Michael Kleeberg

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Michael Kleeberg stellt auf dem Erlanger Poetenfest 2014 seinen Roman Vaterjahre vor

Michael Kleeberg (* 24. August 1959 in Stuttgart) ist ein deutscher Schriftsteller, Essayist und literarischer Übersetzer. Er wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

Leben und Wirken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Michael Kleeberg verbrachte seine Jugend in Friedrichshafen, Bitz, Böblingen und Hamburg. Er studierte Politologie und Geschichte an der Universität Hamburg sowie Visuelle Kommunikation an der HbK Hamburg. Zwischen 1978 und 1984 versah er Arbeiten u. a. als Schauermann im Hamburger Hafen, als Pflegehelfer im Hafenkrankenhaus St. Pauli, als Journalist für Cinema, Rallye Racing und den NDR.

1983 lebte er in Rom, 1984 in Berlin-Kreuzberg, 1985/1986 in Amsterdam. 1986 zog er nach Paris, wo er neben der schriftstellerischen Arbeit bis 1994 Mitinhaber der deutsch-französischen Werbeagentur MPI war. Von 1996 bis 2000 lebte er als freier Schriftsteller in Burgund, seitdem in Berlin.

Seit 2002, ausgehend vom Schriftstelleraustausch Westöstlicher Diwan, erfolgten seine ausgedehnten Aufenthalte im Nahen Osten (Libanon, Syrien, Ägypten). Den Bezug stellt Kleeberg auch in seinem Buch Der Idiot des 21. Jahrhunderts: Ein Divan (2018) her. 2017 hatte er in dem Zusammenhang noch mit islamkritischen Äußerungen während seiner Frankfurter Poetikvorlesung für eine öffentliche Kontroverse gesorgt, in deren Folge die Geschäftsführerin der Vorlesungsreihe sich von Kleebergs Einlassungen distanzierte.[1][2]

Sein Werk ist in folgende Sprachen übersetzt: Albanisch, Arabisch, Dänisch, Englisch, Französisch, Griechisch, Japanisch, Spanisch. Michael Kleeberg war bis 2009 Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland und trat wegen mangelnder Unterstützung der syrischen Demokratiebewegung aus[3].

Der ihm gewidmete Band von „Text und Kritik“ (Nr. 233, I/22) beschreibt ihn folgendermaßen:

„Michael Kleeberg ist weit über seine Generation hinaus einer der maßgeblichen Autoren der Gegenwartsliteratur. Eine Literatur, die sich nicht in privaten Befindlichkeiten ergeht, sondern historisch wie international übergreifende Zusammenhange unserer Gegenwart in den Blick nimmt. Seine zahlreichen Erzählungen, Essays und Romane zeigen ihn in einem weiten Spektrum als einen ebenso formbewussten wie streitbaren Autor, dessen Werk in Traditionen modernen Erzahlens wie bei Thomas Mann oder Marcel Proust gründet und sich dabei mit den aktuellen Herausforderungen des Lebens in gegenwärtiger Gesellschaft auseinandersetzt. Insbesondere seine großen Romane sind die eines genuinen Erzählers, eines von tiefer Empathie geleiteten“Verhaltensforschers am modernen Menschen„(Michael Braun). Sein Karlmann-Zyklus liefert, so Burkhard Müller in der 'Süddeutschen Zeitung',“nicht weniger als eine physiognomische Geschichte der Bundesrepublik, psychisch, geistig und sozial, von den frühen Achtzigern bis in die Gegenwart„. Sein“Idiot des 21. Jahrhunderts „erweist Kleeberg einmal mehr als einen tief in der Weltliteratur gründenden, ebenso besorgten wie hellwachen Zeitgenossen.“

Und in seiner Laudatio zum Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung schreibt Jürgen Flimm: ""Alles von ihm ist so nah bei uns und ziemlich hiesig. Ein Zeitgenosse schreibt, ein Dichter unserer Zeitläufe, hic et nunc."[4]

