Parlamentswahl in Estland 2015

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2011Parlamentswahl in Estland 20152019
Ergebnis (in %) [1]
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Gewinne und Verluste
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Vorlage:Wahldiagramm/Wartung/Anmerkungen
Anmerkungen:
f 2011: ERL
Sitzverteilung
      
Insgesamt 101 Sitze
Flagge und Staatswappen über dem Eingangsportal des estnischen Parlaments

Die Parlamentswahl in Estland 2015 fand am 1. März 2015 statt.[2] Es war die Wahl zum 13. Riigikogu der Republik Estland nach Ausrufung der staatlichen Unabhängigkeit 1918.

Ausgangslage[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die letzte Parlamentswahl fand am 6. März 2011 statt. Damals schafften vier Parteien den Einzug ins Parlament:

Ergebnis der Parlamentswahl in Estland 2011
Partei Kürzel Ergebnis
Stimmen % Mandate
Estnische Reformpartei RE 164.255 28,6 33
Estnische Zentrumspartei K 134.124 23,3 26
Pro-Patria- und Res-Publica-Union IRL 118.023 20,5 23
Sozialdemokratische Partei SDE 98.307 17,1 19

Der seit 2005 amtierende Ministerpräsident und Vorsitzende der Reformpartei Andrus Ansip bildete nach den Wahlen eine Koalitionsregierung aus der liberalen Reformpartei (RE) und der konservativen Pro-Patria- und Res-Publica-Union (IRL). Die Regierung verfügte über eine stabile absolute Mehrheit von 56 der 101 Parlamentssitze. In die Opposition gingen 2011 die Mitte-links gerichtete, populistische Zentrumspartei (K) unter ihrem Vorsitzenden, dem Tallinner Oberbürgermeister Edgar Savisaar, und die Sozialdemokraten (SDE).

Im März 2014 brach die Regierungskoalition auseinander. Der neue Ministerpräsident Taavi Rõivas (RE) bildete daraufhin eine sozialliberale Koalitionsregierung. Diese, seit dem 26. März 2014 amtierende, Regierung hatte im Parlament eine knappe Mehrheit von 52 Sitzen.

Wahlsystem[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Ein-Kammer-Parlament (estnisch Riigikogu; wörtlich: „Staatsversammlung“) wird für die Dauer von vier Jahren gewählt. Das Parlament hat nach der estnischen Verfassung 101 Abgeordnete.

Wahlberechtigt sind alle estnischen Staatsangehörigen, die am Wahltag mindestens 18 Jahre alt sind. Gewählt werden kann jeder estnische Staatsangehörige, der am letzten Tag der Meldefrist für Kandidaten mindestens 21 Jahre alt ist.

Die Wahl findet nach dem Verhältniswahlrecht statt. Es gilt die Fünf-Prozent-Hürde.

Teilnehmende Parteien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zur Parlamentswahl waren zehn Parteien und 13 Einzelkandidaten zugelassen.

Partei Kürzel Estnischer Name Ausrichtung Spitzenkandidat
Estnische Reformpartei RE Eesti Reformierakond liberal Taavi Rõivas
Estnische Zentrumspartei K Eesti Keskerakond Mitte-links; populistisch Edgar Savisaar
Pro-Patria- und Res-Publica-Union IRL Isamaa ja Res Publica Liit Mitte-rechts Juhan Parts
Sozialdemokratische Partei SDE Sotsiaaldemokraatlik Erakond sozialdemokratisch Sven Mikser
Grüne Estlands EER Erakond Eestimaa Rohelised grün Aleksander Laane
Estnische Konservative Volkspartei EKRE Eesti Konservatiivne Rahvaerakond nationalkonservativ; populistisch Mart Helme
Partei der Einheit des Volkes RÜE Rahva Ühtsuse Erakond konservativ-liberal Kristiina Ojuland
Estnische Freie Partei EVA Eesti Vabaerakond konservativ Artur Talvik
Estnische Unabhängigkeitspartei EIP Eesti Iseseisvuspartei rechtsextrem Vello Leito
Vereinigte Linkspartei Estlands EÜVP Eestimaa Ühendatud Vasakpartei links Valev Kald

