Kesslerloch

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Kesslerloch bei Thayngen im Juli 2019
Inneres

Das Kesslerloch ist eine Höhle bei Thayngen im Kanton Schaffhausen in der Schweiz. Sie liegt im Herblingertal am Südostfuss der Reiat-Hochebene. Die Höhle ist ca. 200 m² gross und wird durch eine Steinsäule unterteilt. In prähistorischer Zeit benutzten vermutlich Rentierjäger vor 15'000 bis 11'000 Jahren (Jungpaläolithikum, Magdalénienkultur) die Höhle als Schutzort während der Sommermonate. Die Lage in einem Engtal war zudem günstig für eine Jagdstation, ähnlich etwa der Lage des nicht weit entfernten (ca. 15 km nordöstlich) Petersfels bei der deutschen Stadt Engen.

Die Höhle wurde mit dem Waldgrundstück und dem umliegenden Wiesland 1902 unter staatlichen Schutz gestellt.

Grabungsarbeiten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 4. Dezember 1873 grub der Reallehrer Konrad Merk zusammen mit seinem Kollegen D. Wepf und zwei Schülern ein erstes Mal im Kesslerloch.[1] Ein Jahr später nahm er die ersten Grabungen vor. Die Ergebnisse wurden 1875 in den Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft Zürich (Band XIX, Heft 1) publiziert. Jakob Nüesch, der 1894 die Höhle von Schweizersbild entdeckte, nahm 1893, 1898 und 1899 weitere Grabungen vor, 1902 und 1903 grub Jakob Heierli nach weiteren Funden. Die letzte Bohrung erfolgte 1980.

Die ersten Funde wurden kaum systematisch erfasst; manche wurden unter den Ausgräbern getauscht oder verkauft. Die Funde der ersten Ausgrabung erwarb Ludwig Leiner 1875 für das von ihm gegründete Rosgartenmuseum in Konstanz, weshalb das «Suchende Rentier» auch dort ausgestellt ist.

Zwei Ritzzeichnungen eines Fuchses und eines Bären stellten sich als Fälschungen heraus: Der Hilfsgräber Martin Stamm hatte 1875 seinen Neffen Konrad Bollinger damit beauftragt, die Tiere nach einer Vorlage aus dem Buch Die Thiergärten und Menagerien mit ihren Insassen in einen Knochen zu ritzen.[2]

Fundstücke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fundstücke aus dem Kesslerloch im Museum zu Allerheiligen Schaffhausen

Bei den Grabungen wurden Knochen von 53 verschiedenen Tierarten wie Mammut, Rentier, Wollnashorn, Steinbock und Gämse gefunden. Knochen von Menschen wurden nicht entdeckt. Auch Steingeräte aus lokalem Silex und rund 200 Geschossspitzen wurden gefunden sowie Werkzeuge und Geräte aus Geweihen, Knochen und Elfenbein. Ein 1874 in der Höhle gefundenes Oberkieferstück eines Haushundes wurde auf ein Alter von 14'100 bis 14'600 Jahren datiert.[3] Es ist damit einer der ältesten Nachweise für die Domestizierung des Wolfs in Mitteleuropa.

Berühmt wurde das Kesslerloch durch die Funde von Kleinkunst wie Anhängern und Lochstäben. Da viele Forscher den Menschen der Steinzeit noch keine Kunst zutrauten, galten die ersten künstlerisch gestalteten Funde als Sensation. Besonders bekannt ist die Ritzzeichnung des sogenannten «Suchenden Rentiers» (früher «Weidendes Rentier» genannt) auf einem Stück Rentiergeweih, wohl einem Bruchstück eines Lochstabs.[4] Entdeckt hatte es der Geologe Albert Heim im Beisein von Jakob Messikommer am 4. Januar 1874. Zudem wurden die Venus vom Kesslerloch und Schmuckstücke aus Muscheln, Tierzähnen, Schnecken und Pechkohle gefunden.

