Kugelflächenfunktionen

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Darstellung des Betrags des Realanteils der ersten Kugelflächenfunktionen als Radius in kartesischen Koordinaten. Die Farben geben das Vorzeichen der Kugelflächenfunktion an (rot entspricht positiv, grün entspricht negativ).
Veranschaulichung des Realanteils einiger Kugelflächenfunktionen (um die z-Achse rotierend) auf der Einheitskugel. Dargestellt ist , wobei der Zeile und der Spalte entspricht. Zeilen und Spalten werden jeweils bei null beginnend durchnummeriert.

Die Kugelflächenfunktionen sind ein vollständiger und orthonormaler Satz von Eigenfunktionen des Winkelanteils des Laplace-Operators. Dieser Winkelanteil zeigt sich, wenn der Laplace-Operator in Kugelkoordinaten geschrieben wird. Die Eigenwertgleichung lautet:

Die Eigenfunktionen sind die Kugelflächenfunktionen , dabei sind Normierungsfaktoren und die zugeordneten Legendrepolynome (Details siehe unten):

Besonders in der theoretischen Physik haben die Kugelflächenfunktionen eine große Bedeutung für die Lösung partieller Differentialgleichungen. Sie treten zum Beispiel bei der Berechnung von Atomorbitalen auf, da die beschreibende zeitunabhängige Schrödingergleichung den Laplace-Operator enthält und sich das Problem am besten in Kugelkoordinaten lösen lässt. Auch die in der Elektrostatik auftretenden Randwertprobleme können elegant durch die Entwicklung nach Kugelflächenfunktionen gelöst werden. In der Geophysik und Geodäsie werden die Kugelflächenfunktionen bei der Approximation des Geoids und des Magnetfeldes verwendet.

Zusammenhang mit dem Laplace-Operator[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Winkelanteil des Laplace-Operators zeigt sich, wenn dieser in Kugelkoordinaten geschrieben wird:

Der rechte, eingeklammerte Teil wird hier als Winkelanteil bezeichnet. Er ist direkt proportional zum Quadrat des Drehimpulsoperators .

Die Laplacesche Differentialgleichung in Kugelkoordinaten

hat neben der trivialen Lösung, , verschiedenste Lösungen mit vielen technischen Anwendungen.

Zur Lösung wird folgender Produktansatz verwendet, wobei nur vom Radius und nur von Polar- und Azimutwinkel abhängt:

Dies ergibt eingesetzt:

Multiplikation von und Division durch liefert:

Diese Gleichung kann nur erfüllt werden, wenn in beiden Summanden unabhängig voneinander Radius und Winkel variierbar sind. Beide Summanden müssen somit denselben konstanten Wert annehmen, der zu gewählt wird (diese Festlegung erweist sich später als sinnvoll):

Durch dieses Verfahren, welches Separationsansatz genannt wird, wurde also das ursprüngliche Problem, nämlich die Lösung der Laplace-Gleichung (partielle Differentialgleichung mit drei unabhängigen Variablen), auf das einfachere Problem der Lösung einer gewöhnlichen Differentialgleichung (Radialgleichung)

und einer partiellen Differentialgleichung mit zwei unabhängigen Variablen (winkelabhängige Gleichung), die gerade von den Kugelflächenfunktionen erfüllt wird, reduziert.

Nun lässt sich aufgrund der Orthogonalität und Vollständigkeit der Kugelflächenfunktionen zeigen, dass sich jede quadratintegrable Funktion aus diesen speziellen Funktionen als Summe zusammensetzen lässt:

Aufgrund der Linearität des Laplace-Operators lassen sich also durch Addition der Lösungen der Radialgleichung, multipliziert mit den Kugelflächenfunktionen, beliebig viele Lösungen der Laplace-Gleichung konstruieren. Damit ergibt sich automatisch eine Darstellung des Lösungsraumes der Laplace-Gleichung.

Die Kugelfunktionen wurden besonders von Legendre (Kugelfunktionen erster Art), Laplace (Kugelfunktionen zweiter Art) und Carl Gottfried Neumann (Kugelfunktionen mit mehreren Veränderlichen) behandelt.