Wahlkreise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Um eine regionale Streuung der Abgeordneten zu gewährleisten ist das Land in zwölf Mehrpersonen-Wahlkreise (valimisringkonnad) eingeteilt, in denen zwischen 5 und 14 Abgeordnete gewählt werden:

# Wahlkreis Sitze Karte
1 Haabersti, Põhja-Tallinn und Kristiine in Tallinn 9
2 Kesklinn, Lasnamäe und Pirita in Tallinn 12
3 Mustamäe und Nõmme in Tallinn 8
4 Kreis Harju (ohne Tallinn) und Kreis Rapla 14
5 Hiiumaa, Kreis Lääne und Saaremaa 6
6 Kreis Lääne-Viru 5
7 Kreis Ida-Viru 7
8 Kreis Järva und Kreis Viljandi 7
9 Kreis Jõgeva and Kreis Tartu (ohne Stadt Tartu) 8
10 Stadt Tartu 8
11 Kreis Võru, Kreis Valga and Kreis Põlva 9
12 Kreis Pärnu 8

Wahlkampf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Wahlkampf wurde hauptsächlich von zwei Themen dominiert.

Das eine Thema war die aktuelle Sicherheitslage aufgrund der anhaltenden Ukraine-Krise. Politiker über alle Parteigrenzen hinweg waren sich darüber einig, dass die Sicherheit des baltischen Staates verstärkt werden müsse.[3] Sämtliche Parteien übten Kritik an der aktuellen Russland-Politik gegenüber der Ukraine. Dies galt auch für die Zentrumspartei, welche als eher russlandfreundlich gilt und sich noch anfangs mit Kritik gegenüber Russland zurückhielt. Keine Partei stellte die NATO-Mitgliedschaft oder die Westorientierung des Landes infrage.[4]

Bei dem anderen Thema ging es um die soziale und wirtschaftliche Lage im Land, welche durch eine hohe Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne geprägt ist. Nahezu alle Parteien versprachen ähnliche Lösungen: Geringverdiener sollen durch einen höheren Mindestlohn oder Steuerfreibetrag bessergestellt werden, Familien mit Kindern mehr Unterstützung erhalten. Der amtierende Premierminister und Spitzenkandidat der regierenden Reformpartei Taavi Rõivas wollte aus Estland ein "neues nordisches Land" machen und eine "wohlhabende und wachsende Nation".[5]

Umfragen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Umfragen (in %)
Umfrageperiode[6] RE K IRL SDE EER EVA EKRE
Februar 2015 23 22 14 20 2 9 9
Januar 2015 25 22 15 18 2 8 5
Dezember 2014 32 23 16 21 2 1 2
November 2014 29 22 18 22 4 2 2
Oktober 2014 27 27 16 19 3 2 3
September 2014 27 26 18 23 3 2
August 2014 29 25 15 26 1 4
Juli 2014 31 24 16 24 1 3
Juni 2014 31 24 14 25 2 2
Mai 2014 29 24 15 27 3 2
April 2014 25 22 19 28 1 3
März 2014 24 27 16 26 2 2
Wahl 2011 28,6 23,3 20,5 17,1 3,8

