Kernkraftwerk Kosloduj

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Kernkraftwerk Kosloduj
Reaktorblöcke 5 und 6
Reaktorblöcke 5 und 6
Reaktorblöcke 5 und 6
Lage
Kernkraftwerk Kosloduj (Bulgarien)
Kernkraftwerk Kosloduj (Bulgarien)
Koordinaten 43° 44′ 46″ N, 23° 46′ 14″ OKoordinaten: 43° 44′ 46″ N, 23° 46′ 14″ O
Land Bulgarien
Daten
Eigentümer ME
Betreiber Kozloduy NPP Plc.
Projektbeginn 1967
Kommerzieller Betrieb 28. Okt. 1974

Aktive Reaktoren (Brutto)

2  (2000 MW)

Stillgelegte Reaktoren (Brutto)

4  (1760 MW)
Eingespeiste Energie im Jahr 2009 14'218,925 GWh
Eingespeiste Energie seit Inbetriebnahme 430'695,72 GWh
Stand 31. Dezember 2009
Die Datenquelle der jeweiligen Einträge findet sich in der Dokumentation.
f1

Das Kernkraftwerk Kosloduj (auch: Kozloduj oder Kozloduy; bulgarisch Козлодуй) ist das einzige in Betrieb befindliche Kernkraftwerk Bulgariens. Es liegt 200 Kilometer nördlich von Sofia und fünf Kilometer östlich von Kosloduj an der Donau. Der Bau des Kernkraftwerks begann am 6. April 1970.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schaltwarte von Block 5

Insgesamt wurden am Standort Kosloduj sechs Druckwasserreaktoren mit einer Gesamtleistung von 3.760 MW errichtet. Vier Blöcke des Kernkraftwerks sind vom alten sowjetischen Typ WWER-440/230 und wurden in Übereinkunft mit der Europäischen Union bis Ende 2006 stillgelegt.[1] Die Blöcke 1 und 2 wurden bereits Ende 2002 stillgelegt. Die Blöcke 3 und 4 folgten am 31. Dezember 2006, unmittelbar vor dem EU-Beitritt Bulgariens. Die Bauart der Blöcke 5 und 6 ist vom neueren sowjetischen Typ WWER-1000/320 der dritten Generation. Sie verfügen dementsprechend über ein Containment. Die Blöcke 5 und 6 haben zusammen eine Leistung von 1906 MW. Diese beiden Blöcke wurden 2007 modernisiert und auf westliche Sicherheitsleittechnik (Teleperm XS) umgerüstet. Am Standort wurde von der EU die „sichere Lagerung“ von Atommüll über 300 Jahre genehmigt. Das Endlager, welches auf einem Nachbargrundstück des Kernkraftwerks Kosloduj entstehen soll, befindet sich seit 2017 in der Realisation.[2]

Energiepolitische Bedeutung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die energiepolitische Lage in der Region verschärfte sich nach der Abschaltung der Blöcke 3 und 4. Es fehlen deshalb 880 Megawatt. Darunter leiden hauptsächlich die Exporte in die benachbarten Balkanländer, welche bis zu 40 % ihrer Stromversorgung verlieren.[3]

Schaltwarte der Blöcke 1 und 2

Die bulgarische Regierung beschloss im April 2005, als Ausgleich für die Abschaltung der vier Blöcke den Bau des Kernkraftwerks Belene wieder aufzunehmen, welcher seit 1990 ruhte.[4] Im Februar 2013, mit dem Beschluss, das Belene-Projekt zu beenden, verlängerte das bulgarische Parlament die Restlaufzeit der beiden Blöcke in Kosloduj und beschloss, einen weiteren dort zu errichten.[5]

Während des Gasstreits zwischen Russland und der Ukraine und der damit für Bulgarien entstehenden Knappheit an Erdgas wurde von Staatspräsident Georgi Parwanow in Erwägung gezogen, den dritten Reaktorblock in Kosloduj wieder in Betrieb zu nehmen. Gemäß dem EU-Beitrittsvertrag habe Bulgarien in Krisensituationen das Recht dazu. So könne der dritte Reaktorblock innerhalb eines Monats wieder in Betrieb genommen werden, der vierte brauche etwas mehr Zeit.[6]

Störfälle[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Turbinenhalle von Block 5
Turbinenhalle von Block 3 und 4

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hatte der Anlage 1991 nach einer dreiwöchigen Überprüfung einen sehr schlechten Zustand „mit einer Anzahl sicherheitsrelevanter Mängel“ bescheinigt. In einem inoffiziellen Hilfeersuchen der Betriebsmannschaft an die IAEA war zuvor die Rede davon, dass die Dampferzeuger in dem Kraftwerk sowjetischer Bauart zu versagen drohten.[7]

Im Volllastbetrieb entstand 2003 ein Leck an einer Schweißnaht des Primärkreislaufs des 3. Reaktors. Die Notkühlung trat in Funktion. Die mittlerweile stillgelegten Blöcke 1 bis 4 konnten hier – im Gegensatz zu den leistungsstärkeren Blöcken 5 und 6 sowie allen westlichen Druckwasserreaktoren – einzelne Segmente des Primärkreislaufs mit Ventilen absperren. Eine Absperrung wurde vorgenommen, womit der Wasserverlust nach relativ kurzer Zeit gestoppt werden konnte.[8]

