Kultureller Wandel

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Sichtbarer kultureller Wandel: Die Aufnahme zeigt drei Männer vom Stamm der Yavapai aus Arizona. Der linke ist traditionell gekleidet, der mittlere mischt die Stile und der rechte trägt die typische Kleidung eines US-Amerikaners zum Ende des 19. Jahrhunderts

Kultureller Wandel ist die Bezeichnung für jegliche Art kultureller Veränderung im Zeitablauf, sei dies in Form der Abwandlung, der Anreicherung oder auch der Verarmung, die zu einer Transformation kultureller Denkmuster und Auffassungen, kultureller Werte, kultureller ästhetischer Vorlieben oder zur Transformation kulturell geprägten praktischen Handelns führt und somit auf das Erreichen eines neuen Zustands von Kultur hinwirkt. Betroffen sein vom kulturellen Wandel können Alltags- und Kulturtechniken (Schrift, Buchdruck, Internet, Haushaltstechnik), aber im Einzelnen auch z. B. die Veränderungen der Sprache, die Bildung neuer Jugend-Subkulturen und Moden und viele andere Dinge mehr.

Dieser Wandel kann durch Begebenheiten innerhalb der Kultur entstehen, also „endogener Kulturwandel“ sein, oder aber durch Begegnungen mit anderen Kulturen zustande kommen, aus denen Teile übernommen und zu einer neuen Form abgeändert werden, eine Abänderung, welche nicht auch in dem Herkunftsland aufzuweisen ist und als „induzierter Kulturwandel“ bezeichnet wird.[1]

Das Phänomen des kulturellen Wandels wird in verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen, so z. B. in der Kulturwissenschaft, in der Soziologie (inklusive Mediensoziologie), in der Anthropologie, in der Ethnologie, in der Religionswissenschaft, in der Sozialpsychologie sowie in den Geschichtswissenschaften erforscht.

Geht es primär um die beobachtbaren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen in einer Gesellschaft und weniger um die ursächlichen Ideen, Weltanschauungen und Handlungsantriebe der beteiligten Menschen, so ist – vorwiegend in soziologischer Literatur – stattdessen der Begriff „Sozialer Wandel“ maßgeblich.

Begriffsbestimmungen, nähere begriffliche Eingrenzungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Da sich jede Gesellschaft zwangsläufig den Veränderungen ihrer natürlichen Umwelt anpassen muss, folgt daraus bereits oftmals eine Notwendigkeit zum kulturellen Wandel – wenn auch nur im langsamen zeitlichen Maßstab. Wie Claude Lévi-Strauss erkannte, war das weitaus häufigste und über Jahrtausende gültige Bestreben der Menschen, jeglichen Wandel nach Möglichkeit zu „bremsen“ oder zu verhindern. Ein deutlich beschleunigter kultureller Wandel tritt ein, wenn die weltanschaulichen Einstellung einer Gesellschaft dem Fortschritt und der Veränderung gegenüber überwiegend positiv ist, wie es vor allem in der europäischen Hochkultur seit der Antike der Fall ist.[2]

Endogener Wandel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der modernen Industriegesellschaft ist ein offensichtlich entscheidender Antrieb für einen beschleunigten Kulturwandel der technologische Fortschritt. Erich Fromm hat dies sehr bezeichnend ausgedrückt: „Etwas muss getan werden, weil es technisch möglich ist“, unabhängig davon, ob die neue Technologie dem „Wohl oder Wehe“ von Mensch oder Umwelt dient.

„Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Ich weiß nur, dass es anders werden muss, wenn es besser werden soll.“

Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Denkweisen von Fromm und Lichtenberg angesichts der Herausforderungen des Klimawandels für das Überleben der Menschheit auf dem Planeten Erde überhaupt noch brauchbar sind. Kultureller Wandel, der auf Begebenheiten innerhalb der Kultur (wie etwa technischer Fortschritt) zurückgeht, wird als „endogener“ Wandel bezeichnet.