Aufgrund einer «Verkettung unglücklicher Umstände» fanden «zwei heute leicht als plumpe Fälschungen erkennbare Wiedergaben von Fuchs und Bär» Eingang in Merks Fundbericht. Ludwig Lindenschmidt konnte sie als «Kopien aus einem zeitgenössischen Kinderbuch» identifizieren.[5][6]

Ausstellungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

«Suchendes Rentier» (Kopie aus dem Landesmuseum Zürich) auf einem Lochstab

Fundstücke aus dem Kesslerloch sind im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen ausgestellt. Das Diorama des Kesslerlochs aus dem Jahr wurde 1939 vom Museumstechniker Hans Wanner in Zusammenarbeit mit dem deutschen Bühnenbildner Juri Richter entwickelt. Obwohl es nicht mehr den neuesten wissenschaftlichen Forschungsergebnissen entspricht, war es ein Meilenstein in der Gestaltung von Museen.

Der Lochstab mit dem «Suchenden Rentier» ist im Besitz des Rosgartenmuseums in Konstanz. Ausgestellt ist eine Kopie, das Original wird in einem Safe aufbewahrt. Weitere Kopien davon sind im Museum Allerheiligen und im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich, wo auch weitere Fundstücke ausgestellt sind.

Namensherkunft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ihren Namen verdankt die Höhle den Jenischen (in der Ostschweiz früher Kessler genannt, heute noch als Nachname verbreitet), die in der frühen Neuzeit in umliegenden Gemeinden Töpfe und sonstiges Kochgeschirr (= Kessel) sammelten, in der Höhle reparierten und anschliessend wieder verkauften.[7] Gemäss dem Forschungsbericht des Entdeckers Konrad Merk sollen noch Anfang 19. Jahrhundert umherziehende Kesslerfamilien jeweils hier Obdach gefunden haben.[8]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Konrad Merk: Der Höhlenfund im Kesslerloch bei Thayngen (Kanton Schaffhausen). In: Mittheilungen der Antiqarischen Gesellschaft (der Gesellschaft für vaterländische Alterthümer) in Zürich. Band 19, 1875–1877, Zürich 1875, S. 1–44 (Digitalisat).
  • Markus Höneisen: Kesslerloch. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 10. August 2007.
  • J. Enderli: Vor 25,000 Jahren. In: Neues Wiener Tagblatt. Demokratisches Organ / Neues Wiener Abendblatt. Abend-Ausgabe des („)Neuen Wiener Tagblatt(“) / Neues Wiener Tagblatt. Abend-Ausgabe des Neuen Wiener Tagblattes / Wiener Mittagsausgabe mit Sportblatt / 6-Uhr-Abendblatt / Neues Wiener Tagblatt. Neue Freie Presse – Neues Wiener Journal / Neues Wiener Tagblatt, 2. Jänner 1905, S. 1 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/nwg

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Kesslerloch – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. wohnqualitaet-thayngen
  2. schrott-beim-kesslerloch (PDF; 72,6 kB).
  3. Hannes Napierala: „Die Tierknochen aus dem Kesslerloch – Neubearbeitung der paläolithischen Fauna“. Hrsg.: Kanton Schaffhausen, Baudepartement, Kantonsarchäologie (= Beiträge zur Schaffhauser Archäologie. Nr. 2). Schaffhausen 2008, ISBN 3-9521868-6-4, S. 44–48.
  4. Foto und Beschreibung auf der Webseite des Rosgartenmuseums.
  5. Hans-Georg Bandi: Vom Dreiperiodensystem in der prähistorischen Forschung. In: Jahrbuch des Vorarlberger Landesmuseumsvereins, Jahrgang 1994, S. 39 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/vlm
  6. Hans-Georg Bandi: Vom Dreiperiodensystem in der prähistorischen Forschung. Abb. 3: Bär und Fuchs aus dem Kesslerloch bei Thayngen, Kt. Schaffhausen. In: Jahrbuch des Vorarlberger Landesmuseumsvereins, Jahrgang 1994, S. 40 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/vlm
  7. Dr. J.: Die ältesten Wohnstätten des Urmenschen. In: Leitmeritzer Zeitung, 30. Oktober 1912, S. 10 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/lmz
  8. Konrad Merk, Reallehrer: Höhlenfund im Kesslerloch bei Thayngen (Kanton Schaffhausen), Zürich 1875, S. 4.

Koordinaten: 47° 44′ 43,4″ N, 8° 41′ 37″ O; CH1903: 694119 / 289066