bis zum 31. Oktober 2008 außer Betrieb und wurde am 31. Oktober 2008 endgültig stillgelegt.
  9. Der Block 4 des KKW Pickering war vom 2. Januar 1998 bis zum 21. September 2003 außer Betrieb.

Reaktortypen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

siehe: CANDU-Reaktor

Ökonomische Situation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kernkraftwerk Bruce A

Die Stromgestehungskosten von Kernkraftwerken werden hauptsächlich von Baukosten und deren Finanzierungskosten sowie auf der anderen Seite der vom Kraftwerk erzeugten Strommenge, also der Betriebszuverlässigkeit bestimmt. Im Falle der in Kanada verwendeten CANDU-Reaktoren kommen noch die Kosten für mindestens eine Generalüberholung des Reaktorkerns während der Lebensdauer hinzu. In Ontario gab es auf der Kosten- und auf der Einnahmeseite Probleme. Die AKWs in Ontario wurden nie im vorgegebenen Zeit- und Kostenrahmen fertiggestellt, die tatsächlichen KKW-Neubaukosten betrugen im Schnitt 250 % der geplanten Kosten.[8][9] Durch verspätete Inbetriebnahme einzelner Reaktoren erhöhten sich zudem die Finanzierungskosten, diese können über ein Drittel der während des Betriebs zu tilgenden Kreditsumme ausmachen.[2]

Wegen technischer Probleme blieben zudem die erzeugten Elektrizitätsmengen hinter den Erwartungen zurück. 1993 wurden die Reaktoren in Bruce wegen möglicher Nichtbeherrschung eines Kühlmittelverlust-Störfalls auf 60 % ihrer Nominalleistung gedrosselt. Infolge von Nachrüstungen wurde diese Beschränkung später auf 90 % angehoben. Weiterhin wurden mehrere Reaktoren außer Betrieb genommen. Nach einer ersten Reaktorblock-Abschaltung wegen Materialproblemen in Bruce A 1995 musste Ontario Hydro Ende 1997 die vier Reaktoren in Pickering A wegen unterbliebener Nachrüstungen am Notabschaltesystem und ungenügender Wartungs- und Instandsetzungsbemühungen vorübergehend stilllegen. Aus betriebswirtschaftlichen Gründen wurden auch die verbliebenen drei Reaktoren des Kernkraftwerks Bruce A für einige Jahre in den Betriebsstillstand versetzt,[10] danach aber wieder in Betrieb genommen.

1998 lagen die Gestehungskosten für Strom aus Kernkraftwerken von Ontario Hydro mit 7,7 kanadischen Cent/kWh über dem durchschnittlichen Verkaufspreis von 6,4 kanadischen Cent/kWh. Die Verluste aus dem Betrieb von KKW wurden durch Wasserkraftwerke (1,1 kanad. Cent/kWh) und fossile Kraftwerke (4,3 kanad. Cent/kWh) ausgeglichen – eine Abzahlung der Kredite für die Kraftwerksbauten war aufgrund dessen nicht erreichbar. Daraufhin wurde Ontario Hydro 1999 in fünf Einzelgesellschaften zerlegt, die aufgelaufenen Schulden von 19,4 Mrd. kanadischen Dollar (mehr als 75 % davon aus dem Kernkraftwerksbau und -betrieb) wurden in die staatliche Ontario Electricity Financial Corporation ausgelagert. Diese sollten bis 2018 durch eine allgemeine Verbrauchssteuer auf elektrische Energie sowie den Erträgen aus den anderen Teilen der ehemaligen Ontario Hydro getilgt sein – wobei sich die Prognose für den Tilgungszeitpunkt in den letzten 10 Jahren stetig weiter in die Zukunft verschoben hat.[8]

Kernkraftwerk Qinshan-III, Blöcke III-1 und III-2

Nach der Aufspaltung von Ontario Hydro wurden vier im Betriebsstillstand verharrende Reaktoren modernisiert und wieder in Betrieb genommen, bei zwei Reaktoren dauern die Arbeiten noch an[11]. Auch Reaktoren außerhalb Ontarios mussten generalüberholt werden. Alle Sanierungen überschritten dabei wiederum den geplanten Zeit- und Kostenrahmen.[9][4] Man kann im Übrigen aus den finanziellen Problemen des größten kanadischen Kernkraftwerk-Betreibers Ontario Hydro bzw. seiner Nachfolgegesellschaften nicht auf die Profitabilität des CANDU-Reaktors an sich schließen. Ins Ausland wurde der in Ontario nicht gebaute Reaktortyp CANDU-6 exportiert, dessen Exemplare zeigen zumindest während ihres meist noch recht jungen Betriebslebens eine hohe Zuverlässigkeit.[12][13][14][15][16][17][18][19][20]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. [1] Statistics Canada - 2007 - Electric Power Generation, Transmission and Distribution - Catalogue no. 57-202-X
  2. a b Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 22. April 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.cleanairalliance.org (PDF; 72 kB) Baukosten für das Kernkraftwerk Darlington
  3. [2]Nuclearfaq.ca - CANDU Nuclear Power Technologie - Frequently Asked Questions - How is core refurbishment part of the CANDU life management?
  4. a b [3] CBC News - Canada - Point Lepreau overruns to cost $1.6B
  5. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 25. Februar 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.candu.org Geschichte des Candu-Reaktors
  6. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 27. Januar 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.queensu.ca Bryne Purchase - CANDU or no CANDU? - The future of nuclear power in Ontario
  7. Canada. IAEA, abgerufen am 19. November 2022 (englisch).
  8. a b Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 27. Juli 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.cleanairalliance.org (PDF; 421 kB) Ontario Clear Air Alliance Reseurach - Ontario's Stranded Nuclear Debt: A Cautionary Tale
  9. a b Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 27. Juli 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.cleanairalliance.org (PDF; 1,4 MB). Ontario Clear Air Alliance Research Inc. - The Darlington Re-Build Consumer Protection Plan - Anhang A
  10. [4] (PDF; 2,5 MB) Canadian National Report for the Convention on Nuclear Safety - Minister of Public Works and Government Services - Canada 1998 - Catalogue number CC2-0690E
  11. [5] PowerMag - Bruce A Proves There Are Second Acts in Nuclear Power
  12. [6] IAEA - Power Reactor Information System - Betriebsergebnisse WOLSONG-1
  13. [7] IAEA - Power Reactor Information System - Betriebsergebnisse WOLSONG-2
  14. [8] IAEA - Power Reactor Information System - Betriebsergebnisse WOLSONG-3
  15. [9] IAEA - Power Reactor Information System - Betriebsergebnisse WOLSONG-4
  16. [10] IAEA - Power Reactor Information System - Betriebsergebnisse CERNAVODA-1
  17. [11] IAEA - Power Reactor Information System - Betriebsergebnisse CERNAVODA-2
  18. [12] IAEA - Power Reactor Information System - Betriebsergebnisse QINSHAN 3-1
  19. [13] IAEA - Power Reactor Information System - Betriebsergebnisse QINSHAN 3-2
  20. [14] IAEA - Power Reactor Information System - Betriebsergebnisse EMBALSE