Namenforschung

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Die Namenforschung, auch Namenkunde, Onomatologie oder Onomastik (von altgriechisch ὀνομαστική [ἐπιστήμη] onomastiké [epistéme] „Namenwissenschaft“ bzw. ὄνομα ónoma „Name“), beschäftigt sich mit der Bedeutung, Herkunft und Verbreitung von Eigennamen, unter anderem von Personennamen (Teilgebiet Anthroponomastik) und Ortsnamen (Teilgebiet Toponomastik).

Forschungsgebiet[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gegenstand[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Onomastik beschreibt als Teildisziplin der Sprachwissenschaft die Herkunft, Struktur und Entwicklung von Eigennamen: Vornamen und Familiennamen von Personen, weiterhin Ortsnamen, Gewässernamen, Flurnamen, Namen von Bergen und Gebirgen (Oronyme), aber auch zum Beispiel Namen von Himmelskörpern (Astronyme).

Eigennamen sind von Gattungsnamen (Appellativen) zu unterscheiden:[1] Eigennamen beziehen sich (im Idealfall) auf einzelne Personen (z. B. Angela Merkel) oder Gegenstände (z. B. auf den Planeten Jupiter), Gattungsnamen hingegen auf Klassen von Personen (z. B. Politikerin) oder Gegenständen (z. B. Planet).[2] Der Eigenname hat deshalb keine lexikalische Bedeutung, er dient gleichsam nur als individuelles Etikett.[3] Namen wie Rotes Meer sind hierbei keine Ausnahme: Es ist nicht eines von mehreren roten Meeren gemeint, und das sogenannte Rote Meer muss auch nicht wirklich rot sein (der Unterschied zu einem gewöhnlichen Adjektiv wird durch die Großschreibung von Rotes ausgedrückt).

Fragestellungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eigennamen weisen gegenüber Appellativen sprachliche Besonderheiten auf. Beispielsweise wird einem Personennamen in der Standardsprache kein Artikel vorangestellt („Angela Merkel“), wohl aber in der Umgangssprache („die Angela Merkel“) oder unter besonderen Bedingungen („eine ganz neue Angela Merkel“). Die sprachlichen Eigenheiten von Eigennamen (z. B. Morphologie und besondere Schreibweisen) gehören ebenso zum Forschungsgebiet der Onomastik wie die Rekonstruktion ihrer Herkunft (Etymologie).[4]

Weiterhin befasst sich die Onomastik mit[5]

  • Pragmatik: Motivationen bei der Namensgebung und Aspekte der Namensverwendung (z. B. Frau Dr. MerkelAngeladie Bundeskanzlerin)
  • Namensoziologie: z. B. Einfluss von sozialer Schicht, Ethnizität, Religion auf die Namensgebung
  • Namenpsychologie: z. B. Konnotationen, die mit einzelnen Namen in Verbindung gebracht werden
  • Namengeographie: z. B. Verteilung von Familiennamen im deutschen Sprachraum
  • Namentextologie: Eigennamenverwendung in bestimmten Textsorten und Kontexten

Namenforschung als interdisziplinäre Wissenschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Namenforschung (Onomastik) ist ein hochgradig interdisziplinäres Forschungsgebiet. Zu den Disziplinen, die sich mit Eigennamen befassen, zählen Soziologie, Psychologie, Pädagogik, Philosophie, Kulturanthropologie, Ethnologie, Geschichts-, Rechts- und Religionswissenschaften sowie Biologie und Genetik.[6]

