Nationalratswahl in Österreich 1923

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1920Nationalratswahl
1923
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2,88
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2,63
(−1,40)
1920

1923

Vorlage:Wahldiagramm/Wartung/Anmerkungen
Anmerkungen:
c Wegen der schlechten Datenlage, als auch die unterschiedlichen Wahlbündnisse, werden hier die Werte der Großdeutschen Volkspartei, des Landbundes und ihrer Landeslisten zusammengefasst (siehe Wahlkampf) und mit dem gesamten Dritten Lager verglichen.
d GdV, LB und CS in Kärnten
    
Insgesamt 165 Sitze

Die Nationalratswahl am 21. Oktober 1923 war die zweite Nationalratswahl in der Geschichte Österreichs. Die meisten Stimmen und Mandate erhielt die Christlichsoziale Partei unter Bundeskanzler Ignaz Seipel. Auf den zweiten Platz kam die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs (SDAP). Die Großdeutsche Volkspartei, mit Vizekanzler Felix Frank als Spitzenkandidat, wurde drittstärkste Kraft.

Wahlrechtsänderungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Nationalrat wurde von 183 auf 165 Mandate verkleinert.

Wahlkampf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Christlichsoziale Partei setzte im Wahlkampf voll auf Ignaz Seipel, den sie als „bewährten Steuermann“, den es zu bewahren galt, auf ihre Wahlplakate druckte. Mit einer weiteren Plakatreihe kritisierte man den von der sozialdemokratisch regierten Stadt Wien betriebenen sozialen Wohnbau, der ineffizient sei und letztendlich zu einer höheren Steuerbelastung führen würde. In diesem Zusammenhang wurde auf einem Sujet im Namen des früheren christlichsozialen Bürgermeisters Karl Lueger zur Rettung Wiens aufgerufen.

Die Sozialdemokraten kritisierten die Sparpolitik der Regierung und ihre negativen Auswirkungen auf Beamten und Arbeiter. So sprachen sie sich gegen geplante Kürzungen bei Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung sowie gegen eine Verschlechterung im Bereich des Kündigungsschutzes aus. Kritisiert wurde auch der starke Einfluss der römisch-katholischen Kirche auf die österreichische Politik, insbesondere darauf gemünzt, dass mit Ignaz Seipel der amtierende Bundeskanzler gleichzeitig Prälat war und somit ein kirchliches Amt bekleidete. Auf zwei weiteren Wahlplakaten wendete man sich gegen das Erstarken österreichischer Nationalsozialisten sowie eine Wiedererstarkung des österreichischen Monarchismus.

Die Großdeutschen führten gemeinsam mit dem Landbund einen offen antisemitischen Wahlkampf. So riefen sie „Deutsche Arier“ auf, zu ihren Wahlveranstaltungen zu kommen, um für die Entziehung des Wahlrechts von „50.000 Ostjuden“ einzutreten, die aus Sicht der Großdeutschen für die Wohnungsnot in Wien verantwortlich seien. Den Sozialdemokraten warfen sie vor, die Wiener Bevölkerung „Schritt für Schritt unter jüdische und tschechische Knechtschaft zwingen“ zu wollen. Kritisiert wurde der Antisemitismus der Großdeutschen und des Landbundes fast ausschließlich von der Jüdischen Wahlgemeinschaft. Sie warnte vor einem Anwachsen des Judenhasses in Österreich und beklagte, dass es schon jetzt strukturelle Diskriminierungen gegen die jüdische Bevölkerung gebe und weitere geplant seien.

Trotz eines paktierten Wahlverbands zwischen Landbund und Großdeutschen entschloss sich der Landbund letztlich aufgrund eines Streits um Listenplätze zu einem eigenständigen Antreten. Da die Partei in den einzelnen Bundesländern mit unterschiedlichen Listenbezeichnungen antrat, konnten nach geltendem Wahlrecht 63.000 Reststimmen in der Steiermark, die nicht für ein Grundmandat reichten, im zweiten Ermittlungsverfahren nicht für die Partei gewertet werden. Somit erzielte der Landbund nur fünf Mandate, obwohl die erzielte Gesamtstimmenanzahl acht Mandaten entsprochen hätte.[1]

Hinweis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am gleichen Tag wie die Nationalratswahl fand die Landtags- und Gemeinderatswahl in Wien 1923 statt.

