Marguerite Duras

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Marguerite Duras (1993)

Marguerite Duras [maʀgə'ʀit dy'ʀas] (* 4. April 1914 in Gia Định bei Saigon, Vietnam (damals Französisch-Indochina) als Marguerite Donnadieu; † 3. März 1996 in Paris) war eine französische Schriftstellerin, Dramatikerin, Drehbuchautorin und Filmregisseurin. Sie feierte Erfolge mit Filmen wie Hiroshima, mon amour (1959), für den sie das Drehbuch verfasste.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Marguerite Donnadieu, Tochter eines Lehrerehepaars, nahm den Künstlernamen Marguerite Duras nach dem Familiensitz ihres Vaters im Département Lot-et-Garonne an. Sie wuchs in Vietnam in ärmlichen Verhältnissen auf. Die Mutter zog sie und die zwei Geschwister alleine auf und kämpfte mit den Folgen einer Fehlinvestition in Reisfelder im heutigen Kambodscha.[1] Duras verarbeitete diese Erfahrung in dem erstmals 1950 auf Französisch veröffentlichten Roman Un barrage contre le Pacifique (1988, dt. Heiße Küste).

1931 ging Duras nach Frankreich, um in Paris zunächst Mathematik, dann Jura und Politikwissenschaft zu studieren. Sie engagierte sich mit Philippe Roques für ein Wiedererstarken des französischen Kolonialreichs, schloss sich dann ab 1940 aber einer Résistancegruppe von Buchhändlern an, wodurch sie Zugang zu rationiertem Papier hatte und auch den späteren französischen Präsidenten François Mitterrand kennenlernte. Ihr Ehemann Robert Antelme, der ebenfalls in der Résistance aktiv war, wurde von der Gestapo verhaftet und ins KZ Dachau verschleppt. 1985 publizierte Duras die während dieser Zeit entstandenen Tagebucheinträge unter dem Titel La Douleur. 1944 trat Duras der Kommunistischen Partei Frankreichs bei. Später protestierte sie gegen die Behandlung von Schriftstellern in der Sowjetunion, was 1950 zu ihrem Parteiausschluss führte. Dennoch blieb sie zeitlebens Kommunistin.[2] Während der Zeit ihrer Partizipation in der Résistance lernte Duras Dionys Mascolo kennen, der 1947 ihr zweiter Ehemann und Vater ihres Sohnes, Jean (Outa, geb. 1947), wurde.

Ähnlich wie ihre Mutter Marie Donnadieu mit der Erziehung ihrer Kinder Pierre, Paul und Marguerite überfordert war, hatte auch Marguerite Duras, die unter Alkoholismus litt, bei der Erziehung ihres Sohns Jean größte Schwierigkeiten, die dazu führten, dass ihre Umgebung sie drängte, Jean auf ein Internat zu schicken.

Die letzten sechzehn Jahre ihres Lebens verbrachte Duras mit dem knapp 40 Jahre jüngeren Schriftsteller Yann Andréa (eigentlich Yann Lemée).[3] Ihm hat sie das Buch Yann Andréa Steiner (1992) gewidmet. Andréa selbst widmete seinem Leben mit Duras mehrere autobiographische Werke, darunter M. D. (1983) und Cet amour-là von 1999 (2000, dt. Diese Liebe), das im Jahr 2001 von Josée Dayan mit Jeanne Moreau verfilmt wurde.[4]

Wirken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ihr Erstlingsroman Les impudents (1943) wurde von der Öffentlichkeit mehr oder weniger übersehen. Bereits ihr zweites Werk jedoch, Un barrage contre le Pacifique (1950), war ein Erfolg und brachte ihr beinahe den Prix Goncourt ein. Internationale Bekanntheit erlangte sie schließlich 1959 mit dem Drehbuch zu dem Film Hiroshima, mon amour, das zum ersten Mal die noch bis in die 1990er Jahre als Tabu behandelte Demütigung und Ächtung französischer Frauen thematisierte, denen sogenannte „horizontale Kollaboration“ vorgeworfen wurde, in erster Linie Liebesbeziehungen mit deutschen Besatzungssoldaten.