Umweltanpassung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine wichtige Triebfeder für den kulturellen Wandel sind äußere Zwänge durch Umweltveränderungen, die eine Anpassung erfordern. Ging man ursprünglich davon aus, dass dies zu bewussten, intentionellen Reaktionen führte, weiß man heute, dass keine Kultur optimal an ihre Umwelt angepasst ist. Dies wird etwa wie folgt begründet:[4]

  1. Keine menschliche Entscheidung beruht nur auf Vernunftgründen, sondern enthält immer auch emotionale und kulturelle Aspekte
  2. Jegliche Einschätzung eines Problems, der Lösungen und Risiken ist abhängig vom Zeitgeist und der jeweiligen Situation
  3. Es ist nicht möglich, alle Lösungsmöglichkeiten zu kennen und ihren Verlauf sicher vorherzusagen
  4. Kein Problem steht für sich allein, sodass die Lösung eines Problems andere Probleme verstärken oder schaffen kann

Induzierter Wandel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Entsteht ein Wandlungsprozess durch die Begegnungen mit anderen Kulturen, aus denen Teile übernommen und zu einer neuen Form abgeändert werden, spricht man von „induziertem Kulturwandel“.[1] Dies wäre unter anderem die zwangsweise Übertragung von Strukturen der imperialistischen Staaten auf die eroberten Völker während der Kolonialzeit,[Anm. 1] aber ebenso die freiwillige Übernahme fremder Kulturgüter durch Handel und Kommunikation (Kontaktinnovation). Historisch ist dieser Vorgang zum Beispiel für die Kelten belegt, die sich an der römischen Kultur orientierten.

In der Gegenwart findet induzierter Wandel vor allem durch die wirtschaftliche Globalisierung statt, wobei auch soziologische Untersuchungen nicht immer klar belegen können, ob dies freiwillig erfolgt oder eher aufgrund von Sachzwängen.[5]

Zur Verringerung eines negativ initiierten Wandels durch Tourismus, Journalismus, ethnologische Feldarbeit, Gesundheitswesen, Entwicklungspolitik oder andere interkulturelle Bereiche schlagen einige Ethnologen im Sinne der UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt die Entwicklung von Rahmenbedingungen für „kulturverträgliches Handeln“ vor.[6]

Formen des Kulturwandels[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit den sogenannten „Nomadenschulen“, in denen samischen Kinder eine minimale Bildung zugebilligt wurde, versuchte man in Schweden bis in die 1940er Jahre den Kulturwandel bei der Urbevölkerung Lapplands zu verhindern. Es gibt zahlreiche Beispiele für solche Lenkungsversuche bei indigenen Völkern, zumeist jedoch mit dem Ziel der Akkulturation.

„Assimilation“, „Akkulturation“, „Enkulturation“, „Integration“, „Indigenität“ und viele weitere Bezeichnungen sind einige Begrifflichkeiten in Zusammenhang mit kulturellem Wandel, die ausgesprochen uneinheitlich verwendet werden: bisweilen differenziert, bisweilen synonym, bisweilen unspezifisch. Für jeden Begriff gibt es je nach Fachgebiet, Autor und Perspektive viele (zum Teil deutlich) voneinander abweichende Definitionen.[7][8] Das folgende Kurzschema, das im Wesentlichen aus dem dtv-Atlas Ethnologie von Dieter Haller abgeleitet wurde, erhebt von daher keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit oder Vollständigkeit.[9]

