Papageienschaukel

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Nachstellung einer „Papageienschaukel“ bei Studentenprotesten in Brasilien (2012)

Papageienschaukel (auch Stalinschaukel[1], heute auch Grillhähnchen[2]) bezeichnet eine Methode der Fesselung zu Folterzwecken, bei der die betreffende Person mit den Kniekehlen kopfüber an einer Stange aufgehängt wird und die Handgelenke vor den Schienbeinen, an die Fußgelenke oder an die Stange gefesselt werden.

Der Begriff stammt aus Brasilien (dort pau de arara genannt) und bezieht sich darauf, dass die Stange im Papageienkäfig den einzigen Halt für den Vogel darstellt. Verliert er das Gleichgewicht, hängt er kopfüber.[3]

Diese Methode wurde und wird in vielen Ländern angewendet, da keine sichtbaren Spuren am Körper der betreffenden Person zurückbleiben und das notwendige Gerät überall verfügbar oder mit geringem Aufwand herzustellen ist. Es wird jeweils eine Querstange verwendet, die ähnlich einem Reck oder einer Teppichstange befestigt wird oder auch wie ein Trapez aufgehängt werden kann. Der Zug des Körpergewichts in die Kniekehlen führt nach kurzer Zeit zu einsetzenden und sich steigernden Schmerzen. Durch die Körperhaltung, in welche die betreffende Person gezwungen wird, ist diese vollständig bewegungsunfähig und wehrlos, was bereits zu einer Ängstigung und Demütigung führt. Die Gefangenen sind hierbei zumeist entkleidet, was ihre Empfindung von Machtlosigkeit und Verletzlichkeit steigert und sie zusätzlich demütigt. Häufig werden ihnen auch die Augen verbunden, was zu einer räumlichen Desorientierung führt.

Bogerschaukel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im KZ Auschwitz hieß die entsprechende bei Verhören angewendete Foltermethode nach dem sie bevorzugt anwendenden Mitarbeiter der politischen Abteilung Wilhelm Boger Bogerschaukel;[4][5][6] er bezeichnete sie als „Sprechmaschine“: Während der Verhöre wurden die betreffenden Personen meist mit einem Stock oder Ochsenziemer vor allem auf Gesäß, Fußsohlen und Rücken oder auf die Geschlechtsorgane geschlagen.[7] Wilhelm Boger hatte diese Foltermethode von einem Gestapobeamten übernommen, der zu Verhörzwecken nach Auschwitz kam und sie dort eingeführt hatte. Eine ähnliche, weniger einschneidende Variante bestand darin, die gefolterte Person stehend vornüber über eine hüfthohe Stange zu beugen, wobei die Hände unterhalb der Stange hinter die Beine gefesselt wurden.[8] Die Bogerschaukel wurde später durch den Kommandanten Arthur Liebehenschel abgeschafft.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Konrad Morgen: Tonbandmitschnitte des Auschwitz-Prozesses (1963–1965), 25. Verhandlungstag. In: https://www.auschwitz-prozess.de/zeugenaussagen/. Fritz Bauer Institut für Geschichte und Wirkung des Holocaust, 9. März 1964, abgerufen am 26. Dezember 2021: „Das, was mich zunächst am furchtbarsten traf, das war die sogenannte Stalin-Schaukel. Sie haben sie hier in dem Prozess, wie ich Zeitungsmeldungen entnehme, als »Boger-Schaukel« geschildert bekommen. Und damals im SS-Jargon hieß sie die »Stalin-Schaukel«. Und dieses Verfahren der staatspolizeilichen Kriminaluntersuchung, das ja nun selbst die Schreckenstorturen mittelalterlicher Folterkammern in den Schatten stellte, das war ja auch nicht durch den Erlaß über »Verschärfte Vernehmungen« von Häftlingen in staatspolitisch wichtigen Angelegenheiten gedeckt. (...) Und diese »verschärften Vernehmungen« auf dieser »Stalin-Boger-Schaukel« [betrachte ich juristisch] als Amtsverbrechen, Aussageerpressung, schwere Körperverletzung im Amt. Ich habe dann Grabner sofort festnehmen lassen. Darauf wurde ich zum Chef der Geheimen Staatspolizei, dem SS-Gruppenführer Müller, zum Rapport ins Reichssicherheitshauptamt bestellt.“
  2. Sarah Mersch: Tunesien will mehr als 50 Jahre Folter und Unterdrückung aufarbeiten – wieso sich das Land dabei so schwertut. Eine Wahrheitskommission hat mehr als zweihundert besonders schwere Fälle von Menschenrechtsverletzungen vor Sondergerichtshöfe gebracht. Doch der Prozess kommt nur schleppend voran. In: NZZ. 26. Februar 2021, abgerufen am 26. Februar 2021: „Das in Tunesien berüchtigte «Grillhähnchen», bei dem Gefangene nackt an einer Stange aufgehängt und auf die Fusssohlen geschlagen werden, sei noch das Harmloseste gewesen, erzählt er. Dazu seien Schläge auf Kopf und Hoden gekommen (...).“
  3. Die Papageienschaukel (Memento vom 12. August 2007 im Internet Archive) (amnesty international Ulm)
  4. Henry Leide: NS-Verbrecher und Staatssicherheit. Vandenhoeck & Ruprecht, 2007, S. 259
  5. Die größten Nazi-Prozesse, news.de.msn.com, Zugriff 26. Febr. 2021
  6. In Friedrichshafen begann die zweifelhafte Karriere des „Teufels von Auschwitz“ (www.schwaebische.de)
  7. Hermann Langbein: Menschen in Auschwitz. 4. Auflage. Europaverlag, München & Wien 1999, ISBN 3-203-51243-2, Die Gefangenen, S. 266 (deutsch: Menschen in Auschwitz. Wien 1972.): „Die Schaukel ist die beliebteste Folter der Politischen Abteilung. Der Häftling muß sich mit angezogenen Knien auf den Boden setzen. Seine Hände werden ihm vorne gefesselt und über die Knie gezogen. Unter den Kniekehlen, aber über die Unterarme stecken sie eine Stange. An dieser Stange wird der Häftling aufgehängt, den Kopf nach unten. Dann schaukeln sie ihn, und bei jedem Schwung bekommt er einen Schlag aufs Gesäß. Das alles könnte man aushalten, aber das Schlimmste ist, daß sie die Geschlechtsteile treffen, und Boger, der berüchtigte Oberscharführer der Politischen Abteilung, zielt direkt darauf. Die Häftlinge, die in den Bunker eingeliefert werden, müssen sich nackt ausziehen und bekommen nur einen dünnen Drillichanzug, keine Unterwäsche. Ich hätte mir nie vorstellen können, daß Hoden so fürchterlich groß anschwellen können. Blau und grün! Die, die von der Schaukel kommen, können die nächsten Tage nicht sitzen und liegen.“
  8. Hermann Langbein: Menschen in Auschwitz. Ullstein, München und Frankfurt am Main 1980, S. 433