Ihre Romane waren fast alle autobiographisch geprägt, so beispielsweise L’amant (1984, dt. Der Liebhaber), für den sie 1984 den Prix Goncourt[5] erhielt, oder L’amant de la Chine du Nord (1991, dt. Der Liebhaber aus Nordchina). In beiden Werken beschrieb sie ihre turbulente Kindheit und ihre frühen Liebeserfahrungen im Indochina der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Die Autorin war auch für das Theater tätig und verfasste 1965 z. B. das Drama La musica. In den 1970er und frühen 1980er Jahren trat sie auch als Filmregisseurin in Erscheinung, wobei sie nicht nur bereits erschienene eigene Texte (India Song, 1975; Les enfants, 1984) auf die Leinwand brachte, sondern auch eigenständige Arbeiten für das Kino produzierte (Le Camion, 1977). Während dieser Zeit erschienene literarische Publikationen von Duras standen immer im Zusammenhang mit ihrem filmischen Schaffen – L’amant ist die erste wieder „rein“ literarische Publikation nach dieser Phase.

Charakteristisch für ihre Sprache ist eine große Schlichtheit in Vokabular und Satzbau, die sich zudem auszeichnet durch zahlreiche Ellipsen, Anspielungen, Unausgesprochenes, das jedoch im Hintergrund steht, sowie fragmentarisch zusammengefügte Sätze. Ihr Gesamtwerk ist keiner der großen literarischen Strömungen des 20. Jahrhunderts zuzuordnen.

Gegenüber der Tendenz, Duras wegen der häufigen Wiederholung von Motiven und Topoi in ihren zahlreichen Büchern für eine oberflächliche Schriftstellerin zu halten, äußert sich Duras in einem kurzen Interview mit Leslie Kaplan von 1988 zu ihrer eigenen Schriftstellerei, gibt aber auch ihre Meinung über das entfremdete Leben in der Neuzeit wieder:

„Der Wahnsinn selbst ist auf ewig offen für den Verlauf des Wahnsinns. … Das Nichts ist sich selbst gegenüber offen. … Ich glaube, das Offene schafft sich selbst gegenüber einen religiösen Raum. Ich habe an dem Horror teil, aus dem das Ganze besteht, aber ich spüre es nicht. Das könnte eine Definition der Arbeiterklasse sein. Die Fabrik ist eine Art Luftschiff, wo innerhalb und außerhalb das gleiche Luftmaterial ist, mit einem winzigen Unterschied jedoch. Dieser Unterschied ist die Unendlichkeit des Menschen, der neun Stunden am Tag Kabel herstellt, ohne es zu spüren. … Wie das Gedicht kommt dieser Gedanke aus dem Grund der Zeiten, aus einer Art fundamentaler Wiederholung, derjenigen des Lebens, aus einer Art ozeanischer Ewigkeit, die jene des Todes wäre, verneint und erfaßt durch die Zeit.“

Diese Unendlichkeit des Menschen war letztendlich ihr Thema.