Begriff Definitionsvorschlag Beispiele und/oder Erläuterungen
Ursachen und grundlegende Mechanismen des Wandels
Adaption existentiell notwendige Anpassungen an Umweltveränderungen Wandel des Vormenschen vom Vegetarier zum Allesfresser aufgrund klimatisch bedingten, veränderten Nahrungsangebotes
Invention Einführung neuer Prinzipien, Werkzeuge oder Bräuche, die von der Gesellschaft als vorteilhaft gewertet werden Neolithische Revolution, Technische Erfindungen jeglicher Art
Gesellschaftlicher Fortschritt notwendige oder gewollte Anpassung an die Eigendynamik der kulturellen Entwicklung Demokratisierung, Urbanisierung, Globalisierung
weltanschauliche Differenzierung Wandel durch unterschiedliche Deutung und Interpretation der Welt Ideologische Begründungen für Bewahrung oder Veränderung: Kalte und heiße Kulturen oder Optionen, Manipulation
Diffusion freiwillige oder notgedrungene Übernahme eines kulturellen Elementes von fremden Kulturen Gewehre und Motorschlitten in arktischen Jägerkulturen, Übernahme fremder Sprachen, Technologien, Nutzpflanzen usw. – unabhängig von der Akzeptanz des Fremden
Akkulturation umfassende Anpassungsprozesse beim Kontakt zweier unterschiedlicher Kulturen Erziehung und ungeplantes Lernen, Interesse am Fremdenohne Bewertung oder Richtung des Wandels
Tempo und Intensität des Wandels
Tradierung sehr langsame, jedoch komplexe Einbindung einer Veränderung über viele Generationen Begrüßungsrituale, Umgangsformen, Trachten, Esskultur
Modernisierung schneller, bewusst motivierter Wandel mit dem Ziel, Situationen zu verbessern Technisierung, Automatisierung und Industrialisierung, Fortschritt, Wissenschaft
Konkrete Prozesse und Richtung des Wandels
Devolutionsprozesse: gänzliche Aufgabe eines Kulturelementes:
  • Substitution
zugunsten eines neuen Elementes anstelle des germanischen Festes zur Wintersonnenwende wird heute in Skandinavien das christliche Luciafest gefeiert
  • Dekulturation
ohne Neuerung die Industrialisierung der Forstwirtschaft hat zur Aufgabe der Flößerei geführt
Reinterpretation Umdeutung von Kulturelementen Tabu/Tapu, Bedeutungswandel von „geil“ – häufig in Sprachen
Transkulturation Bewusste oder unbewusste Einflussnahme einer dominanten Kultur auf eine andere Russifizierung in Sibirien, Christianisierung indigener Völker, vorsätzliche Auslöschung von Kulturelementen (Ethnozid)
Assimilation Angleichungsprozess von Minderheiten an Mehrheiten mit zunehmender Devolution von Kulturelementen Ruhrpolen, Deutschbrasilianer, Russifizierung, Indigene Völker Taiwans
Indigenisierung[10] Übernahme und Anerkennung fremder Kulturelemente: Akzeptierte Addition und Einbindung in die traditionelle Kultur Pferd und Prärie-Indianer, Rentierwirtschaft der Sámi, Reinterpretation traditioneller Weltanschauungen als Reaktion auf westliche Ideologien – Gegenbewegung zur Assimilation
Synkretismus Verschmelzung von einander fremden Kulturelementen zu neuen Formen Tibetischer Buddhismus und Bön, Kreolsprachen und Pidgin-Sprachen – zumeist auf Religionen bezogen
Revitalisierungsprozesse: Wiederbelebung bestimmter Traditionen und/oder Wertvorstellungen
  • Rituelle Revitalisierung[11]
Rückkehr zu rituellen Praktiken und Glaubensvorstellungen der Vorfahren Cargo-Kulte, Krisenkulte, Sonnentanz, moderner Schamanismus der Tuwiner
  • Retraditionalisierung[12]
Reaktivierung bestimmter Elemente einer überlieferten Lebensweise Rückkehr zu traditionellen Wirtschaftsweisen, Wiederbelegung der Folklore oder Folklorisierung
  • Re-Indigenisierung[13]
Organisierte Wiederbelebung und Reinterpretation traditioneller Elemente Wildreis-Vermarktung durch Anishinabe-Indianer, Re‛Indigenisierung der kolumbianischen Paez, Kulturelle Renaissance bei den Māori Neuseelands – Wiedererstarken der ethnischen Identität