Lösung der Eigenwertgleichung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Eigenwertgleichung

wird mit folgendem Produktansatz separiert:

Umsortieren liefert:

Um beide Seiten getrennt voneinander variieren zu können, müssen beide Seiten den gleichen konstanten Wert annehmen. Diese Separationskonstante wird als gewählt. Es ergeben sich zwei gewöhnliche Differentialgleichungen, die Polargleichung

und die Azimutalgleichung.

Die Azimutalgleichung wird durch gelöst, wobei die wegen der Zusatzbedingung der Eindeutigkeit auf der Kugeloberfläche eingeschränkt sind auf ganze Zahlen . Mit erhält man die normierte Lösung der Azimutalgleichung:

Die Polargleichung kann mit einem Potenzreihenansatz gelöst werden. Die Lösungen sind nur dann endlich, eindeutig und stetig, wenn

.

Dann sind die Lösungen die zugeordneten Legendrepolynome und mit erhält man die normierte Lösung der Polargleichung:

Die Gesamtlösung des Winkelanteils ist das Produkt aus den beiden erhaltenen Lösungen, nämlich die Kugelflächenfunktionen.

Darstellung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

3D Plot der Kugelflächenfunktionen (hier statt und statt ) für Grad

Die Darstellung der Kugelflächenfunktionen ergibt sich als Lösung der oben genannten Eigenwertgleichung. Die konkrete Rechnung liefert:

Dabei sind

die zugeordneten Legendrepolynome und

sind Normierungsfaktoren. Mitunter ist die Berechnung über:

mit

vorteilhafter (), da -faches Ableiten entfällt.

Eine andere Definition geht über homogene, harmonische Polynome. Diese sind durch ihren Wert auf der Sphäre eindeutig bestimmt. Jedes homogene harmonische Polynom vom Grad n lässt sich als Linearkombination von Kugelflächenfunktionen multipliziert mit schreiben und umgekehrt. Wählt man beispielsweise die Funktion, die konstant 1 ist, als Basis des eindimensionalen Vektorraumes der 0-homogenen harmonischen Polynome und x, y und z als Basis des dreidimensionalen Vektorraumes der 1-homogenen, so erhält man in Kugelkoordinaten nach Division von die Funktionen

,
,
.

Für die homogenen Polynome vom Grad 2 erkennt man in der Liste unten schnell auch die Terme wieder, nur mit einem falschen Vorfaktor.

Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Kugelflächenfunktionen haben folgende Eigenschaften:

  • Orthonormalitätsrelation: ( ist das Kronecker-Delta)
  • Parität: Der Übergang sieht in Kugelkoordinaten folgendermaßen aus: . Unter dieser Transformation verhalten sich die Kugelflächenfunktionen wie folgt:
  • Komplexe Konjugation: Die jeweiligen erhält man aus den durch:

Entwicklung nach Kugelflächenfunktionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Kugelflächenfunktionen bilden ein vollständiges Funktionensystem. Daher können alle quadratintegrablen Funktionen (mit und im Sinne der Kugelkoordinaten) nach den Kugelflächenfunktionen entwickelt werden:

Die Entwicklungskoeffizienten berechnen sich zu:

Dabei ist das komplex-konjugierte zu . Die Darstellung einer Funktion mit - und -Funktion als Fourierreihe ist ein Analogon zur Entwicklung einer zweidimensionalen Funktion mit auf einer Kugeloberfläche.

