Kurzer Prozess (Urteil)

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Kurzer Prozess bezeichnet umgangssprachlich ein abgekürztes oder außerordentliches Gerichtsverfahren, das sich durch bestimmte Vereinfachungen auszeichnet, um im Interesse der Prozessökonomie oder aus rechtspolitischen Gründen schneller oder kostengünstiger zu einem Abschluss zu gelangen.[1][2]

Solche Vereinfachungen können z. B. eine Einschränkung von Rechtsmitteln,[3][4] Abstriche bei der Beweisaufnahme, z. B. im beschleunigten Strafverfahren, verkürzte Fristen, die Nichtberücksichtigung verspäteten Vorbringens (Präklusion)[5] oder eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung sein (Abweisung a limine).[6]

Ausnahmen von einem regulären Verfahren bedürfen in der Regel der Zustimmung der Beteiligten (§ 420 Abs. 3 StPO), sind auf Bagatellfälle beschränkt (§ 495a ZPO) oder lassen nur bestimmte Rechtsfolgen zu. So darf im Strafbefehlsverfahren grundsätzlich keine Freiheitsstrafe verhängt werden (§ 407 Abs. 2 StPO).

Rechtsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Mittelalter war für Täter, die auf frischer Tat gestellt wurden, das Handhaftverfahren vorgesehen. Mit der Aufklärung wurde die geheime Kabinettsjustiz unter Umgehung der Gerichtsbarkeit abgeschafft.

Der Begriff „kurzer Prozess“ ist in der jüngeren deutschen Geschichte untrennbar mit den Urteilen der Sonder- und Standgerichte und des Volksgerichtshofs in der Endphase des Dritten Reiches verbunden, denen viele Menschen – damals als Wehrkraftzersetzer, Deserteure oder Volksschädlinge bezeichnet – zum Opfer fielen. Nach § 5 der Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5. September 1939 musste in allen Verfahren vor den Sondergerichten „die Aburteilung sofort ohne Einhaltung von Fristen erfolgen, wenn der Täter auf frischer Tat betroffen ist oder sonst seine Schuld offen zutage liegt.“ Dahinter stand das Dogma, dass die Strafe der Tat auf dem Fuße zu folgen habe.[7] Nach Art. III § 5 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrens vom 24. April 1934[8] war gegen die Entscheidungen des Volksgerichtshofs kein Rechtsmittel zulässig. Nach der Polenstrafrechtsverordnung konnten Gericht und Staatsanwalt das Verfahren nach Ermessen gestalten und von Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Reichsstrafverfahrensrechts abweichen, „wo dies zur schnellen und nachdrücklichen Durchführung des Verfahrens zweckmäßig ist.“

Dauer von Gerichtsverfahren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Viele Prozessordnungen mahnen die Gerichte zur Verfahrensbeschleunigung, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 275 ZPO, § 155 FamFG, § 87 VwGO). Ein besonderes Beschleunigungsgebot gilt für Haftsachen.

Eine kurze Dauer von Ermittlungs- und Gerichtsverfahren ist grundsätzlich sinnvoll. Die Beweiserhebung und Würdigung ist einfacher, wenn der zu beurteilende Sachverhalt frisch ist. Die Kosten des Verfahrens sind unter Umständen niedriger. Insbesondere im Jugendstrafrecht ist die erhoffte pädagogische Wirkung aus Verurteilung und Strafe höher, wenn Tat und Strafe in engem zeitlichen Zusammenhang stehen. Daher gibt es in vielen Rechtsordnungen Instrumente, die in manchen Fällen vereinfachte oder beschleunigte Verfahren vorsehen. In Deutschland sind dies z. B. das beschleunigte Strafverfahren,[9][10] der Urkundenprozess oder das Mahnverfahren.[11] Alle diese Verfahren gewährleisten jedoch rechtsstaatliche Mindeststandards. Gegen überlange Gerichtsverfahren besteht Rechtsschutz gem. § 198 GVG.