Einschätzung und „Messung“ des Wandels[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Akkulturation mexikanischer Immigranten wurde als erste in einer Skala abgebildet
Der Hahnenkampf als typische Leidenschaft lateinamerikanischer Machos – auch für das Machismo-Phänomen gibt es eine Skala des Kulturwandels
Isolierte Ethnien gehören nach Native Planet in die Kategorie unberührt (Luftbild aus Brasilien)

In vielen verschiedenen soziologischen und anthropologischen Untersuchungen spielt der Einfluss sozialer Wandlungsprozesse eine wichtige Rolle. Die Wissenschaft hat daher mittlerweile eine große Anzahl verschiedener Skalen für den Grad der Akkulturation, Assimilation oder Indigenität entwickelt, um entsprechende Einschätzungen vornehmen zu können. Solche Skalen werden im Rahmen von Fragestellungen verwendet, bei denen ein signifikanter Zusammenhang mit der Zeitdauer vermutet wird, in der die analysierten Gruppen bzw. Menschen unter dem Einfluss einer fremden Kultur stehen. Das gilt etwa für die staatsbürgerschaftliche Identität von Minderheiten, für kulturelle Kenntnisse und soziale Kompetenzen, die Veränderungen beim Gebrauch der Muttersprache oder für bestimmte Handlungsweisen und Einstellungen.[14]

Eine frühe Skala dieser Art ist die „Acculturation Rating Scale for Mexican Americans (ARSMA-I)“, die 1980 von Cuellar, Harris und Jasso entwickelt wurde. Es ging dabei um die Akkulturation von Mexikanern, die in den USA leben. Die Skala ist in die fünf Grade „sehr mexikanisch“, „mexikanisch orientiert bikulturell“, „genau bikulturell“, „anglo orientiert bikulturell“ und „sehr anglisiert“ eingeteilt. Seitdem wurden weitere einfache Skalen bis hin zu komplizierten Modellen entwickelt, die weitreichende Erkenntnisse ermöglichten. So ergab etwa die „Racial Identity Attitude Scale (RIAS)“ von Peña, dass der Grad der kulturellen Identität einen wichtigen Einfluss bei der Behandlungsweise von kokainabhängigen schwarzen Amerikanern hat. Weiterhin gibt es Skalen, um beispielsweise das Macho-Benehmen lateinamerikanischer Männer einzuschätzen, das „Familismo-Phänomen“ Italiens (Absolute Familientreue, siehe auch Mafia), die Verhaltensunterschiede von Land- und Stadtbewohnern oder die Denk- und Handlungsweisen zwischen Traditionalismus und Modernismus.[15]

Auch für die sehr weitreichenden und komplexen Akkulturations- und/oder Assimilations-Traumata traditioneller indigener Gesellschaften, die durch zum Teil jahrhundertelange Unterdrückung, Genozid, Rassismus, Sklaverei und Missionstätigkeit entstanden sind, existieren verschiedene Skalen.[16] So enthält etwa die „Rosebud Personal Opinion Survey“, die 1985 von Hoffmann, Dana und Bolton für nordamerikanische Indianer entwickelt wurde, den Gebrauch der Sprache, die Werte und Moralvorstellungen, soziale Netze, religiöse Glaubensvorstellungen und -praktiken, Lebensstil und ethnische Identifikation.[15] Eine noch weitergehende, ambitionierte Zuordnung für den Status indigener Völker aus allen Teilen der Welt verwendet die NGO Native Planet.[17]

Induzierter Kulturwandel in nicht-okzidentalen Kulturen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Native Planet und das „Level of Assimilation“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Native Planet widmet sich der Bewahrung bedrohter indigener Kulturen weltweit. Nach Ansicht der Organisation sind traditionell naturnah lebende Ethnien Vorbilder für den nachhaltigen Umgang mit der Erde, so dass man ihnen dazu verhelfen sollte, ihre Botschaften an das globale Publikum richten zu können.[18]

Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Erstellung einer umfassenden Völker-Datenbank, die u. a. anhand der eigens dafür entwickelten und hier unten abgebildeten Skala „Assimilationsgrad“ (Level of Assimilation) den kulturellen Wandel sichtbar macht, um das Bewusstsein für traditionelle Kulturen und ihre Gefährdung zu fördern.[19]

Leider fehlen die Indigenen Nordamerikas, Ozeaniens und des Vorderen Orients und die traditionellen Völker der meisten Staaten Afrikas; und die Datenbank wird seit 2008 offenbar nicht mehr aktualisiert.