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Romane[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 1943: Les Impudents
  • 1944: La Vie tranquille
  • 1950: Un barrage contre le Pacifique
    • Heiße Küste, dt. von Georg Goyert, Biederstein-Verlag München 1952.
  • 1952: Le Marin de Gibraltar
  • 1953: Les Petits Chevaux de Tarquinia
    • Die Pferdchen von Tarquinia, dt. von Walter Maria Guggenheimer; Suhrkamp, Frankfurt am Main 1960
  • 1954: Des journées entières dans les arbres
    • Ganze Tage in den Bäumen, dt. von Elisabeth Schneider; Suhrkamp, Frankfurt am Main 1964.
  • 1955: Le Square
  • 1958: Moderato cantabile
  • 1960: Dix heures et demie du soir en été
  • 1962: L’Après-midi de Monsieur Andesmas
    • Der Nachmittag des Herrn Andesmas, dt. von Walter Boehlich, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1963.
  • 1964: Le Ravissement de Lol V. Stein
    • Die Verzückung der Lol V. Stein, dt. von Katharina Zimmer; Suhrkamp, Frankfurt am Main 1966.
  • 1966: Le Vice-Consul
    • Der Vize-Konsul, dt. von Walter Maria Guggenheimer; Suhrkamp, Frankfurt am Main 1967.
  • 1967: L’Amante anglaise
    • Die englische Geliebte, dt. von Regula Wyss; Stroemfeld/Roter Stern, Basel/Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-87877-214-9.
  • 1969: Détruire, dit-elle
    • Zerstören, sagt sie, dt. von Walter Boehlich; Luchterhand, Berlin/Neuwied 1970.
  • 1970: Abahn Sabana David
    • Abahn Sabana David, dt. von Maria Dessauer; Suhrkamp, Frankfurt am Main 1986, ISBN 3-518-02593-7.
  • 1971: Ah! Ernesto
  • 1972: L’amour. 1970
  • 1980: Véra Baxter ou les plages de l’Atlantique
    • Véra Baxter oder Die Atlantikstrände, dt. von Andrea Spingler; Suhrkamp, Frankfurt am Main 1987, ISBN 3-518-11389-5.
  • 1980: L’Homme assis dans le couloir (Erzählung)
  • 1982: L’homme atlantique
    • Atlantik-Mann, dt. von Regula Wyss, Stroemfeld/Roter Stern, Basel/Frankfurt am Main 1985.
  • 1985: La Maladie de la mort (Erzählung)
  • 1984: L’amant
  • 1985: La douleur
  • 1980: Les Yeux bleus, cheveux noirs
    • Blaue Augen schwarzes Haar, dt. von Maria Dessauer; Suhrkamp, Frankfurt am Main 1987, ISBN 3-518-04437-0.
  • 1986: La Pute de la côte normande
  • 1987: Emily L
  • 1990: La Pluie d’été
    • Sommerregen, dt. von Andrea Spingler; Suhrkamp, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-518-40372-9.
  • 1991: L’Amant de la Chine du Nord
    • Der Liebhaber aus Nordchina, dt. von Andrea Spingler; Suhrkamp, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-518-38884-3.
  • 1992: Yann Andréa Steiner
    • Yann Andréa Steiner, dt. von Andrea Spingler; Suhrkamp, Frankfurt 2000, ISBN 3-518-39672-2.
  • 1993: Écrire

Bühnenstücke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 1959: Les Viaducs de la Seine-et-Oise
  • 1963: Miracle en Alabama (nach William Gibson, adaptiert von Marguerite Duras und Gérard Jarlot)
  • 1965: Théâtre I: Les Eaux et Forêts. Le Square. La Musica.
  • 1968: L’Amante anglaise
  • 1968: Théâtre II: Suzanna Andler. Des journées entières dans les arbres. Yes, peut-être. Le Shaga. Un homme est venu me voir.
  • 1977: India Song
    • India Song, dt. von Sigrid von Massenbach; Brinkmann und Bose, Berlin 1984, ISBN 3-922660-16-9.
  • 1977: L’Éden Cinéma
    • Eden Cinema, dt. von Ruth Henry; Suhrkamp, Frankfurt am Main 1978.
  • 1981: Agatha
    • Agatha, dt. von Regula Wyss; Stroemfeld/Roter Stern, Basel/Frankfurt am Main 1982, ISBN 3-87877-173-8.
  • 1982: Savannah Bay
  • 1984: Théâtre III: La Bête dans la jungle (nach Henry James, adaptiert von James Lord und Marguerite Duras). Les Papiers d’Aspern (nach Henry James, adaptiert von Marguerite Duras und Robert Antelme). La Danse de mort (nach August Strindberg, adaptiert von Marguerite Duras).
  • 1985: La musica deuxième
    • La musica zwei, dt. von Simon Werle; Suhrkamp, Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-518-11408-5.
  • 1991: Le Théâtre de l’amante anglaise
  • 1999: Théâtre IV: Vera Baxter. L’Éden Cinéma. Le Théâtre de l’amante anglaise. Home. La Mouette.
  • 2010: Der Schmerz – dt. Bühnenadaption – UA: 11. April 2010, Kammertheater Stuttgart, inszeniert und gespielt von Corinna Harfouch

Sammelbände[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 1980: L’Été 80
  • 1981: Outside – Papiers d’un jour
  • 1987: La Vie matérielle – Marguerite Duras parle à Jérôme Beaujour
    • Das tägliche Leben, dt. von Ilma Rakusa; Suhrkamp, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-518-11508-1.
  • 1987: Les Yeux verts
    • Die grünen Augen: Texte zum Kino, dt. von Sigrid Vogt; Hanser, München/Wien 1987, ISBN 3-446-14965-1.
  • 1993: Le Monde extérieur – Outside 2
  • 1995: C’est tout
    • Das ist alles, dt. von Andrea Spingler; Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-518-40792-9.
  • 1996: La Mer écrite, textes d’après des photographies d’Hélène Bamberger
  • 1999: La Cuisine de Marguerite
  • 2006: Cahiers de la guerre et autres textes
    • Hefte aus Kriegszeiten: Autobiografische Aufzeichnungen und frühe Erzählungen, dt. von Anne Weber; Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007, ISBN 3-518-41924-2.
  • 2010: La Beauté des nuits du monde, textes choisis et présentés par Laure Adler
  • 2014: Deauville la mort.