  • Im philosophischen Diskurs wird bereits seit der Antike das Verhältnis von Name (griech. ónoma) und Sache (griech. pragma) diskutiert, wobei der Namenbegriff hier zumeist weit gefasst wird und auch Gattungsnamen einschließt (siehe auch Theoretische Namenforschung).[7]
  • Aus soziologischer und soziolinguistischer Perspektive werden z. B. das Prestige einzelner Vornamen sowie soziokulturelle Motivationen bei der Namenvergabe untersucht.[8]
  • In der Geschichtswissenschaft können unter anderem Ortsnamen (Toponyme) für die Rekonstruktion der Besiedlungsgeschichte eines Ortes fruchtbar gemacht werden.[9]
  • In der Religionswissenschaft vermag die etymologische Deutung von Gottesnamen (Theonymen) „Beziehungen zwischen den religiösen Vorstellungen weit voneinander entfernt lebender Völker aufzudecken“.[10]
  • Da die Vergabe von Ruf- und Familiennamen in allen Staaten gesetzlichen Beschränkungen und Vorschriften unterliegt, sind diese Namenarten auch aus juristischer Sicht relevant.[11]
  • Für die Humangenetik sind Familiennamen von Interesse, da sie sich wie das Y-Chromosom über die männliche Linie weitervererben, in ihrer Entstehung bis ins Mittelalter zurückreichen und so Rückschlüsse auf die Vererbung z. B. bestimmter körperlicher Merkmale erlauben. Bei männlichen Trägern der Berufsnamen Schmidt vs. Schneider wurden signifikante Unterschiede im Körperbau nachgewiesen und Ersteren auch heute noch ein dem Schmiedeberuf entsprechender kräftigerer Körperbau attestiert.[12]

Abgrenzung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Onomastik als wissenschaftliche Disziplin ist deutlich abzugrenzen von „einer stellenweise bizarre Blüten treibenden, pseudowissenschaftlichen Populärliteratur“.[13] Volksetymologien[14] und andere „naive Zugänge zur Namenforschung“[15] deuten Namen nach dem Prinzip Nomen est omen („Sage mir deinen Namen und ich sage dir, wer du bist“) oder aufgrund formaler Ähnlichkeiten mit Appellativen (z. B. Fehldeutung von Isenbert als Eisenbart). Derlei Deutungsversuche verkennen, dass der Eigenname keine lexikalische Bedeutung trägt.[16]

Weiterhin ist die Namenkunde abzugrenzen von der Genealogie (Ahnenforschung), mit der sie jedoch gelegentlich in Verbindung gebracht wird.[17]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nachschlagewerke

Familienname#Literatur
Vorname#Literatur
Toponomastik#Literatur

Onomastik allgemein

  • Andrea Brendler, Silvio Brendler: Namenforschung morgen. Ideen, Perspektiven, Visionen. Baar, Hamburg 2005, ISBN 3-935536-30-5.
  • Andrea Brendler, Silvio Brendler: Namenarten und ihre Erforschung. Ein Lehrbuch für das Studium der Onomastik. Baar, Hamburg 2004, ISBN 3-935536-70-4.
  • Silvio Brendler: Nomematik. Identitätstheoretische Grundlagen der Namenforschung (insbesondere der Namengeschichte, Namenlexikographie, Namengeographie, Namenstatistik und Namenstheorie). Baar, Hamburg 2008, ISBN 978-3-935536-54-7.
  • Ernst Hansack: Der Name im Sprachsystem. Grundprobleme der Sprachtheorie. Roderer, Regensburg 2000, ISBN 978-3-89783-201-5.
  • Hartwig Kalverkämper: Textlinguistik der Eigennamen. Klett-Cotta, Stuttgart 1978, ISBN 3-12-910560-3 (zugleich 1976 Dissertation an der Gesamthochschule Siegen unter dem Titel Eigennamen und Kontext.).
  • Hartwig Kalverkämper: Eigennamen in der Fachkommunikation: Onomastik der Moderne – eine moderne Onomastik? Ein kritisches Plädoyer für eine interdisziplinäre Methodologie. (= Schriftenreihe angewandte Linguistik aus interdisziplinärer Sicht) Bd. 8. Kovač, Hamburg 2006, ISBN 978-3-8300-2738-6.
  • Gerhard Koß: Namenforschung. Eine Einführung in die Onomastik. 3. Auflage. Niemeyer, Tübingen 2002, ISBN 978-3-484-25134-2.
  • Konrad Kunze: Atlas Namenkunde, CD-ROM, Digitale Bibliothek Band 124, Directmedia Publishing, Berlin 2005, ISBN 3-89853-524-X
  • Arne Ziegler, Erika Windberger-Heidenkummer (Hrsg.): Methoden der Namenforschung. Methodologie, Methodik und Praxis. Akademie, Berlin 2011, ISBN 978-3-05-005188-8.