Am 1. März 2006 fiel in Block 5 eine von vier Hauptkühlmittelpumpen aus, weshalb die Leistung durch Einfahren einer Gruppe von 6 Steuerstäben um 30 % reduziert werden sollte. Von diesen blieben jedoch 3 in der obersten Position hängen, woraufhin der Reaktor durch Einspritzen von Borsäure in den Kühlkreislauf heruntergefahren wurde. Anschließend wurde eine Schnellabschaltung durch Einfahren der restlichen neun Gruppen mit insgesamt 54 Steuerstäben simuliert, um deren Funktion zu überprüfen. Dabei zeigte sich, dass weitere 19 Steuerstäbe in gleicher Weise versagten (insgesamt also 22 von 60). Ursache der Störung war ein verändertes Design der Steuerstäbe seitens des Herstellers Gidropress. Im Falle eines gleichzeitigen Kühlmittelverlusts (z. B. durch Abreißen der Zuleitung) hätte deren Versagen zur Überhitzung und zum Schmelzen des Reaktorkerns führen können. Der Betreiber hatte den Zwischenfall ursprünglich auf der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse mit der Stufe 0 klassifiziert, aber die Aufsichtsbehörde ordnete ihn auf Stufe 2 ein. Der Störfall wurde erst zwei Monate später bekannt. Vier Monate später wurde der Kraftwerksmanager entlassen. Gidropress wurde später vorgeworfen, dass das neue Steuerstabdesign nicht getestet wurde. Die Firma argumentierte, dass in Reaktoren in Russland ähnliche Kontrollstäbe bereits verwendet wurden.[9][10]

Wegen eines Lecks im Kühlkreislauf wurde Anfang April 2013 ein Reaktor des Kernkraftwerks abgeschaltet.

Brennstäbe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im August 2008 wurden Anschuldigungen des Kernphysikers Georgi Kotev, der im Kraftwerk für die Überprüfung der Qualität der Brennstäbe verantwortlich ist, bekannt, dass in dem Kraftwerk Brennstäbe niedriger Qualität mit unbekannten Eigenschaften verwendet würden. Im Oktober 2004 wurden die Brennstäbe des Typs TWSM durch Brennstäbe des Typs TWSA ersetzt. Diese neuen Brennstäbe stimmten nicht mit den in den Dokumenten angegebenen überein. Die Abweichungen von den dokumentierten Brennstabeigenschaften wurde von den bulgarischen Behörden und auch von Premierminister Sergei Stanischew bestätigt. Ein Sicherheitsproblem würde dadurch aber nicht entstehen, was von westlichen Experten bestritten wird.[11][12]

Daten der Reaktorblöcke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Kernkraftwerk Kosloduj hat insgesamt sechs Blöcke:

Reaktorblock[13] Reaktortyp Netto-
leistung
Brutto-
leistung
Baubeginn Netzsyn-
chronisation
Kommer-
zieller Betrieb
Abschal-
tung
Kosloduj-1 WWER-440/230 408 MW 440 MW 01.04.1970 24.07.1974 28.10.1974 01.01.2004
Kosloduj-2 WWER-440/230 408 MW 440 MW 01.04.1970 24.08.1975 10.11.1975 01.01.2004
Kosloduj-3 WWER-440/230 408 MW 440 MW 01.10.1973 17.12.1980 20.01.1981 01.01.2007
Kosloduj-4 WWER-440/230 408 MW 440 MW 01.10.1973 17.05.1982 20.06.1982 01.01.2007
Kosloduj-5 WWER-1000/320 953 MW 1000 MW 09.07.1980 29.11.1987 23.12.1988 (2027)[max. 2047][14]
Kosloduj-6 WWER-1000/320 953 MW 1000 MW 01.04.1982 02.08.1991 30.12.1993 (2029)[15]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Kernkraftwerk Kosloduj – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. ORF: Bulgarien dementiert Bericht über Kosloduj-Störfall@1@2Vorlage:Toter Link/www.orf.at (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Dezember 2018. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  2. Bulgarien: Baubeginn für nationales Endlager Radiana | Nuklearforum Schweiz. Abgerufen am 6. Januar 2021.
  3. Stromengpässe nach Reaktorschließung: Auf dem Balkan gehen die Lichter aus. Abgerufen am 3. Mai 2021.
  4. Handelsblatt - Stromengpässe nach Reaktorschließung - Auf dem Balkan gehen die Lichter aus, 17. Januar 2007
  5. welt.de/dpa - Keine Partei will in Sofia regieren, 27. Februar 2013
  6. Jörg Paas: Gasstreit: Bulgarien in Sorge. In: tagesschau.de. Archiviert vom Original am 7. Januar 2009; abgerufen am 7. Januar 2009.
  7. Bulgarien droht ein Tschernobyl, DIE WELT, 29. Juni 1991
  8. Harals Schumann: In letzter Minute. In: Tagesspiegel. 24. April 2006 (archive.org).
  9. Presseinfo vom 5. Mai 2006; IPPNW Deutschland
  10. Nuclear Monitor 647, 30. Juni 2006 (englisch; PDF; 225 kB)
  11. Der Spiegel: Reaktor soll mit dubiosen Brennstäben laufen, 23. August 2008
  12. Deutsche Welle: Verdacht auf Korruption – schwere Vorwürfe gegen die Leitung des bulgarischen AKW Kosloduj, 13. August 2008
  13. Power Reactor Information System der IAEA: Bulgaria (englisch)
  14. Laufzeitverlängerung für Kosloduj-5 in Bulgarien. 8. November 2017, abgerufen am 3. September 2022.
  15. Laufzeitverlängerung für Kosloduj-6 in Bulgarien. 7. Oktober 2019, abgerufen am 9. Februar 2022.