Poetik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Michael Kleeberg im Gespräch (2013) gibt Kleeberg erstmals ausführlich Auskunft über seine Poetik. Er erläutert und kommentiert in einem schriftlich geführten[5] Dialog u. a. die eigene Leserbiografie, es geht um das Schreiben, um autobiografische Prägungen, Erfahrungen mit Büchern und dem Literaturbetrieb,[6] um Strukturen des literarischen Marktes, auf die er als lange im Ausland Lebender einen besonderen Blick hat, literarische Orientierungspunkte, Herausforderungen, die sich bei der Konzeption seiner Romane ergeben. Er reflektiert über das Verhältnis von Literatur und Theorie, Philosophie und Geschichte. Er wird dabei sichtbar als dezidierter Vertreter und Verteidiger des Modells einer ästhetisch und ethisch ambitionierten und engagierten, überzeitlich relevanten Literatur: dargestellt und beurteilt und gerichtet und erträglich gemacht werde die Welt ausschließlich durch die Kunst.[7]

Kleeberg widerspricht der Tendenz [...] der eifrigen Nivellierung von Kunst unter dem Vorwand einer Schleifung vermeintlich elitärer Bastionen als hochgefährlich und kontraproduktiv.[8] Er entwirft so für sich ein Verständnis der Literatur, die erzählerische Avanciertheit mit humanistischer Pflicht zur Erkundung der condition humaine[9] und der Darstellung der unaussprechlichen, scheinbar hoffnungslosen Tragik[10] menschlicher Existenz verbindet.

Von der Kritik wurde u. a. hervorgehoben, es werde im Gespräch deutlich, dass Kleeberg seine Vorstellung von Literatur aus gründlichster Lektüre und Reflexion gewonnen habe[11] sowie Michael Kleebergs Anmerkungen zur Kunst-Theodizee.[12]

Karlmann-Trilogie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Karlmann-Trilogie ist bisher das Hauptwerk Kleebergs, das im Laufe von 14 Jahren entstanden ist. Hier erzählt er die Lebensgeschichte von Karlmann („Charly“) Renn, einem Hamburger Volkswirt. Die drei Romane Karlmann (erschienen 2007), Vaterjahre (erschienen 2014) und Dämmerung (erschienen 2023), kombinieren Zeitgeschichte, sowie Privat- und Berufsleben des Protagonisten und gelten als „Meilensteine des deutschen Gegenwartsromans“.[13] Burkhard Müller (Literaturkritiker) bezeichnete sie bereits 2014 in der Süddeutschen Zeitung als „nicht weniger als eine physiognomische Geschichte der Bundesrepublik, psychisch, geistig und sozial, von den frühen Achtzigern bis in die Gegenwart“.[14]

Karlmann spielt in den Jahren 1985 bis 1989, Vaterjahre im Jahre 2001 und Dämmerung von 2019 bis 2022.

Die stilistische und erzähltechnische Besonderheit des „Karlmann-Zyklus“ liegt in der in der deutschen Literatur so zuvor nicht existenten Technik der Erzählung durch eine Instanz, die Kleeberg das „Erzählplasma“ genannt hat,[15] und das „mal majestätisch wie das Thomas Mann’sche Wir daherkommt, mal die Leser einbezieht, mal seine Figur mit Du anspricht, mal von sich redet. Vor allem reichert es Karlmanns gelegentlich herausgefordertes, doch im Großen und Ganzen eher dahingelebtes Leben als Vater und vielfach Verantwortlicher mit dem uns möglichen Wissen aus Wissenschaft und Künsten an.“[16]

In der Welt heißt es darüber: „Erzählplasma“ hat er genannt, was er dabei erfunden hat, eine Unfigur, eine Art literarischer Springteufel (Lord Voldemort fällt Kleeberg dabei ein und böse Glibberwesen aus „Terminator 3“), der – manchmal mitten im Satz – in Charly hinein- und hinausfährt, ihn beschreibt, anspricht, kommentiert oder ausschweift in die Kulturgeschichte, ausbricht in Essays über Beziehungen, Fotografie, Hirnforschung, Soziologie, Automobilästhetik usw. usf."[17]

In seiner Laudatio zur Verleihung des Hölderlin-Preises an Kleeberg nimmt auch Dirk Knipphals Bezug auf diese Erzählform: „Aber es gibt durchaus einen zweiten Helden der Erzählung, das darf man nicht vergessen, es ist der Erzähler selbst oder vielmehr die anonym bleibende, sich gleichwohl immer wieder einmischende und kommentierende Erzählinstanz. Ein Erzähler ist das, der zu schönen, differenzierten, klugen, genauen, gelegentlich geradezu kostbaren Beschreibungen in der Lage ist. Als Leser schaut man ihm manchmal wie bei artistischen Kunststücken zu, dann lässt man sich wieder einfangen durch seine Klugheit.“[18]

Die Germanistik hat sich der Karlmann-Zyklus im In- und Ausland in Lehre und Forschung wiederholt angenommen. Für Karlmann erhielt Kleeberg 2008 den Preis „Mainzer Stadtschreiber“, für Vaterjahre 2015 den „Friedrich-Hölderlin-Preis“.