Filmografie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literarische Vorlage

Drehbuch (und soweit nicht anders angegeben auch Regie)

  • 1959: Hiroshima, mon amour (Hiroshima mon amour)
  • 1960: Moderato cantabile
  • 1961: Noch nach Jahr und Tag (Une aussi longue absence)
  • 1965: Der Augenblick des Friedens (Les rideaux blancs) (erste Episode)
  • 1966: Mademoiselle
  • 1966: Halb elf in einer Sommernacht (10:30 P.M. Summer)
  • 1966: La Musica
  • 1966: Schornstein Nr. 4 (La voleuse)
  • 1969: Zerstören, sagt sie (Détruire, dit-elle)
  • 1971: Jaune le soleil
  • 1972: Nathalie Granger (& Musik)
  • 1975: India Song
  • 1976: Ihr Name aus Venedig im verlassenen Kalkutta (Son nom de Venise dans Calcutta desert)
  • 1976: Ganze Tage in den Bäumen (Des journées entières dans les arbres)
  • 1977: Baxter, Vera Baxter
  • 1977: Der Lastwagen (Le camion) (& Darstellerin)
  • 1979: Le navire night
  • 1979: Césarée
  • 1979: Les mains négatives
  • 1979: Aurélia Steiner (Melbourne)
  • 1979: Aurélia Steiner (Vancouver)
  • 1981: Agatha ou les lectures illimitées
  • 1982: Dialogue de Rome
  • 1981: L’homme atlantique
  • 1984: Les Enfants – Die Kinder (Les enfants)

Preise und Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Filme[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Les lieux de Marguerite Duras. Dokumentarfilm, Frankreich, Buch und Regie Michelle Porte
  • Das Jahrhundert der Marguerite Duras. (OT: Le siècle de Duras.) Dokumentarfilm, Frankreich, 2014, 52:40 Min., Buch und Regie: Pierre Assouline, Produktion: arte France, Cinétévé, Les Films du Carré, RTBF, INA, Erstsendung: 6. April 2014 bei arte, Inhaltsangabe von arte.
  • Diese Liebe (OT: Cet amour-là). Film-Biographie, Frankreich, 2001, 95 Min., Buch: Yann Andréa, Regie: Josée Dayan, Produktion: Le Studio Canal +, Les Films Alain Sarde, Studio Images 7, arte, Inhaltsangabe von arte, u. a. mit Jeanne Moreau als Marguerite Duras, Besprechung in artechock.
  • Marguerite Duras – Schreiben. (OT: Marguerite Duras – Ecrire.) Gespräch, Frankreich, 1993, 43:50 Min., Buch und Regie: Benoît Jacquot, Produktion: INA, Inhaltsangabe mit Audiopassagen von arte.
  • Pornotropic – “Heiße Küste” von Marguerite Duras. Dokumentarfilm. Regie: Nathalie Masduraud, Valérie Urrea, Arte, Frankreich 2019

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Marguerite Duras – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Björn Hayer: Die Eisheilige der Liebenden | NZZ. 29. März 2014, ISSN 0376-6829 (nzz.ch [abgerufen am 22. November 2019]).
  2. „Die Rechte, das ist die Hölle“. In: Taz. 25. März 1993, abgerufen am 28. Januar 2024.
  3. Björn Hayer: Die Eisheilige der Liebenden | NZZ. 29. März 2014, ISSN 0376-6829 (nzz.ch [abgerufen am 22. November 2019]).
  4. Der letzte Begleiter von Marguerite Duras | NZZ. 20. Juli 2014, ISSN 0376-6829 (nzz.ch [abgerufen am 22. November 2019]).
  5. Schriststeller: Ihre Liebhaber. In: Spiegel Online. Band 47, 19. November 1984 (spiegel.de [abgerufen am 22. November 2019]).
  6. Unter Verwendung des Nachlasses