Endergebnis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Amtliches Endergebnis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wahlwerber Stimmen Anteil Mandate
1923 ± 1923 ±
Christlichsoziale Partei (CS) 1.459.047 44,05 % +2,25 % 80 +1
Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs (SDAP) 1.311.870 39,60 % +3,61 % 68 −1
Verband der Großdeutschen Volkspartei und des Landbundes 259.375 7,83 % N/A 10 −12
Kärntner Einheitsliste 1) 95.465 2,88 % N/A 5 −5
Landbund für Österreich 2) 76.441 2,31 % N/A 1 +1
Jüdische Wahlgemeinschaft 24.970 0,75 % N/A 0
Burgenländischer Bauernbund (Landbund für Österreich) 2) 23.142 0,70 % N/A 0
Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) 22.164 0,67 % −0,22 % 0
Bürgerlich-demokratische Arbeitspartei 18.886 0,57 % −0,87 % 0 −1
Partei der Kärntner Slowenen 9.868 0,30 % N/A 0
Tschechoslowakische Minoritätspartei 7.580 0,23 % n.k. 0
Hrvatska stranka (Kroatenpartei) 2.557 0,08 % n.k. 0
Kaisertreue Volkspartei 1.235 0,03 % n.k. 0
Bund aller Schaffenden 6 0,00 % n.k. 0

1) Wahlgemeinschaft des Kärntner Landbundes, der Christlichsozialen Partei und der Großdeutschen Volkspartei.
2) Addition der Wahlergebnisse wurde vom Verfassungsgerichtshof wegen unterschiedlicher Listenbezeichnungen abgelehnt.

Nationalrat nach Klubzugehörigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Durch das Antreten mehrerer Wahlgemeinschaften und Regionalparteien bestanden 3 der 4 Fraktionen aus Mandaten verschiedener Wahlparteien, und nicht alle Abgeordneten einer Liste gehörten demselben Abgeordnetenverband an.

Christlichsoziale Vereinigung deutscher Abgeordneter im österreichischen Parlamente 82 (−3)
Christlichsoziale Partei 80
Kärntner Einheitsliste 2
Verband der Sozialdemokratischen Abgeordneten zum Nationalrat Deutschösterreichs 68 (−1)
Sozialdemokratische Partei 68
Verband der Abgeordneten der Großdeutschen Volkspartei 10
Verband der Großdeutschen und des Landbundes 8
Kärntner Einheitsliste 2
Abgeordnetenverband des Landbundes für Österreich 5
Verband der Großdeutschen und des Landbundes 2
Kärntner Einheitsliste 2
Burgenländischer Bauernbund 1

Folgen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Reaktionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Berichterstattung wurden nach der Wahl besonders zwei Dinge hervorgehoben: Einerseits die nach wie vor deutliche bürgerliche Mehrheit gegen die Sozialdemokraten und andererseits das so nicht vorhergesehene schwache Abschneiden der Großdeutschen und anderer bürgerlicher Bewegungen abseits der Christlichsozialen. Trotz der Zugewinne hatte die SDAP mangels linker Koalitionspartner keine ernsthafte Möglichkeit, in einer Bundesregierung Platz zu nehmen. So schrieb das Linzer Volksblatt in seiner Ausgabe am 22. Oktober 1923 über die „Niederlage der Großdeutschen und der Kleinen Parteien“, „ein[en] volle[n] Sieg der christlichsozialen Partei“ und sah den „sozialistische[n] Ansturm abgewehrt“. Das großdeutsch gesinnte Vorarlberger Tagblatt hob die „Niederlage des Landbundes auf der ganzen Linie“ hervor, betonte die neuerliche „nichtsozialdemokratische Mehrheit“, obwohl eine ersehnte Zweidrittelmehrheit der Bürgerlichen nicht erreicht wurde.

Regierungsbildung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Koalitionen
Parteien Sitze
Zweidrittelmehrheit (ab 110 Sitzen)
       CS, SDAPDÖ 150
Absolute Mehrheit (ab 83 Sitzen)
       CS, GDVP 92
       CS, LB 87
Sitze gesamt 165

Kein Zweifel wurde daran gelassen, dass es bei diesem Ergebnisse abermals zu einer christlichsozial-großdeutschen Koalitionsregierung käme und so blieb Ignaz Seipel Bundeskanzler.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Robert Kriechbaumer: Die großen Erzählungen der Politik. Politische Kultur und Parteien in Österreich von der Jahrhundertwende bis 1945 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 12). Böhlau, Wien / Köln / Weimar 2001, ISBN 3-205-99400-0, S. 502–504.