Deutsches Sprachgebiet

  • Adolf Bach: Deutsche Namenkunde. 3. Auflage. Heidelberg 1978/1981.
  • Hans Bahlow: Deutsches Namenlexikon. Familien- und Vornamen nach Ursprung und Sinn erklärt. Keyser, München 1967; Suhrkamp Tb 65, Frankfurt am Main 1972, ISBN 3-518-06565-3.
  • Gerhard Bauer; Peter Lang (Hrsg.): Namenkunde des Deutschen. Bern [u. a.] 1985, ISBN 3-261-03205-7.
  • Friedhelm Debus: Namenkunde und Namengeschichte (= Grundlagen der Germanistik). Bd. 51. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-503-13718-3.
  • Jürgen Eichhoff, Wilfried Seibicke, Michael Wolffsohn, Gesellschaft für deutsche Sprache (Hrsg.): Name und Gesellschaft. Soziale und historische Aspekte der Namengebung und Namenentwicklung. Dudenverlag, 2001, ISBN 3-411-70581-7.
  • Ernst Förstemann: Altdeutsche Personennamen. Ergänzungsband verfaßt von Henning Kaufmann. Fink, München 1968.
  • Dieter Geuenich, Ingo Runde (Hrsg.): Name und Gesellschaft im Frühmittelalter. Personennamen als Indikatoren für sprachliche, ethnische, soziale und kulturelle Gruppenzugehörigkeiten ihrer Träger (= Deutsche Namenforschung auf sprachgeschichtlicher Grundlage). Bd. 2. Olms, Hildesheim [u. a.] 2006, ISBN 3-487-13106-4.
  • Dieter Geuenich, Wolfgang Haubrichs, Jörg Jarnut (Hrsg.): Nomen et gens. Zur historischen Aussagekraft frühmittelalterlicher Personennamen. de Gruyter, Berlin/New York 1997, ISBN 3-11-015809-4.
  • Max Gottschald: Deutsche Namenkunde. Unsere Familiennamen nach ihrer Entstehung und Bedeutung. München 1932; 3. Auflage, besorgt von Eduard Brodführer, Berlin 1954; Nachdruck (deklariert als 4. Auflage) ebenda 1971.
  • Henning Kaufmann: Untersuchungen zu altdeutschen Rufnamen (= Grundfragen der Namenkunden. Band 3). München 1965.
  • Wilhelm Schmidt: Deutsche Sprachkunde. Ein Handbuch für Lehrer und Studierende. 10. Auflage. Berlin 1985, insb. Kap. X, S. 265–284.
  • Werner König: dtv-Atlas zur deutschen Sprache. Tafeln und Texte. Nr. 3.025, 10. Auflage, München 1994, ISBN 3-423-03025-9.
  • Konrad Kunze: dtv-Atlas Namenkunde. Vor- und Familiennamen im deutschen Sprachgebiet. 5. Auflage. München 2004, ISBN 3-423-03234-0.
  • Jürgen Udolph, Sebastian Fitzek: Professor Udolphs Buch der Namen. Bertelsmann, München 2005, ISBN 3-570-00879-7.
  • Robert Nedoma: Personennamen in südgermanischen Runeninschriften. Winter, Heidelberg 2004, ISBN 3-8253-1646-7.
  • Damaris Nübling, Fabian Fahlbusch, Rita Heuser: Namen. Eine Einführung in die Onomastik. Narr Francke Attempto Verlag, Tübingen 2012, ISBN 978-3-8233-6685-0.