Kategorie Übersetzung (sinngemäß) Beispiele
untouched
(unberührt)
Bisher keine oder nur sehr geringfügige Kontakte mit der modernen Welt. Von daher unveränderte traditionelle Lebensweise und Weltanschauung. Heute bestehen nur noch sehr wenige solcher Gemeinschaften. einige Yanomami,
Shompen,
Totobiegosode
nearly untouched
(nahezu unberührt)
Geringfügiger Kontakt mit Außenstehenden (z. B. durch Warentausch), jedoch ohne nachhaltigen Einfluss auf alle Aspekte der traditionellen Lebensweise; inklusive traditionelle Kleidung, Glaube und Ritualwesen. Noch keine Missionseinflüsse und keine regelmäßige Geldverwendung. einige Penan,
Jarawa,
Omagua
traditional
(traditionell)
Begrenzte Beziehungen zu Außenstehenden. Einige Kontakte mit fremden Religionen, jedoch ohne nachhaltigen Einfluss bzw. Festhalten am eigenen Glauben trotz offizieller „Bekehrung“. Die traditionellen Subsistenzweisen sichern den Hauptbestandteil der Versorgung mit Gütern und Nahrungsmitteln. Einige Gruppenmitglieder verwenden moderne Kleidung, Gegenstände und gelegentlich Geld. Derung,
Tagbanuwa,
Wayana
fairly traditional
(ziemlich traditionell)
Traditionsbewusste Lebensweise, Bewahrung vieler kultureller Eigenheiten trotz dauerhaftem Kontakt zur modernen Welt. Geld wird bereits täglich verwendet. Aché,
Urak Lawoi,
Zomi
assimilated
(weitgehend assimiliert)
Nur noch geringe Identifikation über die ethnische Zugehörigkeit. Zunehmende Verwendung einer fremden Sprache durch die jungen Generationen. Traditionelle Kleidung oder Rituale nur noch bei besonderen Anlässen. Die ursprüngliche Religion wird von den meisten Menschen nicht mehr praktiziert. Ainu,
Murut,
Wounaan
completely assimilated
(komplett assimiliert)
Volle Identifikation mit der modernen Kultur und kaum noch zu unterscheiden von anderen Bürgern des Landes, deren Sprache und Lebensstil übernommen wurde. Die Muttersprache sowie traditionelle Rituale werden nur noch durch die Alten bewahrt. Mapoyo,
Itonama

Auswirkungen der Globalisierung auf den kulturellen Wandel in nicht-okzidentalen Kulturen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Symbol einer allgemeingültigen Weltkultur mit ähnlichen Wertvorstellungen oder eher die „Standarte der Eroberer“?
Wohin mag der Weg in die globale Zukunft führen? Shuar-Mädchen auf einer Straße im ecuadorianischen Regenwald

In der Globalisierungsdebatte entstand die Befürchtung, dass die weltweite Verbreitung marktwirtschaftlicher Strukturen und der damit verbundene Transport eurozentrischer Werte die kulturelle Vielfalt gefährden würde, indem überall die gleiche Art von Kulturwandel eintrete. George Ritzer prägte dafür den Begriff „McDonaldisierung“. Eine solche Sichtweise unterschätzt jedoch den freien Willen der vom Wandel „Betroffenen“ und der Eigendynamik der Entwicklung, wie einige Wissenschaftler betonen.[20]

Zweifelsohne ist eine große kulturelle Vielfalt nicht nur aus romantischen Gründen oder als Reise-Anreiz für die Tourismus-Branche wünschenswert. Sie stellt einen wichtigen Vorrat an alternativen Ideen und Lebenskonzepten dar und wird daher als besonders schutzwürdig angesehen. Diese Erkenntnis führte 2001 zur UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt. Kulturelle Vielfalt wird dabei als eine der Wurzeln des Wandels betrachtet, als Weg zu einer erfüllteren intellektuellen, emotionalen, moralischen und geistigen Existenz.

