Louis-Sébastien Mercier

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Louis-Sébastien Mercier.

Louis-Sébastien Mercier (* 6. Juni 1740 in Paris; † 25. April 1814 ebenda) war ein französischer Schriftsteller.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mercier verfasste schon früh aufgeklärte Romane, philosophische Abhandlungen und Dramen wie Jennval (1769), Natalie (1775) oder La Destruction de la ligue (1782).

Sein berühmter Roman L’an deux mille quatre cent quarante. Rêve s’il en fût jamais (1771) markiert die Wende im utopischen Genre von der Ferne in die Zukunft. Er beschreibt die Zeitreise eines Menschen aus dem Paris des Jahres 1769 in das Paris von 2440 und verlegt somit das ideale Gemeinwesen in die Zukunft eines existierenden Raumes. Mit seinem Roman beginnt die Verzeitlichung der Utopie (Reinhart Koselleck). Das zunächst anonym erschienene Werk erlebte zahllose Neuauflagen und gilt als ein Markstein der Entstehung der Science-Fiction-Literatur. Auch für die Entwicklung der Geschichtsphilosophie ist es wichtig.

In seinem Tableau de Paris (1781) stellte er Impressionen aus dem Alltagsleben der Großstadt zusammen. Damit begründete er eine neue Form der Stadtbeschreibung und setzte neue Akzente für die Wahrnehmung städtischen Lebens.[1] Die insgesamt 1049 Kapitel folgen einer im Aufbau und Sprachduktus gleichförmigen Struktur, die auf den ersten Blick an eine Enzyklopädie erinnert. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass der Inhalt der Kapitel den objektivierten Aussagen einer Enzyklopädie widerspricht. Der sachlichen Beschreibung setzte Mercier in seinem Tableau eine von ihm selbst erlebte und erforschte urbane Wirklichkeit entgegen. Um ihre brodelnden und kontrastreichen Fragmente beschreiben zu können, entwickelte er vier Techniken, mit denen er den von ihm erlebten Phänomenen Präsenz und Nachdruck verlieh, seine Leser neugierig machte oder verstörte. Auf diese Weise sollte die Wahrnehmung und das herkömmliche Wissen „von den Schlacken der Irrtümer und der Trübung jahrhundertelanger Unwissenheit befreit und geklärt“ werden.[2]

Im Herbst 1787 weilt Mercier im pfälzischen Frankenthal, um seiner Geliebten Madame Marianne Elisabeth Bertrand nahe zu sein. Von Frankenthal aus besucht er eine Aufführung von Schillers „Räuber“ im Mannheimer Theater, worüber Iffland seiner Schwester Louise berichtet.

Die Französische Revolution erlebte er zunächst als Journalist. Ab 1789 war er Mitherausgeber der Annales politiques, civiles et littéraires.

Im Oktober 1792 wurde Mercier Abgeordneter des Nationalkonvents. Da er den Girondisten nahestand, wurde er Anfang Oktober 1793 verhaftet, entging aber einer Hinrichtung während der Schreckensherrschaft. Mit großer Freude verfolgte er die Hinrichtung Robespierres am 10. Thermidor (28. Juli), wurde jedoch erst im Dezember 1794 aus dem Gefängnis entlassen. 1795 wurde er zum Mitglied der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres gewählt.[3]

In seinem Le Nouveau Paris (1799) schilderte Mercier sowohl die politischen Ereignisse wie auch die Alltagserfahrungen aus den Revolutionsjahren.

Schriften (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Paul Alkon: The Paradox of Technology in Mercier’s L’An 2440, in: Klaus L. Berghahn, Reinhold Grimm (Ed.), Utopian Vision, Technological Innovation and Poetic Imagination, Heidelberg 1990, S. 43–62.
  • E. T. Annandale: Johann Gottlob Benjamin Pfeil and Louis-Sébastien Mercier, in: Revue de littérature comparée, Jg. 44 (1970), S. 444–459.
  • Léon Béclard: Sébastien Mercier. Sa vie, son œuvre, son temps. Avant la Révolution 1740-1789, Paris 1903.
  • Jean-Claude Bonnet (Hrsg.): Louis Sébastien Mercier (1740-1814). Un hérétique en littérature, Paris 1995.
  • Fawzi Boubia: Theater der Politik – Politik des Theaters. Louis-Sébastien Mercier und die Dramaturgie des Sturm und Drang, Frankfurt am Main, Bern, Las Vegas 1978.
  • Gregory S. Brown: Scripting the Patriotic Playwright in Enlightenment-Era France. Louis-Sébastien Mercier’s Self-Fashionings between „Court“ and „Public“, in: Historical Reflections, Bd. 26 (2000), Heft 1, S. 31–58.
  • Jürgen Fohrmann: Utopie und Untergang. L.-S. Merciers L’An 2440, in: Klaus L. Berghahn, Hans U. Seeber (Hrsg.): Literarische Utopien von Morus bis zur Gegenwart, Königstein/Ts. 1983, S. 105–124.
  • Hermann Hofer (Hrsg.): Louis-Sébastien Mercier précurseur et sa fortune, München 1977.
  • Joseph Jurt: Das Bild der Stadt in den utopischen Entwürfen von Filarete bis L.-S. Mercier, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, Bd. 27 (1986), S. 233–252.
  • Koselleck, Reinhart: „Verzeitlichung der Utopie“, in: Voßkamp, Wilhelm (Hg.): Utopieforschung. Dritter Band, Frankfurt: Suhrkamp, 1985, 1–14
  • Till R Kuhnle: „Die Beharrlichkeit des Millenarismus“, in: Vier Studien zur Pathogenese literarischer Diskurse, Tübingen: Stauffenburg (colloquium) 2005, 224–233. ISBN 3-86057-162-1 [behandelt Merciers L'An 2440 im Kontext der millenaristischen Tradition der Geschichtsphilosophie]
  • Henry F. Majewski: The Preromantic Imagination of L.-S. Mercier, New York 1971.
  • Enrico Rufi: Le rêve laïque de Louis-Sébastien Mercier entre littérature et politique, Oxford 1995.
  • Andreas Urs Sommer: Sinnstiftung durch Geschichte? Zur Entstehung spekulativ-universalistischer Geschichtsphilosophie zwischen Bayle und Kant, Basel 2006, S. 268–291.
  • Paola Vecchi: La balance et la mort. Progrès et compensation chez Louis-Sébastien Mercier, in: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century, Bd. 264 (1989), S. 905–908.
  • Everett C. Wilkie Jr.: Merciers L’An 2440. Its Publishing History During the Author’s Lifetime, in: Harvard Library Bulletin, Bd. 32 (1984), S. 5–25 und S. 348–400.
  • Eva Kimminich, Chaos und Struktur – Schritt und Blick in L.-S. Merciers Tableau de Paris, in: Romanistische Zeitschrift f. Literaturgeschichte Heft 3/4 (1994), S. 263–282.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wikisource: Louis-Sébastien Mercier – Quellen und Volltexte
Commons: Louis-Sébastien Mercier – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Siehe dazu Eva Kimminich, 1994, S. 263–282.
  2. Siehe dazu Eva Kimminich, 1994, S. 208.
  3. Mitglieder seit 1663. Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, archiviert vom Original am 19. Januar 2022; abgerufen am 25. Januar 2021 (französisch).