Verfahrensgrundrechte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 verbürgt das Recht auf ein faires Verfahren, das verhindern soll, Menschen zum bloßen Objekt staatlicher Rechtsausübung zu degradieren.[12][13] In Deutschland garantiert Art. 103 Abs. 1 GG das rechtliche Gehör, damit dem Menschen kein „kurzer Prozess“ gemacht wird.[14] Das GG enthält indessen nur eine Mindestgarantie, über welche die einfachrechtlichen Prozessordnungen hinausgehen können. Nach Art. 101 Abs. 1 Satz 1 GG sind Ausnahmegerichte unzulässig.

Übertragene Bedeutung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im übertragenen Sinn wird der Begriff „kurzer Prozess“ verwendet, wenn jemand in einer Sache oder einer Auseinandersetzung augenblicklich und unwiderruflich eine schnelle Entscheidung herbeiführt. Ein Boxer, der in der 1. Runde einen frühen K.-o.-Sieg landet, macht „kurzen Prozess“ mit seinem Gegner.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Wolfgang Sellert: Kurzer Prozess. In: HRG 2014 (2) Tl. 3 S. Sp. 370–371.
  • Matthias Pflughaupt: Prozessökonomie. Verfassungsrechtliche Anatomie und Belastbarkeit eines gern bemühten Arguments. Mohr Siebeck, 2011. ISBN 978-3-16-150864-6.
  • Matthias Niedzwicki: Präklusionsvorschriften des öffentlichen Rechts im Spannungsfeld zwischen Verfahrensbeschleunigung, Einzelfallgerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit. Zur Vereinbarkeit der Präklusion mit dem Grundgesetz und mit dem Europarecht. Duncker & Humblot, 2007. ISBN 978-3-428-12344-5.
  • Verena Haslbauer: Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung und ihre verfassungsrechtlichen Grenzen. Paris-Lodron-Universität Salzburg, Diplomarbeit, 2020.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. vgl. Marc Thommen: Kurzer Prozess - fairer Prozess? Strafbefehls- und abgekürzte Verfahren zwischen Effizienz und Gerechtigkeit. Stämpfli Verlag, Bern 2013. ISBN 978-3-7272-7990-4.
  2. Hasso Suliak: Beschlüsse der Herbst-IMK 2019: „Kurzer Prozess“ für Rechtsextremisten, Fahrverbote für Stadionstörer Legal Tribune Online, 6. Dezember 2019.
  3. vgl. beispielsweise Ulrich Ramsauer: Prozessuale Einbußen beim Rechtsschutz durch weniger Rechtsmittel. Verwaltungsrecht im Wandel – weniger Streitkultur? Anwaltsblatt 2015, S. 739–747.
  4. Reinhard Greger: Informationen zu Reform und Praxis des Zivilprozesses. Abgerufen am 5. August 2021.
  5. Helmut A. Graf: BGH: Keine Präklusion, wenn dieselbe Verzögerung auch bei rechtzeitigem Vortrag eingetreten wäre 10. September 2012.
  6. Benedikt Windau: BGH: Kein „kurzer Prozess“ bei Beschlusszurückweisung gem. § 522 Abs. 2 ZPO 5. März 2017.
  7. Uwe Scheffler: Kurzer Prozess mit rechtsstaatlichen Grundsätzen? NJW 1994, S. 2191, 2195.
  8. RGBl. Teil I, Nr. 47, S. 341–348.
  9. Zahl der Expressurteile in Baden-Württemberg steigt SWR, 8. Januar 2021.
  10. Justiz - Stuttgart: „Kurzer Prozess“ könnte bald landesweit möglich sein Süddeutsche Zeitung, 7. Juni 2021.
  11. vgl. Bayerisches Staatsministerium der Justiz: Das Mahnverfahren: Ein kurzer Prozess. Stand: März 2014.
  12. Rainer Hofmann: Das Recht auf ein faires Verfahren Universität Frankfurt am Main, ohne Jahr, abgerufen am 4. August 2021.
  13. Philipp Germelmann: Konstitutionalisierung des Prozessrechts innerhalb der Europäischen Union: Die Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union in den Rechtssachen Kadi und Al Barakaat (C-402/05 P und C-415/05 P) und ihre verfahrensrechtliche Dimension 2011.
  14. BVerfG vom 9. Juli 1980 – 2 BvR 701/80 = BVerfGE 55, 1, 6.