Ototoxizität

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Klassifikation nach ICD-10
H91.0[1] Ototoxischer Hörverlust
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Ototoxizität (von altgriechisch οὖς ous [Genitiv ὠτός ōtos] „Ohr“ und Toxizität) bezeichnet in der Medizin und Pharmakologie die (zumeist unerwünschte) zerstörerische Wirkung von Substanzen auf das Innenohr, insbesondere die Sinneszellen des Hör- und Gleichgewichtsorgans, oder den zugehörigen Hirnnerven (Nervus vestibulocochlearis).

Mechanismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zumeist kommt es durch solche Stoffe zu einer direkt giftigen Wirkung auf die Zellen des Sinnesepithels. Da es sich dabei letztlich um Nervenzellen handelt, ist die Zerstörung meist endgültig und führt zu Schwerhörigkeit oder Taubheit, Gleichgewichtsstörungen und Tinnitus.

Ototoxine[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ototoxische Medikamente sind manche Antibiotika (Aminoglykoside, Makrolide, Glykopeptide), platinhaltige Zytostatika, Taxane und Vinca-Alkaloide, Diuretika (Furosemid und Torasemid), Chlorhexidin, Chinin (als Malariamittel), Salicylate (Acetylsalicylsäure), Lidocain und 4-Hydroxybutansäure (GHB). Bis auf Chlorhexidin, Chinin und GHB können diese Arzneimittel alle auch Tinnitus auslösen oder verstärken.[2][3]

Weitere ototoxische Chemikalien sind Lösungsmittel (Alkylbenzole, Xylol, Styrol, Toluol, n-Heptan, n-Hexan, Tri- und Tetrachlorethen), Blei, Cadmium, Quecksilber, Arsen, Schwefelkohlenstoff, Kohlenmonoxid, Cyanide[4] und γ-Butyrolacton (GBL).

Medizinische Anwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als palliative Maßnahme beim Morbus Menière kann im Einzelfall eine Verödung des Innenohres durch Einbringen von Gentamicin sinnvoll sein. Dadurch wird das bereits schwer funktionsgestörte Innenohr ausgeschaltet.

Vorbeugung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Um einer „Innenohrvergiftung“ mit Aminoglycosiden (z. B. Neomycin) vorzubeugen, sind Ohrentropfen mit solchen Wirkstoffen keinesfalls im Gehörgang anzuwenden, wenn das Trommelfell perforiert sein könnte. Schon sehr geringe Mengen, die zum Innenohr gelangen und in die Haarzellen der Hörschnecke übertreten, können zu einem irreparablen Verlust von Sinneshärchen führen, mit der Folge von Hörverlust bis hin zur völligen Taubheit und massiven Gleichgewichtsproblemen.[5]

Gefährdung am Arbeitsplatz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In vielen Berufen ist die Arbeit mit chemischen Substanzen notwendig, die als Ototoxine bezeichnet werden. Aufgrund der fehlenden hinreichenden Informationen über das Risikopotenzial vieler dieser Stoffe gibt es kaum Maßnahmen zum Schutz von Arbeitnehmern. Experten warnen allerdings vor der Kombination von Ototoxinen und der Lärmbelastung am Arbeitsplatz (Baugewerbe, Druckindustrie, Lackierereien, Schiffbau, Landwirtschaft, Bergbau etc.), da dadurch das Risiko für Hörschäden verstärkt wird.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • J. Lautermann, J. Schacht, K. Jahnke: Aminoglykosidtoxizität: Pathomechanismen, Klinik und Präventionsmöglichkeiten. In: HNO. Band 51, 2003, S. 344–353, doi:10.1007/s00106-003-0830-1.
  • S. D. Stephens: Some historical aspects of ototoxicity. In: British Journal of Audiology, Band 16, 1982, S. 76–80.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Alphabetisches Verzeichnis zur ICD-10-WHO Version 2019, Band 3. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), Köln, 2019, S. 667
  2. Ototoxische Medikamente (Quelle: www.schwerhoerigen-netz.de) (Memento vom 25. Juli 2016 im Internet Archive) Abgerufen am 25. Juli 2016.
  3. P. Schweikert-Wehner: Tinnitus durch Medikamente. Hrsg.: internistische praxis. Band 65/, Nr. 2. Mediengruppe Oberfranken - Fachverlage Gmbh & Co. KG, 2022, ISSN 0020-9570, S. 324–328.
  4. Ernst Lehnhardt: Die Berufsschäden des Ohres. In: Archiv Ohren-, Nasen- und Kehlkopfheilkunde. Band 185, 1965, S. 11–242 (Kongressbericht).
  5. Aktories, Förstermann, Hofmann Starke: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. 10. Auflage. S. 823