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Übersetzungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Deutschland ist im Kern leer. Aus einem Gespräch mit Michael Kleeberg. In: Listen. 9 1993, H. 33, 14/18.
  • Kollektive Selbstkasteiung und erzreaktionärer Aristokratismus. Ein Interview mit Michael Kleeberg über Literatur und politische Stimmungen. In: Listen. 12 1996, H. 46, 14/16.
  • Johannes Birgfeld / Erhard Schütz (Hg.): Michael Kleeberg. Eine Werksbegehung. München: DVA 2014. ISBN 978-3-421-04648-2.
  • Andreas Böhn: Memory, musealization and alternative history in Michael Kleeberg’s novel ’Ein Garten im Norden‘ and Wolfgang Becker’s film ’Good Bye, Lenin‘. In: Memory traces. 2005, S. 245–260.
  • Alain Cozic: Les nouvelles de Michael Kleeberg – littérature et réalité. In: La nouvelle génération d’écrivains de langue allemande. 2006, S. 27–42.
  • Kerstin Hensel: Der Pilgrim zu Böblingen. Rede auf Michael Kleeberg. In: Argonautenschiff. 6 1997, 97/99.
  • Kai Kauffmann / Erhard Schütz (Hg.): Michael Kleeberg. TEXT + KRITIK Nr. 233. München: text + kritik 2022. ISBN 978-3-96707-655-4.
  • Sieglinde Klettenhammer: Die Wiedergewinnung des Utopischen. Michael Kleebergs Roman „Ein Garten im Norden“ im Kontext postmoderner Ästhetik-Konzeptionen und das Phänomen der Kunstthematik in der Literatur der 80er und 90er Jahre. In: Gegenwartsliteratur. 2002, 153/158.
  • Jörg Magenau: Der Körper als Schnittfläche. Bemerkungen zur Literatur der neuesten „Neuen Innerlichkeit“. Texte von Reto Hänny, Ulrike Kolb, Ulrike Draesner, Durs Grünbein, Thomas Hettche, Marcel Beyer und Michael Kleeberg. In: Baustelle Gegenwartsliteratur. 1998, 107/121.
  • Lidwine Portes: Literarische Perspektiven der Wende am Beispiel von Michael Kleebergs Kurzgeschichte „Birth of the Cool“ und seinem Roman „Ein Garten im Norden“. In: Tournants et (ré)écritures littéraires. L’Harmattan, 2010, S. 49–61.
  • Lidwine Portes: Rien que des fantômes. Poétique de la spectralité dans les romans de Michael Kleeberg „Ein Garten im Norden“ et „Das amerikanische Hospital“. In: Du Texte à l’image: Appropriations du passé et engagements au présent. collection «Le Texte et l’Idée», Nancy 2010, S. 107–116.
  • Branka Schaller-Fornoff: Novelle und Erregung. Zur Neuperspektivierung der Gattung am Beispiel von Michael Kleebergs „Barfuß“. Georg Olms, 2008.
  • Branka Schaller-Fornoff: Als Charly Tennis lernte. Zur Repräsentanz von Sport, Medien und Erinnerung in Michael Kleebergs Roman „Karlmann“. In: Literatur für Leser. 31 2008, 3, S. 195–211.
  • Branka Schaller-Fornoff: Fermentierungen des Pop in Michael Kleebergs „Karlmann“. In: Pop und Männlichkeit. 2009, S. 105–118.
  • Branka Schaller-Fornoff: Umschriften der Wende. Narrative Strategien in Michael Kleebergs Roman „Ein Garten im Norden“. In: Nachwende-Narrationen. 2010, S. 57–72.
  • Branka Schaller-Fornoff: Frankreichbilder im Werk Michael Kleebergs. In: Spiegelungen, Brechungen. 2011, S. 319–330.
  • Erhard Schütz: Wie alternativ sind Alternativgeschichten? U. a. Michael Kleebergs „Ein Garten im Norden“. In: Keiner kommt davon. 2008, S. 52.