Wahlergebnis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Landesweites Ergebnis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ergebnis der Parlamentswahl in Estland 2015
Partei Stimmen Sitze
Anzahl % +/− Anzahl +/−
Estnische Reformpartei (RE) 158.971 27,7 −0,9 30 −3
Estnische Zentrumspartei (K) 142.460 24,8 +1,5 27 +1
Sozialdemokratische Partei (SDE) 87.190 15,2 −1,9 15 −4
Pro-Patria- und Res-Publica-Union (IRL) 78.697 13,7 −6,8 14 −9
Estnische Freie Partei (EVA) 49.882 8,7 Neu 8 Neu
Estnische Konservative Volkspartei (EKRE) 46.772 8,1 Neu 7 Neu
Grüne Estlands (EER) 5.193 0,9 −2,9 0 ±0
Partei der Einheit des Volkes (RÜE) 2.289 0,4 Neu 0 Neu
Estnische Unabhängigkeitspartei (EIP) 1.047 0,2 −0,7 0 ±0
Vereinigte Linkspartei Estlands (EÜVP) 764 0,1 Neu 0 Neu
Unabhängige Kandidaten 887 0,2 −2,6 0 ±0
Gesamt 574.153 100,0 101
Gültige Stimmen 574.153 99,3 +0,2
Ungültige Stimmen 3.757 0,7 −0,2
Wahlbeteiligung 577.910 64,2 +0,7
Nichtwähler 321.883 35,8 −0,7
Wahlberechtigte 899.793
Quelle: Staatliche Wahlkommission[1]

Ergebnisse nach Wahlkreisen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zur Nummerierung der Wahlkreise und zu den Parteikürzeln siehe oben. Die Partei mit der relativen oder absoluten Mehrheit im Wahlkreis ist entsprechend farbig unterlegt.

Die meisten Parteien zeigten ein landesweit einen zwar schwankenden, aber ähnlichen Stimmenanteil. Am auffälligsten war die Stimmverteilung der Zentrumspartei, die eng mit dem Prozentanteil russischsprachiger Bevölkerung im entsprechenden Wahlkreis korrelierte. Am höchsten war der Stimmanteil der Zentrumspartei in den östlichen Regionen Estlands und in Tallinn.

Wahl-
kreis
Karte Wahl-
beteiligung
Wähler Parteien
RÜE RE EKRE IRL EER EÜVP EVA K SDE EIP Unab
1 68,9 % 56.339 0,2 25,1 5,3 12,8 1,0 0,1 8,1 33,6 13,7 0,2 0,1
2 67,7 % 74.325 0,2 21,8 4,6 10,8 0,8 0,1 8,2 42,7 10,5 0,1 0,3
3 72,6 % 52.210 0,1 30,2 8,8 10,9 1,0 0,1 10,4 24,4 14,0 0,1 0,0
4 68,4 % 87.755 0,3 35,2 8,0 16,5 1,0 0,4 11,6 14,1 12,4 0,2 0,2
5 60,4 % 33.673 0,2 31,1 11,2 14,7 1,8 0,0 12,8 13,0 14,9 0,3 0,0
6 59,2 % 26.943 1,2 26,9 9,2 19,1 0,7 0,1 8,2 19,5 14,8 0,3 0,0
7 55,0 % 34.481 0,5 11,9 3,1 8,2 0,3 0,2 2,4 58,9 14,3 0,2 0,0
8 59,7 % 38.620 0,5 27,7 7,9 17,7 0,5 0,0 6,1 15,9 23,0 0,2 0,5
9 62,3 % 40.859 0,4 29,1 9,3 14,9 0,9 0,2 7,6 18,7 18,6 0,3 0,0
10 66,3 % 44.907 0,2 33,4 6,9 14,4 1,6 0,0 11,1 15,1 16,8 0,1 0,2
11 59,5 % 44.561 0,6 24,8 9,6 12,7 0,7 0,1 7,3 19,5 24,3 0,2 0,4
12 60,6 % 39.459 1,0 28,9 18,2 13,5 0,6 0,1 6,6 19,1 11,8 0,2 0,0

