Leonid Kutschma

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Leonid Kutschma (2019)

Leonid Danylowytsch Kutschma (* 9. August 1938 in Tschajkyne, Oblast Tschernihiw, Ukrainische SSR) ist ein parteiloser ukrainischer Politiker. Er war von Oktober 1992 bis September 1993 Ministerpräsident und von Juli 1994 bis Januar 2005 Präsident der Ukraine.

Kyrillisch (Ukrainisch)
Леонід Данилович Кучма
Transl.: Leonid Danylovyč Kučma
Transkr.: Leonid Danylowytsch Kutschma

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Donald Rumsfeld und Leonid Kutschma (rechts) im Garten der Präsidentendatscha in Partenit, Ukraine, am 13. August 2004

Kutschma studierte an der Universität Dnipropetrowsk und machte einen Abschluss in Raketentechnik. Er war ein führender Ingenieur in Baikonur und gelangte in Managementpositionen sowie in das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Ukraine, aus der er 1991 austrat. Danach blieb er parteilos.

Von 1990 bis 1992 war er Mitglied des ukrainischen Parlaments und wurde am 13. Oktober 1992 Ministerpräsident. Er trat von dieser Funktion am 21. September 1993 zurück, um für die Präsidentschaftswahl 1994 zu kandidieren. Am 19. Juli 1994 wurde er Präsident der Ukraine. Im Jahr 1999 wurde er wiedergewählt, wobei seine Wahlkampagne von einflussreichen Netzwerken ukrainischer Großindustrieller unterstützt und mitfinanziert wurde.[1] Seine Amtszeit als Präsident endete im Jahr 2004, eine dritte Amtsperiode war gesetzlich nicht möglich.

Einige seiner politischen Gegner beschuldigten ihn, für die Ermordung des georgisch-ukrainischen Journalisten Heorhij Gongadse im Jahr 2000 verantwortlich gewesen zu sein, was Kutschma stets bestritt. Der Vorsitzende der Sozialistischen Partei der Ukraine Oleksandr Moros veröffentlichte im Jahr 2001 Tonaufnahmen, auf denen unter anderem ein Gespräch zwischen Kutschma, dem Parlamentsvorsitzenden Wolodymyr Lytwyn und Innenminister Jurij Krawtschenko über das Verschwinden Heorhij Gongadses zu hören sein soll.[2] Die Authentizität dieser Aufnahme ist unbestätigt geblieben.

Mit der Veröffentlichung der Aufnahme, dem sogenannten Kassetten-Skandal, initiierte die Opposition die Aktion Ukraine ohne Kutschma (ukrainisch Ukrajina bes Kutschmy), die bei Massenprotesten den Rücktritt Kutschmas forderte. Mehrere Misstrauensabstimmungen gegen Kutschma in der Werchowna Rada scheiterten. Neben einer Verwicklung in den Mord an Gongadse wurden Kutschma auch deutliche Einschränkungen der Pressefreiheit vorgeworfen.

Vor den Präsidentschaftswahlen 2004 unterstützte Kutschma zunächst den damals amtierenden Ministerpräsidenten Wiktor Janukowytsch, distanzierte sich aber von diesem angesichts der Massenproteste der Demokratiebewegung in der „Orangen Revolution“, die eine Wiederholung der zugunsten Janukowytschs gefälschten Wahlen forderte.[3] Bei der Wiederholung der Stichwahl am 26. Dezember 2004 siegte Wiktor Juschtschenko. Kutschma rief vor dem Ende seiner Amtszeit die beiden Lager zur Versöhnung auf und gratulierte seinem Nachfolger.

Wenige Tage vor der Vereidigung des neuen Präsidenten Wiktor Juschtschenko im Januar 2005 wurden Kutschma noch von der alten Regierung zahlreiche Ruhestands-Privilegien zugesprochen. Die neue Regierung erkannte dem Ex-Präsidenten einige dieser Privilegien wieder ab.

Im Jahr 2007 veröffentlichte Kutschma ein Buch über die Zeit nach der „Orangen Revolution“ mit dem Titel Nach dem Majdan. Aufzeichnungen des Präsidenten. 2005–2006. 2008 beklagte er öffentlich die aus seiner Sicht instabile politische Situation in der Ukraine, der diese noch lange Zeit erhalten bleiben werde. Er beneide Russland um dessen Stabilität unter Präsident Wladimir Putin.