  • Erhard Schütz: Unser Osten ist euer Westen. Wuchtig und elegant: Michael Kleebergs orientalische Erzählfantasie „Der Idiot des 21. Jahrhunderts“. In: Der Tagesspiegel v. 20. August 2018.
  • Erhard Schütz: Michael Kleebergs Roman „Dämmerung“: In den sozialen Medien gekreuzigt. In: Der Tagesspiegel v. 4. August 2023 (Inhalt).
  • Andreas Martin Widmann: Repräsentativer Außenseiter der deutschen Gegenwartsliteratur – Ein Gespräch mit dem Schriftsteller und Übersetzer Michael Kleeberg. In: Focus on German studies. 14 2007, S. 223–230.
  • Andreas Martin Widmann: Garten Eden in einem anderen Deutschland. Kontrafaktische Geschichte als Utopie in Michael Kleebergs „Ein Garten im Norden“. In: Focus on German studies. 14 2007, S. 3–18.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Michael Kleeberg – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Rudolf Walther: Eklat bei Frankfurter Vorlesung: Reaktionäre Abgründe der Poetik. In: Die Tageszeitung: taz. 6. Juli 2017, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 10. September 2018]).
  2. Volker Breidecker: Bocksgesang, Unschuldslamm. In: sueddeutsche.de. 5. Juli 2017, ISSN 0174-4917 (sueddeutsche.de [abgerufen am 10. September 2018]).
  3. quote "Michael Kleeberg"
  4. Literatur • TEXT+KRITIK • Michael Kleeberg | edition text+kritik. Abgerufen am 16. April 2023.
  5. Vgl. Johannes Birgfeld: Nachbemerkung. In: Michael Kleeberg, Johannes Birgfeld: Michael Kleeberg im Gespräch. Wehrhahn, Hannover 2013, S. 145.
  6. Michael Braun: Der Autor als erster Zeuge. Johannes Birgfelds kluges Werkstattgespräch mit Michael Kleeberg. auf: www.literaturkritik.de
  7. Michael Kleeberg im Gespräch. Wehrhahn, Hannover 2013, S. 32.
  8. Michael Kleeberg im Gespräch. Wehrhahn, Hannover 2013, S. 60.
  9. Vgl. Michael Kleeberg im Gespräch. Wehrhahn, Hannover 2013, S. 55, 63, 89.
  10. Michael Kleeberg im Gespräch. Wehrhahn, Hannover 2013, S. 65.
  11. Peter Körte: Autoren. [Rezension zu: Michael Kleeberg im Gespräch.] In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 14. Juli 2013, S. 42.
  12. Michael Braun: Der Autor als erster Zeuge. Johannes Birgfelds kluges Werkstattgespräch mit Michael Kleeberg. auf: www.literaturkritik.de
  13. Michael Kleeberg Karlmann, auf perlentaucher.de
  14. Michael Kleeberg Vaterjahre, auf perlentaucher.de
  15. Johannes Birgfeld: Michael Kleeberg im Gespräch. Wehrhahn, Hannover 2013, ISBN 978-3-86525-338-5.
  16. Michael Kleebergs Großroman "Vaterjahre": Die Schließung des Horizonts. In: tagesspiegel.de. 25. August 2014, abgerufen am 14. August 2023.
  17. Elmar Krekeler: Echt! Michael Kleeberg rettet die Achtziger. welt.de, 26. August 2007, abgerufen am 14. August 2023.
  18. Knipphals Laudatio auf Kleeberg (PDF), auf michaelkleeberg.de
  19. Hölderlin-Preis für Michael Kleeberg. buchmarkt.de, 20. März 2015, abgerufen am 14. August 2023.
  20. Buchpreis der Staatsbibliothek Hamburg für Michael Kleeberg. buchmarkt.de, 31. Oktober 2015, abgerufen am 14. August 2023.
  21. Pressemitteilung der Konrad-Adenauer-Stiftung vom 21. Januar 2016: Michael Kleeberg erhält Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung 2016