Kurdische Juden

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Kurdische Jüdinnen um 1905 bei Rawanduz (heutige Autonome Region Kurdistan)
Illuminierte Handschrift aus Kurdistan, Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie umfasst vier liturgische Gedichte, Verse aus dem Buch Ester und Segenswünsche, die bei kurdischen Juden während des Purimfestes vorgelesen wurden

Kurdische Juden oder auch Kurdistan-Juden (hebräisch יהדות כורדיסתאן; Yehudot Kurdistan, kurdisch: Kurdên cihû) werden diejenigen Juden genannt, die seit alters her in dem Gebiet Kurdistan leben. Ihre Kultur und Kleidungsart ähneln denen der muslimischen Kurden. Bis zu der Massenauswanderung in den 1940er und 1950er Jahren nach Israel lebten sie in sich geschlossen und isoliert. Die kurdischen Juden sind ein Teil der Mizrachim. Schwerpunkt ihrer Siedlungsgebiete waren der heutige Nordirak und Westiran. Eine kleine jüdische Gemeinschaft gab es in Diyarbakır.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach ihrer Überlieferung siedelten sich die ersten Juden nach der assyrischen Eroberung des Nordreichs Israel im 8. Jh. v. Chr. in der assyrischen Hauptstadt, die im heutigen Gebiet Kurdistan lag, an.[1] Im 1. Jh. v. Chr. wählte das Reich Adiabene, dessen Hauptstadt das heutige Erbil ist, das Judentum als Religion aus.[2] Nach den Berichten der jüdischen Reisenden Benjamin von Tudela und Petachja aus Regensburg aus dem 12. Jh. gab es ungefähr 100 jüdische Siedlungen in Kurdistan. Benjamin von Tudela erwähnte einen messianischen Führer namens David Alroi, der sich gegen den persischen König auflehnte und die Juden zurück nach Jerusalem führen wollte. Nach den Reiseberichten war das geistliche und wirtschaftliche Zentrum der kurdischen Juden die Stadt Mosul. Später siedelten sich jüdische Flüchtlinge aus Syrien und Palästina, die vor den Kreuzzügen flohen, in Kurdistan und Babylon an. Die Juden aus Mosul genossen zu der Zeit eine gewisse Autonomie.[3]

Zwischen 1590 und 1670 lebte die Rabbinerin Asenath Barzani, die die Tora, den Talmud und die Kabbala lehrte. Als erste Frau leitete sie eine Jeschiwa. Sie erhielt den Titel Tanna'it.[4] Asenath Barzani war auch für ihre Gedichte und Arbeiten über die hebräische Sprache bekannt. Ihre Werke sind auch deswegen wichtig, weil es die ersten Gedichte einer Frau im modernen Hebräisch sind.[5]

Die wichtigsten jüdischen Stätten in Kurdistan sind die Gräber der Propheten Nahum in Alqosh, Jona bei Ninive und Daniel in Kirkuk. Außerdem zählen dazu einige Höhlen, die angeblich von Elija besucht wurden.

Kurdische Juden waren auch in der zionistischen Bewegung aktiv. So gehörte Moses Barzani, der mit seiner Familie in den 1920ern nach Jerusalem auswanderte, zu den Führern der Untergrundorganisation Lechi.

Namen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Neben von benachbarten Kulturen übernommenen Namen und allgemeinen populären hebräischen Namen gibt es auch spezifische hebräische Namen, die gehäuft unter den kurdischen Juden vorkommen. Dazu gehört beispielsweise der Name Binydme, da sich die Juden der Region als Nachkommen des Stammes Benjamin ansehen. Daneben sind die Namen von Heiligen, deren Schreine und Gräber sich in der Region befinden, verbreitet. Dazu gehört Nahum, dessen Grab in Alqosh alljährlich von Tausenden besucht wird. Andere Namen sind Jonah, Nahum, Mordechai und Esther.[6]

Sprache[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Benjamin von Tudela, der Kurdistan im mittleren 12. Jahrhundert bereiste, berichtete, dass die dort ansässigen Juden Aramäisch sprachen.[7][8] Ihr Aramäisch enthält Lehnwörter aus dem Türkischen, Persischen, Kurdischen, Arabischen und Hebräischen.[8] Die heutigen kurdischen Juden sprechen eine neuaramäische Sprache mit mehreren Dialekten, die nach ihren Siedlungsgebieten benannt sind:

Sprecherorte und Verbreitungsgebiete der jüdisch-neuaramäischen Sprachformen Mitte 20. Jahrhundert: Hulaula (lila), Lishan Didan (grün), Lishanid Noshan (blau) und Lishana Deni (orange), das fast verschwundene Lishanid Janan (früher am Ostrand des Farbfeldes von Lishana Deni – in orange – gesprochen) ist nicht mehr eingezeichnet.
  • Urmiyah (Lishan Didan) (4.000 Sprecher)
  • Sanadaj-Kerend (Hulaula) (10.000 Sprecher)
  • Zachu-Amadiyah (Lishana Deni) (8.000 Sprecher)
  • Erbil-Koi-Sanjaq (Lishanid Noshan) (2.000 Sprecher)
  • Bijil (Lishanid Janan, Barzani) (fast ausgestorben)

Im 20. Jahrhundert übernahmen städtische Juden das Arabische als Erstsprache, wohingegen das Aramäische sich in den Bergregionen hielt.[8] Da die meisten kurdischen Juden aus dem Irak nun in Israel leben[8], werden ihre Dialekte dort von der Amtssprache[8] und den umgebenden Sprachen verdrängt. In Israel gibt es einige Siedlungen und Stadtviertel, in denen Aramäisch noch Umgangssprache jüdischer Gruppen aus Kurdistan (Nordirak) ist, nach Ethnologue einige Viertel im Raum Tel Aviv und Jerusalem (darunter auch in der Nähe der Hebräischen Universität) und in Mewasseret Zion.[9] Es bestehen starke Verbindungen zwischen muslimischen Kurden in Kurdistan und von dort aus nach Israel ausgewanderten Juden.[10] Neben dem Aramäischen sprechen die kurdischen Juden auch Kurdisch.

Vertreter[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Ora Schwartz-Be'eri: The Jews of Kurdistan: Daily Life, Customs, Arts and Crafts. UPNE publishers, Jerusalem 2000, ISBN 965-278-238-6.
  • Yona Sabar: The Folk Literature of the Kurdistani Jews: An Anthology, Yale University Press, 1982, ISBN 0-300-02698-6.
  • Matthias Hofmann: Kurdistan von Anfang an. Saladin Verlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-947765-00-3.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Encyclopedia Judaica: Roth C s. 1296–1299 (Keter: Jerusalem 1972).
  2. Encyclopaedia Judaica: Artikel „Irbil/Arbil“
  3. Ora Schwartz-Be'eri: The Jews of Kurdistan: Daily Life, Customs, Arts and Crafts, UPNE publishers, 2000, ISBN 965-278-238-6, S. 26
  4. Sally Berkovic, Straight Talk: My Dilemma As an Orthodox Jewish Woman: KTAV Publishing House, 1999, ISBN 0-88125-661-7, S. 226
  5. Shirley Kaufman, Galit Hasan-Rokem, Tamar Hess: Hebrew Feminist Poems from Antiquity to the Present: A Bilingual Anthology, Feminist Press, 1999, ISBN 1-55861-224-6, S. 7 und 9
  6. Yona Sabar: First Names, Nicknames and Family Names among the Jews of Kurdistan. In The Jewish Quarterly Review, New Series, Vol. 65, No. 1 (Juli 1974), S. 43–51
  7. Edward Lipiński: Semitic Languages: Outline of a Comparative Grammar (= Orientalia Lovaniensia analecta. Band 80). 2. Auflage. Peeters, Leuven 2001, ISBN 90-429-0815-7, S. 73 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 18. August 2015]).
  8. a b c d e Kurdish Jewish Community in Israel. Jerusalem Center for Jewish-Christian Relations, archiviert vom Original am 28. Juli 2013; abgerufen am 25. August 2015 (englisch).
  9. Siehe Ethnologue-Angaben zu Hulaulá, Barzani-Jüdisches Aramäisch, Lishana Deni, Lishán Didán und Lishanid Noshan.
  10. Lazar Berman: Cultural pride, and unlikely guests, at Kurdish Jewish festival. Muslim visitors travel from Syria and Iraq to join their brethren at the annual Saharane celebration in Jerusalem. The Times of Israel, 30. September 2013, abgerufen am 25. August 2015 (englisch).