International

  • Andrea Brendler, Silvio Brendler: Europäische Personennamensysteme. Ein Handbuch von Abasisch bis Zentralladinisch. Baar, Hamburg 2007, ISBN 978-3-935536-65-3.
  • Annemarie Frank, Hans Rechenmacher (2020): Morphologie, Syntax und Semantik althebräischer Personennamen. München/Würzburg 2020. DOI 10.5282/ubm/epub.73364.
  • Ernst Eichler u. a. (Hrsg.): Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik. / Name Studies. An International Handbook of Onomastics. / Les noms propres. Manuel international d’onomastique. Beiträge teilw. in dt.‚ teilw. in engl., teilw. in franz. de Gruyter, Berlin/New York 1995, ISBN 3-11-011426-7.
  • Wolfgang Meid, Hermann M. Ölberg, Hans Schmeja (Hrsg.): Studien zur Namenkunde und Sprachgeographie. Festschrift für Karl Finsterwalder zum 70. Geburtstag. Innsbruck 1971 (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Band 16).
  • Astrid van Nahl, Lennart Elmevik, Stefan Brink (Hrsg.): Namenwelten. Orts- und Personennamen in historischer Sicht. De Gruyter, Berlin/New York 2004, ISBN 978-3-11-018108-1.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Namenforschung – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Namenforschung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Onomastik – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Vgl. Wilhelm F. H. Nicolaisen: Name and Appellative. In: Ernst Eichler, Gerold Hilty, Heinrich Löffler, Hugo Steger, Ladislav Zgusta (Hrsg.): Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, Bd. 1 (= HSK 11.1), S. 384–393.
  2. Vgl. Damaris Nübling, Fabian Fahlbusch, Rita Heuser: Namen. Eine Einführung in die Onomastik. Tübingen 2012, S. 17.
  3. Damaris Nübling, Fabian Fahlbusch, Rita Heuser: Namen. Eine Einführung in die Onomastik. Tübingen 2012, S. 13.
  4. Vgl. Friedhelm Debus: Namenkunde und Namengeschichte. Eine Einführung. Berlin 2012, S. 62–64.
  5. Vgl. Friedhelm Debus: Namenkunde und Namengeschichte. Eine Einführung. Berlin 2012, S. 64–76.
  6. Vgl. Damaris Nübling, Fabian Fahlbusch, Rita Heuser: Namen. Eine Einführung in die Onomastik. Tübingen 2012, S. 14.
  7. Vgl. Orrin F. Summerell: Philosophy of Proper Names. In: Ernst Eichler, Gerold Hilty, Heinrich Löffler, Hugo Steger, Ladislav Zgusta (Hrsg.): Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, Bd. 1 (= HSK 11.1), S. 368–372.
  8. Vgl. Friedhelm Debus: Soziolinguistik der Eigennamen. Sprache und Gesellschaft (Sozio-Onomastik). In: Ernst Eichler, Gerold Hilty, Heinrich Löffler, Hugo Steger, Ladislav Zgusta (Hrsg.): Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, Bd. 1 (= HSK 11.1), S. 393–399.
  9. Gerhard Bauer: Namenforschung im Verhältnis zu anderen Forschungsdisziplinen. In: Ernst Eichler, Gerold Hilty, Heinrich Löffler, Hugo Steger, Ladislav Zgusta (Hrsg.): Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, Bd. 1 (= HSK 11.1), S. 8–23; hier: S. 10.
  10. Gerhard Bauer: Namenforschung im Verhältnis zu anderen Forschungsdisziplinen. In: Ernst Eichler, Gerold Hilty, Heinrich Löffler, Hugo Steger, Ladislav Zgusta (Hrsg.): Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, Bd. 1 (= HSK 11.1), S. 8–23; hier: S. 12.
  11. Vgl. Gerhard Bauer: Namenforschung im Verhältnis zu anderen Forschungsdisziplinen. In: Ernst Eichler, Gerold Hilty, Heinrich Löffler, Hugo Steger, Ladislav Zgusta (Hrsg.): Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, Bd. 1 (= HSK 11.1), S. 8–23; hier: S. 13.
  12. Konrad Kunze: dtv-Atlas Namenkunde. Vor- und Familiennamen im deutschen Sprachgebiet. 4., überarb. u. erw. Auflage. München 2003, S. 189.
  13. Damaris Nübling, Fabian Fahlbusch, Rita Heuser: Namen. Eine Einführung in die Onomastik. Tübingen 2012, S. 13.
  14. Konrad Kunze: dtv-Atlas Namenkunde. Vor- und Familiennamen im deutschen Sprachgebiet. 4., überarb. u. erw. Auflage. München 2003.
  15. Arno Ruoff: Naive Zugänge zur Namenforschung. In: Ernst Eichler, Gerold Hilty, Heinrich Löffler, Hugo Steger, Ladislav Zgusta (Hrsg.): Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, Bd. 1 (= HSK 11.1), S. 360–367.
  16. Damaris Nübling, Fabian Fahlbusch, Rita Heuser: Namen. Eine Einführung in die Onomastik. Tübingen 2012, S. 13.
  17. Vgl. z. B. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 11. Oktober 2004 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.onomastik.com