Im März 2011 gab die Generalstaatsanwaltschaft in Kiew bekannt, gegen Kutschma wegen der Ermordung des Journalisten Gongadse im Jahr 2000 zu ermitteln; dieser bestritt alle Vorwürfe.[4] Am 14. Dezember 2011 wurde das Verfahren gegen ihn mit der Begründung eingestellt, es habe auf unzulässigen Indizien beruht.[5]

Im Juni 2014 forderte Kutschma mit seinem Amtsvorgänger Leonid Krawtschuk und seinem Nachfolger Juschtschenko in einer gemeinsamen „Erklärung der drei Präsidenten“ den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, die „aggressive Außenpolitik“ gegenüber der Ukraine zu beenden.[6] Auf Bitten des neuen Präsidenten Petro Poroschenko vertrat Kutschma die Ukraine in der trilateralen Kontaktgruppe, die im September 2014 in Minsk einen in der Folge allerdings von den Konfliktparteien nicht beachteten Waffenstillstand für das Kriegsgebiet Donbass aushandelte.[7]

Anfang August 2022 konnte die BBC das erste (schriftliche) Interview mit Kutschma nach dem russischen Überfall auf die Ukraine führen. Das Angebot, ins Ausland evakuiert zu werden, hatte Kutschma abgelehnt. Er bedauerte, dass die Ukraine in all den Jahren der schleichenden russischen Aggression und eines hybriden Krieges keine Abschreckung aufbauen konnte, also eine Ausrüstung mit weitreichenden Waffen. Auch habe der Westen das Verlangen der Ukraine nach präventiven Sanktionen nicht erfüllt. Darum habe Putin bis zum Einmarsch seiner Truppen nicht an schmerzhafte Sanktionen des Westens geglaubt. Nach einem solchen kriminellen Vorgehen könne es auch nicht darum gehen, dass jemand „das Gesicht wahren“ könne. Dabei habe doch Putin nur zum Machterhalt einen Krieg angefangen, der Krieg sei die „Droge“, ein Anteil Größenwahn für den kleinen Mann. Nichts werde sich in Russland ändern, kein Antikriegsprotest erfolgen ohne einen Sieg der Ukraine.[8]

„Putin wollte die Zerstörung des ukrainischen Staates und wird unsere zweite Geburt erhalten.“

„Ich denke, dass nach unserem Sieg, nach dem Sieg der Demokratie über den faschistischen Autoritarismus viele internationale Organisationen eine radikale Änderung des Formats (der UNO) fordern werden, weil das jetzige nicht funktioniert.“

Man dürfe nicht vergessen, dass ein Hauptziel des Kremls die Zerstörung der Einheit Europas und der Integrität der euro-atlantischen Gemeinschaft sei. Der Werkzeugkasten Putins umfasse „Propagandalügen und Manipulationen, Einschüchterung und Erpressung“. Ein Problem seien die bequemen Gesellschaften des Westens, welche von Russland erheblich korrumpiert worden seien.[8]

Publikationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Posle majdana. Zapiski prezidenta. 2005–2006. Dovira, Kiew 2007, ISBN 978-5-9691-0094-7.
  • Svoïm šljachom: rozdumy pro ekonomični reformy v Ukraïni. In Jure, Kiew 2004, ISBN 966-313-198-5.
  • Ukraina – ne Rossija. Vremja, Moskau 2003, ISBN 5-94117-075-0.
  • Naciju zveličujut’ veliki cili i dila. Presa Ukraïny, Kiew 2000.
  • ljudyna i prezydent – personality and president. Mystectvo, Kiew 1998.
  • Ekonomičnyj i social’nyj rozvytok Ukraïny u 1995 roci: ščorična dopovid’ Prezidenta Ukraïny pro vnutrišnju ta zovnišnju polityku Ukraïny. Kiew 1996, ISBN 966-524-001-3.
  • Ekonomična dopovid’ prezydenta Ukraïny: 1994 rik. Ukraïna, Kiew 1995, ISBN 5-319-01357-4.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Taras Kuzio: Ukraine under Kuchma: political reform, economic transformation and security policy in independent Ukraine. Macmillan, Basingstoke 1997, ISBN 0-333-65414-5, ISBN 0-312-17625-2.
  • Taras Kuzio (Hg.): Democratic revolution in Ukraine: from Kuchmagate to Orange Revolution. In: The journal of communist studies and transition politics, Bd. 23, Nr. 1, S. 30–56.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Leonid Kutschma – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Kiews Kicker-Oligarch (Memento vom 5. September 2012 im Webarchiv archive.today). In: Neue Zürcher Zeitung, 28. August 2001.
  2. Thomas Urban: Der Ex-Präsident, eine Enthauptung und ein falscher Holzfäller. In: Süddeutsche Zeitung, 26. April 2011, S. 7.
  3. Reinhard Veser: Mann des Ostens. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Februar 2015, S. 8.
  4. Konrad Schuller: Ermittlungen für das Image. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. März 2011.
  5. Gerhard Lechner: Kiew bereinigt Affäre Kutschma. In: Wiener Zeitung, zuletzt aktualisiert am 30. Januar 2013.
  6. Kreml weist Kritik an Truppenaufmarsch zurück. In: Welt Online, 20. Juni 2014.
  7. Ukraine-Kontaktgruppe tritt auf der Stelle. In: n-tv.de, 25. Dezember 2014.
  8. a b Оксана Тороп: Леонид Кучма: „Путин хотел уничтожить Украину, а получит наше второе рождение“. (Leonid Kutschma: „Putin wollte die Ukraine zerstören, aber er wird unsere Wiedergeburt bekommen“). BBC News, Русская Служба, 4. August 2022.