Wahlanalyse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Künftig sind sechs statt bislang vier Parteien im estnischen Parlament vertreten. Die liberale Reformpartei bleibt trotz leichter Verluste stärkste Fraktion im Parlament. Die Wahl ist ein Erfolg der liberalen Reformpartei, die seit 2007 den Ministerpräsidenten stellt. Das Ergebnis stellt gleichzeitig einen persönlichen Sieg des erst 35-jährigen Ministerpräsidenten Taavi Rõivas dar, der sein Amt erst im März 2014 angetreten hatte. Der bisherige Koalitionspartner, die Sozialdemokraten, musste Einbußen in der Wählergunst hinnehmen, blieb aber drittstärkste politische Kraft. Die Mitte-links-Regierung verlor damit ihre absolute Mehrheit. Ministerpräsident Taavi Rõivas ist daher auf (mindestens) zwei Koalitionspartner angewiesen. Er will mit allen Parteien außer der Zentrumspartei Koalitionssondierungen führen. Streitpunkte in Koalitionsverhandlungen bleiben vor allem die Beibehaltung eines einheitlichen Einkommenssteuersatzes von 21 %, an dem die Reformpartei festhalten will, und die Notwendigkeit einer kommunalen Gebietsreform.

Zweitstärkste Partei wurde wie bei den Parlamentswahlen 2011 die Zentrumspartei um den Tallinner Oberbürgermeister und früheren Ministerpräsidenten Edgar Savisaar. Die Partei konnte vor allem bei der russischsprachigen Bevölkerung punkten und gewann einen Sitz hinzu. In den Tallinner Stadtteilen mit starker russischsprachiger Bevölkerung und im russisch geprägten Kreis Ida-Viru blieb die Zentrumspartei stärkste politische Kraft.

Die konservative IRL musste starke Verluste hinnehmen. Sie verlor neun Sitze und kommt nur noch auf 14 Mandate. Mit der Freien Partei konnte auf Anhieb eine Abspaltung der IRL ins Parlament einziehen. Sie erhielt acht Sitze.

Erstmals schaffte auch eine rechtspopulistische Partei den Einzug ins Parlament, nachdem bisherige Versuche gescheitert waren. Der EKRE errang mit 8,1 % der Stimmen sieben Parlamentssitze. Ihre Themen sind vor allem eine Ablehnung von Zuwanderung nach Estland (die es ohnehin kaum gibt), die Forderung nach einer härteren Politik gegenüber Russland und eine euroskeptische Grundhaltung, z. B. in Bezug auf Finanzhilfen für Griechenland.

Am 9. April 2015 wurde Taavi Rõivas erneut als Ministerpräsident vereidigt. In der neuen Regierung stellt die Reformpartei sieben, die Sozialdemokratische Partei und die Pro-Patria- und Res-Publica-Union jeweils vier Minister.

Sonstiges[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nachdem Amtsvorgänger Andrus Ansip angekündigt hatte, als EU-Kommissar nach Brüssel zu gehen, wurde Rõivas am 26. März 2014 Ministerpräsident. Der Wahlkampf war beeinflusst vom Konflikt in der Ukraine, der in Estland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken neue Sicherheitsängste ausgelöst hatte. Die starke russische Minderheit in Estland wählte überwiegend die Zentrumspartei. Deren Chef Edgar Savisaar hatte sich für eine engere Anbindung an Russland ausgesprochen. Die anderen großen Parteien hatten deshalb im Vorfeld erklärt, nicht mit ihm koalieren zu wollen. Auch wirtschafts- und sozialpolitische Themen spielten im Wahlkampf eine Rolle. Rund ein Fünftel der Wahlberechtigten nutzte die Möglichkeit, per elektronischer Wahl abzustimmen.[7]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Riigikogu valimised 2015. Staatliche Wahlkommission, abgerufen am 2. März 2015 (estnisch, Offizielles Wahlergebnis 2015).
  2. http://www.vvk.ee/?lang=en
  3. Russland als Thema im estnischen Wahlkampf derStandard.at, 26. Februar 2015
  4. Oben-unten-Gräben statt Ost-West taz.de, 2. März 2015
  5. Wahl in Estland: Von der bösen Orange bedroht taz.de, 28. Februar 2015
  6. Erakondade toetusreitingud (Memento des Originals vom 14. Januar 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.emor.ee TNS Emor (Estnisch)
  7. spiegel.de 1. März 2015: Estland: Regierungspartei gewinnt die Parlamentswahl