Trotz des ehrenvollen Ansatzes besteht hier eine wesentliche Problematik: So wie Entwicklungspolitik die Gefahr birgt, fremden Kulturen einen Weg zu bereiten, der nicht mit ihren eigenen Strukturen vereinbar ist, so kann das „Einfrieren oder Lenken“ des Wandels, wie es die UNESCO-Richtlinie impliziert, auch nachteilige Auswirkungen haben. So gibt es einige Beispiele, die belegen, dass die Umsetzung der Richtlinie im Rahmen des Tourismus einen eigendynamischen Wandel verhinderte. Im Falle der Akhafrauen aus Laos legten der Staat fest, welches Verhalten „authentisch“ wäre und welches nicht. Dies blockierte jedoch einen Wandel zu mehr Selbstbestimmung der Frauen, der aufgrund der ohnehin bereits verwestlichten Rahmenbedingungen eingetreten wäre.[20]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Allgemein:

  • Stefan Deines, Daniel Martin Feige, Martin Seel (Hrsg.): Formen kulturellen Wandels. (= Edition Moderne Postmoderne) transscript Verl., Bielefeld 2012, ISBN 978-3-8376-1870-9.
  • Andreas Hepp (Hrsg.): Transformationen des Kulturellen: Prozesse des gegenwärtigen Kulturwandels. Springer VS, Wiesbaden 2013, ISBN 978-3-531-19238-3.
  • Lutz Bergemann et al. Transformation: ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels. In: Hartmut Böhme (Hrsg.): Transformation: ein Konzept zur Erforschung kulturellen Wandels. W. Fink Verl., Paderborn 2011, ISBN 978-3-7705-5261-0, S. 39–56.

Spezielle Themen:

  • Peter N. Stearns: Cultural change in modern world history: cases, causes and consequences. / with Olivia A. O’Neil and Jack Censer. Bloomsbury Academic, London usw. 2019, ISBN 978-1-350-05434-9 (paperback), ISBN 978-1-350-05433-2 (hardback).
  • William Ascher, John M. Heffron (Hrsg.): Cultural change and persistence. Palgrave Macmillan, New York usw. 2010, ISBN 978-0-230-10914-8.
  • Katharina von Helmolt, Daniel Jan Ittstein (Hrsg.): Digitalisierung und (Inter-)Kulturalität: Formen, Wirkung und Wandel von Kultur in der digitalisierten Welt. (= Kultur – Kommunikation - Kooperation; Bd. 22) ibidem-Verl., Stuttgart [2018], ISBN 978-3-8382-1177-0.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Anna Gottschalk: Kultureller Wandel. soziologie.soz.uni-linz.ac.at-Internetportal (Soziologie, Uni Linz), ohne Datumsangabe, Website abgerufen am 22. Oktober 2022.