Additionstheorem [Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein Resultat für die Kugelflächenfunktionen ist das Additionstheorem. Hierfür seien zwei Einheitsvektoren und durch Kugelkoordinaten bzw. dargestellt. Für den Winkel zwischen diesen beiden Vektoren gilt dann

Das Additionstheorem für Kugelflächenfunktionen besagt nun

Das Theorem kann auch anstelle der Kugelflächenfunktionen mit den zugeordneten Legendrefunktionen geschrieben werden

Für erhält man aus dem Additionstheorem

Dies kann als eine Verallgemeinerung der Identität auf drei Dimensionen angesehen werden und ist als Unsöld-Theorem (nach Albrecht Unsöld) bekannt.[1]

Die ersten Kugelflächenfunktionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die ersten Kugelflächenfunktionen
Ylm l = 0 l = 1 l = 2 l = 3
m = −3
m = −2
m = −1
m = 0
m = 1
m = 2
m = 3

Anwendungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Quantenmechanik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als Eigenfunktionen des Winkelanteils des Laplaceoperators sind die Kugelflächenfunktionen zugleich Eigenfunktionen des Drehimpulsoperators zur Nebenquantenzahl als Eigenwert. Daher spielen sie eine große Rolle bei der Beschreibung von Atomzuständen. Ferner ist

Lösung der Laplace-Gleichung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für jedes ist die Funktion Lösung der Laplace-Gleichung in drei Dimensionen, denn die Funktion erfüllt gerade obige Gleichung

.

Jede Lösung der Laplace-Gleichung lässt sich nun eindeutig als

darstellen. Somit lässt sich mit den Kugelflächenfunktionen die Laplace-Gleichung mit sphärischen Dirichlet-Randbedingungen lösen: Legen die Randbedingungen den Wert der Lösung , die auf der abgeschlossenen Einheitskugel definiert sein soll, auf eine bestimmte quadratintegrable Funktion auf der Einheitssphäre fest, so lässt sich nach Kugelflächenfunktionen entwickeln, wodurch sich die Koeffizienten und damit auf eindeutige Weise ganz ergeben. Auf Grundlage dieser Erkenntnis der Lösbarkeit mit sphärischen Randbedingungen lässt sich die allgemeine Lösbarkeit des Dirichlet-Problems der Laplace-Gleichung für hinreichend glatte Randbedingungen zeigen, dieser Beweis geht auf Oskar Perron zurück.[2] Das Dirichlet-Problem findet Anwendung in der Elektrostatik und Magnetostatik. Zum Lösen der Laplace-Gleichung, bei der eine Funktion gesucht ist, die außerhalb einer Kugel definiert ist und im Unendlichen verschwindet, zu gegebenen Randbedingungen, ist der Ansatz einer Zerlegung

möglich, der ebenfalls stets eine Lösung der Laplace-Gleichung zu den gegebenen Randbedingungen liefert.

Nomenklatur in der Geophysik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wenn m gleich Null ist (oben links), sind die Schwingungsfunktionen nicht von der geographischen Länge abhängig und werden als zonal bezeichnet. Wenn ℓ = |m| (unten rechts), gibt es keine Nulldurchgänge in der geografischen Breite, und die Funktionen werden als sektoriell bezeichnet. In den anderen Fällen decken die Funktionen die Kugel ab und werden als tesseral bezeichnet.

In der Geophysik wird unterschieden zwischen:

  • zonal (): unabhängig von Längengrad
  • sektoriell (): schwingen nur entlang des Längengrades
  • tesseral (sonst): längen- und breitengradabhängig

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kugelflächenfunktionen werden auch in vielen Lehrbüchern der Theoretischen Physik behandelt, z. B.:

  • Arnold Sommerfeld: Vorlesungen über Theoretische Physik, Band 6 Partielle Differentialgleichungen der Physik. Harri Deutsch, 1992
  • Claude Cohen-Tannoudji, Bernard Diu, Franck Laloë: Quantenmechanik 1. 2. Auflage, Walter de Gruyter, Berlin / New York 1999, S. 649 ff.
  • Torsten Fließbach: Elektrodynamik. 4. Auflage, Spektrum, München 2005, S. 99 ff.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Albrecht Unsöld: Beiträge zur Quantenmechanik der Atome. In: Annalen der Physik. Band 387, Nr. 3, 1927, S. 376–377, doi:10.1002/andp.19273870304.
  2. Oskar Perron: Eine neue Behandlung der ersten Randwertaufgabe für Δu=0. In: Mathematische Zeitschrift. Band 18, Nr. 1. Springer, 1923, ISSN 0025-5874, S. 42–54, doi:10.1007/BF01192395.