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. So z. B. die zwangsweise die Laizisierung des gesamten westafrikanischen Schulsystems durch die französische Kolonialverwaltung im Jahr 1903. Siehe: Carla Schelle: Schulsysteme, Unterricht und Bildung im mehrsprachigen frankophonen Westen und Norden Afrikas. Münster 2013, S. 34.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Vergl.: W. Fuchs-Heinritz et al. (Hrsg.): Lexikon zur Soziologie. 3. völlig neue und erw. Aufl., Westdeutscher Verlag, Opladen 1981, ISBN 3-531-11417-4, S. 386.
  2. Claude Lévi-Strauss: Strukturale Anthropologie II. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1975.
  3. Innovation. Forum Sprachkritik, Stichwort:
  4. Marion Benz: Die Neolithisierung im Vorderen Orient. Ex oriente, Zweite, kaum veränderte Auflage, Berlin 2008, ISBN 3-9804241-6-2. PDF, S. 107–108.
  5. Mathias Bös: Migration als Problem offener Gesellschaften. Globalisierung und sozialer Wandel in Westeuropa und in Nordamerika. Leske u. Budrich, Opladen 1997, ISBN 3-8100-1697-7, S. 9, 29–30, 195–197, 201.
  6. Arnold Groh: Kulturwandel durch Reisen: Faktoren, Interdependenzen, Dominanzeffekte. In: Christian Berkemeier, Katrin Callsen, Ingmar Probst(Hrsg.): Begegnung und Verhandlung: Möglichkeiten eines Kulturwandels durch Reise. LIT Verlag, Münster 2004, S. 13–31.
  7. Werner Stangl: Stichworte Akkulturation und Enkulturation. In: Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik abgerufen am 21. März 2015.
  8. Assimilation. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Karl von Ossietzky-Universität, Oldenburg, abgerufen am 21. März 2015.
  9. Dieter Haller, Bernd Rodekohr: dtv-Atlas Ethnologie. 2., vollständig durchgesehene und korrigierte Auflage 2110. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2015, ISBN 978-3-423-03259-9, S. 87–89.
  10. Jacqueline Knörr: Postkoloniale Kreolität versus koloniale Kreolisierung.In: Paideuma 55. S. 93–115.
  11. Walter Hirschberg (Begründer), Wolfgang Müller (Redaktion): Wörterbuch der Völkerkunde. Neuausgabe, 2. Auflage, Reimer, Berlin 2105, S. 317.
  12. Uta Dossow: Traditionelle Muster in neuem Gewand. Schwindler-Tuch und Mmaban-Stoffe. In: Baessler-Archiv – Beiträge zur Völkerkunde. Band 52, D. Reimer, Berlin 2104, ISSN 0005-3856. S. 218.
  13. Eva Gugenberger: Titel. LIT-Verlag, Münster 2111, ISBN 978-3-643-50309-1. S. 58–59.
  14. Phyllis M. Wallace, Elizabeth A. Pomery, Amy E. Latimer, Josefa L. Martinez, Peter Salovey: A Review of Acculturation Measures and Their Utility in Studies Promoting Latino Health. In: Hispanic Journal of Behavioral Sciences. Vol. 32, Nr. 1, 2110, S. 7–54.
  15. a b Center for Substance Abuse Treatment (Hrsg.): A Treatment Improvement Protocol (TIP): Improving Cultural Competence. Nr. 59, Rockville (USA) 2117, S. 253–254.
  16. Glenn C. Gamst, Christopher T. H. Liang, Aghop Der-Karabetian: Handbook of Multicultural Measures. Sage Publications, Thousand Oaks, New Delhi, London, Singapur 2111, ISBN 978-1-4129-7883-5, S. 155–156.
  17. María Cristina Blohm: Zugang zu humangenetischen Ressourcen indigener Völker Lateinamerikas: Eine Stakeholderanalyse. 1. Auflage. Gabler, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-8349-2439-1, S. 96, Fußnote 438.
  18. Mark Durieux u. Robert Stebbins: Social Entrepreneurship For Dummies. John Wiley & Sons, Indianapolis 2010, ISBN 978-0-470-63250-5. Kapitel 6: Women’s and Minorities’ Organizations.
  19. Native Planet: Indigenous Mapping: Ethnic Communities from Around the World. In: nativeplanet.org -und- Native Planet Journal Vol. 1, Issue 3 -sowie-Levels of Assimilation, abgerufen am 7. September 2015.
  20. a b Fernand Kreff, Eva-Maria Knoll, Andre Gingrich (Hrsg.): Lexikon der Globalisierung. transcript Verlag, Bielefeld 2011, ISBN 978-3-8376-1822-8, Schlagwort: „Kulturwandel“ S. 220–223.